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Positive Demenzpflege

Fähigkeitenorientierte Ansätze Positiver Psychologie für Menschen mit Demenz. Ressourcen- und Fähigkeitenorientierte Ansätze der Versorgung von Menschen mit Demenz

VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783456758015
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Wenn Menschen an einer Demenz erkranken, wird dies gemeinhin als beängstigende, traumatisierende und stigmatisierende Erfahrung beschrieben. Diesen Annahmen stellen die Herausgeber Forschungsergebnisse und Fallstudien von demenzkranken Menschen entgegen. Sie zeigen, dass sich positive psychologische Konzepte, wie Hoffnung, Humor, Kreativität, Resilienz, Spiritualität, persönliches Wachstum und Weisheit mit Wohlbefinden und Lebensqualität verbinden lassen und sie für Betroffene genutzt werden können, um zu einem besseren Leben mit Demenz beizutragen. Die AutorInnen konnten in ihrer früheren systematischen Literaturanalyse 'Living positively with dementia' belegen, dass - manche Menschen trotz einer Demenzerkrankung positiv leben - manche Menschen mit einer Demenz 'kleine Geschenke' im Leben mit einer Demenz erfahren - die bisherige Forschung diesen positiven Aspekte vielfach übersehen hat - ein positives Leben mit einer Demenz gefördert durch Akzeptanz, Selbstbestimmung und in-Beziehung-sein (relatedness) sowie durch positive psychologische Konzepte, wie persönliche Stärken (Ressourcen), Hoffnung und Humor - eine persönliche Entwicklung und persönliches Wachstum trotz Demenz möglich sein kann. Das Fachbuch fasst somit erstmalig und fähigkeitenorientiert den Nutzen der Ansätze der positiver Psychologie für ein gutes Leben mit und trotz Demenz zusammen.

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Leseprobe

1 Altern, Gesundheit und Positive Psychologie


Elspeth Stirling

Von der Mauer aus, auf der wir in jungen Jahren sitzen, betrachten wir das Leben durch unseren Zeitfilter – unfähig, durch ihn hindurch in das spätere Leben zu blicken und herablassend voraussetzend, dass da nichts ist außer dem Verlust dessen, was wir jetzt wertschätzen. Von der Mauer aus, auf der wir in unserem späteren Leben sitzen, haben wir einen ganz anderen Blick. Wir erfahren Befreiung, Transzendenz, Verbundenheit und Transformation in der neuen Landschaft, die sich vor uns eröffnet. Wir begegnen ganz anderen Herausforderungen als bisher in unserem Leben und sind erfüllt von Erfahrungen der Gegenseitigkeit, des Vertrauens, der Demut, der Klarheit und der Dringlichkeit.

Elspeth Stirling

1.1
Einleitung


Alt werden ist in den letzten Jahrzehnten zumindest in den Teilen der Welt, die als „entwickelt“ bezeichnet werden, die Norm geworden (Rosling, 2013). Gleichzeitig gilt Glück zunehmend als Maß für sozialen Fortschritt und als Ziel der öffentlichen Politik (Helliwell/Layard/Sachs, 2015). Zwar ist dies nicht allgemeingültig, doch wird trotz einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, Herausforderungen zu begegnen, die das Leben verändern, zunehmend über Erfahrungen eines guten Lebens bis ins hohe Alter und über die Bewahrung von Sinngebung und Wohlbefinden berichtet (siehe z.B. Kok et al., 2015). Als Gruppe können ältere Menschen ihre Emotionen tendenziell besser regulieren und empfinden mehr Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit als jüngere Menschen. Da die Möglichkeit guten Alterns zunehmend anerkannt und gefördert wird, ist die öffentliche Wahrnehmung höheren Alters nicht mehr so häufig überschattet von negativen oder unveränderlichen Klischees.

