Dieses Kapitel dient dazu, eine Übersicht zu schaffen, die erkennen lässt, aus welchen früheren Methoden, Ansätzen und Modellen heraus sich die Beratung entwickelt hat. Es soll verdeutlichen, nach welchem theoretischen Verständnis psychosoziale Hilfe in Form von Beratung geleistet wurde bzw. auf welcher Basis wissenschaftliche Literatur sich dem Thema gewidmet hat.
Bei der Betrachtung dieser älteren Modelle wird schnell deutlich, dass es sich zumeist um Ansätze aus der Psychotherapie handelte. Erklärbar ist dies mit einem Blick auf jenen Bereich, auf dem die Beratungstätigkeit hauptsächlich basiert: der Psychologie.
Beratung speist sich aus zwei wesentlichen Themenbereichen der psychologischen Wissenschaft: a) der psychologischen Messung und Diagnostik und b) des psychotherapeutischen Verfahrens, inklusive Erklärungsansätze für abweichendes Verhalten und Entwicklung von Interventionsverfahren.
Den Bezug zu diesen beiden Themenfeldern findet die Beratung „insbesondere über diagnostische Verfahren, sowie die Beratungs und Interventionsmethoden, wobei das klienten und/oder problemzentrierte Beratungsgespräch sowie die pädagogische Verhaltensmodifikation den Schwerpunkt der Beratungsverfahren ausmachen“ (Schröder, 2004, S. 52).
Nutzbares Wissen liefert hierbei insbesondere die Entwicklungs , die Differenzielle , die Persönlichkeits , sowie die Sozialpsychologie. In der einschlägigen Literatur befanden sich damals hauptsächlich Beratungsansätze, die sich „unschwer als Derivate bekannter persönlichkeitspsychologischer oder psychotherapeutischer Methoden identifizieren lassen. (...) Als grundlegend für Beratungskonzeptionen erwiesen sich aber insbesondere psychoanalytische Theorien, klientenzentrierte Theorien und Theorien der Verhaltenstherapie“ (Schröder, 2004, S. 53).
Auch Engel et al. (2004a, S. 36) bescheinigen Beratung „eine große Nähe“ zur Psychotherapie: „Sie verfügen insbesondere auf der Handlungsebene über große gemeinsame Schnittflächen. Beide können in der konkreten Erscheinungsform phasenweise deckungsgleich werden.“
Im folgenden werden zunächst die so genannten Derivate, die psychotherapeutischen Schulen und ihre Techniken schemenhaft vorgestellt. Da eine inhaltlich detaillierte Darstellung den Rahmen sprengen würde, geht es bei der Darstellung mehr um ein in Erinnerung rufen. Im Anschluss sollen dann die beiden Arbeiten von Dietrich Allgemeinen Beratungspsychologie (1983) bzw. Speziellen Beratungspsychologie (1987) dargestellt werden, die als eine Entwicklung aus den nun folgenden Ansätzen gilt.
Zur Eingrenzung auf das Wesentliche und zu ihrer besseren Vergleichsmöglichkeit werden die früheren Konzepte psychosoziale Beratung unter drei Gesichtspunkten betrachtet:
(x) Ihrem Verständnis von Störung
(y) Ihren Interventionen, Maßnahmen, u.ä.
(z) Ihren therapeutischen Zielen
Dem Erfinder der Psychoanalyse Sigmund Freud – folgend, lässt sich die Dynamik der seelischen Prozesse aus der Triebtheorie (Libido und Aggression) erklären. Heute gehen seine Nachfolger von vier konzeptuell trennbaren Psychologien aus: die der Triebe, des Ichs, der Objektbeziehung und des Selbst, die alle zusammen an der Konflikthaftigkeit seelischen Erlebens beteiligt sind. Des weiteren entwickelte die Psychoanalyse die Theorie der drei psychischen Instanzen: Es, Ich und Über Ich.
(x) „Im psychoanalytischen Verständnis werden neurotisches Handeln und andere Störungen aus unbewussten psychischen Zusammenhängen hergeleitet, z.B. aus Konflikten, Komplexen, Fixierungen, Gehemmtheit, und zwar als deren Wiederkehr oder pervertierten Ausdruck, als Ersatz oder Kompromiss mit anderen Regungen oder als Preis für eine Vermeidung. Wichtige Quelle neurotischen Leidens ist die missglückte Verarbeitung des Ödipuskomplexes, andere Quellen sind frühe Störungen der Mutter Kind Beziehung oder Überforderung in der Phase des motorischen und Reinlichkeitslernens“ (Dörner et al., 2002, S. 616).
(y) „Die Psychoanalyse ist eine Methode, die über das Mittel der freien Assoziation versucht, den unbewussten Sinnzusammenhang einer seelischen Erkrankung oder eines Symptoms zu erkunden und (...) zur Integration bisher abgespaltener Selbstanteile zu gelangen“ (Dörner et al., 2002, S. 616).
