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E-Book

Palliative Care in Pflegeheimen und -diensten

Wissen und Handeln für Pflegende

VerlagSchlütersche
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783842689985
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Eine gute Palliativversorgung ist ein Qualitätskriterium von Pflegeheimen und -diensten. Für Bewohner, Patienten und Angehörige sichert sie eine gute Lebensqualität auch in schwierigen Krankheitsphasen. Für die 5. Auflage wurde dieses bewährte Buch aktualisiert. Es zeigt, wie sich ein modernes Schmerzmanagement durchführen lässt, wie Ehrenamtliche und Angehörige einbezogen, psychosoziale Nöte begleitet und Krisen speziell im Team gemeistert werden können. Der komplexe Bereich der ethischen Entscheidungsfindung und Therapiezielbegrenzung am Lebensende wird praxisnah dargelegt. Dabei geht es immer auch darum, die Mitarbeiter gezielt einzusetzen und zu entlasten. Aktuell: Mit Hinweisen zum neuen Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) und zum Verbot der Suizidbeihilfe. Auf den Punkt gebracht: Palliatives Basiswissen für den Pflegealltag. Kompakt, verständlich, praxisnah. Multidisziplinär & umfassend. Aktuell: Mit Hinweisen zum neuen Hospiz und Palliativgesetz (HPG von 2015) und zum Verbot der Suizidbeihilfe

Prof. Dr. Jochen Becker-Ebel ist Diplom-Theologe, Professor f. Palliative Care, Supervisor DGSv, Organisationsberater und Trainer.

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Leseprobe

2.1Schmerzen erfassen


Um vom Bewohner objektive Informationen über die erlebten Schmerzen zu erfahren, müssen diese anhand eines objektiven Schmerz-Assessment- Instruments erfasst werden. Der zuverlässigste Messwert für den Schmerz und das Leid, das ein Betroffener erfährt, sind seine eigenen Angaben. Entscheidend ist, dass die Schmerzerfassung anhand spezifischer Instrumente gemessen und dokumentiert wird. Als wesentliche Instrumente sollten hierfür zum einen die Schmerz-Ersteinschätzung, die Schmerzintensitätsmessung und das Schmerzprotokoll hinzugezogen werden.

Als meist genutzter Schmerz-Ersteinschätzungsbogen wird in der klinischen Praxis der McGill-Pain-Questionnaire hinzugezogen, der in vollständiger Form im Expertenstandard des DNQP (erstmals 2005) dargestellt ist. In den folgenden Expertenstandards »Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten und bei chronischen Schmerzen« (DNQP 2011; DNQP 2014) behält er Gültigkeit.

In den Expertenstandards für die Altenhilfe werden als Fremdeinschätzungsinstrumente hinzugezogen: der BESD-Bogen (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz, deutsche Fassung der PAINAD-Skala (mit den Beobachtungskategorien Atmung, negative Lautäußerungen, Gesichtsausdruck, Körpersprache und Reaktion auf Tröstung) sowie der BISAD-Bogen (als deutsche Fassung des französischen ECPA-Bogens) – siehe DNQP 2011; DNQP 2014.

Es sollte gemeinsam festgelegt werden, zu welchem Zeitpunkt der Ersteinschätzungsbogen eingesetzt wird: z. B. im Erstgespräch nach der Heimaufnahme oder erst innerhalb der ersten Woche, bzw. bei dem Verdacht, dass ein Bewohner unter Schmerzen leidet. In vielen Fällen erzählen die Bewohner nicht gleich beim Heimeinzug, dass sie unter Schmerzen leiden. Hier stellt sich auch die Frage, bei welchen Bewohnern die Schmerz-Ersteinschätzung grundsätzlich durchgeführt werden sollte. Hilfreiche Informationen erhält die (Bezugs-)Pflegefachkraft im Gespräch mit dem Bewohner, aus der pflegerischen Anamnese, anhand der vorliegenden Diagnosen bzw. des Arztbriefs, der gezielten Beobachtung bei pflegerischen Tätigkeiten sowie aus den Übergabegesprächen. Wenn ein Pflegebedürftiger bereits mit einer Schmerzmedikation einzieht, sollte auf jeden Fall durch die Pflegefachkraft eine Schmerz-Ersteinschätzung erfolgen. Der Schmerz-Ersteinschätzungsbogen muss nur einmalig ausgefüllt werden.

2.1.1 Skalen zur Messung der Schmerzintensität


Die Schmerzintensität gilt als das wesentlichste Kriterium im Rahmen der Schmerzeinschätzung und macht einen Großteil des durch Schmerzen verursachten Leids aus. Diese Dimension dient, obschon sie den Schmerz nur reduziert wiedergibt, als maßgeblicher Ansatzpunkt zur Ermittlung des medikamentösen und nichtmedikamentösen Therapiebedarfs sowie zur Beurteilung des Therapieerfolges. Nachfolgend werden die wichtigsten Skalen dargestellt (Schwermann & Münch 2007: 22–23).

Abb. 3: Verbale Ratingskala (VRS).

Abb. 4: Numerische Ratingskala (NRS).

Abb. 5: Visuelle Ratingskala (VRS).

2.1.2 Auswahl der Schmerzintensitätsskala


Im Grunde können alle aufgeführten Schmerzintensitätsskalen auch bei älteren Menschen eingesetzt werden. Insbesondere werden bei älteren Menschen, die verbal kommunizieren können, die numerischen Skalen, Gesichter Ratingskalen und verbalen Ratingskalen zur Selbsteinschätzung genutzt. Es gibt aber auch Erkenntnisse darüber, dass Numerische Skalen teilweise zu komplex für ältere Menschen sind (Basler et al. 2001: 169–170).

