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E-Book

Privatisierung im Gesundheitswesen

Chance oder Risiko?

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl177 Seiten
ISBN9783170248519
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Die Leistungsausgaben für Gesundheit steigen rapide an, der demografische Wandel verschärft die Situation noch zusätzlich. Stetig wachsende Leistungserwartungen sind mit limitierten und teils sogar schwindenden Ressourcen nicht erfüllbar. Wie viel Privatisierung braucht das deutsche Gesundheitswesen, um den gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen adäquat begegnen zu können? Der Band geht unter anderem der Frage nach, inwieweit durch Privatisierung Innovationen im Gesundheitswesen ermöglicht werden können und ob ökonomisch unattraktive Aufgaben und Patienten durch diesen Prozess womöglich auf der Strecke bleiben.

Prof. Dr. Wulf Rössler, langjähriger Klinikdirektor und Vorsteher an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK), lehrt an der Leuphana Universität Lüneburg und an der Universität Sao Paulo. Holm Keller M.A. MPA ist Hauptberuflicher Vizepräsident für Innovations-Inkubator und Universitätsentwicklung an der Leuphana Universität Lüneburg. Dr. rer. med. Jörn Moock ist für die Koordination und operative Leitung im Kompetenztandem 'Vernetzte Versorgung' an der Leuphana Universität Lüneburg verantwortlich.

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Leseprobe

1          Innovationen im Gesundheitswesen sind nur durch Privatisierung möglich? – Eine Antithese


Edmund A.M. Neugebauer


1.1       Medizinische Innovationen


Innovation heißt wörtlich »Neuerung« oder »Erneuerung«. Das Wort ist vom lateinischen Verb innovare (erneuern) abgeleitet. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff unspezifisch im Sinne von neuen Ideen und Erfindungen und für deren wirtschaftliche Umsetzung verwendet. Im engeren Sinne resultieren Innovationen erst dann aus Ideen, wenn diese in neue Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren umgesetzt werden, die tatsächlich erfolgreiche Anwendung finden und den Markt durchdringen1. In einer Zeit des immer schnelleren medizinischen Fortschritts ist es Ziel, stets innovativ zu sein. Medizinische Innovationen versprechen technischen Fortschritt, versprechen Sicherheit, versprechen innovative Therapieansätze, die besser sind als »konventionelle« Methoden. Sie versprechen Arbeitsplätze und Innovationsfreudigkeit am Wirtschaftsstandort Deutschland. Innovation ist ein nicht geschützter Begriff. Innovation steht gleichermaßen für neue Produkte wie auch für den Prozess der Herstellung und die Verbreitung neuer Produkte oder Prozeduren. Dabei ist längst nicht alles, was unter Innovation vermarktet wird, auch eine echte Innovation, und nicht jede Innovation im Gesundheitswesen ist tatsächlich nützlich für den Patienten. Beispiele für chirurgische Innovationen sind eine neue Prozedur (z. B. laparoskopische Gallenblasenentfernung), eine signifikante Modifikation eines Standardverfahrens, eine neue Applikation oder eine neue Indikation für eine etablierte Technik oder eine alternative Kombination einer etablierten Technik mit einem anderen therapeutischen Verfahren, welches neu entwickelt und erstmals angewendet wurde2.

Grundsätze für medizinische Innovationen sind:

•  alle gesetzlich Versicherten sollen gleichermaßen vom medizinischen Fortschritt profitieren;

•  medizinische Innovationen sollen so schnell und so sicher wie möglich allen Versicherten zur Verfügung stehen;

•  es sollen keine Leistungen rationiert werden.

Voraussetzung ist: Der patientenrelevante Nutzen der Innovation(en) muss evidenzbasiert belegt sein.

Bisher galt für die Einführung von Innovationen im Bereich der Medizinprodukte im deutschen Gesundheitswesen folgende Regelung:

Im Krankenhausbereich konnten neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (Innovationen) eingeführt und finanziert werden, ohne dass vorher eine Anerkennung der Methode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erforderlich war (Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt nach § 137c SGB V: stationärer Sektor). Bevor Nutzen und Risiken abgeschätzt waren, wurden sie bereits in der stationären Versorgung außerhalb klinischer Studien angewendet und bezahlt. Hierdurch kann das Patientenwohl gefährdet sein! Im ambulanten Sektor fand eine Prüfung durch den G-BA auf Antrag vor Einführung der Methode in die vertragsärztliche Versorgung statt (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nach § 135 Abs. 1 SGB V).

Im neuen GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VSG, Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung, gültig seit Jan. 2012) legt der Gemeinsame Bundesausschuss die Anforderungen an die Durchführung, die wissenschaftliche Begleitung und die Auswertung der Erprobung fest. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann insbesondere Eckpunkte für die Studiendurchführung (u. a. zu Patientenpopulation, Vergleichstherapie, Endpunkten, Beobachtungszeitraum) festlegen. Hierbei hat er insbesondere sicherzustellen, dass sich die methodischen Anforderungen an die Studiendurchführung unter Berücksichtigung der Versorgungsrealität als hinreichend praktikabel erweisen.

