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Pädagogischer Umgang im Alltag mit traumatisierten weiblichen Jugendlichen in einer stationären Wohngruppe

AutorChristiane Klein
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl148 Seiten
ISBN9783638534123
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,7, Duale Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart, früher: Berufsakademie Stuttgart, 38 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Ich arbeite in einer stationären Mädchenwohngruppe. Dort habe ich bei einem meiner Nachtdienste vor ca. 4 Monaten zufällig ein Buch über Traumata in die Hände bekommen. Es ist von Wilma Weiß und heißt 'Philipp sucht sein Ich- zum pädagogischen Umgang mit Traumata in den Erziehungshilfen'. Ich habe darin geblättert und bin auf Dinge gestoßen, genauer gesagt auf darin beschriebene Verhaltensweisen, die mir aus der Arbeit mit den Mädchen in der Wohngruppe bekannt vorkamen. Ich habe plötzlich manches Verhalten der Mädchen, das ich vorher als trotzig- pubertär abgetan hatte, besser verstanden und realisiert, dass es Auswirkungen eines Traumas sein könnten. Der enge Bezug zu meiner Arbeit in der stationären Wohngruppe hat mein Interesse für das Thema Trauma geweckt. Natürlich gibt es in meiner Einrichtung eine Therapeutin, zu der jedes Mädchen einmal in der Woche geht und die Möglichkeit hat, über traumatische Erlebnisse oder sonstiges zu sprechen. Trotzdem sind meine Kolleginnen und ich es, die im Alltag mit den Mädchen zusammen sind, die Auswirkungen von Traumatisierung zu spüren bekommen, damit umgehen und Hilfestellung zu deren Bearbeitung geben müssen. Das Wissen über die verschiedenen Arten von Traumata und der vielschichtigen Auswirkungen, sind eine Grundlage für eine angemessene Hilfe, bzw. eine angemessene Reaktion. Pädagogischer Umgang im Alltag mit traumatisierten weiblichen Jugendlichen in einer stationären Wohngruppe- so lautet mein Thema für diese Arbeit. Es handelt sich hierbei um eine Bestandsaufnahme. Ich möchte untersuchen, ob pädagogisches Handeln in Situationen, in denen die Auswirkungen einer Traumatisierung zu spüren sind im Gruppenalltag überhaupt möglich ist und wenn ja, wie und in wie weit.

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Leseprobe

II. Empirischer Teil


 

8. Die stationäre Wohngruppe Anne Frank[1]


 

8. 1 Die Anne Frank als Teil einer großen Jugendhilfeeinrichtung


 

Die Anne Frank ist Teil einer großen Jugendhilfeeinrichtung und befindet sich zusammen mit sieben Tagesgruppen, einer weiteren stationären Wohngruppe dieser Art, zwei Verselbständigungsgruppen, der Intensiven Sozialpädagogischen Einzelbetreuung (ISE), einem internen Ausbildungszweig zur Hauswirtschafterin/ Hauswirtschaftshelferin und einer staatlich anerkannten privaten Sonderschule für Erziehungshilfe im Bereich Grund- und Hauptschule auf dem Heimgelände am Rande einer Kleinstadt mit ca. 26.000 Einwohnern.

 

Die Jugendhilfeeinrichtung hat zudem externe Angebote, wie fünf weitere Tagesgruppen, eine Soziale Gruppenarbeit, eine Außenwohngruppe, Betreutes Wohnen, Erziehungsstellen, Erziehungsbeistandschaften und die Sozialpädagogische Familienhilfe.

 

Insgesamt werden ca. 240 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs Jahren bis zum Ende der Ausbildung betreut. Die Kinder und Jugendlichen weisen Störungen in verschiedenen Bereichen auf:

 

Im sozialen Bereich: den Kindern und Jugendlichen fällt es schwer, Regeln einzuhalten, Konflikte angemessen zu lösen und angemessen zu kommunizieren. Auch treten verschiedene dissoziale Verhaltensweisen, wie z. B. lügen, stehlen, andere unterdrücken und Distanzlosigkeit auf

 

 Im emotionalen Bereich: die Kinder und Jugendlichen haben oft eine gleichgültige Haltung, starke Stimmungsschwankungen und weisen häufig Ängste, Depressionen und Aggressionen auf, zum Teil auch Hyperaktivität in Verbindung mit dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS)

 

 Im psychosomatischen Bereich: nicht selten treten Essstörungen, Schlafstörungen und Bettnässen auf

 

