Professionalität und Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern in internationaler Perspektive
Michael Schratz
1 Einleitung
Zahlreiche Veränderungen in der nationalen Bildungspolitik und -praxis der letzten Jahre haben ihren Ursprung in der Globalisierung von Bildung. Dieser Beitrag beleuchtet Fragen der Professionalität in Zusammenhang mit der zunehmenden Internationalisierung von Bildung und Bildungsprozessen, denn auch das EPIK-Konzept stellt den Anspruch auf Internationalität, um die Einbindung in transnationale Entwicklungsprozesse der Profession bzw. Professionalisierung im Lehrerberuf sicherzustellen. Dabei geht es einerseits um die Positionierung eines handlungsorientierten Ansatzes in der Professionsdebatte im internationalen Kontext, andererseits um eine komparative Analyse internationaler Entwicklungen im Rahmen der Globalisierung von Bildung.
Seit langem haben Bildungswissenschafterinnen und Bildungswissenschafter aus fachlich-wissenschaftlichem Interesse heraus versucht, aus vergleichender Sicht von anderen Systemen zu lernen. In den letzten Jahren haben verstärkt ökonomische Interessen dazu beigetragen, Schulsysteme miteinander zu vergleichen, um Reformen auf globaler Ebene durch den Vergleich der „Systemleistungen“ einzelner Länder öffentlich zu machen, wodurch Ländervergleiche zu einem zentralen Treiber der Bildungspolitik geworden sind. Das bekannteste Beispiel dafür ist PISA. Für Salcher (2008, S. 195) hat die PISA-Debatte den richtigen Stein ins Rollen gebracht, dieser rolle aber in die falsche Richtung:
„Die offiziellen Reaktionen Österreichs und Deutschlands auf das schlechte Abschneiden beim PISA-Test 2003 erinnerten an einen im Prinzip sehr begabten Schüler, der sich jahrelang gut durchgeschwindelt hat, dessen mangelnde Leistungen aber auf einmal bei einer großen Prüfung doch auffliegen. Sie reichten von Schuldzuweisungen, wilder Empörung, tiefer Zerknirschung bis zu dem Versprechen, jetzt ganz brav zu lernen, um es das nächste Mal besser zu machen. Die jeweils verantwortlichen Regierungspolitiker übernahmen die Rolle der aufgebrachten Eltern, die sich verärgert bei der Prüfungsbehörde über die für ihren Sprössling völlig ungeeigneten Aufgabenstellungen bis hin zu den Fehlern bei der Korrektur beschwerten.“
Als Reaktion auf diese Vergleichsstudien zeigt sich meist ein ähnliches Muster: Aufgrund von (System-)Defiziten werden Forderungen an die Profession (hier: Lehrerbildung) aufgestellt, die die konstatierten Defizite beheben sollte. Ein Beispiel dafür aus jüngster Vergangenheit ist die von McKinsey & Company erstellte Studie mit dem Titel How the World‘s Best- Performing School Systems Come Out on Top (Barber/Mourshed 2007), die diesen Diskurs unterstützt und im internationalen Kontext wie eine Heilsbotschaft für die Modernisierung der Bildungssysteme gehandelt wird. Darin werden Daten von 25 Schulsystemen untersucht, zu denen zehn der erfolgreichsten Staaten wie Belgien, Finnland und die Niederlande aus dem Kreis der EU-27 gehören. Sieben weiteren Systemen, darunter dem englischen, wurde eine starke Aufwärtstendenz bescheinigt. Das Fazit des McKinsey-Berichts lautet, dass sich die Qualität des Lehrpersonals auf das schulische Leistungsgefälle ursächlich auswirke. Dieser Befund stellt keine neue Erkenntnis dar, offensichtlich verschafft sich aber eine renommierte Beratungsagentur in der Bildungspolitik und -verwaltung mehr Gehör für die jeweiligen Anliegen als eine wissenschaftliche Expertise, was auf den verstärkten Einfluss ökonomischen Denkens schließen lässt.
Hier in Kürze die „Befunde“ der Studie: In leistungsstarken Systemen bediene man sich zur Gewinnung und festen Bindung qualifizierter Lehrkräfte jeweils ähnlicher Strategien und bewährter Verfahren. Es würden Marketing- und Personalbeschaffungs-Verfahren aus der Wirtschaft genutzt, um das Angebot an erstklassigen Bewerbern zu erhöhen, es würden Möglichkeiten für Seiteneinsteiger geschaffen, effektive Auswahlmechanismen eingesetzt (die auch eine rasche Trennung von leistungsschwachen Lehrkräften ermöglichen) und attraktive Einstiegsgehälter geboten. Leistungsstarke Systeme verfügten über Mechanismen, die bereits vor der Aufnahme einer Lehrtätigkeit erkennen ließen, ob die Bewerberinnen und Bewerber bestimmte allgemeingültige Voraussetzungen erfüllten, nämlich hohe Schreib- und Lesekompetenz und rechnerische Fähigkeiten; eine hohe soziale Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit; Lernbereitschaft und Motivation für den Lehrerberuf.