1.2       Klinische Bewertung und klinische Prüfung von Innovationen


Durch die klinische Bewertung muss belegt werden, dass die grundlegenden Anforderungen (§ 7 Medizinproduktegesetz) erfüllt sind. Der Hersteller muss nun den Nachweis erbringen, dass das Medizinprodukt die Anforderungen bei normalen Einsatzbedingungen erfüllt und er muss unerwünschte Nebenwirkungen und die Annehmbarkeit des Nutzen/Risiko-Verhältnisses beurteilen. Eine klinische Prüfung eines Medizinprodukts ist dann durchzuführen, wenn für die klinische Bewertung des betreffenden Medizinprodukts klinische Daten fehlen, die nicht durch Literaturrecherche, Erhebung klinischer Daten von äquivalenten Medizinprodukten oder klinischen Daten aus sonstigen klinischen Erfahrungen gewonnen werden konnten. Bezüglich der Umsetzung fand 2012 in Deutschland ein nationaler Strategieprozess »Innovationen in der Medizintechnik« statt (Initiatoren: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG)), der im November 2012 abgeschlossen wurde.

Grundsätzlich müssen Medizinprodukte ein CE-Kennzeichen tragen, um im Europäischen Wirtschaftsraum erstmalig in den Verkehr gebracht werden zu können. Das CE-gekennzeichnete Medizinprodukt muss die grundlegenden Anforderungen des Medizinprodukterechts an Sicherheit, Leistungsfähigkeit und gesundheitlicher Unbedenklichkeit erfüllen und dies muss im Rahmen der Konformitätsbewertung schriftlich dokumentiert werden. Medizinprodukte, die der Richtlinie 93/42/EWG unterliegen, werden in die vier (Risiko)-Klassen I, IIa, IIb und III eingeteilt.

Mein Vorschlag zur Bewertung von Medizinprodukten der Klassen II b und III ist nachfolgend ausgeführt und bezieht sich vorwiegend auf chirurgische Innovationen. Die Kernaussage ist: »No surgical innovation without evaluation: the IDEAL recommendations«.3 In einer eigenen Arbeit werden die Grundprinzipien der IDEAL recommendations für das Innovationsmanagement im Bereich der endoskopischen Chirurgie aufgegriffen4. Hieraus ergeben sich für die Einführung und Bewertung von Innovationen vier Schritte: 1. Sicherheit und Machbarkeit (Schritt 1 und 2a), 2. Lernen und Bewerten (Schritt 2b und 3) und die Evaluation der Langzeitergebnisse (Schritt 4). Nachfolgend sind die Schritte und die anzuwendenden Methoden kurz ausgeführt.

Sicherheit und Machbarkeit


Schritt 1

Machbarkeit in wenigen selektierten Patienten

Methoden: Klare Beschreibung der selektierten Patienten mit Rationale, Ausführungen zu den Details des neuen Verfahrens, zu den Basisdaten, den Kriterien zur Patientensicherheit und den Ergebnissen gleichzeitiger Patienten mit dem bisherigen Standardverfahren, Ethikkommission einbeziehen!

Outcome: Machbarkeitsdaten und Sicherheit

•  ausführliche strukturierte Fallberichte

Schritt 2a

Weiterentwicklung Technik

Technisch ok in selektierten Patienten

Methoden: Kleines Team beherrscht neues Verfahren, keine großen Veränderungen mehr erwartbar, Verfahren ist praktikable Alternative zum Standardverfahren, Vergleich mit Standardverfahren noch informal.

Outcome: Verbesserungen in Prozess- und Patientensicherheitsdaten

•  Fallserien (deskriptiv)

Lernen und Bewerten


Schritt 2b

Initialer informeller Vergleich mit Standardverfahren, neues Verfahren vergleichbar mit Standard in Prozess- und Kurzzeitoutcome

Methoden: Erweiterung der Einschlusskriterien, Erweiterung der Anwender/nur Zentren, Patientenzahl, Sicherstellung von Struktur und Organisation für Forschung, informeller Vergleich.

Outcome: Patientensicherheit und Kurzzeit-Outcome im Vergleich mit Standardverfahren, kontinuierliche Evaluation, Berücksichtigung von Lernkurveneffekten!

•  prospektive Datenbank, Pilotstudie zur Machbarkeit

Schritt 3

Evaluation der neuen Technik im Vergleich mit Standard üblicherweise mit RCT mit selektierten Patienten

Methoden: Klare Definition der Indikation, Sicherstellung der Qualifikation der Anwender inkl. des Standardverfahrens (Trainingskonzept muss mit Entwickler erarbeitet werden), vollständige Info über Ausschlusspatienten.

Outcome: Patientennutzen (PROs), cost-effectiveness

•  prospektive kontrollierte klinische Vergleichsstudie gegenüber adäquatem Standardverfahren am besten als RCT

Da randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) nicht notwendigerweise immer die beste Form der Evaluation darstellen5 und diese auch nicht immer machbar sind, kommt der Rolle von prospektiven Beobachtungsstudien und Registern eine zunehmende Bedeutung zu, um die...

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