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Parteiensystem und Verfassung in Afrika

Strukturen - Funktionen - Typen

AutorHelga Fleischhacker
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl289 Seiten
ISBN9783531923055
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis42,25 EUR


Helga Fleischhacker ist Politik- und Verwaltungswissenschaftlerin.

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Leseprobe
5 Avantgardeparteien: Kongo und Benin (S. 138-139)

5.1 Kongo/Brazzaville

5.1.1 Übergang in die Unabhängigkeit (1957-1968)

5.1.1.1 Entfaltung des politischen Raumes unter kolonialer Herrschaft

Der Kongo ist bis auf die im fast unbesiedelten Norden verstreut lebende Pygmäen ethnisch homogen. Insgesamt werden über 70 der Bantu-Familie zugehörige Gruppen und Untergruppen gezählt, die zum Teil in früheren Jahrhunderten Königreiche bildeten, aber bereits vor der Kolonialisierung auf eine soziale Organisation in Clans und Sippen zurückgefallen waren und keine übergreifenden politischen Verbände formten. Aufgrund der seit 1910 herausgehobenen Stellung Brazzavilles als Verwaltungshauptstadt der Konföderation von Französisch Äquatorialguinea ergab sich für das dünnbesiedelte Territorium des Kongo122 eine im afrikanischen Vergleich außergewöhnliche sozioökonomische Ausgangsposition. Bereits in den 50er Jahren lebten bei einer Alphabetisierungsrate von 65% 40% der Kongolesen in urbanen Zentren, wobei 12,5% Lohn- und Gehaltsempfänger waren.

Eine städtische Mittelschicht aus Beamten und Regierungsangestellten der Kolonie stellte schon in den 50er Jahren die maßgebliche soziale Schicht. Traditionale Eliten spielten nach dem zweiten Weltkrieg keine politische Rolle mehr, im Gegenteil war ein gesellschaftlicher Hierarchisierungsprozess zu beobachten, der sich stark am Zugang zur französischen Kolonialverwaltung orientierte, wobei die Küstenbewohner, die 40% der Bevölkerung ausmachten, in der Mehrzahl die städtischen Eliten stellten.

Die Modernisierungskrisen, die sich in anderen frankophonen Gebieten Afrikas zwischen den mit der kolonialen Verwaltung kooperierendenden traditionalen Eliten und antikolonialen, modernen Massenbewegungen entluden, entwickelten so im Kongo unter anderen Kräfteverhältnissen eine spezifische Dynamik: Der hohe Anteil an urbaner Bevölkerung als Nutznießer und Verbündete der kolonialen Verwaltung vertraten den modernen Sektor, während eine sich früh unter der bäuerlichen Bevölkerung mit großer Dynamik ausbreitende, erste antikoloniale Emanzipationsbewegung religiös-messianische Formen annahm.

Diese in Geheimlogen organisierte und nach ihrem Inspirator André Matsoua benannte Bewegung verweigerte die Beteiligung am modernen politischen Prozess innerhalb der kolonialen Institutionen123 und blockierte eher eine politisch wirksame breite Mobilisierung der Bevölkerung. Trotz der nach modernisierungstheoretischen Kriterien eigentlich günstigen sozio-strukturellen Bedingungen standen so im Vorfeld der Unabhängigkeitsbemühungen keine sozialen Katalysatoren für eine nationale Bewegung bereit.

Die politische Arena blieb deshalb bis Mitte der 50er Jahre zwei Persönlichkeiten überlassen, die 1946 politische Parteien mit lediglich regionaler Bedeutung gründeten: Félix Tchicaya mit dem Parti Progressiste Congolaise (PPC) als territoriale Sektion des RDA im Süden und Jacques Opangault mit einer lokalen Sektion der Section Française de l’Internationale Ouvrière (SFIO) im Norden des Landes.

