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EINLEITUNG
Willkommen zu Programmgestaltung im Krafttraining. Hier schlagen wir einen etwas anderen Weg ein, um das Konzept von Krafttraining vorzustellen – und zwar indem wir zuerst erklären, was es nicht ist. Es werden oft drei Begriffe verwendet, um zu beschreiben, was im Kraftraum passiert oder auch nicht: „körperliche Aktivität“, „unverbindliche sportliche Betätigung“ (exercise) und „Training“. Dieses Buch befasst sich ausschließlich mit dem letztgenannten Begriff, und deshalb sollten wir die ersten beiden Begriffe vorab klären, damit wir „Training“ davon absetzen und im Anschluss daran ausführlich erklären können.
Körperliche Aktivität ist das, was man laut der American Heart Association (AHA) jede Woche praktizieren sollte. „Körperliche Aktivität ist alles, was dazu führt, dass man seinen Körper bewegt und Kalorien verbrennt“, lautet ein Zitat auf der Website der Vereinigung, das deutlich macht, was vonseiten der AHA für die Erhaltung der Gesundheit als notwendig betrachtet wird. Aber wenn man diese Definition beim Wort nimmt, gehört praktisch alles außer Sitzen und Liegen in diese Kategorie. Wir halten nicht besonders viel von diesem Konzept, weil selbst Senioren einen produktiveren Ansatz verfolgen können, um ihren körperlichen Zustand zu bewahren bzw. zu verbessern, als sich über eine willkürlich festgesetzte Dauer hinweg zu bewegen.
Körperliche Fitness ist ein verwandtes Konzept. Kilgore und Rippetoe definierten sie 2006 im Journal of Exercise Physiology Online [9(1), S. 1–10] wie folgt:
Der Besitz einer ausreichenden Menge an Kraft, Ausdauer und Mobilität, welche die erfolgreiche Teilnahme an Beruf, Freizeit und Familienleben ermöglicht und einer funktionellen phänotypischen Expression des menschlichen Genotyps entspricht.
Diese Definition stellt auf jeden Fall eine Verbesserung gegenüber älteren Versuchen dar, das Konzept zu quantifizieren, weil es nicht nur einen Rahmen bildet, der für das gesamte Leben Gültigkeit besitzt, sondern auch eine evolutionsgeschichtlich nachvollziehbare Definition liefert, das heißt, warum es von einem genetischen Standpunkt aus notwendig ist, fit zu sein. Die optimale Expression des menschlichen Genotyps ist dieser Definition nach ein fitter Mensch, und das ist auf vielen Ebenen befriedigend.
Weil wir Athleten sind, weigern wir uns jedoch, an dieser Stelle aufzuhören. Wir streben danach, die Expression „körperlicher Fitness“ zu optimieren, indem wir mehr tun als uns lediglich nicht hinzusetzen, und zwar weil wir ehrgeizig sind – vielleicht nur uns selbst gegenüber, aber trotzdem. Wir streben danach, unsere konditionellen Fähigkeiten zu verbessern, indem wir Mittel anwenden, die die AHA vermutlich für übertrieben hält, weil sie weit über ihre Zielsetzung hinausgehen, die in erster Linie darin besteht, nicht an einem Herzinfarkt zu sterben.
Doch auch „unverbindliche sportliche Betätigung“ und „Training“ sind Konzepte, die wir uns genauer ansehen sollten. Die Begriffe werden oft synonym verwendet, was allerdings ein Fehler ist. Der Begriff „Workout“ wird in beiden Kontexten verwendet, um ein zeitlich festgesetztes Ereignis zu beschreiben, das einen körperlichen Stress bewirkt (normalerweise betrachten wir das Schieben eines liegengebliebenen Autos nicht als „Workout“, obwohl es unter Umständen genauso anstrengend sein kann). Sowohl die unverbindliche sportliche Betätigung als auch das Training verwendet Workouts, allerdings unterscheiden sich die beiden Ansätze konzeptionell erheblich voneinander.
Eine unverbindliche sportliche Betätigung ist eine körperliche Aktivität, die wegen der Wirkung ausgeübt wird, die sie heute produziert – jetzt, in diesem Augenblick. Jedes Workout wird mit dem Zweck ausgeführt, einen Stress zu erzeugen, der die unmittelbaren Bedürfnisse des Hobbysportlers befriedigt: Kalorien zu verbrennen, sich zu verausgaben, ein Anschwellen des Bizeps zu erzielen, sich zu dehnen – man spult eine bestimmte Anzahl von Übungen ab und geht dann wohlig erschöpft nach Hause. Bei der unverbindlichen sportlichen Betätigung handelt es sich demnach um eine körperliche Aktivität, die man wegen des Effekts betreibt, der sich während des Workouts oder unmittelbar danach einstellt. Man kann seine Workouts jahrein, jahraus völlig gleich gestalten, solange sie ihren Zweck erfüllen und das Gefühl hervorrufen, das man heute spüren will.
