Einleitung
Schweigen ist eine Kunst – sich Gehör zu verschaffen, ist es ebenso. Nützlich ist sicherlich beides, doch ist Ersteres vermutlich leichter als Letzteres. Dabei wünscht sich jeder, dass man ihm zuhört – sei es in der Beziehung, im Sozial- und Berufsleben oder unter Eltern und Kindern.
Als ich sie zum ersten Mal treffe, sagt mir Laurence:
»Ich möchte, dass man mir sowohl zu Hause als auch in der Arbeit einfach zuhört. Ist das normal? Ich stelle mich da anscheinend nicht so geschickt an – was soll ich also tun?« Spontan gibt sie zu, was mir schon häufig zu Ohren gekommen ist. Laurence traut sich, es ganz deutlich auszusprechen, was schon einmal ein guter Anfang ist. Sie fügt in fragendem, nicht sehr überzeugtem Tonfall hinzu: »Gibt es denn eine Methode, durch die einem besser zugehört wird?« Ich sage ihr, dass es tatsächlich eine Methode gibt, durch die man lernen kann, wie einem besser zugehört wird. Das Ziel: sich in Gesprächen mit anderen respektierter und freier zu fühlen.
Mit diesem Buch möchte ich Menschen helfen, sich Gehör zu verschaffen, um besser verstanden zu werden.
Meine Erfahrung als »Seelenklempner« hat mir gezeigt, dass es für viele Menschen eine schmerzliche Erfahrung im Leben ist, das Gefühl zu haben, dass ihnen nicht richtig zugehört wird. Und wer trägt die Schuld daran? Sicherlich diejenigen, von denen man sich ein offeneres Ohr gewünscht hätte. Dieses Buch soll all denen helfen, die unter einem solchen Mangel an Bereitschaft der anderen leiden, ihnen zuzuhören. Es soll ihnen helfen, nicht in diesem Gefühl der Ohnmacht zu verharren, und die Autorität des Zuhörers auch einmal in Frage zu stellen, um sich frei ausdrücken zu können.
Eine aktuelle Studie bestätigt folgende Annahme: Fragt man Menschen, wie sie von anderen behandelt werden möchten, antwortet die Mehrheit, dass sie respektiert werden wollen. Also fragt man nach, was »respektiert werden« für sie bedeutet. Die Antwort: Respektiert werden bedeutet gehört werden1 … Schön und gut – aber wie?
Von Kindesbeinen an lernen wir im Leben, dass wir zuhören sollen, mit anderen Worten, dass wir »unseren Platz kennen sollen«, doch wie wir uns selbst Gehör verschaffen, bringt uns niemand bei, auch nicht, wie wir uns trauen sollen, uns angemessen zu behaupten. Dabei sind dies wichtige und häufig auch notwendige Fähigkeiten. Den Beweis dafür bekomme ich immer wieder in meinem gesamten Berufsleben, aber auch in meinem Privatleben geliefert.
Schon häufig habe ich mich gefragt, warum ein Anliegen, das auf eine bestimmte Weise vorgetragen wird, abgeschmettert wird, und denjenigen, der es vorgebracht hat, dazu bringt, davon abzulassen, sich abservieren zu lassen, während dasselbe Anliegen, wenn es auf eine andere Art oder von einer anderen Person vorgebracht wird, erfüllt wird. »Man kann so klar sein wie Bergwasser, doch kann dieses Bergwasser in ganz unterschiedlichen Karaffen gereicht werden.«2 Wenn es darum geht, sich Gehör zu verschaffen, ist die Art, wie man sich ausdrückt, ebenso wichtig wie das Gesagte selbst. Häufig ist es beispielsweise günstiger – und darauf werde ich immer wieder zurückkommen – etwas vorzuschlagen, als um jeden Preis überzeugen zu wollen, selbst wenn es Ihr gutes Recht ist, von Ihrem Gegenüber zu verlangen, was Sie verlangen.
Sich Gehör zu verschaffen, beruht auf drei Fragen, die sich unabhängig vom Kontext beantworten lassen:
–Sollte man versuchen, sein Gegenüber so gut wie möglich zu kennen?
–Ist es wirklich in unserem Sinne, laut zu werden? Wäre es nicht besser, angstfrei zu sprechen?
–Ist es wichtig, den richtigen Moment zu wählen, die richtigen Worte zu finden, statt überstürzt zu handeln?
Die unterschwellige Motivation von Menschen, die sich Gehör wünschen, ist häufig, dass der andere nach dem Gespräch nicht mehr »Nein sagen« kann und sowohl seinen Blickwinkel als auch sein Verhalten ändert.
Geht es also darum zu überzeugen? Je schwerer es jemandem fällt, sich Gehör zu verschaffen, desto verzweifelter wird er im Allgemeinen versuchen, bei Gegenwind Überzeugungsarbeit zu leisten. Meist führt dies jedoch genau zum Gegenteil der erwünschten Wirkung. Mein Beruf hat mich gelehrt, dass man es genau andersherum versuchen sollte: Statt um jeden Preis überreden zu wollen, sollte man zunächst zuhören, damit einem selbst zugehört wird, und dann ganz offen sprechen, wenn man sich sicher ist, dass der Gesprächspartner nun seinerseits zuhört.
