2 Die pädagogische Idee des Offenen Kindergartens – Wie beantwortet das Konzept des Offenen Kindergartens die Bildungspläne?
Die Ausführungen zur Geschichte des Offenen Kindergartens machen vor allem deutlich, dass Erzieherinnen im Ringen um ein kind- und zeitgemäßes Profil und im Bewältigen von Praxisproblemen zu neuen pädagogischen Lösungen kamen. Der Begriff des Offenen Kindergartens beschreibt weniger ein Programm für die konkrete Alltagsgestaltung als vielmehr eine Haltung und Einstellung von Erwachsenen im pädagogischen Umgang mit Kindern in Richtung auf mehr Autonomie und Selbstorganisation bei Lern-, Entwicklungs- und Bildungsprozessen.
- Kinder sind Selbstgestalter (Akteure) ihrer Entwicklung,
- Erzieherinnen sind Selbstgestalter (Akteure) ihrer Pädagogik, die gemeinsam als Team einen eigenen Weg gehen und so ihr pädagogisches Profil entwickeln.
Die pädagogische Arbeit auf der Grundlage veränderter anthropologischer Grundannahmen und konsequenter Kindorientierung sowie das kooperative Selbstverständnis bei den Erzieherinnen bilden eher den unsichtbaren Teil des Offenen Kindergartens. Die damit verbundenen neuen Haltungen und Umgangsformen machen sich in erster Linie auf der atmosphärischen Ebene bemerkbar. Die sichtbaren Seiten zeigen sich durch bestimmte Perspektiven und Vorstellungen eines Entwicklungsrahmens, die sich in der konkreten Gestaltung von Zeit- und Raumstruktur, Freispiel, Angeboten und Projekten sowie Kommunikationsgruppen und anderen gemeinschaftlichen Formen niederschlagen. Auf sichtbarer und unsichtbarer Ebene befinden sich Erzieherinnen also für und mit Kindern in einem kontinuierlichen Prozess. Dieser geht nie zu Ende, so dass Pädagogik zu einer unendlichen Geschichte wird.
2.1 Das Kind als Selbstgestalter seiner Entwicklung
2.1.1 Eigenständiges Entscheiden für existentielle Bedürfnisse
Der Lebensabschnitt zwischen drei und sechs bis sieben Jahren ist eine Zeit, in der Kinder ihre Eigenständigkeit besonders zeigen und entwickeln wollen. Schritt für Schritt wächst ihre Selbständigkeit und bilden sich die hierfür erforderlichen Kompetenzen heraus.
Schließlich können die Kinder im ganzen Kindergarten spielen, untereinander Kontakt aufnehmen, Freundschaften entwickeln und pflegen und hier und in den informellen und formellen Gruppen ihre Lust am Reden und Zuhören entfalten.
2.1.2 Wahrnehmung der vier Freiheiten des Freispiels
Das Spiel ist der Königsweg des Lernens. Das ist heute unter Erzieherinnen weitgehend unumstritten. Im Spiel machen Kinder ganzheitliche Entwicklungsprozesse durch und können ihre Persönlichkeit entfalten. Von Schiller stammt der Satz: „Spiel ist alles das, was weder innerlich noch äußerlich nötigt“. Das bedeutet, dass die Wirkungen des Spiels nur in freien und selbstbestimmten Formen voll zur Geltung kommen. Erzieherinnen im Offenen Kindergarten halten sich deshalb aus dem Spiel heraus und bleiben im Hintergrund präsent.
- die freie Wahl von Spielort und Spielplatz
- die freie Wahl von Spielzeug und Sachen zum Spielen, von Spielthema und Spielinhalt
- die freie Wahl von Spielpartner und Spielgruppe
- die freie Wahl der Spieldauer
Ermöglicht werden diese vier Freiheiten durch die Freizügigkeit, die die Kinder im Offenen Kindergarten vorfinden. Sie können, bei Beachtung der zeitlichen Strukturen und der vereinbarten Regeln, zu jeder Tageszeit drinnen oder draußen spielen, und zwar auch ohne ständige Anwesenheit von Erwachsenen.
2.1.3 Auswählen von Lern- und Bildungsmöglichkeiten
Kinder wollen nicht nur viele Gelegenheiten zum Spielen für sich nutzen, sondern verfolgen auch Lerninteressen, bei denen die Aktivität von Erwachsenen gefordert ist. Im Offenen Kindergarten werden mit veränderten Akzenten die bewährten Formen der Angebote und Projekte weitergeführt. Während Angebote in Verbindung mit den Spielmöglichkeiten des Kindergartens stehen, dienen Projekte der allgemeinen Wissenserweiterung. Kinder zeigen also unterschiedliche Bedürfnisse. Sie wollen ihre Kompetenzen und ihr Wissen nicht nur selbstständig im Spiel erweitern, sondern ihren Hunger auf Welt, auf neue Erfahrungen, auf spannende Erlebnisse auch durch Anregungen von außen gestillt bekommen. Sie sind deshalb hoch motiviert, sich auf Projekte einzulassen und sich von Erzieherinnen, ihren Ideen und ihrem Schwung anstecken und herausfordern zu lassen. Gesteigert wird die Motivation, wenn Erzieherinnen die Kinder in ihre Planungen einbeziehen.