Für Athleten, die ein ganz konkretes Leistungsziel vor Augen haben, ist aber Training das Mittel der Wahl. Training wird in diesem Zusammenhang als eine körperliche Aktivität verstanden, die dazu dient, ein langfristiges Leistungsziel zu erreichen. Es geht daher mehr um den gesamten Prozess und weniger um die einzelnen Workouts, aus denen sich dieser Prozess zusammensetzt. Und da der Prozess zu einem bestimmten Zeitpunkt (unabhängig von der Anzahl und Länge der Workouts) ein klar festgelegtes Ergebnis zur Folge haben soll, muss er sorgfältig geplant werden. Training hat eine langfristige Verbesserung zum Ziel, und dies erfordert sowohl die Zeit als auch die Bereitschaft, das befriedigende Gefühl zu verschieben, ein Ziel erreicht zu haben, bis es tatsächlich eingetreten ist.
Die meisten Menschen sind keine leistungsorientierten Athleten, die an Wettkämpfen teilnehmen, sehen sich selbst auch nicht als solche, und haben kein konkretes Ziel vor Augen außer vielleicht abzunehmen und „in Form“ zu kommen, was ähnlich ist wie „körperlich fit“ zu sein, nur ohne die ganze Diskussion über Phänotypen und genetische Veranlagung. Deswegen reicht es den meisten Leuten auch völlig aus, sich unverbindlich sportlich zu betätigen. Die Fitnessindustrie ist sich dieser Tatsache bewusst und nur allzu gerne bereit, diesen Wunsch zu erfüllen. Maschinenbasierte Workouts, denen die Ausgewogenheit und die systemischen Belastungskomponenten des Langhanteltrainings fehlen, werden in erster Linie für diese Form der körperlichen Aktivität benutzt. Das ist auch bei Programmen wie P90X, CrossFit oder allen anderen Ansätzen der Fall, für die DVDs angeboten werden und die Ihnen versprechen, Sie und Ihre Muskeln zu „verwirren“. Moderne Fitnesstudios sind ausschließlich auf diese Form der körperlichen Aktivität ausgerichtet, weil Training im Vergleich dazu unprofitabel ist. Ein herkömmliches Fitnessstudio behält 55 Prozent der Nutzfläche Cardio-Geräten vor, auf denen man den immer gleichen Bewegungsablauf ausführt und dabei zum Beispiel fernsehen kann. Auf den verbleibenden 45 Prozent der Fläche sind Kraftstationen aufgestellt, mit denen die Studiomitarbeiter wenig Arbeit haben – sie sind einfach zu bedienen, schnell erklärt und leicht zu reinigen.
In vielen Studios gibt es freie Gewichte nur in Form von Kurzhanteln, aber keiner der dort angestellten Mitarbeiter hat auch nur die leiseste Absicht, Ihnen zu zeigen, welche sinnvollen Übungen man mit ihnen machen kann. Es handelt sich im Grunde um Verkaufsorganisationen und nicht um Sporteinrichtungen, und wenn Kunden, die eine teure Mitgliedschaft abgeschlossen haben, nach drei Besuchen nicht wiederkommen, interessiert das auch niemanden. Ihr Geschäftsmodell basiert darauf, Sportstudenten (die Kurse wie Sportphysiologie, Biomechanik oder Ähnliches belegen) als billige Arbeitskräfte anzustellen, denen man geringfügig mehr als den Mindestlohn bezahlt – junge Leute, die nicht wirklich wissen, wie man Langhantelübungen unterrichtet, und die vor allem dieses Buch nicht gelesen haben. Dieses Geschäftsmodell hängt von einer hohen Kundenfluktuation pro Nutzfläche ab, vor allem während der Stoßzeiten, und – wie die Studiogestaltung nahelegt – der hauptsächlichen Verwendung von Cardio-Geräten durch diejenigen Mitglieder, die sich immerhin dazu aufraffen, ins Studio zu gehen. Der Gedanke ist, dass Mitglieder etwa 20 Minuten an den Kraftstationen herumspielen, 30 Minuten auf dem Laufband oder Ergometer zubringen und dabei fernsehen, anschließend duschen und dann das Weite suchen. Die Angestellten haben daher überwiegend die Aufgabe, für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen. Ein solches Umfeld reicht völlig aus, wenn man sich lediglich unverbindlich sportlich betätigen will, aber ein zielgerichtetes Training ist dort nahezu unmöglich.
Inzwischen ist die Branche dabei, sich rapide zu verändern – und sich hoffentlich in eine andere, bessere Richtung zu entwickeln. Das in der Fitnessindustrie gängige Modell von 55 Prozent Cardio-Geräte und 45 Prozent Kraftstationen wird allmählich von Einrichtungen für „Functional Training“ verdrängt, die eine intensivere körperliche Aktivität ermöglichen und Langhantel-, Körpergewichtsübungen und Sprints zu anstrengenden Workouts kombinieren, die tatsächlich die Zielsetzung erfüllen und einen ausreichend hohen Stress auslösen, um eine Anpassung zu bewirken. Dies steht in deutlichem Kontrast zu den immer schneller wachsenden Studioketten, die in ihrer Nutzerordnung praktisch untersagen, Übungen mit einer ausreichend hohen Intensität auszuführen oder sich körperlich so weit an seine Grenzen zu bringen, dass es auch einmal etwas lauter werden könnte. Der Nachteil vieler Functional-Training-Einrichtungen ist das schlecht geschulte Personal, das überwiegend aus zwar hochmotivierten jungen Leuten besteht, denen allerdings die Erfahrung und das Know-how fehlt, mit dem sichergestellt wäre, dass sich die Mitglieder eine korrekte Technik aneignen, mit der sie sich nicht verletzen. Aber so hart ein Workout of the Day...