|1|Einführung
Beispiele:
„Von mir ist eine große Last abgefallen, als meine Psychologin mir erklärte, dass meine Gedanken und Empfindungen nur eine extreme Steigerung von normalen Phänomenen sind, die sich unter Stress entwickeln“, sagt Theesen. Plötzlich habe er sich nicht mehr wie ein Außerirdischer gefühlt. „Ohne die Psychotherapie hätte ich mein Studium niemals durchgehalten“, sagt der heute 38-jährige Theesen. Inzwischen ist er Lehrer an einer Oberschule. Der Beruf ist stressig, aber er hat Rückhalt bei seinen Freunden und seiner Familie. Und er sorgt für Ausgleich: Peter Theesen spielt in einer Band, treibt Sport und achtet auf Entspannung. Das hält ihn in Balance – und den Wahn auf Abstand (vgl. Hauschild, 2016).
„Durch die Therapie habe ich erfahren, dass ich meinen Emotionen nicht ausgeliefert bin – für mich eine völlig neue Erkenntnis.“ … „Letztens war ich im Restaurant, wurde nicht gleich bedient und bekam nach einiger Zeit das Gefühl, dass der Kellner mich nicht in dem Lokal haben will. Früher wäre ich frustriert gegangen oder ich hätte mich aufgeregt und beschwert. Heute kann ich solche Situationen aushalten und weiß, dass der Kellner mich vielleicht einfach noch nicht gesehen hat oder im Stress ist. Mein Leben ist zwar nach wie vor kompliziert, denn ich nehme immer noch Medikamente und beziehe seit einigen Monaten Grundsicherung, weil mir der Job gekündigt wurde. Trotzdem bin ich heute weitaus stabiler als früher und daran hat die Psychotherapie einen maßgeblichen Anteil“ (vgl. Hombach, 2016).
Solche Berichte von Patienten1, die wegen einer psychotischen Störung kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapie erhalten haben, machen Mut. Ermutigend ist auch die inzwischen klare Evidenz für kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungsansätze, die aus der intensiven Forschung der letzten Jahrzehnte hervorgegangen ist. Sowohl Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) als auch familientherapeutische Ansätze werden seit 2006 in nationalen Leitlinien empfohlen (Gaebel, Falkai, Weinmann & Wobrock, 2006), in den britischen NICE-Leitlinien sogar bereits seit 2002. Die aktuellen britischen Leitlinien (NCCMH, 2014) empfehlen dabei sogar ausdrücklich, allen Patienten mit einer psychotischen Störung eine KVT oder Familientherapie zusätzlich zur Medikation anzubieten. Folgerichtig enthält auch die Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschus|2|ses in Deutschland inzwischen keine Einschränkung der Indikation für Psychotherapie bei Menschen mit psychotischen Störungen mehr. Während diese bis 2014 noch auf die Behandlung der „Begleit-, Folge- oder Residualsymptomatik psychotischer Erkrankungen“ eingrenzt war, wurde sie nun bei Schizophrenie, schizotypen oder wahnhaften Störungen für uneingeschränkt indiziert erklärt2.
Trotz dieser durchaus ermutigenden Entwicklungen stellt sich die Frage, ob die Erkenntnis, dass sich auch Symptome wie Wahn und Halluzinationen psychotherapeutisch behandeln lassen, schon in der ambulanten Versorgungspraxis angekommen ist. Uns schildern Patienten immer wieder, dass sie von ambulanten Psychotherapeuten zurückgewiesen werden, weil diese sich eine Psychosebehandlung nicht zutrauen. In einer Umfrage aus fünf Bundesländern (Nübling, Jeschke, Ochs & Schmidt, 2014) bestätigt sich dieses Bild. Nur 38 % der 2.264 befragten niedergelassenen Psychotherapeuten gaben an, grundsätzlich Therapien für Patienten mit psychotischen Störungen anzubieten. Ein systematisches Review von Studien zur ambulanten Versorgung lässt darauf schließen, dass der Anteil an Psychosepatienten allenfalls ein Drittel von dem beträgt, was er anhand der reinen Prävalenzen bei einem fairen Patientenmix sein müsste (Schlier & Lincoln, 2016).