Zahlreiche konkrete Situationen haben mich dazu gebracht, dieses Buch zu schreiben, um Sie von dieser Vorgehensweise zu überzeugen. Während des Schreibens habe ich häufig an einen Film zurückgedacht, den ich äußerst bedeutsam und schön fand, auch jenseits der Tatsache, dass die Hauptdarstellerin Julia Roberts ihre Rolle ganz besonders überzeugend gespielt hat. Es handelt sich um einen Film, der auf wahren Begebenheiten beruht: Erin Brockovich – Eine wahre Geschichte, im Jahr 2000 gedreht von Steven Soderbergh. Dieser Film zeigt, wie geduldig die junge Frau den Einwohnern der Kleinstadt Hinkley zunächst zuhört, bevor sie sie davon überzeugen kann, dass der Ursprung ihrer Krankheiten die Umweltverschmutzung ist und sie sich zusammentun müssen, um vor Gericht Recht zu bekommen.
Ist wirklich jeder betroffen?
Auch Sie haben sicherlich schon einmal gesagt: »Mir hört einfach keiner zu.« Wie frustrierend dieses Gefühl sein kann, wird in vielen gängigen Aussagen deutlich: »Bist du taub, oder was?«, »Das habe ich dir doch schon zehnmal gesagt!«, »Das geht zum einen Ohr rein und zum anderen raus« oder »Mach doch mal die Ohren auf!«. Umso schlimmer, wenn die Forderung nach Gehör regelmäßig gegen eine Mauer prallt. Und trotzdem sollte man sich immer wieder darum bemühen, dass einem ausreichend zugehört wird, da jede individuelle oder kollektive Angst und jeder Einspruch sich vergrößern oder unter den Teppich fallen, wenn dieses Bedürfnis nicht befriedigt wird. Dies hat mir mein Beruf allzu häufig verdeutlicht.
Ich habe diese Forderung, die häufig zu Enttäuschung und Wut führt, von diversen Menschen gehört:
–Von Eltern, die wollen, dass ihre Kinder auf sie hören, und denen der Satz »Das habe ich dir schon zehnmal gesagt« zum Hals raushängt.
–Von Paaren, die miteinander reden wollen. »Bist du taub, oder was?«, ist ein Vorbote von Vertrauensproblemen.
–Von Angestellten in der Arbeit oder Patienten beim Arzt. »Er tut doch nur so, als würde er mir zuhören« ist ein klares Zeichen für deutliche Frustration darüber, nicht gesehen zu werden.
–In zerrütteten Liebesbeziehungen. »Soll ich’s dir vielleicht schriftlich geben?« – ein Satz, der anzeigt, dass es mit der Beziehung bergab geht und man sich nicht mehr frei fühlt.
–Und sogar von Kommunikationsexperten, die sich an ein Publikum wenden, das anschließend trotzdem genauso weitermacht wie bisher.
Das Problem stellt sich dagegen nicht, wenn Ihr Gesprächspartner ein deutliches Interesse an dem hat, was Sie zu sagen haben, oder wenn er einen Vorteil daraus ziehen wird, beispielsweise in einem Geschäftsverhältnis. In anderen Situationen jedoch fragt man sich häufig: »Wie soll ich mir Gehör verschaffen, wie kann ich sie überzeugen: meine Kinder, meinen Ehepartner, meine Kollegen, meine Freunde, meine Eltern, einflussreiche Männer oder Frauen?«
Menschlich, Sie haben menschlich gesagt
Vom ersten Moment unseres Lebens an haben wir das Bedürfnis, in den Arm genommen und gehört zu werden. Nur so ergibt das Leben einen Sinn. Diesen ersten Moment des körperlichen Kontaktes zu missen, führt zu Angst und Wut und schlussendlich zu Leid. Wenn das Kind sich regt oder schreit oder weint, weil es nicht essen will, Angst vor dem Einschlafen hat oder hingefallen ist, weiß jeder, dass eine halbherzige Aufmerksamkeit, ein »Genug jetzt« oder ein »Ich habe keine Zeit« nicht genügen.
Der Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Winnicott hat die Bedeutung des Übergangsobjektes erklärt, also der berühmten Schmusedecke oder des Lieblingskuscheltieres, das alle Eltern ihrem Kind geben, damit es leichter einschlafen kann. Donald Winnicott hat ebenfalls definiert, was seiner Meinung nach eine »ausreichend gute Mutter«3 ist. Ausreichend gut wohlgemerkt, nicht »perfekt«. Diese Art Mutter sagt ihrem Baby nicht »Ich habe keine Zeit« oder »Es reicht«, wenn es weint und danach verlangt, dass sie sich um es kümmert. Sie besitzt die Fähigkeit, aufmerksam zu sein, und dazu andere Qualitäten, auf die ich später noch komme.
Eine Frage der heutigen Zeit
Unsere Vorfahren erschufen die Musik einzig dafür, von den Göttern gehört zu werden – doch wie können wir uns in unserer heutigen Welt der Smartphones, sozialen Netzwerke und Bildschirme wirkliches Gehör verschaffen? Vielleicht inspirieren uns ja die Eigenschaften der Musik, die gerne hören: »Die Musik ist die Wissenschaft der Töne, insofern sie im Stande sind, dem Ohr zu schmeicheln, oder die Kunst, über Töne derart zu verfügen und sie zu arrangieren, dass ihr Zusammenklang oder ihre Abfolge und ihre jeweilige Dauer in angenehmen Empfindungen resultiert.« Der Autor dieser Definition, der von Jean-Pierre Changeux4 in der Encyclopédie zitiert wird, ist kein anderer als Jean-Jacques Rousseau.
1931 schrieb Stefan Zweig: »Mitten in der zunehmenden Entpersonalisierung der Lebensformen … ist dem Menschen von heute unter...