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E-Book

Politischer Islam und Demokratie

Konfliktfelder

AutorChristine Schirrmacher
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783775172950
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Auch wenn der politische Islam nur ein Aspekt des Islam darstellt, ist er häufig DAS Thema in unseren Medien: Wie steht er zu Zwangsehen? Erlaubt er die Anwendung von Gewalt? Wodurch werden Jugendliche radikalisiert? Sind Islam und Menschenrechte miteinander vereinbar? Die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher erläutert fundiert die geschichtlichen, religiösen und politischen Hintergründe der Thematik und zeigt den gesellschaftlichen Anspruch des politischen Islam auf.

Christine Schirrmacher ist habilitierte Islamwissenschaftlerin und lehrt als Professorin für Islamwissenschaft an den Universitäten Bonn und Leuven. Sie studierte Islamwissenschaft, Geschichte, Germanistik und Vergleichende Religionswissenschaft in Gießen und Bonn und promovierte im Fach Islamwissenschaft an der Universität Bonn mit einer Arbeit zur christlich-islamischen Kontroverse im 19. und 20. Jahrhundert. Sie habilitierte sich dort mit einer Arbeit über die Positionierung einflussreicher muslimischer Theologen des 20. Jahrhunderts zu Religionsfreiheit, Menschenrechten und dem Abfall vom Islam. Sie unterrichtet an mehreren Hochschulen und Akademien, seit 2001 jährlich an der 'Akademie Auswärtiger Dienst' (ehemals Diplomatenschule) des Auswärtigen Amtes, Berlin, sowie seit 2007 fortlaufend als Gastdozentin bei Landes- und Bundesbehörden der Sicherheitspolitik. Als Professorin für 'Islamic Studies' lehrt sie seit 2005 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät (ETF) in Leuven, Belgien, sowie seit 2012 als Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Bonn. 2013 übernahm sie eine Gastprofessur an der Universität Erfurt und vertrat den dortigen Lehrstuhl für Islamwissenschaft, 2013/14 lehrt sie als Gastprofessorin an der Universität Tübingen am Institut für Humangeographie (Schwerpunkt Politische Geographie und Konfliktforschung). Sie veröffentlichte rund 15 Bücher zum Thema Islam und ist Mitglied mehrerer gesellschaftspolitischer Beratergremien wie etwa dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie ist auch wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Islamfragen der Evangelischen Allianz in Deutschland, Österreich, Schweiz

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KAPITEL 2
Muslime in Deutschland: Erhebungen zu Integration, Demokratie, Rechtsstaat und Gewalt


Kurz vor dem Jahresende 2007 erschien eine umfangreiche, vom Bundesinnenministerium herausgegebene Studie unter dem Titel »Muslime in Deutschland«. Unter der Leitung der Hamburger Kriminologen Karin Brettfeld und Peter Wetzels erfragte die Studie Einstellungen von Muslimen in Deutschland zu Integration und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und politisch-religiös motivierter Gewalt.38 Der Umfang von über 500 Seiten Statistik sowie die Auswertung der Antworten von rund 1 700 Befragten aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft steht für eine relevante Erhebung, die aufgrund des Umfanges der Datenerhebung und ihrer wissenschaftlich fundierten Aufbereitung zu Themen Aufschluss gibt, zu denen Kenntnisse seit geraumer Zeit dringend wünschenswert erschienen. Die Studie füllt daher eine echte Lücke, auch wenn Teilstudien zu einzelnen Aspekten in kleinerem Umfang bereits durchgeführt wurden.

Ab 2004 wurden Daten erhoben und ausgewertet: die gesamte, noch vom damaligen Innenminister Otto Schily initiierte Untersuchung umfasste also einen Zeitraum von drei Jahren. Die Erhebung beschränkte sich auf einige städtische Zentren, der ländliche Bereich konnte nicht erfasst werden. Selbst wenn berücksichtigt wird, dass städtische Zentren mit einer größeren Anzahl von Muslimen und einem größeren Angebot an Moscheen und Kulturvereinen einen besonderen Charakter des muslimischen Gemeinschaftslebens aufweisen, besteht auf der anderen Seite kein Anlass zu der Annahme, dass die im städtischen Bereich gewonnenen Ergebnisse im ländlichen Bereich signifikant davon abweichend ausfallen würden.

