Einleitung
Schule ist eine der Inklusionsinstanzen der Gesellschaft. Ob es einer Gesellschaft gelingt, Anerkennung und kulturelle, politische und ökonomische Teilhabe für alle zu ermöglichen, hängt wesentlich davon ab, ob sie allen einen gleichwertigen Zugang zu Bildung anbieten kann. Wenn wir hier von Inklusion sprechen, meinen wir wie im Englischen wirklich »alle« – und nicht in der deutschsprachigen Verkürzung nur Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung. Schulen sind zentrale Orte, an denen schulische und außerschulische Akteur*innen mit großem Engagement und hoher Fachlichkeit an diesem Ziel arbeiten.
Zahlreiche Studien zeigen jedoch, dass das deutsche Bildungssystem bestehende soziale Ungleichheit nicht ausgleicht, sondern sogar eher verstärkt und Schüler*innen auch an der Schule selbst Erfahrungen von Diskriminierung machen. Bestimmte schulische Praktiken stehen damit im Widerspruch zu geltenden Menschen- und Kinderrechten, Vorgaben aus den landesspezifischen Schulgesetzen und nicht zuletzt einem grundsätzlichen pädagogischen Ethos. Die Studien zeigen zunächst vor allem, dass der gesellschaftliche Rahmen, in dem Schulen agieren, sowie der institutionelle Kontext, in dem Pädagog*innen handeln, diskriminierende Effekte nahelegen. Etwas pointiert kann formuliert werden, dass schulische und außerschulische Akteur*innen bei aller Expertise und Motivation an dem Ziel von Anerkennung und Teilhabe auch immer wieder scheitern müssen.
Gleichzeitig sehen wir zwischen und innerhalb der Schulen große Unterschiede, wie diese Ziele ermöglicht werden. Bei diesen Unterschieden haben wir bei der Erarbeitung von Praxismaßnahmen angesetzt: Wie können Schulen innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen und bildungspolitischen Rahmenbedingungen ihre Spielräume so weit ausnutzen und erweitern, dass die professionellen Akteur*innen ihren Auftrag so erfüllen können, dass er in weitgehender Übereinstimmung mit bestehenden Menschen- und Kinderrechten sowie mit Grundsätzen einer pädagogischen Professionalität steht?
Wir fokussieren hier also das Verhältnis zwischen einer an Anerkennung und Teilhabe interessierten pädagogischen Haltung und dem sich daraus ergebenden pädagogischen und institutionellen Handeln auf der einen Seite und die institutionellen Voraussetzungen für eine solche Haltung auf der anderen Seite. Die Bildungspolitik, die die Spielräume für Schulen ebenfalls maßgeblich vergrößern kann, ist nicht oder nur am Rande Gegenstand dieser Publikation.
Manches, was wir in diesem Band zur diskriminierungskritischen Schulentwicklung schreiben, mag angesichts der vielen Reformen und Anforderungen, die in den letzten Jahren an Schulen herangetragen wurden und werden, anspruchsvoll und überfordernd klingen. Manche mögen es als eine zusätzliche Aufgabe lesen, die über den Auftrag der Vermittlung von (Fach-)Kompetenzen hinausgeht. Wir sehen eine diskriminierungskritische Schulentwicklung aber als eine Voraussetzung, die den Erwerb von Kompetenzen in einem demokratischen Sinne überhaupt erst ermöglicht und damit der Umsetzung der rechtlichen Grundlagen, der Bildungspläne und des pädagogischen Auftrags dient.
Zum Verhältnis von Antidiskriminierung und Rechtsextremismusprävention
Wir halten die Perspektive auf Antidiskriminierung für einen wesentlichen Ansatzpunkt zur Entwicklung einer demokratischen Schulkultur, die auf Anerkennung und Teilhabe aller zielt. Viele Schulen haben sich bisher bereits mit Programmen und Aktivitäten der Rechtsextremismusprävention beschäftigt, zum Beispiel mit dem Programm »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« (Aktion Courage).
Beide Perspektiven – der Blick auf potenziell ausgrenzende Schüler*innen und der Blick auf die potenziell ausgegrenzten Schüler*innen – wurden dabei nicht immer zusammengedacht. Faktisch sind es in der Institution Schule aber dieselben Akteur*innen – Schulleitung, Lehrer*innen, Schulsozialarbeiter*innen und weitere Beteiligte –, die beide Perspektiven in ihrer Praxis zusammenbringen müssen. Dieses Buch will einen Beitrag leisten, die Themen Antidiskriminierung und Rechtsextremismusprävention so zusammenzudenken, dass sie nicht nur additiv nebeneinanderstehen, sondern im besten Fall auch aufeinander bezogen sind.
