2 Konzeptioneller Hintergrund des Therapieprogramms
2.1 Inhalte des Therapieprogramms
Die Geburt eines Kindes gilt als die Situation im Leben einer Frau, die mit der größten Umstellung verbunden ist. Sie zwingt die Mutter zu einer tief greifenden Neuanpassung ihrer psychischen Organisation sowie aller Handlungsebenen. Die Mutterschaft ist somit die individuelle Problemsituation, auf die sich die therapeutischen Interventionen beziehen (Roder et al. 2002).
Das Therapieprogramm für Mütter mit psychischen Störungen hat zwei Schwerpunkte:
• die intraindividuelle Auseinandersetzung mit den Anforderungen, Rollenbildern und Stressoren der Mutterschaft,
• die interaktionale Unterstützung der Mutter-Kind-Beziehung.
In zehn Gruppenstunden werden die folgenden Themen durchgearbeitet:
• Rollenbilder,
• Wahrnehmung positiver Gefühle,
• Stressfaktoren,
• Stressbewältigungsstrategien,
• Krisenmanagement,
• Neugierde an der Beobachtung des Kindes wecken,
• Bedeutung der beschreibenden Sprache,
• kindlichen Signalen ein Echo geben,
• Beruhigungstechniken,
• Führen und Folgen.
2.2 Zielgruppe
Das Therapieprogramm ist für Patientinnen mit unterschiedlichen psychischen Störungen geeignet, die sich jedoch bei allen Teilnehmerinnen subjektiv und/oder objektiv auf die Beziehung zum Kind auswirken. Die Störung der mütterlichen Kompetenzen und der Mutter-Kind-Beziehung in der frühen Mutterschaft ist die gemeinsame Indikation für alle Teilnehmerinnen zur Aufnahme in die Gruppe. Somit können Patientinnen mit affektiven, psychotischen, Angst-, Zwangs- und Anpassungsstörungen einbezogen werden.
2.3 Gruppenziele
Ziele des Therapieprogrammes sind die emotionale Entlastung der Mutter, die Auseinandersetzung mit ihrer Rolle als Mutter, die Vermittlung von Stressbewältigungsstrategien und konkreten Hilfen sowie die Förderung mütterlicher Kompetenzen. Durch die Sensibilisierung für kindliche Signale und Bedürfnisse und durch die Vermittlung entwicklungspsychologischer Kenntnisse sollen die Patientinnen zu Expertinnen ihrer Mutterschaft werden. Krankheitsauslösende und -aufrechterhaltende Belastungen sollen reduziert und die auf die Mutterschaft bezogene Symptomatik gebessert werden. Die Mütter sollen Ressourcen und Kompetenzen für das Krankheitsmanagement entwickeln, die zur Gesundung und Rückfallvorbeugung beitragen.
2.4 Therapiebausteine
Es werden Elemente aus der kognitiven Verhaltenstherapie, der Psychoedukation und der interpersonellen Psychotherapie übernommen, die sich bei der Behandlung affektiver und psychotischer Störungen als wirksame Therapieverfahren erwiesen haben (Übersicht z. B. bei Grawe et al. 1994, Hautzinger 1997, Schramm 1996, Wunderlich et al. 1996, Mojtabai et al. 1998, Hahlweg 2002). Diese Therapieelemente wurden auf die Behandlung postpartaler Störungen übertragen und an die spezifische Problemsituation der Patientinnen angepasst. Zusätzlich sind Elemente der Eltern-Kleinkind-Beratung und -Therapie integriert (Übersicht z. B. bei Dornes 1999). Diese interaktionszentrierte Therapieform basiert auf dem Grundlagenwissen über die frühkindliche psychische Entwicklung und wird zur Behandlung von Verhaltensproblemen und Regulationsstörungen in der frühen Kindheit (0–3 Jahre) eingesetzt (Übersicht z. B. bei Papoušek et al. 2004).
Die folgenden Therapiebausteine kommen zur Anwendung:
2.4.1 Stressmanagement
Entsprechend dem biopsychosozialen Entstehungsmodell affektiver Störungen bzw. dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell schizophrener Störungen hängen Krankheitsausbruch und Krankheitsverlauf sowohl von der Interaktion biologischer, peristatischer und Verhaltensfaktoren als auch von individuellen Bewältigungskompetenzen ab.
Angelehnt an das Verhaltenstraining zur Stressbewältigung (Wagner-Link 1995) werden individuelle Stressfaktoren, die im Übergang zur Mutterschaft und in der Beziehung zum Kind aufgetreten sind, identifiziert und ein adäquates Stressmanagement vermittelt, um die Bewältigungskompetenzen der Patientinnen im Alltag mit dem Kind zu stärken.
