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Prävention von Bulimie (am Beispiel sozialpägogischer Präventionsmaßnahmen in Bamberg)

AutorAnne-Sofie Held
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl170 Seiten
ISBN9783638572699
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,7, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 109 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: 'Über 50% der nicht so topmodeligen Deutschen sind zu dick' und 'Jedes zehnte Kind in Deutschland leidet an Fettleibigkeit'. Diese und andere Schlagzeilen liest man in letzter Zeit immer häufiger. Laut dem Ernährungsbericht 2004 der deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) e.V. sind mehr als 65% der Männer und ca. 55% der Frauen in Deutschland übergewichtig. Solche Zahlen sind immer Definitionssache - Wo fängt Übergewicht an? Und wer bestimmt überhaupt, ab wann ein Mensch übergewichtig ist? Dieses Thema soll später an anderer Stelle erörtert werden. Hier geht es vielmehr darum, dass die Ergebnisse auf eine satte und zufriedene Wohlstandsgesellschaft hindeuten. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die Deutschen sind keineswegs zufrieden, wofür Pudel und Westenhöfer in einer eigenen Untersuchung Bestätigung fanden: 'Weniger als 15% der Bevölkerung entsprechen ihren selbstgewählten Idealvorstellungen' (ebd. 1998, S. 198). In unserer Gesellschaft hat sich in den letzten 40 Jahren ein Körperideal entwickelt, dass sich immer weiter vom realen Körperbild entfernt. Während die Ernährungswissenschaftler von einer drohenden Verfettung der deutschen Bevölkerung sprechen, bewegen sich immer mehr Models auf ein lebensbedrohliches Untergewicht zu. Wissenschaftler der Universität Ontario in Kanada stellten bei einer Untersuchung von 240 Playmates aus den Jahren 1978 bis 1998 fest, dass 70 Prozent dieser Mädchen mit einem BMI von unter 18,1 untergewichtig sind (vgl. Katzmarzyk und Davis 2001), wobei diese Models in der Regel noch ein paar Kilo mehr auf die Waage bringen, als die Models der internationalen Modeagenturen. Diäten haben seitdem Hochkonjunktur. Der Wunsch, schlank zu sein, wird heute nicht mehr nur durch die Frühjahrsausgaben diverser Frauenzeitschriften bestimmt, sondern setzt sich langsam als Norm unserer westlichen Gesellschaft durch, der sich vor allem Jugendliche immer mehr unterordnen. Es herrscht die verbreitete Illusion, dass ein schlanker Körper zu Erfolg, Beliebtheit, Schönheit und Gesundheit verhelfe.

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Leseprobe

3.2.1 Entwicklungsgeschichte


Die Prävention von Essstörungen ist im Vergleich zur bereits etablierten Therapieforschung ein noch relativ junges Forschungsgebiet. In den 80er Jahren, in denen die Bulimie als Krankheit entdeckt wurde und Essstörungen mehr Beachtung in Fachliteratur und Öffentlichkeit geschenkt wurde, war davon noch kaum die Rede. Meermann und Vandereycken beschreiben den damaligen Forschungsstand wie folgt: „Primärprävention erscheint noch als weit entfernter Traum, Sekundärprävention als realistischer Wunsch und Tertiärprävention (Rehabilitation) ist die - manchmal ermutigende - Wirklichkeit“ (ebd. 1987, S. 74). Seitdem sind nun fast 20 Jahre vergangen, in denen zahlreiche Studien veröffentlicht und Präventionskampagnen durchgeführt worden sind. Im Folgenden nenne ich die für die Entwicklungsgeschichte wichtigsten Veröffentlichungen mit ihren Ergebnissen. Erste Versuche waren psychoeduaktive und universelle Modelle für Heranwachsende im Alter von 14 bis 18 Jahren. Forscher und Präventionspraktiker nahmen damals an, dass die reine Wissensvermittlung über eine Erkrankung ausreiche, um Einstellungen, Werte, Emotionen und das Verhalten der Kinder zu verändern. Killen et al. (1993) und Carter et al. (1997) folgten diesem Paradigma in eigenen schulischen Präventionsprogrammen in Großbritannien. Erfolgversprechend schien, dass die Teilnehmer der Programme nach den Veranstaltungen über mehr Wissen verfügten und sich ihr Essverhalten positiv verändert hatte. Bei der

