Reisen mit Kind und Kegel – Warum? Wohin? Wie?
Dialog mit dem Reisegott
Mensch:
»Lieber Reisegott, wir wollen weg. Alle zusammen. Genug im Dauerregen gehockt, Blätter gefegt, Schneemänner gebaut, verkrustete Schlammbrocken aus dem Unterfell des Hundes gebürstet, horrende Strom- und Heizkosten bezahlt, die vornehme Blässe des Nachbarn ertragen, Grippeviren-Flatrates genossen und zu viel Zeit vor der Glotze verbracht – uns reicht’s! Wir wollen dorthin, wo es warm ist. Wo Schleck-Eis an jeder Straßenecke lauert, wildfremde Menschen unsere Kinder knutschen und ihnen Lollys zustecken oder junge Männer halbnackt auf MTX-Crossmaschinen durch die Hitze brettern. Die Sonne scheint, die Liegen sind belegt, am Büfett herrscht Gerangel um das Chemie-Rührei mit Sandalenmännern in beigen Kurzarmhemden, aber, lieber Reisegott, wir sind meteorologisch so runtergewirtschaftet, dass wir selbst das gerne in Kauf nehmen, Hauptsache weg! Kommen wir ins Geschäft?«
Reisegott:
»Nun, lieber Antragsteller, du kennst ja unseren Petrus – wenn der ein Blümchen ordentlich gießen will, dann kennt er kein Halten und mischt eine Schweinekombi zusammen, die selbst ein drittklassiges Amateur-LSD-Labor nicht zu brauen wagen würde. Ich sehe, ihr habt genug gelitten – ihr sollt ziehen!«
Mensch:
»Du bist so gütig, hab Dank! Und beste Grüße auch an den bärtigen Himmelspförtner mit Wetter-Tourette. Wir sind dann mal im Reisebüro …«
Reisegott:
»Moment mal, mein Freund! Bevor du mit deinen Zöglingen davonbraust, will ich dir noch etwas Wichtiges anvertrauen. Weißt du, ich mache diesen Job hier oben nun schon verdammt lange. Nix 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich oder Home-Office. Stattdessen 24/7 immer dieselben Möchtegern-Marco-Polos, die meinen, mal eben mit Kindern in den Urlaub fahren zu können, ohne auch nur ein Sekündchen vorher darüber nachzudenken. Das geht gar nicht. Lass es mich so sagen: Wo Sonnenschein herrscht, brauchst du auch Schatten. Oder wenigstens eine gute Sonnencreme.
Mensch:
»Alles klar, danke! Wir kaufen eh immer 50er-Creme für die Kleinen.«
Reisegott
»Ich war noch nicht fertig, hab acht! DU, Mensch, hast eine Aufgabe, eine Mission. Ich möchte, dass du die ewig währenden, ehernen Regeln des Reisens vernimmst und jede einzelne festhältst. Für dich, deine Kinder und die gesamte Menschheit!«
Mensch:
»Das heißt, ich bin jetzt sowas wie ›Travel-Moses‹?«
Reisegott:
»Yep, so ist es. Die wichtigsten Prinzipien will ich dir heute mit auf den Weg geben. Mag sich die Menschheit dran halten oder nicht – sie sind bewährt, praktisch anwendbar und erleichtern das Leben auf Reisen wahrhaftig!
Mensch guckt irritiert, regungslos.
Reisegott:
Also, jetzt nimm dein Drecks-Smartphone und schalte die Memo-Aufnahme ein und danach poste den Schrott bei Facebook, verstanden?«
Mensch:
»A-a-alles klar! Dann schieß mal los!«
Reisegott:
»Na schön, Regel Nummer eins: ›One for you, one for me‹, das alte Lied von Geben und Nehmen – im Urlaub euer täglich Brot. Ihr möchtet bestimmte Sehenswürdigkeiten besuchen, tut das. Aber dann plant irgendwann im Laufe des Tages ein schönes, kleines Happening für eure Kinder ein, auf das sie sich freuen können. Gebt den Strand, nehmt die Kathedrale! Gebt den Zoo, nehmt das Museum of Modern Art. Entlasst sie auf den Spielplatz, dann entlassen sie euch im Gegenzug in eure Shoppinghotspots. Immer ein Event für die Kids einplanen, und schon lebt es sich viel leichter.
Regel Nummer zwei: Vergesst bitte jegliche Ernährungszwänge – ihr habt Urlaub! Esst und habt Spaß. Und wenn die Kleinen mal ein Stück Pizza oder eine Portion Eis mehr verputzen, dann los! Deswegen müssen sie später weder bei ›Biggest Loser – Kids‹ abspecken noch in irgendeiner Lehmhütte bei den strengsten Eltern der Welt darben.
Ebenfalls wichtig Regel Nummer drei: Lasst von absehbar stressigen Vorhaben ab. Die Laune ist im Keller, wenn die Kids schreien oder nörgeln, allen zu heiß ist, der Weg sich als viel zu weit herausstellt oder Mama und Papa sich in all dem Stress hemmungslos zoffen – wem nützt das bei Tempo 140 auf einer unbefestigten Straße? Schaltet also lieber einen Gang runter, atmet tief durch und buddelt euch entspannt am Strand entlang.
Vergesst nie Regel Nummer vier: Urlaub habt nicht nur ihr Eltern, sondern auch eure Kinder. Es gilt wie schon beim Thema Essen: Ausnahmen dürfen für diese befristete Zeit durchaus die Norm werden – länger Wachbleiben, nach der Kinderdisco doch noch ein kleiner Geschäftebummel, Hörbücher lauschen zum Einschlafen, eine weitere Runde Ponyreiten oder mal eine zweite Folge von der Lieblingssendung gucken. Springt über euren Spießerschatten und zeigt euch großzügig wie der ADAC bei der Pannenstatistik.