Die Gründe für die Kluft zwischen Forschung und Praxis sind vielfältig. Das Störungsverständnis der Schizophrenie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Die Therapieausbildung vieler Psychotherapeuten liegt länger zurück, sodass diese in den neueren evidenzbasierten verhaltenstherapeutischen Interventionen für Psychosen nicht ausgebildet sind. Diese Kompetenzen müssen sie nun in Form von Weiterbildungen erwerben, die gegebenenfalls noch nicht flächendeckend angeboten werden. Nicht nur deshalb halten sich manch „dysfunktionale Einstellungen“ – wie KVTler sie zu nennen pflegen – gegenüber Psychosen auch in unserer Zunft hartnäckig. Zu diesen zählt die Vorstellung, dass Wahn und Halluzinationen für Psychotherapie nicht zugänglich seien, oder die Annahme, dass Patienten mit Schizophrenie erst hinreichend „krankheitseinsichtig“ sein müssten, bevor mit einer Therapie begonnen werden könne. Zudem spielen auch strukturelle Aspekte des Versorgungssystems für die Unterversorgung eine Rolle. Hierzu zählen lange Wartezeiten und die „Kommstruktur“ der ambulanten Versorgung, die den Patienten ein hohes Maß an Eigeninitiative abverlangt, das bei Psychosepatienten nicht immer gegeben ist. Die mangelnde Flexibilität des ambulanten Settings und die Schwierigkeiten an der Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Versorgung stellen weitere Hürden dar. Ferner fehlt es manchen ambulanten Behandlern an finanziellen Anreizen, um sich auch schwerer gestörten Patienten zu widmen, bei denen Mehraufwand durch vermehrten Austauschbedarf und Therapieunterbrechungen durch Krisen sowie Komplikationen bei der Antragsstellung zu befürchten sind.
|3|Trotz all dieser Hürden gibt es eine beachtliche Anzahl von niedergelassenen Therapeuten, die Psychotherapien für Patienten mit psychotischen Störungen anbieten. Und – wie die O-Töne in nachfolgendem Kasten deutlich machen – viele dieser Therapeuten erleben die Arbeit mit Psychosepatienten als interessant und gewinnbringend.
Therapeuten über ihre Arbeit mit Psychosepatienten
„Belohnend finde ich die große Dankbarkeit der Patienten, die froh sind, dass ihnen endlich mal jemand richtig zuhört.“
„Tatsächlich gefällt mir auch der Einbezug der medikamentösen Therapie, wo ich mich durch die Psychiatriezeit gut auskenne und kompetent mit den niedergelassenen Psychiatern zusammenarbeiten kann.“
„Eine besonders interessante Erfahrung war es, festzustellen: so verrückt sind die Wahngedanken gar nicht, häufig verbirgt sich dahinter eine ganz normale Logik im Sinne der Lerngeschichte, Grundannahmen etc.“
„Mich fasziniert, wie unterschiedlich Menschen dieselben Sachverhalte wahrnehmen und bewerten können. Es ist spannend, die Sichtweise des Gegenübers kennenzulernen, und toll, wenn es gelingt, trotz Vorbehalten und Misstrauen ein Arbeitsbündnis aufzubauen.“
„Ich schätze die Herausforderung der sehr individuellen Wahn- bzw. Überzeugungssysteme. Dabei ist ein kreatives Herangehen gefragt, was die Arbeit sehr abwechslungsreich macht.“
„Spaß macht mir die Arbeit mit Psychosepatienten durch die enorme Vielfalt des Störungsbildes. Sehr facettenreich, dadurch besonders interessant und anspruchsvoll, keine Symptomatik gleicht der anderen (d. h. es wird nie langweilig).“
„Mir gefällt die Authentizität der Patienten. Kein manipulatives Verhalten, sehr echt in der Schilderung des Erlebens und des Emotionsausdrucks. Das Gleiche fordern sie von ihrem Gegenüber, was zu interessanten Einblicken in die eigene Art und Weise, Patienten zu begegnen, führt.“
„Ein Punkt, der mir persönlich sehr gefällt, aber praxisführungstechnisch problematisch sein kann, ist, dass man einige Patienten über Jahre begleitet … Da bin ich übrigens der klaren Auffassung: lieber jahrelang Psychotherapie als lebenslang Fluanxol!“
„Die Arbeit mit psychotischen Patienten wirft wichtige Fragestellungen bzgl. der eigenen therapeutischen Haltung und des Lebens...