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Psychotherapie suizidaler Patienten

Therapeutischer Umgang mit Suizidgedanken, Suizidversuchen und Suiziden

AutorAngela Oermann, Christoph Koban, Franciska Illes, Tobias Teismann
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783840925849
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Etwa 10.000 Menschen sterben in Deutschland jedes Jahr an einem Suizid. Ein großer Teil der Suizide wird im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen verübt. Das empathische Verstehen der Innenwelt einer suizidalen Person, der Kontaktaufbau, die Beurteilung des aktuellen Suizidrisikos, die Einschätzung der Distanzierungs- und Absprachefähigkeit sowie die Behandlung suizidalen Erlebens und Verhaltens gehören zu den schwersten und gleichzeitig verantwortungsvollsten Aufgaben und Herausforderungen für professionelle Helfer. Das Buch bietet einen praxisorientierten Leitfaden für den therapeutischen Umgang mit Suizidgedanken und Suizidversuchen. Der Band liefert zunächst epidemiologische, ätiologische und diagnostische Informationen zum Verstehen und Erkennen suizidaler Entwicklungen und Krisen. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der Darstellung von Strategien und Methoden der Risikoabschätzung, Krisenintervention und Psychotherapie bei suizidalen Erwachsenen, Kindern, Jugendlichen und alten Menschen. Neben verschiedenen Verfahren zur Einschätzung der Suizidgefährdung, zur Feinsteuerung der therapeutischen Beziehung, zur Optimierung der motivationalen Ausgangslage und zur Krisenintervention bei akuter sowie hochakuter Suizidalität, wird der Umgang mit suizidalem Erleben und Verhalten in der kognitiven Therapie, der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) und dem Cognitive-Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) aufgezeigt. Das therapeutische Vorgehen wird anhand zahlreicher Fallbeispiele veranschaulicht. Schließlich wird ein Überblick über Strategien der Postvention gegeben, die mögliche negative Auswirkungen bei Mitbetroffenen eines Suizides verringern sollen, und es werden rechtliche Aspekte im Umgang mit suizidalen Patienten erläutert.

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Kapitelübersicht
  1. Psychotherapie suizidaler Patienten
  2. Kapitel 1: Definitionen, Häufigkeit und Risikofaktoren
  3. Kapitel 2: Psychologische Erklärungsmodelle
  4. Kapitel 3: Diagnostik und Risikoabschätzung
  5. Kapitel 4: Krisenintervention bei akuter Suizidalität
  6. Kapitel 5: Krisenintervention bei hochakuter Suizidalität
  7. Kapitel 6: Kognitive Therapie suizidaler Handlungen
  8. Kapitel 7: Dialektisch-Behaviorale Therapie bei Suizidalität
  9. Kapitel 8: Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy bei Suizidalität
  10. Kapitel 9: Umgang mit Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen
  11. Kapitel 10: Umgang mit Suizidalität bei alten Menschen
  12. Kapitel 11: Effektivität
  13. Kapitel 12: Postvention
  14. Kapitel 13: Rechtliche Situation
  15. Literatur
  16. Anhang
Leseprobe
Kapitel 3 Diagnostik und Risikoabschätzung (S. 40-41)

Die Risikoabschätzung basiert auf den Annahmen der in Kapitel 2 beschriebenen theoretischen Modelle und dem grundsätzlichen Wissen um Risiko- und Schutzfaktoren für suizidales Erleben und Verhalten. Im Folgenden werden zunächst allgemeine Hinweise zur Risikobschätzung gegeben, bevor mit dem „Collaborative Assessment and Managment of Sucidiality“ von Jobes (2006) und dem „Chronological Assessment of Suicidal Events“ von Shea (2011) zwei spezifische Verfahren zur Risikoabschätzung vorgestellt werden. Abschließend wird kurz auf Fragebogen- und Interviewverfahren eingegangen.