ABER, und hier kommt Regel Nummer fünf ins Spiel: Eure Kinder sind nicht immer der Boss! Wenn ihr mehr Zeit für euch braucht, boykottiert die Kinderdisco. Ihr solltet euch täglich mindestens drei gemeinsame Wachstunden am Abend für Gespräche bei Rotwein, wilden, brutalen Gänseblümchen-Sex, intensive Buchdiskussionen oder Spannereien in die gegenüberliegenden Fenster bewahren.
Und: Lasst euch mehr treiben, wenn ihr merkt, dass euer Tagesprogramm aus allen Nähten platzt. Plant nur jeden zweiten oder dritten Tag ein oder zwei Events ein – die übrige Zeit gestaltet nach Lust und Laune. Ein gemeinsamer Urlaub ist für die ganze Familie nämlich ein tolles Erlebnis und schweißt euch fest zusammen. Druck ist hier das falsche Rezept!
Außerdem ganz wichtig, Regel Nummer sechs: Zieht nie ohne Taschenmesser los, um Obst zu filetieren oder das Sandwich in nette, kleine Häppchen zu schneiden – warum lachst du denn?«
Mensch:
»Also, äh … ich dachte nur gerade, das passt jetzt irgendwie nicht in die Aufzählung – aber nein, ehrlich, Super-Tipp! Ist notiert!«
Reisegott
»Wird leider auch gerne vergessen. Pass auf, zwei hab ich noch.
Nummer sieben: Nein, es macht nichts, wenn euer Kind nicht mit einem anderen Kind im Urlaub spielen will! Verabschiedet euch von dem Wunsch, dass es sich, kaum angekommen, mit dem Kleinen von der Nachbarliege verbrüdert. Das klappt nämlich erst dann, wenn ihr es nicht mehr unbedingt herbeiführen wollt!
Und zu guter Letzt: Seid euch dessen bewusst, dass sich eure Stimmung auf die eurer Kinder überträgt. Gerade Babys und Kleinkinder lesen immer ganz intensiv in den Gesichtern ihrer Eltern, um so deren Gesamtgefühlslage zu ermitteln.
So, das war’s! Tragt es in die Welt hinaus, habt eine schöne Zeit und vergesst mir ja die Heimreise nicht.«
Mensch:
»Ich danke dir, Reisegott! Da sind wirklich wahnsinnig tolle Ansätze und Impulse dabei.«
Reisegott:
»Es reicht. Gute Reise!«
Mensch:
»Oh ja, schon so spät. Du hast Recht! Ich werde das Reiseregelwerk sofort posten und nehm’s dann gedanklich mit unters Kopfkissen. Unters Reisekopfkissen, versteht sich. Tschüss!«
Parents To Go gefällt das!
Warum ihr reisen müsst
Man kann es so sehen: Das Reisen mit Kindern bis zum Vorschulalter ist die Vorstufe zum Sadomasochismus. Mit Billardkugel im Maul, aber ohne Ideologie im Kopf.
Sie entsteht aus einer Not-Wendigkeit heraus. Wie sonst soll der Tapetenwechsel her? Und so entscheiden sich ausgewachsene, vernünftige Menschen freiwillig, vielleicht in Rotweinlaune und bei fummeliger Atmosphäre, vor dem Laptop für die Verlegung des in sich funktionierenden Systems Zuhause an einen anhand von Google-Bildern oder HolidayCheck für gut befundenen Ort irgendwo im warmen Teil der Welt. Ihre Vorstellung: Das Reiseziel bietet in Sachen Entertainment mindestens dieselbe Qualität wie die Homebase. Und sind dann auch noch Tiere mit am Start, Strand, Meer oder Pool, Abenteuerspielplätze und hyperaktive Animateure, ist das ganze Projekt praktisch ein Selbstläufer, und der Urlaub kann beginnen.
Wenn die Reisehungrigen dann aber nach Abendessen und Kinderdisco das ältere Kind nicht vor 23 Uhr zum Schlafen bewegen können und das kleinere Kind schon gegen 5 Uhr morgens wieder kerzengerade die Spiele eröffnen will, kann so ein »Urlaub« dummerweise schnell ans Eingemachte gehen und das im Menschen schlummernde Böse erwecken.
Es ist aber auch folgende Perspektive erlaubt: Blicke ich wie jetzt gerade beim Verfassen dieser Zeilen in meiner Schreibkombüse in Hamburg auf die Fotos an der Wand, dann sehe ich da meine beiden Töchter im Urlaub in St. Peter-Ording, in Argentinien, auf Mallorca und Elba. Komplett unterschiedliche Urlaube, aber ein gemeinsamer Nenner: die strahlenden Gesichter der Kinder. Randvolles Glück, pure Zufriedenheit, volles Vertrauen – das Lachen der kleinen, dank wasserfester Sonnenmilch glänzenden Menschen drückt aus: Hier fühlen sich zwei so richtig gut aufgehoben, so sicher, geborgen und vollständig. Ein Augenblick wahrer Freude, festgehalten für die Ewigkeit. Ob sie sich später noch genau an diesen einen Moment erinnern werden, das weiß ich nicht. Aber ich erinnere mich daran. Ich kann zu jedem Foto die Geschichte drumherum erzählen und meine Gefühle von damals erneut aufrufen. Natürlich war nicht alles Gold. Wenn ich mich in die jeweilige Situation zurückversetze, erinnere ich mich zum Beispiel, in welch unausgeschlafenem und ausgelutschten Zustand der...