Das sich schnell erweiternde Feld der Positiven Psychologie bietet Perspektiven, konzeptuelle Modelle und empirische Ergebnisse, die sehr wichtig sind für das Verständnis, wie Menschen im Alter gut leben und gesundheitlichen Problemen verschiedener Art begegnen können. Sie zu nutzen, um besser zu verstehen, wie Menschen trotz objektiver Widrigkeiten wie Krankheit gut altern können, ist daher zentraler Fokus dieses Kapitels. Beschrieben werden maßgebliche Sichtweisen und Modelle der Positiven Psychologie sowie ihre konzeptuellen Wurzeln. Zudem gehen wir der Frage nach, wie diese dazu beitragen können, psychische Entwicklung und Wohlbefinden in Hinblick auf Altern und Gesundheit besser zu verstehen. Die Positive Psychologie ist wichtig, damit wir einen tieferen Einblick in die Erfahrung von Sinnerleben und Bedeutsamkeit im höheren Alter und bei Krankheit erhalten. Sie kann daher erheblich zur Entwicklung psychosozialer Interventionen mit dem Ziel der Erhaltung und Verbesserung von Wohlbefinden im Kontext altersassoziierter physischer und psychischer Herausforderungen beitragen.

1.2
Einführung in die Positive Psychologie


Ärzte, Ärztinnen und Wissenschaftler, die sich mit Menschen aller Altersgruppen beschäftigen, haben bereits vor einigen Jahrzehnten die Notwendigkeit eines neuen wissenschaftlichen Paradigmas erkannt, um sich aus den Fesseln krankheitsbasierter und krankheitsfokussierter Berichte über leidvolle Erfahrungen von Menschen zu befreien. Die Positive Psychologie ist der Wissenschaftsbereich, der sich mit der Untersuchung und dem theoretischen Hintergrund positiver Funktionalität und Wohlbefindens in individuellen, zwischenmenschlichen, organisatorischen und gesellschaftlichen Bereichen beschäftigt (Rusk/Waters, 2014).

Seligman (1999) gilt weithin als derjenige, der das Forschungsgebiet der Positiven Psychologie als Antithese zur traditionellen Dominanz von Pathologie und Negativität in der etablierten Psychologie eingeführt hat. Die Positive Psychologie widmet sich daher ganz bewusst den menschlichen Stärken und Tugenden, positiven subjektiven Erfahrungen sowie den grundlegenden Eigenschaften und der Messung von Wohlbefinden. Außerdem beschäftigt sie sich zunehmend mit den sozialen und umfeldassoziierten Bedingungen, die positive Erfahrungen und Wohlbefinden ermöglichen. Sie geht grundsätzlich davon aus, dass Menschen an und für sich motiviert sind, ihre psychischen Stärken zu entwickeln und ihr Leben lang nach positiven Gefühlen und Sinnhaftigkeit in ihren Tätigkeiten, Erfahrungen und sozialen Beziehungen streben.

Die Positive Psychologie ist ein nicht-pathologischer und pathologisierender Ansatz. Menschliches Leid ist auf einer Ebene mit normalen Erfahrungen zu betrachten und damit verknüpft, in welchem Ausmaß das soziale und physische Umfeld Menschen die Chance bietet, die eigenen Stärken zu nutzen und authentische optimale Erfahrungen zu machen. Gleichzeitig eröffnen neuere Betrachtungsweisen (siehe z.B. Wong, 2011) die Möglichkeit eines Nebeneinanders und einer Interaktion von positiven und negativen Erfahrungen und Emotionen – eine Position, die von großer Bedeutung ist für das Verständnis von Wohlbefinden bei Krisen und Krankheit (z.B. Aspinwall/Tedeschi, 2010). Ein zentraler Motor in der stetigen Weiterentwicklung der angewandten Positiven Psychologie ist die Notwendigkeit, die Prozesse positiver Funktionalität zu verstehen, welche ganz selbstverständlich nach durchlebten Krisen einsetzen (Seligman, 2005). Ziel ist hierbei, dieses Wissen anzuwenden, um Menschen zu helfen, auch in Krisenzeiten optimale oder „über die Ausgangswerte (oder Ausgangslage) hinausgehende Erfahrungen oder Erlebnisse zu ermöglichen (Keyes/Lopez, 2005).