In der Anne Frank ist Platz für neun Mädchen. Momentan werden dort acht Mädchen im Alter von 13 bis 18 Jahren betreut. Die Gruppe bewohnt ein Haus mit drei Etagen. Im Keller befinden sich Lagerräume. Im Erdgeschoss befinden sich die Küche, das Esszimmer, die Speisekammer, die Gästetoilette, das Wohnzimmer, zwei Mädchenzimmer, ein Badezimmer und das Chill-out-room, das als Gemeinschaftsraum genutzt wird. Im Obergeschoss befinden sich acht weitere Mädchenzimmer (eins davon dient zur Unterbringung von Notaufnahmen), ein Badezimmer, das Teamzimmer, das für Gespräche und für die wöchentliche Teamsitzung genutzt wird, ein Mitarbeiterbadezimmer und das Büro, welches auch als Nachtbereitschaftszimmer dient. Vor der Tür gibt es eine Terrasse, auf der die Mädchen rauchen dürfen.

 

Das Mitarbeiterteam besteht aus viereinviertel Stellen, die von zwei Erzieherinnen (eine 100% und eine 75%), zwei Diplom- Sozialpädagoginnen (eine 100% und eine 75%) und einer Lehrerin (75%) besetzt sind. Zwei BA- Studentinnen, die im 3- monatigen Wechsel auf der Gruppe arbeiten, unterstützen das Team. In den wöchentlichen Teamsitzungen bekommt das Team zusätzlich Hilfestellung von der Bereichsleiterin und der zuständigen Psychologin. Zudem hat das Team alle zwei Monate Supervision.

 

In der Anne Frank wird nach dem Bezugsbetreuersystem gearbeitet. Das bedeutet, dass jedes Mädchen eine konkrete AnsprechpartnerIn im Team hat, mit der sie wichtige Themen besprechen, konstant an Schwierigkeiten arbeiten kann, und die sie zu wichtigen Terminen, wie Arztbesuchen und Hilfeplangesprächen begleitet.

 

8.2 Das Klientel


 

Ein großer Anteil der Mädchen, die in der Anne Frank untergebracht sind, stammt aus sogenannten „Problemfamilien“. Das sind Familien, die oft längere Zeit auf Sozialhilfe angewiesen sind und bei denen mehrere soziale Probleme gleichzeitig auftreten, von denen die ganze Familie betroffen ist. Meistens verstricken sich die sozialen Probleme mit ökonomischen und innerfamiliären Problemen. Eine materielle Unterstützung ist bei diesen Familien nicht ausreichen. Sie benötigen vor allem bei der Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit des Familiensystems Hilfe. Problemfamilien sind häufig von Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit, einer schlechten Wohnsituation, Stigmatisierung und Isolation betroffen. Auch treten häufig schwierige Verhaltensweisen, wie z. B. Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch der Eltern, sowie Gewalttätigkeit und Vernachlässigung der Kinder auf. (Vgl. GOLDBRUNNER 1992, S. 40ff)

 

Doch wie im Vorfeld bereits erwähnt, kommt Gewalt in allen Gesellschaftsschichten vor. Das trifft auch für Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch zu. Daher gibt es auch Jugendliche in der Anne Frank, die aus gut situierten Familien stammen, wobei das eher der Minderheit entspricht.

 

Die Gründe, wieso die Mädchen in der Anne Frank aufgenommen werden, sind vielfältig: Gewalterfahrungen in der Familie, Drogenkonsum, Lügen, Stehlen, Entweichungen, Schulverweigerung, aggressives Verhalten, ständige Konflikte mit den Eltern, Alkoholmissbrauch der Eltern, etc. (Vgl. BIRTSCH 1991, S. 254)

 

In den meisten Fällen sind die wahren Ursachen der Unterbringung zu Beginn der Hilfe nicht bekannt. Es sind die Auswirkungen- also die schwierigen Verhaltensweisen der Jugendlichen- durch die die Unterbringung zustande kommt. Doch diese Verhaltensweisen sind, wie in Kapitel 5 und 6 bereits beschrieben, meistens die Folgen traumatischer Erfahrungen.

 

8.3 Der Tagesablauf


 

Dieses Kapitel stellt den Tagesablauf der Anne Frank vor und soll deutlich machen, was mit Alltag in einer Wohngruppe gemeint ist.