Zusätzlich können achtsamkeitsbasierte Übungen in Stunden des Stressmanagements integriert werden, die Patientinnen eine Haltung von Präsenz im Hier und Jetzt sowie Akzeptanz und Annehmen mit allen Sinnen (visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch) im Alltag und insbesondere im Kontakt mit ihrem Baby vermitteln. Ein Übungsfeld hierfür ist z. B. auch die Babymassage (Anderssen-Reuster 2013). Es eignen sich Übungen wie z. B. Stehen, Nasser Sack oder Innere Achtsamkeit (Huppertz 2011).
2.4.2 Psychoedukation
Die Psychoedukation wird als eine Behandlungsform der Sekundärprävention in der Medizin und Psychiatrie genutzt, um ergänzend zur Standardbehandlung das Verhalten der Patientinnen in einem gesundheitsfördernden Sinn zu beeinflussen. Zentrale Bestandteile der Psychoedukation sind die strukturierte Vermittlung präventiv relevanter Informationen durch den Therapeuten und der Einsatz behavioraler Elemente (Verhaltensmodelle) zur Umsetzung der vermittelten Inhalte in praktische Fertigkeiten. Die Erfahrung der »Edukationsteilnehmer« wird in den Lernprozess einbezogen und zielt auf eine pragmatische Problembewältigung (Buttner 1996).
In unserem Therapieprogramm werden die Mütter über die biopsychosozialen Entstehungsmodelle psychischer Störungen informiert, wobei der Zusammenhang zwischen der frühen Mutterschaft und dem Ausbruch der Erkrankung im Mittelpunkt steht. Wir klären auch über die Auswirkungen der Erkrankung auf die Alltagsbewältigung mit dem Kind auf (z. B. körperliche Erschöpfung, Schlafstörungen, Medikamenteneffekte) und entwickeln mit den Patientinnen einen individuellen Krisenplan zur Rezidivprophylaxe.
2.4.3 Unterstützung mütterlicher Kompetenzen
Für die Stunden mit entwicklungspsychologischen Themen haben wir uns am Modell der kommunikationsorientierten Eltern-Säuglings-Beratung und -Psychotherapie von Papoušek (1998) orientiert, dessen theoretische Grundlage von der entwicklungsfördernden Bedeutung der ungestörten Kommunikation/Interaktion zwischen Mutter und Kind ausgeht.
Unter den verschiedenen Formen der interaktionszentrierten Eltern-Kleinkind-Beratung/-Therapie haben wir uns auf diejenigen gestützt, die vorwiegend im Hier und Jetzt arbeiten und im Unterschied zu psychoanalytischen Verfahren am Verhalten der Mütter ansetzen und nicht an den intrapsychischen Konflikten und den daraus resultierenden interpersonalen Problemen in der Mutter-Kind-Interaktion. Hierzu zählt das Therapieprogramm von Cohen et al. (1999) unter dem Titel »Watch, wait and wonder«, in dem Eltern angeleitet werden, die von ihrem Kind initiierten Aktivitäten zu beobachten und zu akzeptieren, um ein Verständnis für die kindlichen Bedürfnisse zu gewinnen. Ebenso haben wir uns den verhaltenstherapeutischen Ansatz von McDonough (1993) zu Nutze gemacht, die in ihrer »interaction guidance« genannten Therapie videographierte Interaktionen von Mutter und Kind verwendet, um Mütter in ihrer Fähigkeit zu unterstützen, auf kindliche Signale adäquat zu reagieren. Zudem setzen wir videomikroanalytische Techniken ein (Übersicht z. B. Downing 2003), die in unterschiedlichen therapeutischen Situationen der Eltern-Kleinkind-Therapie erfolgreich angewandt werden (Papoušek 2000, Ziegenhain et al. 1999, Thiel-Bonney et al. 2002, Beebe 2003, Downing 2004). Hierbei werden videographierte Mutter-Kind-Interaktionen in kleinste Frequenzen im Sekundenbereich aufgeschlüsselt, die paradigmatisch für die ständigen Anpassungs- und Regulierungsprozesse sind, die im Alltag das Verhalten zwischen Mutter und Kind prägen. Nach Downing (2015) können darüber hinaus mit Hilfe videographierter Interaktionen die Mentalisierungsfähigkeiten eines Patienten, eines Elternteils verbessert werden. In der Video-Interventions-Therapie (VIT) kommen unterschiedliche Mentalisierungstechniken wie z. B. die einfache Reflektion (Therapeut führt), einfache Reflektion (Patient...