Das etwas andere Personalmanagement der Zukunft
Prof. Dr. Christian Scholz, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Organisation, Personal- und Informationsmanagement, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Der Blick zurück hat trotz der viel beschworenen Dynamik unserer heutigen Lebens- und Arbeitswelt eine wichtige Funktion. Er hilft uns, das heutige Human Resources Management besser zu verstehen und gibt uns Hinweise darauf, wohin sich HR in Zukunft entwickeln wird und – noch wichtiger – entwickeln sollte. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf drei Bereiche: Personalplanung, Personalstrategie sowie die Personalabteilung1.
Personalstrategie: Von der Suche nach Wettbewerbsvorteilen zum Aufbau von Flexibilität
Zu Beginn der 1980er-Jahre gab es in den USA (Tichy et al., 1982) und in Deutschland (Scholz, 1982) erste Vorschläge zur Entwicklung einer Personalstrategie. Dahinter stand die Überlegung, analog zu den Postulaten aus der Wettbewerbsstrategie von Michael Porter (1982), die Bewegungen der Branche zu analysieren und dann aus dieser Analyse heraus Wettbewerbsvorteile zu entwickeln. Diese Wettbewerbsvorteile sollte es nicht nur für das ganze Unternehmen („Unternehmensstrategie”), sondern als Funktionalstrategie („Personalstrategie”) für den Faktor Mitarbeiter und/oder für die Institution Personalabteilung geben.
Jeder, der an derartigen Strategiesitzungen teilgenommen hat, weiß, dass diese alles andere als einfach verliefen: Denn es reichte nicht nur, etwas von Kernkompetenzen und „Best in Class” zu schwadronieren: Gefragt waren Fakten, Fakten, Fakten. Trotzdem: Seit Anfang der 1990er-Jahre haben sich viele Unternehmen substanziell mit Formulierung und Implementierung von Personalstrategien befasst, auch wenn diese Übungen im Einzelfall durchaus schwierig waren. Zudem waren diese Aktivitäten auch von anderen Abteilungen selten geliebt – um es ganz harmlos auszudrücken.
Wie kritisch man bei solchen Vorgängen beäugt wurde, konnte der Verfasser dieses Beitrags miterleben, als er im Team des Personalvorstandes eines bekannten DAX 30-Unternehmens an der Personalstrategie mitwirken durfte. Aus dem Bereich des Vorstandsvorsitzenden kam etwas später dann auch die Ansage, dass die Personalstrategie zu wichtig sei, als dass man sie dem Personalressort überlassen könnte. Und schließlich folgte als finales Fanal seine Aussage, dass man so etwas wie eine Personalstrategie überhaupt nicht bräuchte, denn schließlich habe man eine Geschäftsstrategie und daraus ergebe sich klar, welche Mitarbeiter beschafft, freigesetzt und vor allem möglichst gering bezahlt werden müssten. Generell ging die Begeisterung zurück, sich die Mühen einer Personalstrategie zu machen, vor allem weil Aufgaben wie Talentmanagement oder Employer Branding mehr Spaß machen und (scheinbar) rascheren Ertrag liefern.
Es kam aber noch etwas anders dazu, das dazu beitrug, dass die Personalstrategie auf das personalwirtschaftliche Abstellgleis geschoben wurde: Die Suche nach dauerhaften Wettbewerbsvorteilen als Teil der Personalstrategie kam unter Beschuss, und zwar nicht nur bezogen auf die Personalstrategie, sondern generell im strategischen Management. So wird inzwischen mit guten Argumenten oftmals bezweifelt, dass derartige Strategien überhaupt noch möglich sind (vgl. z. B. McGrath, 2013). Deshalb sollte es auch bezogen auf HR allenfalls darum gehen, möglichst große Flexibilitätspotenziale aufzubauen. Das Ergebnis: Arbeitszeitflexibilisierung, Zeitarbeit, Werkverträge und der Einstieg in eine Welt von Cloud-Workern, die eine geringe Bindung an das Unternehmen aufweisen. Alles das erlaubt eine maximale Flexibilität, in der sich in einer extrem „atmenden” Form der einsetzbare Personalbestand fast schlagartig auf den aktuellen Personalbedarf anpassen lässt.
Abgesehen von der Entscheidung zu einer derartigen Flexibilisierung als Quasi-Strategieersatz wird daher eine Personalstrategie offenbar nicht mehr gebraucht und auch jenseits von Leerformeln wie „Mensch im Mittelpunkt” in der Praxis überwiegend nicht mehr praktiziert.
Personalplanung: Vom Versuch der Langfristigkeit zum „Management by Google”
Wenn man Manager fragt, was sie am wenigsten mögen, fällt rasch das Wort „planen”. Das ist heute nicht anders als vor 25 Jahren. Der einzige Unterschied von damals im Vergleich zu heute: Vor 25 Jahren investierte man trotz der Widerstände viele Ressourcen (einige würden sagen: zu viele Ressourcen) in den Versuch, zumindest einigermaßen eine Passung auf der Zeitachse zwischen Personalbedarf und Personalbestand herzustellen. Dementsprechend gab es komplexe Modelle für die Bestandsprojektion, aber auch zum Personaleinsatz als Zusammenführung aus Anforderungsprofilen von konkreten Stellen und Fähigkeitsprofilen von konkreten Mitarbeitern.