Von Bedeutung ist die Studie zum gegenwärtigen Zeitpunkt, weil sie einmal ein Beitrag zur dringend notwendigen Bestandsaufnahme muslimischen Lebens in Deutschland ist. Nach einer langen Geschichte der Verweigerung der Erkenntnis, dass die muslimischen »Gastarbeiter« der 60er-Jahre auf Dauer in Deutschland leben würden, und nach der weithin ungeplanten und ungesteuerten Zuwanderung von Menschen, welche aufgrund politischer Verfolgung, wirtschaftlicher Not sowie Familiennachzug in den vergangenen Jahrzehnten um Asyl nachsuchten, war es längst an der Zeit, sich mit der gesellschaftlichen und politischen Positionierung des bis heute auf etwa 4 Millionen Menschen angewachsenen muslimischen Bevölkerungsanteils auseinanderzusetzen.

Zudem ist die Studie in einer Zeit von Bedeutung, in der zahlreiche Terroranschläge muslimischer Terroristen und Extremisten verübt wurden. Auch in Deutschland gilt Sicherheitsexperten die Gefahr keineswegs als gebannt. Daher ist eine solche Studie schließlich auch Voraussetzung, um ein mögliches Bedrohungsszenario durch extremistische Kräfte erkennen und Gegenmaßnahmen ins Auge fassen zu können. Dabei – und darin sind sich Sicherheitsexperten weitgehend einig – geht es nicht nur darum, den Anteil der muslimischen Bevölkerung zu erfassen, der schon jetzt religiös motivierte Gewalt rechtfertigt oder sogar schon zu Anschlägen bereit oder an ihnen beteiligt ist, sondern auch darum, zu verstehen, mit welchen Begründungen und in welchen Bereichen eine so große Distanz zur deutschen Gesellschaft oder sogar Ablehnung der Rechtsordnung der Bundesrepublik besteht, dass durch die Wirkung religiös begründeter Fundamentalismen der Boden für Radikalismen und Extremismen bereitet werden kann.

Zielgruppen der Studie


Vor Erscheinen der Studie war die Frage, wie hoch der religiös-politisch motivierte Gewalt befürwortende Anteil der muslimischen Bevölkerung in Deutschland sei, meist mit Verweis auf die unter 1 Prozent (rund 30 000 Muslime) Mitglieder extremistischer Organisationen beantwortet worden. Dass nur eine Minderheit der muslimischen Bevölkerung in Deutschland extremistischen Positionen nahesteht und religiös motivierte Gewalt befürwortet, zeigt auch die Studie des BMI. Dennoch besteht kein Grund dafür, sich unbesorgt zurückzulehnen. Einfache Antworten verbieten sich nach Lektüre der Studie »Muslime in Deutschland«; die Problematik ist viel zu komplex, als dass sie mit einem Verweis auf nur 1 Prozent Mitglieder in islamisch-extremistischen Gruppen bewältigt werden könnte.

Die Studie gliedert sich in vier Bereiche, die der Befragung von vier Zielgruppen und der Analyse ihrer Antworten entsprechen: Die erste Befragung richtet sich an eine nicht spezifizierte Gruppe der muslimischen Wohnbevölkerung, die durch eine standardisierte Telefonbefragung von rund 1 000 Personen erreicht wurde. Die Ergebnisse dieser Befragung werden den Antworten dreier Sondergruppen gegenübergestellt: 500 Schülern der 9. und 10. Klassen zwischen 14 und 18 Jahren, 150 muslimischen Studierenden sowie 60 Mitgliedern beziehungsweise Aktivisten islamischer Vereine, Organisationen und Moscheen.

Insgesamt wurden also Antworten von über 1 700 Muslimen in die Auswertung einbezogen; das Bildungsniveau der Befragten reichte vom Hauptschul- bis zum Hochschulniveau, die Altersspanne umfasste das gesamte Spektrum ab 14 Jahren, der geografische Raum der Untersuchungen die Städte Hamburg, Berlin, Köln und Augsburg. Die Mehrheit der Befragten war türkischer Herkunft, was auch der nationalen Verteilung innerhalb der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland entspricht.