Beide Konzepte, Antidiskriminierung wie Rechtsextremismusprävention, sind nicht, wie oft assoziiert wird, auf rassistische Diskriminierung, Anfeindungen und Gewalt beschränkt, sondern werden horizontal, also alle Diskriminierungskategorien wie Herkunft, Hautfarbe, Religion, Gender, sexuelle Orientierung und Identität, Behinderung, soziale Lage einschließend, gedacht. Dem versuchen wir auch in der folgenden Auseinandersetzung gerecht zu werden.
Dass es trotzdem an vielen Stellen einen Schwerpunkt auf rassistische Diskriminierung und migrationspädagogische Fragestellungen gibt, ist unter anderem dem Rahmen des im Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) geförderten Projektes »IKÖ³« (sprich: IKÖ hoch drei) geschuldet, dessen Ergebnisse die Grundlage dieser Publikation bilden. Eine Rolle spielte außerdem die zunehmende Fluchtmigration und das Ankommen dieser Kinder und Jugendlichen in den Schulen sowie die damit verbundenen gesellschaftspolitischen Entwicklungen während des Entstehungszeitraums dieses Buches.
Zusammenfassend lässt sich die thematische Aufgabe, die wir uns gestellt haben, folgendermaßen umschreiben:
Wie entwickelt die Schule eine angemessene Haltung und entsprechende Abläufe,
um Schüler*innen (und in ähnlicher Weise auch Eltern, Lehrer*innen sowie andere an der Schule tätigen Akteur*innen), die Diskriminierungserfahrungen machen, (auch präventiv) zu schützen bzw. Räume zu bieten, in denen sie sich damit auseinandersetzen können?
um Schüler*innen (und in ähnlicher Weise auch Eltern, Lehrer*innen sowie andere an der Schule tätigen Akteur*innen) pädagogisch zu begegnen, die selbst ausgrenzende Haltungen vertreten und auch gegenüber Mitschüler*innen zumindest potenziell reproduzieren?
um migrierten Kindern und Jugendlichen – und hier speziell auch geflüchteten Kindern und Jugendlichen – einen angemessenen Platz zu bieten, an dem sie zum einen keine neuen Ausgrenzungserfahrung machen und zum anderen einen Lernraum vorfinden, der ihnen ein Ankommen in der Institution Schule wie in der Gesellschaft ermöglicht?
Eine praxisorientierte Reflexionshilfe
Wir verstehen diese Initiative als Entwicklungsprojekt in dem Sinne, dass zwar zu unterschiedlichen Feldern, die mit Antidiskriminierung verknüpft sind, bereits erprobte Konzepte vorliegen, diese aber zum einen nicht vollständig das beschriebene Feld abdecken, und zum anderen bisher nicht aufeinander bezogen waren. Wenn wir nun versuchen, einen durchgängigen diskriminierungskritischen Ansatz zu entwickeln, haben wir nicht die Illusion, in einem ersten Anlauf schon ein fertiges Konzept vorlegen zu können.
Die Umsetzung eines Gesamtkonzeptes zu diesem Themenkomplex wird auch in der Realität an Grenzen stoßen, da es kaum Schulen geben wird, die Ressourcen haben, alles auf einmal umzusetzen. Trotzdem scheint es uns sinnvoll, ›groß‹ zu denken, um dann an so vielen Punkten wie möglich über konkrete Handlungsmöglichkeiten innerhalb der bestehenden Strukturen zu reflektieren.
Veränderung, aber auch Stillstand beginnen im Kopf. Es braucht eine Idee, um etwas verändern zu wollen. Und es gibt immer genügend Argumente, wie der Verweis auf die Ressourcen, dies nicht zu tun. Dieses Praxisbuch will alle Akteur*innen, die mit Schulentwicklung zu tun haben, ermutigen, die Themen einer demokratischen Schulkultur nicht als ›nice to have‹ zu sehen, und sie dabei unterstützen, konkrete Veränderungen anzugehen. Wir geben dafür keine Rezepte, sondern möchten grundlegende Haltungen als Qualitätsstandards vorschlagen und für wichtige Handlungsfelder Umsetzungsschritte diskutieren, also Reflexions- und Entscheidungshilfen anbieten, die von den Schulen für ihre jeweilige Situation genutzt und weiterentwickelt werden können.
Wir können uns eine auf Anerkennung und Teilhabe orientierte Schule nur als multiprofessionelle Aufgabe und nur im Gemeinwesen vorstellen. Die Entwicklung einer...