Obwohl diese Planungen durchaus zunehmend professioneller ausfielen, sank die Zufriedenheit, weil eine immer höhere Dynamik in der Umwelt festgestellt und zunehmend eine Komplexitätssteigerung der Modelle notwendig wurde.
Was aber sollte man tun? Die einfache Antwort: Planungen zurückfahren. Bevor man irgendeinen Plan macht, der sowieso nicht lange hält, lieber einfach loslaufen und „proaktiv” das Moment des Handelns nutzen. Das ist bei der Personalplanung nicht anders als bei jeder anderen Planung. Die rasch akzeptierte Devise: Sofort entscheiden, handeln und dann rasch die Entscheidung revidieren, damit wieder gehandelt werden kann. Aus diesem Grund werden beispielsweise Nachfolgeplanungen und längerfristige Karriereplanungen reduziert.
Wie aber laufen dann derartige „Planungen” beziehungsweise Dispositionen ab? Wenn beispielsweise die Anfrage kommt, dass ein neuer Personalleiter für Japan gebraucht wird, werden in die HR-Datenbank die Suchworte „Japan” und „Japanisch” eingegeben, wie bei einer Google-Suche noch auf einem weiteren Feld Begrenzungen vorgenommen, bis ganz rasch der Kandidat gefunden ist, der – natürlich ohne substanzielle Vorbereitung – praktisch sofort die Reise antreten kann.
Dieses „Suchen statt Planen” zeigt sich im Übrigen auch bei HR-Software: Die „alten” Programme der 1980er-Jahre (wie Executive Track) weisen in ihren algorithmischen Verfahren einen wesentlich höheren Komplexitätsgrad auf als das, was die Software-Häuser heute anbieten und was im Wesentlichen immer auf eine simplifizierte Datenbankabfrage im Stil von „Management by Google” hinausläuft. Symptomatisch für all das ist auch die Entwicklung im Bereich Big Data: Jenseits aller Bedenken um informatorische Selbstbestimmung und losgelöst von irgendeiner theoretischen oder modellgestützten Basis sollen die „Predictive Analytics” Zusammenhänge aufspüren und Entscheidungen vorbereiten.
Der einzige Planungsbereich, der gegenüber den 1980er-Jahren wirkliche Fortschritte erlebte, sind die diversen Formen der Personaleinsatzsteuerung als Teil des Arbeitszeitmanagements im Sinne einer dispositiven Zuordnung von Mitarbeitern und Aufgaben unter Zeitrestriktionen. Auch im Talentmanagement tut sich einiges, was aber nichts mehr mit „Planung” zu tun hat. So gibt es zwar umfangreiche Programme, die aber zum einen algorithmisch eher rudimentär sind, zum anderen aber ins Leere laufen, da weder Anforderungs- noch Fähigkeitsdaten in ausreichender Form gepflegt sind. Gleiches gilt auch für nahezu alle Planungsansätze, die als „Human Capital Management” bezeichnet werden, sich aber letztlich als immer stärker anwachsende Ansammlung von Key- Performance-Indikatoren herausstellen.
Ein Rückzugspunkt im Rahmen der Personalarbeit ist die gesamte Standardisierung von HR-Prozessen. Um es extrem auszudrücken: Man weiß zwar weder, wie viele Personen welcher Qualität man zu welcher Zeit an welchem Ort braucht, hat aber den operativen Beschaffungsprozess eindeutig fixiert. Eng verbunden mit dieser konsequenten Abkehr von Planungsansätzen ist auch die Interpretation von „HR-Transformation” als „HR-IT-Integration”: Dies führt zu anachronistischen Situationen, in denen man eine steinzeitliche HR-Integration in Richtung eines „ein-einziges-HR-Datenpaket” zu realisieren versucht, und Daten von Unternehmen zusammenführt, die schon wieder auf dem Wege ihrer Trennung sind.
Personalabteilung: Von der „guten” Gouvernante zur devoten Dienerin mit Verfallsdatum
Wenn über Personalarbeit gesprochen wird, kommt nur noch ganz selten die Rede auf die Personalabteilung. Denn mehr als alle anderen Abteilungen – abgesehen von der inzwischen weitgehend verschwundenen Organisationsabteilung – erlebt die Personalabteilung seit Längerem permanente und weitreichende Schrumpfprozesse: War sie Mitte der 1980er-Jahre noch eine zentrale Abteilung mit weitreichender Governance-Funktion und ausgeprägtem Hang zur Bürokratie, so folgten immer weitere Auslagerungen („Business Process Outsourcing”). Manches, wie zum Beispiel die Lohn- und Gehaltsabrechnung, ist definitiv kaum etwas, was Unternehmen selber machen müssen. Die Auslagerung von Personal-Akquisition, Employer Branding oder Führungskräftebetreuung („Callcenter in Prag”) sind dagegen diskutierbar.
Wenn jegliche strategische Personalarbeit wegfällt und die Mitarbeiter, die Führungskräfte sowie die Externen alle operativen Aufgaben wahrnehmen, was bleibt dann übrig?...