Die Verbale Ratingskala (VRS) ( Abb. 3) und das Schmerzthermometer ( Abb. 6) als vertikale Form der VRS werden bevorzugt empfohlen und eingesetzt. Zudem wird auf die alternative Nutzung einer Gesichter-Ratingskala ( Abb. 7) verwiesen, die eher von den Menschen verstanden wird, die Schwierigkeiten mit einer verbalen oder numerischen Skala haben. Ältere Menschen können häufig besser mit einer verbalen Skala umgehen, da diese nicht so abstrakt ist wie die numerischen oder visuellen Skalen.

Abb. 7: Gesichter-Ratingskala (GRS).

Ist eine Skala ausgewählt, so sollte stets das gleiche Instrument für denselben Bewohner genutzt und dieses dann auch dokumentiert werden. Jede Schmerzmessung muss mit der Erklärung eingeleitet werden, dass es um die Messung der aktuellen und subjektiv erlebten Schmerzen geht, da der Bewohner ansonsten unter Umständen seine gesamte Befindlichkeit – wie gut oder wie schlecht es ihm gerade geht – anhand der Schmerzintensitätsskala darstellen könnte. Das verfälscht die Messung.

Die Schmerzintensitätsskalen sind im Expertenstandard vom DNQP (2005, Anlage C) für die Nutzung auch in diversen Sprachen aufgeführt.

Abb. 6: Schmerzthermometer.

2.1.3 Schmerzprotokoll


Die Erfassung der vom Bewohner erfahrenen Schmerzintensität sowie der dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigungen der Alltagsaktivitäten, aber auch die Wirkung auf eine Schmerztherapie bzw. möglicherweise auftretender Nebenwirkungen muss regelmäßig erfasst und dokumentiert werden. In vielen Dokumentationssystemen ist bereits ein Schmerzverlaufsprotokoll fest verankert, das genutzt werden kann.

Ansonsten sollte das Schmerzprotokoll folgende Inhalte enthalten, die täglich ermittelt werden:

Datum und Uhrzeit der Messung

Schmerzintensität (genutzte Skala)

Nebenwirkungen (Obstipation, Übelkeit, Erbrechen, Schläfrigkeit)

Wohlbefinden des Bewohners

evtl. verabreichte Bedarfsmedikation

Es muss gemeinsam überlegt werden, wie häufig am Tag und wie lange bzw. in welchen Abständen routinemäßig ein Schmerzprotokoll von der Pflegefachkraft geführt werden soll. Wenn ein Bewohner eine fundierte und wirksame, nebenwirkungsarme Schmerztherapie erhält, die ihm über längere Zeit Schmerzlinderung ermöglicht, ist es nicht erforderlich, dass mehrmals täglich die Schmerzintensität gemessen wird.

Wichtig Protokoll und Therapie

Wichtig ist, dass die Bewohner nur im Rahmen des Schmerzprotokolls nach der erfahrenen Schmerzintensität und potenziell auftretenden Nebenwirkungen befragt werden, wenn dann auch eine Schmerztherapie durch den Haus- oder Facharzt umgesetzt wird. Ansonsten fühlt sich der Bewohner nicht ernst genommen und ein folgendes Assessment würde sehr schwierig werden.

2.1.4 Faktoren, die das Schmerzassessment beeinträchtigen


Die Effektivität des Schmerzassessments ist stark geprägt durch zwei Faktoren:

1.zunächst durch die Pflegekräfte und

2.durch die Pflegebedürftigen selber.

Pflegekräfte, die objektiv das Schmerzerleben der Betroffenen erfassen, müssen wissen, dass ihre eigenen Wertvorstellungen und Wahrnehmungen die Evaluation der Schmerzreaktion des Gegenübers beeinflussen können.

Wenn Pflegekräfte hinsichtlich des Schmerzmanagements falsche Vorstellungen oder Ängste haben, müssen diese in den Schulungen angesprochen und bearbeitet werden. Insbesondere Pflegebedürftige, die häufig die Aufmerksamkeit der Pflegekräfte in Anspruch nehmen oder viel klagen bzw. kontinuierlich über Schmerzen berichten, werden schnell so behandelt, als ob sie »nur Aufmerksamkeit« wollen, unter »Lebensschmerz« leiden und demnach auch keine eigentlichen Schmerzen hätten.

Hier ist es dringend erforderlich, diese individuellen Vorstellungen in Schulungen zu besprechen, damit ein professionellerer Zugang zum Schmerzerleben des Einzelnen aufgebaut werden kann. Einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung von Schmerzen beim Gegenüber nehmen auch die biografischen, kulturellen und individuellen Schmerzerfahrungen und -verarbeitungen der Pflegekräfte.

Schmerzen ernst nehmen

Das objektive Schmerzassessment muss dadurch geprägt sein, dass die Schmerzen eines anderen Menschen vorurteilslos und unvoreingenommen erfasst werden. Ein wesentlicher Grundsatz im Umgang mit älteren Menschen lautet nach Heinrich (1999, S. 7): »Glauben Sie dem Patienten, wenn er über Schmerzen klagt. Wenn der Verdacht besteht, dass Schmerzen bagatellisiert werden, empfiehlt sich die Befragung der Angehörigen.«

Beim Pflegebedürftigen wird die Schmerzwahrnehmung ebenfalls sehr individuell durch das Alter, das Geschlecht, frühere Schmerzerfahrungen und den kulturellen Hintergrund beeinflusst. Ein wesentlicher Grund für die Unterversorgung älterer Menschen mit einer Schmerztherapie liegt darin, dass das Auftreten von Schmerzen im Alter von den Betroffenen selber, aber auch von den Angehörigen, den Medizinern und Pflegekräften häufig als ein »normales Begleitsymptom des...

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