Bei der Positiven Psychologie geht es nicht darum, Menschen zu einem positiven Denken zu bringen. Die meisten Menschen kennen populistische Mantren, die uns quasi befehlen, positiv zu denken und vorgeben, eine Garantie für gute Gesundheit, positive Beziehungen und Erfolg zu sein. Ernst zu nehmende Einwände gegen diese sogenannte „Tyrannei des Positiven“ lauten, dass sie die Unterdrückung negativer Gefühle und Erfahrungen sowie die Leugnung wirklichen Leids beinhaltet und dass sie in beängstigender Weise falsche Hoffnungen weckt und Opfer für ihr Schicksal verantwortlich macht (Aspinwall/Tedeschi, 2010). Stattdessen erkennen moderne Strömungen der Positiven Psychologie (z.B. Lomas/Ivtzan, 2015) ein dialektisches oder dynamisches Wechselspiel zwischen positiven und negativen psychischen Prozessen und Resultaten an und arbeiten damit. Sie versuchen herauszufinden, wie Menschen Wege finden können, sogar im Kontext von Veränderung und Problemen, mit denen sie im Laufe ihres Lebens konfrontiert werden, zu gedeihen. Zu wachsen, zu gedeihen, menschlich „aufzublühen“ (engl.: to flourish) heißt, gut zu leben und optimal zu funktionieren oder ein optimales Funktionsniveau zu erreichen, was durch positive Gefühle, positive Beziehungen, Bewältigung, Wachstum und Resilienz gekennzeichnet ist (siehe Fredrickson/Losada, 2005). Gedeihen und Wachstum (engl. flourishing) ist jedoch nicht außerhalb des Kontextes zu betrachten und bedeutet nicht, in naiver Weise negative Erfahrungen und Gefühle zu verleugnen. Die Frage, was Menschen zum Wachsen und Entwickeln befähigt, erfordert folglich ein vollständiges, bewusstes Verstehen des Kontextes und Einflusses der Leidenswege und Prozesse, die einer adaptiven Funktionalität bei widrigen Umständen zugrunde liegen. Die Erfahrungen und Prozesse (sowohl die positiven als auch – möglicherweise – die negativen), die Wohlbefinden fördern, verstehen zu wollen, verlangt also eine kontextbezogene Herangehensweise.

Dabei stehen den Menschen verschiedene Kontextebenen zur Verfügung, innerhalb derer sie Wege finden können, trotz widriger Umstände zu gedeihen, zu wachsen und sich zu entwickeln. Zu den persönlichen und sozialen Kontexten zählen möglicherweise Faktoren wie Bewältigungsstrategien, Persönlichkeit, kognitive Fähigkeiten, Lebensphase, Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen, wahrgenommene soziale Unterstützung und sozioökonomischer Status. Da sie in einer Wechselbeziehung zueinanderstehen, beeinflussen sie unsere Fähigkeit, im Alter Wohlbefinden zu erhalten und zu verbessern.

Wie Lomas (2016) es beschreibt, gestalten und beeinflussen persönliche und soziale Kontexte die Bedeutungen unserer Erfahrungen, in dem Maß, dass das, was in einem Kontext (zeitlich oder räumlich) vielleicht negativ erscheint (z.B. Trauma), in einem anderen Kontext positiv sein oder werden kann (z.B. Wachstum durch Veränderung).

Der soziale Kontext von Wohlbefinden ist ein Bereich, der in der positiv-psychologischen Fachliteratur bisher ziemlich vernachlässigt wurde. Jedoch kann nicht genug betont werden, wie wichtig unsere Beziehungen und Verbindungen zu einer Gemeinschaft und zur Gesellschaft sind, damit unsere Fähigkeit zu gedeihen entwickelt und gefördert wird. Diesbezüglich bedeutend ist das Konzept der sogenannten Aufwertung der sozialen Rolle (Social Role Valorisation, SRV), welches das Augenmerk darauf richtet, in welcher Weise ein Leben mit persönlich bedeutsamen Menschen positive subjektive Erfahrungen fördert und mehr Möglichkeiten für die Entwicklung positiver Kompetenzen bietet. Durch die Konzeption als wichtig empfundener sozialer Rollen, die von Mitgliedern der Gemeinschaft unterstützt werden, können marginalisierte Menschen vor einem „Teufelskreis“ von Beeinträchtigung und verinnerlichter Stigmatisierung geschützt werden. Die SRV ist seit Langem attraktiv für diejenigen, die Hilfsangebote im Gesundheits- und Sozialbereich bereitstellen, weil sie eine stabile theoretische Basis bietet, die keinen Raum lässt für...

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