3. Prävention von Essstörungen bei Jugendlichen als Aufgabe der Sozialpädagogik


Evaluation nach sechs Monaten stellten beide jedoch fest, dass der Wissensstand der Teilnehmer wieder dem Stand vor der Kampagne glich und sogar ein Anstieg im Diätverhalten zu verzeichnen war. Zu diesem Ergebnis kamen auch andere Wissenschaftler (vgl. Austin 2000). Einige Forscher konnten bei den Teilnehmern auch eine Verbesserung der Körperwahrnehmung und -zufriedenheit feststellen, allerdings nur in den ersten sechs Monaten (vgl. Carter et al. 1997, Stewart et al. 2001). Keinem der früheren wissenschaftlichen Forschungsteams gelang es, das Verhalten der Teilnehmer auf Dauer zu verändern, auch nicht durch die zusätzliche Anwendung von Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie (v.a. Carter et al. 1997), die bei der Behandlung von Bulimie bis heute immerhin erfolgreich eingesetzt wird. Carter et al. (1997) betonen, dass sich bisherige Präventionsmaßnahmen in vielen Fällen sogar negativ auf die Teilnehmer auswirkten, indem diese die Idee der Gewichtsabnahme und auch - methode für sich übernahmen. Den Schluss, dass Präventionsaktivitäten mehr Schaden als Erfolg mit sich bringen, empfand er allerdings als verfrüht. Dafür müssten mehr Untersuchungen stattfinden, die dann schließlich auch folgten. Stewart et al. (2001) versuchten beispielsweise, die als veraltet geltende Methode der reinen Wissenvermittlung über negative Auswirkungen von Diäthalten und Essstörungen zu verbessern, indem sie die Teilnehmer aktiv in die Veranstaltung mit einbanden. Themen der Veranstaltung waren die Wirkung des Schönheitsideals, der Effekt von Diäten, Essstörungen, gesundes Essverhalten, der Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten, die Früherkennung von und Anlaufstellen bei Essstörungen, Förderung des Selbstbewusstseins und Stressbewältigung. Zwar konnte im Gegensatz zur Kontrollgruppe ein langfristiger Wissensanstieg über die behandelten Themen festgestellt werden, auf das Essverhalten hatte die Maßnahme jedoch keinen Einfluss. Auch in darauffolgenden Untersuchungen verschiedener Wissenschaftler konnten angestrebte Veränderungen im Ess- und Diätverhalten nicht erreicht werden (vgl. Baranowski und Hetherington 2001, Steiner-Adair et al. 2002, Stice et al. 2000, 2002).

Baranowski und Hetherington (2001) stellten fest, dass die Maßnahmen bei Teilnehmern mit erhöhtem Risiko für Essstörungen wie beispielsweise Sportler oder Missbrauchserfahrene, positivere Effekte auslösten als bei Teilnehmern mit geringem Risiko für eine Essstörung. Sie folgerten daraus, dass Präventionsaktivitäten für Risikogruppen sinnvoller und erfolgversprechender sind. Zu diesem Ergebnis kamen auch andere Autoren (Stice et al. 2000, 2002, Buddeberg-Fischer 2000, Zabinski 2001, Jacobi et al. 2005). Diese These ist allerdings umstritten: In anderen Untersuchungen wurden gegenteilige Ergebnisse erreicht (vgl. Austin

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2000). Austin vermutet, dass einige Autoren sekundäre Prävention als neues Aufgabenfeld ansehen, wenn die Maßnahmen der Primärprävention keinen Erfolg bringen (ebd. 2000). Die einzige kontrollierte deutsche Untersuchung in schulischen Rahmen fand im Jahr 2003 statt und wurde von Dannigkeit, Köster und Tuschen-Caffier durchgeführt (vgl. Dannigkeit et al. 2005). Sie ist auch eine der wenigen Studien, die über zwei Jahre evaluiert wurde. Das Programm bestand aus einem zehnstündigen Trainingsprogramm, von dem fünf Stunden in der sechsten Klasse und weitere fünf Stunden zwei Jahre später in der achten Klasse im Sinne eines Auffrischungstrainings durchgeführt wurden. Inhalte waren Schönheitsideale und Medienkritik, geschlechtsspezifische Rollenerwartungen, gesunde Ernährung, Diäten, Einführung in Entstehungsbedingungen von Essstörungen, protektive Faktoren von Essstörungen, pubertäre Prozesse und Körperbild. Insgesamt nahmen 204 Schüler von zwei deutschen Gymnasien an der Studie teil. Nach zwei Jahren konnte ein signifikanter Zuwachs an ernährungsrelevantem Wissen, eine Steigerung des Selbstwertgefühls und sozialer Kompetenzen und signifikante Unterschiede zwischen Kontroll- und der Interventionsgruppe hinsichtlich des Essverhaltens festgestellt werden. Somit war dies die erste Studie, die bei den Teilnehmern langfristig eine Einstellungs- und Verhaltensänderung bewirken konnte. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, welche Methode und welcher Inhalt genau für diesen Erfolg verantwortlich waren. Die Themen der Veranstaltung sind vergleichbar mit denen von Stewart et al. (2001), die hingegen keine langfristigen Verhaltensveränderungen bei den Teilnehmern erreichen konnten. Ob das Ergebnis der Untersuchung von Dannigkeit et al. (2005) Zufall war oder die Methode wirklich langfristig wirksam ist, muss in nachfolgenden Untersuchungen noch geklärt werden.

