1 Praxisanleitung als Abenteuer
1.1 Für Neulinge und „alte Hasen“
… eine examinierte Pflegekraft mit mehrjähriger Berufserfahrung und einer Zusatzqualifikation im Bereich der Pflegepädagogik. Eine kritische Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Erkenntnissen und Methoden in der Pflege und Freude an der Arbeit mit den unterschiedlichsten Personengruppen sind Voraussetzung. Das Verständnis für die besondere Lebenslage junger Menschen in Ausbildung ist ebenfalls unabdingbar. Außerdem sollte die Person über herausragende organisatorische, kommunikative und soziale Fertigkeiten verfügen. Ein überdurchschnittliches Urteilsvermögen, Motivations- und Konfliktfähigkeit und ein hohes Maß an Selbstreflexion runden ihr Profil ab.
So oder ähnlich könnte eine Ausschreibung für eine Stelle als Praxisanleiter aussehen. Ein großer, komplexer Strauß von Anforderungen und Fähigkeiten – finden Sie nicht auch? Aber vielleicht ist es genau dieses Anforderungsprofil, das Sie herausfordert und weswegen Sie sich auf den Weg gemacht haben, Praxisanleiter zu werden. Oder: Sie sind bereits Praxisanleiter und finden sich in der Beschreibung wieder, möchten sich aber in dem einen oder anderen Punkt weiterentwickeln?
Zielgruppe des Buchs Beiden Personengruppen soll das vorliegende Buch zum Lernen dienen. Es soll Leitfaden, Anregung und Reflexionsrahmen für Neueinsteiger und erfahrene Anleiter in den Berufsfeldern der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege und der Heilerziehungspflege sein. Das ist zweifellos ein hochgestecktes Ziel: Da sind zum einen die sicherlich in vielem unterschiedlich gelagerten Fragen und Bedürfnisse der „Neulinge“ und der „alten Hasen“ im Anleitungsgeschäft. Und da sind drei Berufsgruppen, die sich bei aller Gemeinsamkeit in ihrem Grundanliegen, Menschen zu unterstützen, doch stark voneinander unterscheiden, was z. B. die Pflegeempfänger angeht, die Ziele der Arbeit und auch die Ausbildungsvoraussetzungen und -wege.
Kann, was für Neulinge gesagt wird, auch für Fortgeschrittene interessant sein und umgekehrt? Wir meinen: ja.
Für Neueinsteiger ist es unerlässlich, sich einen Einblick in das gesamte Spektrum der Anleitertätigkeit zu erarbeiten, entsprechendes fachliches, pädagogisches und psychologisches Wissen zu erwerben und in der Praxis zu erproben. Damit dies möglich ist, ist es notwendig, das Anleitungsgeschehen in seiner ganzen Vielschichtigkeit in den Blick zu nehmen.
Für erfahrene Anleiter wiederum mag es wichtig sein, zu den gesammelten Erfahrungen auf Distanz zu gehen und sie in einem nächsten Schritt vielleicht aus einer neuen, veränderten Perspektive zu betrachten. lm Mittelpunkt steht hier die Möglichkeit, mit diesem Buch Wissen aufzufrischen, sich Anregungen für Problemsituationen zu holen, das eigene Selbstverständnis und Verhalten zu reflektieren.
lm Hinblick auf diese unterschiedlichen und jeweils gleich ernst zu nehmenden Bedürfnisse sind die über das Buch verteilten Anregungen und Reflexionsanstöße so konzipiert, dass sie vom eigenen Schwerpunkt her verstanden und auf die ganz persönliche Situation zugeschnitten werden können.
1.2 Begriffsbestimmung: Was ist Praxisanleitung?
Bei der Praxisanleitung handelt es sich um geplante, prozesshafte Aktivität, bei der ein Auszubildender während eines Praxiseinsatzes an pflegerische bzw. betreuerische Handlungsweisen herangeführt wird. Eine Praxisanleitung basiert auf individuellen Lernzielen und ist dem allgemeinen Ausbildungsziel – der beruflichen Handlungskompetenz – verpflichtet.
Das Tätigkeitsfeld des Praxisanleiters liegt also in der Vermittlung von praktischem Fachwissen unter Berücksichtigung theoretischer Inhalte. Dies ist wohl eine richtige Beschreibung des Berufsbildes, gibt aber tatsächlich nur einen Ausschnitt dessen wieder, was ein Praxisanleiter leisten muss. Die Arbeit als Praxisanleiter ist darüber hinaus geprägt von ▶ Kommunikation und ▶ Beziehung. Ein Anleiter ist immer auch Ansprechpartner, Ratgeber und ▶ 5.4.1 – auch wenn dies wohl niemals in einer offiziellen Stellenbeschreibung auftauchen würde. Diese zwischenmenschliche Komponente wird in den unterschiedlichen Kapiteln immer wieder herausgearbeitet, da sie unabdingbare Grundlage einer gelungenen Anleitung ist.