So haben Kinder eine Reihe von Wahlmöglichkeiten, um ihren Lerninteressen nachgehen zu können. Das Prinzip der Selbstgestaltung kommt aber nicht nur in der Wahl des Angebotes und Projektes zum Tragen, sondern auch im eigenständigen Experimentieren, Forschen und Fragen. Hierfür sind inzwischen Lernwerkstätten und Froscherräume drinnen und draußen entstanden oder Kinder gehen mit Forscherrucksäcken in die Natur, um diese eigenständig zu erkunden. Nicht selten gehen die Kinder dann ihren Interessen im Kindergarten weiter nach und setzen ihre Forschungen fort. Kinder brauchen hierfür ihre Zeit und ihre Umwege, und die Erzieherin muss bereit sein, mit ihnen diese Wege zu gehen, auch wenn ihr die Ergebnisse längst bekannt sind.
2.1.4 Partizipation im sozialen Gefüge Kindergarten
Partizipation bedeutet Teilhabe und soll Kindern ermöglichen, bei der Strukturierung und inhaltlichen Gestaltung alltäglicher Abläufe im Kindergarten mitzuwirken. Partizipation meint also den Weg zur Demokratisierung im Kindergarten. Das beginnt bei der gemeinsamen Festlegung von Regeln im Zusammenleben sowie im Umgang mit Spielsachen und Materialien. Es setzt sich fort, wenn Kinder den Kindergarten als ihren Lebensraum verstehen lernen und mitverantwortlich bei wiederkehrenden Erfordernissen im Alltagsgeschehen einbezogen werden und Aufgaben übernehmen oder die Chance erhalten, etwas für andere zu tun. Partizipation und Demokratisierung heißt auch, auftretende Konflikte im Zusammenleben gemeinsam zu lösen, bei neuen Planungs- und Projektideen Kinder wirksam einzubeziehen sowie die Möglichkeiten des Feedbacks zu geben.
2.2 Die Erzieherinnen als Selbstgestalter ihrer Pädagogik
2.2.1 Engagement für Kinder
Der Mut und das Engagement von Erzieherinnen und ihre Begeisterung für Kinder lassen den Offenen Kindergarten zu einer kindorientierten, partizipatorischen, kooperativen und bildungsbewussten Einrichtung werden. Für Kinder da zu sein, sie zu unterstützen und zu begleiten, damit sie sich entwickeln können, und sorgende Verpflichtung für sie zu übernehmen wird zu einer motivierenden und sinngebenden Aufgabe. Sie setzt Kräfte frei und motiviert, die Arbeitszeit flexibler zu handhaben. Die sich hieraus ergebende Verantwortung ist nicht immer eine leichte Aufgabe. Sie wird jedoch im Elementarbereich dadurch begünstigt, dass Kinder in diesem Alter besonders entwicklungsfreudig sind und Erzieherinnen aufgrund eines fehlenden Lehrplans die inhaltlichen Schwerpunkte weitgehend selbst bestimmen können und insofern sehr viele Selbstgestaltungsmöglichkeiten haben.
2.2.2 Gemeinsamer Prozess der pädagogischen Weiterentwicklung
Eine wichtige Voraussetzung für den Prozess hin zum Offenen Kindergarten ist es, dass sich die Mitarbeiterinnengruppe zu einem Team entwickelt, in dem zunächst einmal diese Idee zu einem gemeinsamen Leitbild oder einer gemeinsamen Vision wird. Teamentwicklung meint, sich zusammen auf einen Weg zu begeben und hierauf zu bleiben, auch wenn sich Erschwernisse ergeben. Gemeinsamkeiten im Denken, Ausgestalten des Kindergartens und Umsetzen einer kinderfreundlichen und kindorientierten Pädagogik fallen allerdings nicht vom Himmel. Sie kommen zustande, wenn Offenheit und Auseinandersetzung im Dialog gewagt werden und jedes Mitglied des Teams ernst genommen wird. Das Tempo der Veränderung ergibt sich aus den Möglichkeiten der einzelnen Mitarbeiterinnen und ihrer Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln. Macht eine Erzieherin nicht mit, gerät der Prozess ins Stocken.
Zum professionellen Selbstverständnis gehört auch die gesellschaftliche und politische Aktivität. Die Vernetzung mit anderen Erzieherinnen, Institutionen oder Verbänden unterstützt den Einsatz als Anwalt für Kinder, aber insbesondere auch die eigenen beruflichen Interessen im Hinblick auf die Verbesserung von Bezahlung, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie die allgemeinen Rahmenbedingungen. Unter diesen Voraussetzungen ist es dann auch möglich zu verhindern – möglichst in Kooperation mit den Eltern –, dass der Offene Kindergarten zu einem Sparmodell umfunktioniert wird, in dem zum Beispiel Stunden für Früh- und Spätdienste oder Springkraftstunden gestrichen werden.
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