Zwar werden im McKinsey-Report verschiedene Fragen aufgeworfen, die weiterer Untersuchungen bedürfen, doch wird geschlussfolgert, dass eine bessere Kommunikation und die Übernahme erfolgreicher Rezepte die Aussicht auf eine höhere Qualität der Lehrerbildung eröffnen würden. Das Fazit des McKinsey-Reports lautet, dass die Qualität des Lehrpersonals für das schulische Leistungsgefälle ursächlich sei. Leistungsstarke Schulsysteme mögen sich zwar von der Gestaltung und den Rahmenbedingungen her deutlich voneinander unterscheiden, doch legten sie durchwegs den Akzent auf die Verbesserung des Unterrichts, weil sich dies unmittelbar auf die Leistung der Schüler auswirke. Es wurde empfohlen, die Studie von McKinsey & Co. überall in den EU-27 zu verbreiten und die wichtigsten Erkenntnisse zu leistungsstarken Systemen zu erörtern. Diesen Erkenntnissen zufolge gelte es,
- die geeignetsten Kandidatinnen und Kandidaten für den Lehrerberuf zu gewinnen;
- diese zu guten Pädagogen auszubilden;
- allen Kindern durch gezielte Förderung die Möglichkeit zu geben, in den Genuss eines qualitativ hochwertigen Unterrichts zu kommen.
Der Einfluss zivilgesellschaftlicher Beiträge dieser Art zur Bildungsreform ist nicht zuletzt ein Zeichen dafür, dass es nationalen Bildungspolitiken immer schwerer zu fallen scheint, eigenständige Maßnahmen zur Systemverbesserung umzusetzen. Daher werden internationale Entwicklungen und gut vermarktete Studien als Legitimationsstrategie für Policy- Maßnahmen benützt. Kritische Anmerkungen zur McKinsey-Studie (vgl. Borst 2007; Schratz 2008) und zu der dadurch ausgelösten Form von policy borrowing (vgl. Moos/Krejsler/Kofod 2008) legen nahe, dass es in der gegenwärtigen Globalisierung von Bildung (vgl. Schratz 2000) nicht so sehr um die Frage des Nachdenkens über eigenständige Lösungen im jeweiligen Schulsystem zu gehen scheint, sondern es werden oft Reformmaßnahmen implementiert, die möglicherweise gar nicht in die vorherrschende Kultur passen.
Daher wird die zunehmende Globalisierung von Bildung und die damit ausgelöste Veränderung der Steuerungsmacht auch kritisch gesehen: Münch (2009) sieht in PISA- und McKinsey-Studien die Vertreter eines grundlegenden Wandels der gegenwärtigen Herrschaftskultur in der (Bildungs-) Politik (vgl. auch die Ausführungen von Borst 2007). PISA verkörpert für ihn die Transformation von Bildung in Humankapital, McKinsey sieht er als verantwortlich für die Umgestaltung aller Lebensbereiche nach ökonomischen Denkmodellen. Aufgrund einer „unheiligen“ Allianz globaler Berater und lokaler Eliten seien die deutschen Schulen und Universitäten in „institutionelle Hybride“ verwandelt worden, in denen Anspruch und Wirklichkeit immer weiter auseinanderklafften (Münch 2009, S. 60ff.). Die Ursache verortet er in einer Verschiebung der symbolischen Macht weg von der nationalen Bildungselite und hin zu einer neuen, an der naturwissenschaftlichen Methodik geschulten, transnational organisierten Wissenselite, was der Qualität der Bildungsinstitutionen mehr schaden als nützen würde.
Vermittelnder argumentiert Fuchs (2000), für den die semantische und reale Ökonomisierung von Bildung in der deutschen Pädagogik auf ein wesentlich neohumanistisch und geisteswissenschaftlich geprägtes Diskursfeld trifft, auf dem es beiderseits keine Andockstellen zu geben scheine (ebd., S. 136). Diesem Problem geht er in drei Einschätzungen nach: Die Mystifizierung des Bildungsbegriffs verhindere eine Neukonzipierung von Bildung, die den Erfordernissen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Wandlungsprozesse gerecht werde (ebd., S. 137ff.); der Rückgriff auf die deutsche Bildungsphilosophie reiche nicht aus, um eine bildungstheoretisch adäquate Antwort auf die Globalisierung zu finden (ebd., S. 141ff.); die Erziehungswissenschaft setze sich nicht ausreichend und offensiv mit den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen und den damit verbundenen Wirkungen auf Erziehung und Bildung auseinander (ebd., S. 145ff.). Aufgrund dieser Defizite sieht er eine entscheidende Aufgabe darin, „die Interdependenz des Wirtschafts- und Bildungssektors erziehungswissenschaftlich zu reflektieren und nicht entgegenzusetzen“ (ebd., S. 148). Die Geschichte zeige, „dass es keine Eindimensionalität im Bildungsdiskurs gibt, sondern dass gerade das Spannungsverhältnis zwischen konkurrierenden Anschauungen den entscheidenden Impulsgeber für Innovationen im Bildungsbereich darstellt“ (ebd.).
Die nationale Entwicklung von Professionalität muss sich im internationalen Bildungsdiskurs dieser globalen Entwicklungen positionieren. Dazu werden in den folgenden Ausführungen unterschiedliche Ansätze aus dem internationalen Raum vorgestellt, die sich im Spannungsfeld der Globalisierung von Bildung (globale Spieler) und nationaler Wirksamkeit positionieren, um die Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern voranzutreiben. Dabei geht es hier nicht um eine vollständige Erfassung der vorgestellten Initiativen bzw. Ansätze, da sie nur in ihrem jeweiligen Kontext ihre Ausprägung und Wirksamkeit erhalten, sondern um das Exemplarische, hinter dem sich auch das Typische der rahmengebenden (inter-) nationalen Kulturen...