Die beiden organisatorisch wie programmatisch wenig profilierten Parteien beschränkten sich in ihrer Außenwirkung auf die Darstellung der jeweiligen Machtansprüche ihrer Führungspersönlichkeiten und konnten beide als nationale Kräfte kein Profil gewinnen. Erst nach der Implementierung des allgemeinen Wahlrechtes durch den Loi Cadre 1956 gelang es dem katholischen Priester Fulbert Youlou mit der im gleichen Jahre gegründeten Partei Union Démocratique de Défense des Interêts Africains (UDDIA) das bisher brachliegende Stimmenpotential der matsouanistischen Widerstandbewegung zu mobilisieren, und darüber hinaus selbst als ein neuer Typus des politischen Führers territoriale Bedeutung zu erlangen.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis7
Abbildungsverzeichnis10
Abkürzungsverzeichnis13
1 Einleitung17
1.1 Afrika und die Moderne als nachholende Entwicklung19
Unknown1
22 1 Einleitung nuum in Richtung Moderne. Dessen Skalenenden wurden auf der einen Seite von traditionalen Systemen mit unvollkom20
23 Sie sollten die nationale Integration vorantreiben, einen sich über das gesamte Souveränitätsgebiet erstreckenden Input-Mecha21
24 1 Einleitung ten Autoren deshalb die Kombination von institutionellen mit sozialen und ökonomischen Kriterien für analytisch22
25 politischen Parteien darzustellen. Dies schien ein umso reizvolleres Alternativkonzept zu sein, als tatsächlich kaum politisc23
1.2 Afrika und die Moderne als differente Entwicklung23
1.3 Reflexive Modernisierung: Struktur-funktionaler Ansatz und Fragestellungen28
2 Parteiensysteme und Demokratieentwicklung31
2.1 Begriffsbestimmungen31
2.1.1 Demokratie und Demokratisierung31
2.1.1.1 Herrschaft32
2.1.1.2 Wettbewerb33
2.1.1.3 Partizipation33
2.1.2 Repräsentation und Parteiensysteme38
2.1.3 Afrikanische Parteiensysteme40
2.2 Fluide und strukturierte Party Polities42
2.2.1 Konzeptueller Rahmen42
2.2.2 Merkmale afrikanischer Machtordnungen46
2.2.2.1 Fluxus ohne lineare Verfestigung46
2.2.2.2 Stabilität ohne Regelgebundenheit48
2.2.2.3 Konstitutionalismus ohne Konsolidierung49
2.2.3 Ordnung und Institutionalisierung51
2.3 Hegemonialer Kompromiss und Institutionalisierung55
2.3.1 Konzeptueller Rahmen55
2.3.2 Entwicklungspfade afrikanischer Party Polities56
2.3.2.1 Postkoloniale hegemoniale Krise56
2.3.2.2 Postkolonialer hegemonialer Kompromiss57
2.3.3 Institutionalisierung von Party Polities als ko-evolutiver Prozess60
2.4 Demokratisierung interdependenter Party Polities64
2.4.1 Institutionalisierung von Demokratie64
2.4.2 Funktionale Anpassungsleistungen des Parteiensystems66
3 Paradigmen afrikanischer Party Polities69
3.1 Entfaltung des politischen Raumes unter kolonialer Herrschaft: Afrikanische Massenparteien und Verwaltungsparteien69
3.1.1 Politischer Diskurs und institutionelle Entwicklung69
3.1.2 Typenbildung und funktionale Einbindung73
3.2 Postkolonialer hegemonialer Kompromiss: Partis-Nations und Avantgardeparteien75
3.2.1 Politischer Diskurs und institutionelle Entwicklung75
3.2.2 Typenbildung und funktionale Einbindung79
3.3 Postkoloniale hegemoniale Krise80
3.3.1 Geplante Parteiensysteme und Kein-Parteiensysteme80