Begriffsabgrenzung Der Begriff der Praxisanleitung muss vom Begriff der Praxisbegleitung abgegrenzt werden, da es hier immer wieder zu missverständlichem Gebrauch kommt. Die Praxisanleitung ist für die praktische Ausbildung auf Station bzw. in der Wohngruppe zuständig. Bei der Praxisbegleitung handelt es sich um einen Praxisbesuch der Lehrkraft der Ausbildungsstätte, die ggf. auch benotet wird. Im Rahmen der generalistischen Ausbildung muss gemäß der neuen Prüfungsverordnung seit 2020 in jedem Orientierungs-, Pflicht- und Vertiefungseinsatz mindestens ein Besuch im Sinn einer Praxisbegleitung in der Einrichtung stattfinden (§5 PflAPrV). Die Praxisanleitung muss mindestens 10% der in einem Einsatz absolvierten Zeit abdecken (u.a. §4 (1) PflAPrV).
1.3 Anleitung in (sozial-)pflegerischen Berufen – Versuch eines integrativen Ansatzes
1.3.1 Integrierende Perspektive als Chance
Können nun also Anleitungskonzepte, die für die Alten- oder Gesundheits- und Krankenpflege entwickelt wurden, auch für die Arbeit mit Menschen mit Assistenzbedarf geeignet sein? Diese Frage ist sicherlich nur bedingt zu bejahen. Einerseits wirken sich unterschiedliche Arbeitsfelder und Zielsetzungen auch auf die Formen der Anleitung aus. Andererseits ist im Hinblick auf die beschlossene Generalisierung der Pflegeausbildung das Bemühen um einen integrativen Ansatz in der Anleitungskonzeption ein logischer Schritt. Auch in der Praxis sind die unterschiedlichen Bereiche nicht mehr eindeutig zu trennen. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der zunehmenden Zahl alter, multimorbider, z.T. dementer Patienten, die auch in den Krankenhäusern adäquat versorgt und betreut werden müssen. In der Heilerziehungspflege wird die Überschneidung dort offensichtlich, wo die Versorgung von Menschen mit Behinderung immer auch einen großen Teil medizinisch-pflegerischer Tätigkeiten umfasst.
Einen weiteren wichtigen Berührungspunkt schafft die Tatsache, dass in der Praxis bereits viele Absolventen sozialpflegerischer Ausbildungsstätten berufsübergreifend tätig sind, und zwar in multiprofessionellen Teams: Da arbeiten Fachkräfte für Teilhabe und Pflege in Altenheimen, Altenpfleger in psychiatrischen Einrichtungen, Gesundheits- und Krankenpfleger in der ambulanten und stationären Versorgung alter Menschen oder in Wohngruppen für Menschen mit Assistenzbedarf. Und viele von ihnen üben, unabhängig von ihrer beruflichen Herkunft, eine Anleitungsfunktion in ihrem jetzigen Tätigkeitsbereich aus. Der Blick über den Tellerrand des eigenen, berufsspezifischen Arbeitsfeldes ist hier schon längst Realität.
Die gegenseitige Ergänzung der Berufsgruppen und der Erfahrungsaustausch scheinen vor diesem Hintergrund ebenso reizvoll wie notwendig. Man lernt, die Dinge mit den Augen des anderen zu sehen, schaut sich vielleicht die eine oder andere Bewältigungsstrategie ab. Oder man entdeckt auch ganz bewusst die unterschiedlichen Gewichtungen, begreift, dass ein und dieselbe Situation ganz unterschiedlich wahrgenommen werden kann und dass die verschiedenen Perspektiven sich eigentlich positiv ergänzen.
Ein Ziel dieses Buches ist es deshalb, im Rahmen eines einheitlichen Anleitungskonzepts Momentaufnahmen aus den unterschiedlichen Arbeitsfeldern zu vermitteln. Wir möchten den Anleitenden, die ja aus den verschiedensten Arbeitsfeldern kommen und häufig mit Lernenden aus anderen Berufsgruppen zu tun haben, Mut machen zum Hinhören und Hinschauen. Denn gerade beim Thema Anleitung wird die Berechtigung eines einheitlichen Ansatzes besonders deutlich.
Auch wenn mit der neuen Ausbildungsverordnung für Pflegeberufe ein generalistischer Ansatz verfolgt wird, werden die Anleitungeraufgaben auch in Zukunft vom jeweiligen Einsatzgebiet und der damit verbundenen Rollendefinition beeinflusst sein. Aus diesem Grund sollen die spezifischen Perspektiven der verschiedenen Praxisfelder beschrieben werden. Der kurze Überblick umfasst den Pflege- und Betreuungsalltag sowie den Personenkreis, mit dem die verschiedenen Berufsgruppen arbeiten.
1.4 Altenpflege
1.4.1 Arbeitsfelder und zu begleitender Personenkreis
Altenpfleger finden heute nach Beendigung der dreijährigen Ausbildung und Erlangung der staatlichen Anerkennung ein relativ vielfältiges Spektrum beruflicher Möglichkeiten vor. Neben ihrem klassischen Tätigkeitsbereich in Alten- bzw. Altenpflegeheimen arbeiten Altenpfleger verstärkt in der ambulanten Pflege, z. B. in Sozialstationen, bei privaten Pflegediensten, vereinzelt auch in der Privatpflege, in Tagesstätten für alte Menschen, in gerontopsychiatrischen Heimen und Tageskliniken, in der Psychiatrie, hier wieder verstärkt auf gerontopsychiatrischen Stationen, aber auch in Einrichtungen für Menschen mit Assistenzbedarf.
Wer heute in der Altenpflege arbeitet, ist mit Veränderungen...