„Der Psychotherapeut nimmt durch Deutung sprachliche Stellung. Die therapeutische Arbeit konzentriert sich auf die Analyse von Übertragung und Widerstand. (...) Durch Deutungen und Widerstandsarbeit werden frühkindliche Fixierungen behoben, Fehlhaltungen aufgelöst und Wiederholungszwänge überflüssig gemacht. Gleichzeitig wird Einsicht ermöglicht. (...) Psychoanalytiker drängen weniger auf Veränderung des Handelns, sondern fördern mehr die Einsicht in Zusammenhänge von Denken, Handeln und Fühlen“ (Dörner et al., 2002, S. 617).
(z) Das Ziel psychoanalytischer Therapie wird mit der Wiederherstellung der Arbeits und Genussfähigkeit von Patienten beschrieben, der Generallinie folgend: Wo Es war, soll Ich werden.[2] Erreichbar ist dies mit der Aufklärung vom Unbewussten, also der Erkenntnis des Patienten von möglichen Traumata, Komplexen oder Verdrängungen, etc. Thoma & Kächele (1996) zu folge geht es der Psychoanalyse um „die Aufdeckung und Aufarbeitung bislang unbewusster Strebungen und Gefühle.“ Methoden der Wahl sind freie Assoziation, Analyse von Widerstand und Übertragung, sowie Interpretation.
In ihrer Betrachtungsweise und den daraus folgenden Interventionen ist die Psychoanalyse eine eher individuumszentrierte Theorie. Sie befasst sich kaum mit der Umwelt, den möglichen Zusammenhängen zwischen Individuum und Gesellschaft bzw. der Alltagswirklichkeit. Stattdessen arbeitet sie nur mit dem eigentlichen Patienten / Klienten zusammen und sucht eventuell vorhandene Defizite ebenfalls nur in ihm zu beheben.
Begründet wurde die Gesprächspsychotherapie 1942 von Carl Rogers, dem es zunächst darum ging, dass erstens nicht direktiv gearbeitet wird und zweitens diese Therapie keine interpretative sondern eine Theorie der Offenheit darstellt, was heißt, das alle Handelnden an einem gemeinsamen Prozess Teil haben.
(x) Die Persönlichkeitstheorie des humanistischen Ansatzes befasst sich mit dem Selbst eines jeden Menschen, welches nach Selbstverwirklichung strebt. Die bei diesem Streben gemachten Erfahrungen bilden ein relativ stabiles und überdauerndes Gerüst aus, welches Selbstkonzept genannt wird. „Gestört ist jemand, der sein Selbstkonzept durch Auswahl bestimmter Erfahrungen und durch Verleugnungen anderer gemacht hat. Diese Person hat im Laufe ihrer Entwicklung gelernt, dass bestimmte Wahrnehmungen und Erfahrungen ‚gefährlich’ für das Handeln sein können. Sie erhalten keinen Platz im Selbstkonzept“ (Dörner et al., 2002, S. 614).
(y) Die Entwicklung von der nicht direktiven hin zu einer klientenzentrierten Arbeit beschreibt, dass die unmittelbare Erfahrungswelt des Klienten mehr und mehr in den Mittelpunkt dieser Therapieform rückte. Dabei bemüht sich der Therapeut/Berater, „aus den Mitteilungen des Klienten das subjektive Erleben, insbesondere die Gefühle, herauszuhören und aufzugreifen (...) um so die ‚Selbstexploration’ zu fördern“ (Nolting & Paulus, 1999, S. 134). Diese Form des Sichselbstentdeckens bezieht sich vor allem auf geleugnete Gefühle, die vom Klienten gesehen und als zu sich gehörend wahrgenommen werden sollen.
(z) Bei der klientenzentrierten Gesprächstherapie geht man davon aus, dass das Erkennen und „konzentrierte Wahrnehmen der Gefühle als subjektive Wahrheit des Menschen und deren Klärung, helfen kann herauszufinden, was die Welt subjektiv bedeuten kann und soll“ (Dörner et al., 2002, S. 615). Dem Ziel „Befreiung des Potentials der Person zur voll funktionierenden Person“ (Dietrich, 1983, S. 100) wird ein hoher Stellenwert eingeräumt.
Ihren Einfluss hat die Gesprächszentrierte Psychotherapie durch die drei grundlegenden Bedingungen des psychotherapeutischen Handelns: Empathie, positive Wertschätzung sowie emotionale Wärme gegenüber dem Klienten und Echtheit und Kongruenz des Helfenden. Diese Grundbedingungen sind zum heutigen Selbstverständnis eines jeden Beraters/ Therapeuten geworden.
Die Verhaltenstherapie wurde 1953 von Skinner eingeführt und erkennt als Ursache menschlichen Handelns weniger Motive an, als viel mehr das erlernte und verfügbare Verhaltensrepertoire. „Verhalten wird demnach als komplexer Vorgang mit kognitiven, motorischen und physiologischen Anteilen verstanden“ (Dörner et al.,...