Ergebnisse


Ein erstes wichtiges, wenn auch vor dem Hintergrund früherer Untersuchungen nicht überraschendes Ergebnis lautete, dass die Mehrzahl der Muslime in Deutschland der Religion in Theorie und Praxis eine hohe Bedeutung beimisst. »Die Befunde mehrerer Studien zur Religionspraxis zeigen weiter, dass der Islam weit in den Alltag der Muslime hinein in vielfältigen Formen Wirksamkeit entfaltet und eine mächtige Kraft der Alltagsgestaltung wie auch der Strukturierung sozialer Beziehungen darstellt« (21).

Im Vergleich zu früheren Erhebungen wird deutlich, dass die Zahl derjenigen, die sich als religiös oder sogar sehr religiös bezeichnen, in den letzten Jahren nochmals gestiegen ist. Über 85 % der Muslime in Deutschland bezeichnen sich als »gläubig« oder »sehr gläubig« (138); die Zahl der mindestens wöchentlichen Moscheebesucher stieg zwischen 2000 und 2005 von 30,7 % auf 41,6 % (22). Nur einer Minderheit können politisch-fundamentalistische Tendenzen zugeschrieben werden; die Mehrzahl ist in religiöser Hinsicht traditionell, orthodox oder fundamental orientiert (140).

Zugenommen hat nicht nur der Moscheebesuch, sondern zum Beispiel auch die Befürwortung des Kopftuchtragens bei Frauen: 2005 hatten 46,6 % der Aussage zugestimmt, dass Frauen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen sollten, während dies 2000 erst 27,2 % bejaht hatten (23). Und auch die Zahl derjenigen, die eine Koranschule besucht haben, liegt bei den jüngeren Muslimen in Deutschland deutlich höher als bei den älteren (112), am höchsten liegt sie interessanterweise bei den in Deutschland Geborenen mit 60,2 %. Je länger der Besuch einer Koranschule andauerte, desto stärker ist eine religiös fundamentale Orientierung festzustellen (134) – was vor dem Hintergrund der Ergebnisse früherer Studien über die integrationshemmende Rolle von Koranschulen ebenfalls nicht überraschen kann.39

Die Studie betont nachdrücklich und zu Recht, dass eine religiös-orthodoxe, althergebracht-traditionelle oder fundamentale Ausrichtung nicht vorschnell mit Gewaltbereitschaft und Extremismus gleichgesetzt werden darf. Auch der Islam lehrt keineswegs den Terrorismus als Glaubensziel, und wer fünfmal täglich betet, steht Gewalt und Extremismus zunächst in nichts näher als der Nichtreligiöse. Wer in einer weitgehend säkular geprägten Gesellschaft an religiösen Riten und Überzeugungen festhält, mag manchem verdächtig erscheinen – ein Terrorist ist er deshalb noch lange nicht. Um von der religiösen Strenggläubigkeit in den Extremismus abzugleiten, bedarf es weiterer fördernder Momente, Einstellungen und Entwicklungen (die meisten Muslime würden sagen: Fehlentwicklungen), damit schließlich aus einem an den Islam-gläubigen Menschen ein Befürworter von Kampf und Gewalt gegen die »Ungläubigen« wird. Auch in diesem Bereich, für die Erläuterung der notwendigen Unterscheidung zwischen einem Gläubigen und einem Extremisten, leistet die Studie einen wertvollen Beitrag.

1. Die muslimische Wohnbevölkerung


Die Antworten von rund 1 000 Personen wurden nach einer telefonischen Befragung ausgewertet; knapp ein Drittel besaß die deutsche Staatsbürgerschaft (192). Dennoch definierten sich nur 12,2 % eher als Deutsche (193). Das durchschnittliche Bildungsniveau der Befragten war eher gering, fast 70 % besaßen einen Hauptschulabschluss oder eine geringere Bildung, nur knapp 12 % waren Akademiker (192/193).

Integration

19,4 % können als sprachlich und sozial schlecht integriert betrachtet werden, weitere 37,6 % als mäßig integriert, nur 32 % als zufriedenstellend bis gut und 11,9 % als sehr gut integriert (96), abhängig vom Alter der Zuwanderung: »Eine sehr gut gelungene, alltäglich...

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