3.3.2 Krise des postkolonialen hegemonialen Kompromisses: Semi-kompetitive Reformen des Einparteienstaates82
3.3.3 Typenbildung und funktionale Einbindung84
3.4 Multipartismus85
3.4.1 Politischer Diskurs und institutionelle Entwicklung85
3.4.2 Typenbildung und funktionale Einbindung: Präzisierung der Fragestellung87
4 Afrikanische Massenparteien: Ghana und Mali92
4.1 Ghana92
4.1.1 Übergang in die Unabhängigkeit (1950-1972)92
4.1.1.1 Entfaltung des politischen Raumes unter kolonialer Herrschaft92
4.1.1.2 Institutionelle Gestaltung der politischen Autonomie94
4.1.2 Hegemoniale Krise95
4.1.2.1 Rekonstitutionalisierungsversuche (1966-1982)95
4.1.2.2 Kein-Parteien-System (1982-1992)97
4.1.3 Demokratisierung100
4.1.3.1 Gelenkte politische Öffnung100
4.1.3.2 Duale Polarisierung des politischen Raumes103
4.1.4 Konflikt und Konsens von der Gründungswahl bis zur zweiten Neuwahl107
4.1.4.1 Politische Aushandlungsprozesse von 1992 bis 2004107
4.1.4.2 Entwicklungen im Parteiensystem110
4.2 Mali111
4.2.1 Übergang in die Unabhängigkeit (1957-1968)111
4.2.1.1 Entfaltung des politischen Raumes unter kolonialer Herrschaft111
4.2.1.2 Institutionelle Gestaltung der politischen Autonomie113
4.2.2 Prekärer hegemonialer Kompromiss114
4.2.2.1 Verzögerte Institutionalisierung des Militärregimes (1967-1979)114
4.2.2.2 ‚La Politique’ (1979-1991)117
4.2.3 Demokratisierung118
4.2.3.1 Verpasste Liberalisierung und Militärputsch118
4.2.3.2 Integration strategischer Gruppen: Pacte Social und Pacte National120
4.2.3.3 Institutionelle Gestaltung durch die Nationalkonferenz121
4.2.3.4 Majorisierender Effekt im Parteiensystem122
4.2.4 Konflikt und Konsens von der Gründungswahl bis zur zweiten Neuwahl124
4.2.4.1 Sekundäre Institutionalisierung: Politische Aushandlungsprozesse von 1992-2002124
4.2.4.2 Entwicklungen im Parteiensystem130
4.3 Zusammenfassender Polity-Vergleich131
4.3.1 Partizipation131
4.3.2 Herrschaft133
4.3.3 Kompetitivität136
5 Avantgardeparteien: Kongo und Benin138
5.1 Kongo/Brazzaville138
5.1.1 Übergang in die Unabhängigkeit (1957-1968)138
5.1.1.1 Entfaltung des politischen Raumes unter kolonialer Herrschaft138
5.1.1.2 Institutionelle Gestaltung der politischen Autonomie140
5.1.1.3 Die kongolesische Revolution: Eintritt der Studenten und der Gewerkschaften indie politische Arena141
5.1.2 Prekärer hegemonialer Kompromiss143
5.1.2.1 Militarisierung der Politik im Avantgardeparteikonzept (1968-1979)143
5.1.2.2 Defensive Stabilisierungsstrategie (1979-1991)145
5.1.3 Demokratisierung und Bürgerkrieg147
5.1.3.1 Liberalisierung147
5.1.3.2 Restauration der politischen Machteliten durch die Nationalkonferenz148
5.1.3.3 Zerfall der politischen Ordnung: Bürgerkrieg und prekäre Redemokratisierung151
5.2 Benin (Dahomey)155
5.2.1 Übergang in die Unabhängigkeit (1957 bis 1972)155
5.2.1.1 Entfaltung des politischen Raumes unter kolonialer Herrschaft155
5.2.1.2 Institutionelle Gestaltung der politischen Autonomie157
5.2.2 Hegemonialer Kompromiss159
5.2.2.1 Zentralisierung nach Avantgardekonzept und Staatsreform (1972-1982)159
5.2.2.2 ‚Deradikalisierung’ als Stabilisierungsstrategie (1984-1989)161
5.2.3 Demokratisierung163
5.2.3.1 Liberalisierung163
5.2.3.2 Erneuerung der politischen Machteliten in der Nationalkonferenz164