 

Der Tagesablauf der Anne Frank ist sehr eng strukturiert:

 

An Werktagen stehen die Mädchen zwischen 6 und 7 Uhr auf. Die Schülerinnen, die eine öffentliche Schule besuchen, müssen gegen 6.20 Uhr gehen. Die Mädchen, die die interne Schule für Erziehungshilfe besuchen oder zur Ausbildung gehen, müssen erst um 7.30 Uhr aus dem Haus, weswegen morgens kein gemeinsames Frühstück stattfindet. Nachdem alle Mädchen die Gruppe verlassen haben, bleibt sie geschlossen bis gegen 12 Uhr, wenn die ersten Mädchen aus der Schule kommen.

 

An Wochentagen haben in der Regel zwei PädagogInnen Dienst. Eine hat „Tagdienst“ von 12 bis 19 Uhr und die andere „Nachtdienst“ ab 13 Uhr bis zum nächsten Tag um 8 Uhr. Der „Tagdienst“ kommt also um 12 Uhr auf die Gruppe und leert zuerst in der Verwaltung das Postfach für die Gruppe. Danach informiert sich die BetreuerIn anhand des Gruppentagebuchs über die aktuellen Vorkommnisse auf der Gruppe. Die Mädchen, die Schule haben, kommen zwischen 12.15 Uhr und 13 Uhr auf die Gruppe. Die älteren Mädchen, die die heiminterne Ausbildung besuchen, kommen in der Regel um 16. 30 Uhr auf die Gruppe. Gegen 12. 45 Uhr holen die Mädchen, die da sind das Essen aus der Großküche der Einrichtung und es findet um 13 Uhr ein gemeinsames Mittagessen statt. Um 13 Uhr kommt dann der „Nachtdienst“ hinzu. Nach dem Essen müssen die beiden Mädchen, die das Küchen- und das Esszimmeramt haben, beides saubermachen. Die Ämter wechseln wöchentlich. Dazu gibt es einen Ämterplan. Der Ämterplan ist eine Auflistung der täglich zu verrichtenden Aufgaben auf der Gruppe. Jedes Mädchen bekommt pro Woche ein Zimmer zugeteilt, das sie sauber halten muss. Dazu gehören Tätigkeiten wie zum Beispiel den Flur fegen und wischen, den Tisch decken, abräumen und wischen, die Küche sauber machen, Blumen gießen, etc. Dazu gibt es zwei Mal in der Woche den Ämtergroßputz, bei dem das jeweilige Amt blitze blank gemacht werden muss. Die restlichen Tage der Woche muss von den Mädchen nur geschaut werden, dass es ordentlich aussieht.

 

Von 14 bis 15 Uhr ist Hausaufgaben- bzw. Lernzeit. Die Mädchen sind während dieser Zeit auf ihrem Zimmer, um konzentriert arbeiten zu können. Die BetreuerInnen schauen ab und zu rein, um den Mädchen eventuell Hilfe zu geben.

 

Zwischen 15 und 18 Uhr ist Freizeit bzw. Ausgang, wenn nicht Ämtergroßputz (dienstags und freitags) oder Zimmergroßputz (mittwochs) ist. An diesen Tagen ist mittags kein Ausgang. Um 18 Uhr gibt es dann ein gemeinsames Abendessen, das immer von einem Mädchen zubereitet wird.

 

Von 19 bis 20.30 Uhr bzw. 21.30 Uhr (je nach Alter) haben die Mädchen wieder Freizeit bzw. Ausgang. Um 21.30 Uhr werden die Haustür und die Gruppenräume abgeschlossen und ab 22 Uhr ist Nachtruhe. Die Betreuerin macht noch eine Gute- Nacht- Runde, geht also zu jedem Mädchen ins Zimmer, wünscht eine Gute Nacht und bespricht eventuell noch Probleme und Geschehnisse des Tages mit den Mädchen.

 

Jeden Mittwoch findet ein gemeinsamer Gruppenabend statt. Er ist für alle Mädchen verpflichtend. An diesen Abenden werden anliegende Themen, wie z. B. Sexualität, HIV, Gruppenregeln, etc. besprochen oder es werden Ausflüge ins Kino, ins Theater, ins Hallenbad, etc. unternommen. (Siehe dazu Kapitel 7.2.3)

 

An den Wochenenden läuft der Tag meist lockerer ab. An diesen Tagen ist nur eine BetreuerIn im Dienst. Die Jugendlichen schlafen aus und es gibt erst gegen 11 Uhr ein gemeinsames Frühstück. Ab und zu werden gemeinsam Ausflüge unternommen. Manche Jugendliche fahren auch übers Wochenende zur Beurlaubung nach Hause. Dies ist in der Regel zwei Mal pro Monat möglich. Die restlichen...

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