Die Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass bisher keine einheitliche und erfolgversprechende Strategie zur Prävention von Essstörungen gefunden werden konnte. Es bleibt fraglich, ob dies überhaupt jemals erreicht werden kann, die Wissenschaftler bleiben jedoch zuversichtlich (vgl. Levine und Piran 1999, S. 319).

Neben der Schule werden auch andere Settings als Forschungsfeld der Prävention von Essstörungen genutzt, hauptsächlich im Rahmen sekundärer Prävention. Becker et al. (2004) führten eine Präventionsveranstaltung unter Collegestudenten durch, die unter einzelnen Symptomen gestörten Essverhaltens litten. Powers und Johnson befassten sich in ihrer Studie mit Athleten (ebd. 1999) und Köster et al. (2005) führten ein präventives Gruppenprogramm mit Personen durch, die sich extrem mit Körpergewicht und Gewichtsabnahmemethoden beschäftigten. Die Inhalte glichen in etwa denen der schulischen Präventionsprogramme,

3. Prävention von Essstörungen bei Jugendlichen als Aufgabe der Sozialpädagogik


allerdings konnte hier mehr auf individuelle Problemlagen eingegangen werden. In allen Programmen konnte eine Einstellungs- und Verhaltensverbesserung festgestellt werden. Diese Ergebnisse bestätigen die weiter oben aufgestellte These, dass Präventionsprogramme bei Risikogruppen wirksamer sind.

Vor einigen Jahren wurde von einer Forschergruppe an der Stanford University School of Medicine ein internetgestütztes psychoedukatives Programm entwickelt, dass seitdem mehrfach getestet und modifiziert wurde. In einer Übersicht über die bisherigen Erfahrungen, die in den USA gemacht wurden, kommt Jacobi zu dem Schluss, „dass die Ergebnisse dieses computergestützten psychoedukativen Programms als durchaus ermutigend einzuschätzen sind“ (Jacobi et al. 2005, S. 99). Sie testete die Wirksamkeit dieses interaktiven Programms an zwei Universitäten in Deutschland. Die Themen sind vergleichbar mit anderen Präventionsprogrammen, methodisch ist es jedoch anders aufgebaut, worauf ich unter Kapitel 3.2.5.2 noch genauer eingehen werde. Zudem bieten solche Maßnahmen Teilnehmern den Vorteil, anonym zu bleiben und jederzeit auf das Angebot zugreifen zu können. In vielen der bisher genannten Studien werden Hinweise auf weitere Forschungsfelder gegeben, beispielsweise hinsichtlich der Zielgruppen. Viele Autoren plädieren dafür, das soziale Umfeld der Teilnehmer in Präventionsaktivitäten mit einzubeziehen, da Veränderungen nur dann stattfinden können, wenn auch Eltern, Lehrer und andere Bezugspersonen ihre Einstellung zum Thema ändern (vgl. Levine und Piran 1999, Stewart et al. 2001, Dannigkeit et al. 2005, Favaro et al. 2005, Jacobi et al. 2005). Nordenboos (1998) und Weiner (1999) betonen die Bedeutung von Ärzten bei der Früherkennung von Essstörungen. Wenn Ärzte sensibilisiert werden für frühe Anzeichen einer Essstörung und potentiell Betroffene taktvoll nach spezifischen Symptomen fragen, könnte die Erkrankung schon frühzeitig erkannt und eine Manifestation bei einem Teil der Patienten verhindert werden.

Austin (2000) fordert in seinem Aufsatz, in dem er bisherige...

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