5.2.4 Konflikt und Konsens von der Gründungswahl bis zur zweiten Neuwahl167
5.2.4.1 Sekundäre Institutionalisierung: Politische Aushandlungsprozesse167
5.2.4.2 Konzentration der Parteienlandschaft173
5.3 Zusammenfassender Polity-Vergleich177
5.3.1 Partizipation177
5.3.2 Herrschaft179
5.3.3 Kompetitivität182
6 Mehrparteiensysteme: Gambia und Botswana184
6.1 Gambia184
6.1.1 Übergang in die Unabhängigkeit184
6.1.1.1 Entfaltung des politischen Raumes unter kolonialer Herrschaft184
6.1.1.2 Institutionelle Gestaltung der politischen Autonomie186
6.1.2 Hegemonialer Kompromiss186
6.1.2.1 Faktionalismus innerhalb einer ‚versiegelten’ politischen Elite (1972-1981) Die Zentralisierung der personalpolitischen186
6.1.2.2 Formierung einer radikalen Systemopposition (1981-1994)188
6.1.3 Militärputsch und prekäre Redemokratisierung190
6.1.3.1 Gescheitertes populistisches Reformprojekt190
6.1.3.2 Reorganisation der Parteien im politischen Raum192
6.2 Botswana193
6.2.1 Übergang in die Unabhängigkeit193
6.2.1.1 Entfaltung des politischen Raumes unter kolonialer Herrschaft193
6.2.1.2 Institutionelle Gestaltung der politischen Autonomie195
6.2.2 Hegemonialer Kompromiss196
6.2.2.1 Integration der traditionellen Eliten (1965-1979)196
6.2.2.2 Integration neuer diversifizierter Klientelstrukturen (1979-1989)197
6.2.3 Hegemoniale Krise und institutionelle Reform200
6.2.3.1 Sozio-ökonomische Krise und institutionelle Anpassung200
6.2.3.2 Reorganisation der Parteien im politischen Raum202
6.3 Zusammenfassender Polity-Vergleich204
6.3.1 Partizipation204
6.3.2 Herrschaft206
6.3.3 Kompetitivität207
7 Multipartismus – Typen und Funktionen209
7.1 Artikulation209
7.1.1 Konfliktlinien im politischen Raum209
7.1.1.1 Soziale Cleavages209
7.1.1.2 Politische Cleavages211
7.1.2 Machtstrategische Ziele und Zwänge214
7.1.2.1 Ideologische Ziele und Organisationsstrategien215
7.1.2.2 Soziostrukturelle Constraints217
7.2 Alternation220
7.2.1 Regierungsbildung und Regierbarkeit220
7.2.1.1 Die anglophone Verfassungstradition223
7.2.1.2 Die frankophone Verfassungstradition225
7.2.2 Alternationspotentiale und Systemstabilität228
7.2.2.1 Parteiensystemformat und Konsoldidierungschancen228
7.2.2.2 Fragmentierung und Volatilität in strukturierten und fluiden Parteiensystemen234
7.3 Aggregation236
7.3.1 Vom Wähler zur Stimme: Wählererwartung und Wählerbindung236
7.3.1.1 Wählererwartungen und Parteienkommunikation236
7.3.1.2 Wählerbindung und Parteiorganisation238
7.3.2 Parteien als Aggregationsagenturen in die politischen Arenen240
7.3.2.1 Parteienwettbewerb im Wahlsystem240
7.3.2.2 Parteien zwischen Zentrum und Peripherie248
7.4 Responsivität250
7.4.1 Zusammenfassende typologisierende Überlegungen250
7.4.1.1 Strukturierte und fluide Parteiensysteme250
7.4.1.2 Format und Mechanik fluider Parteiensysteme254
7.4.2 Funktion und funktionale Äquivalente vertikaler Kohäsion258
7.4.2.1 Parteien als zentrale vertikale Vermittlungsstrukturen258
7.4.2.2 Funktionale Äquivalente vertikaler Anbindung: Ein Ausblick264
8 Schlußbemerkung267
9 Literatur273
9.1 Offizielle Quellen273
9.2 Bücher und Zeitschriftenaufsätze275

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