3.1 Allgemeine Hinweise zur Risikoabschätzung

Das Ziel eines jeden Kontaktes mit einer suizidgefährdeten Person besteht darin, das aktuelle Ausmaß suizidalen Erlebens und Verhaltens zu erfassen und die Distanzierungs- und Absprachefähigkeit der Person einzuschätzen. Todeswünsche und Suizidgedanken sollten hierbei immer offen und mit konkreten Worten angesprochen werden. Die Risikoabschätzung ist ein zu ernstes Thema, als dass Raum für Missverständnisse gegeben werden darf! Ohnehin ist es ein Mythos anzunehmen, dass man Patienten auf die Idee bringt, sich umzubringen, wenn man sie auf Suizidgedanken und -pläne anspricht. Diagnostische Fragen stellen vielmehr wirkungsvolle Interventionen dar, durch welche Isolation und Einengung begrenzt werden können (vgl. auch den Leitfaden mit Fragen zur Risikoabschätzung im Anhang, S. 203).

Mythos: „Wenn man Menschen auf Suizidgedanken anspricht, bringt man sie erst auf die Idee.“

Gould und Kollegen (2005) konnten diese Befürchtung in einer groß angelegten Fragebogenstudie bei Jugendlichen (N = 2.342, 13 bis 19 Jahre) eindrücklich entkräften. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden alle teilnehmenden Schüler zu zwei Zeitpunkten im Abstand von einer Woche nach ihrem Befinden befragt. Eine Hälfte der Schüler wurde zu beiden Messzeitpunkten nach Suizidgedanken befragt, während die andere Hälfte nur zum zweiten Zeitpunkt zu Suizidgedanken befragt wurde. Wenn Fragen nach Suizidgedanken selbige tatsächlich bedingen oder verstärken können, dann sollten die Schüler, die zweimal nach Suizidgedanken befragt wurden, zum zweiten Messzeitpunkt in stärkerem Maße suizidal sein als die Schüler, die nur einmal gefragt wurden. Tatsächlich fand sich zwischen den beiden Gruppen jedoch kein Unterschied bezüglich des Grades allgemeiner Belastung und Suizidgedanken. Im Gegenteil äußerten jene Schüler, die in der ersten Erhebung depressive Symptome und/oder suizidales Erleben und Verhalten geschildert hatten, weniger Belastung und weniger Suizidgedanken bei der zweiten Erhebung.

Deuten sich im Gespräch Hinweise auf Lebensmüdigkeit oder Suizidabsichten an, so sollten diese also unmittelbar thematisiert und expliziert werden (Teismann & Dorrmann, 2014):
–– Ihr Leben ist gerade wirklich extrem schwierig!
… Ich kenne andere Menschen, die sich bereits in einer weniger zugespitzten Situation nicht mehr sicher waren, ob sie überhaupt noch leben möchten – wie ist das denn bei Ihnen?
–– Gibt es derzeit Momente, in denen Sie sich wünschen, lieber tot zu sein?
–– Denken Sie daran, sich das Leben zu nehmen/ sich selbst zu töten?

Bejaht der Patient eine solche Frage oder lassen andere Reaktionsweisen das Vorhandensein von Suizidgedanken vermuten, sollte sich eine weiterführende Exploration anschließen. Vage Antworten wie „nicht wirklich“ und mimische und gestische Reaktionen/Veränderungen in Reaktion auf die Frage nach Suizidgedanken müssen sorgfältig beobachtet, aufgegriffen und vorsichtig angesprochen werden:

–– Was meinen Sie mit „nicht wirklich“?
–– Was geht denn gerade in Ihnen vor?

Grundsätzlich ist sorgfältig auf Ambivalenzen des Patienten acht zu geben (vgl. Kapitel 4.2): So kann die Erleichterung und der Wunsch, über Suizidimpulse zu sprechen, immer wieder auch durch Befürchtungen bezüglich potenziell negativer Konsequenzen ehrlicher Antworten (z. B. in Form einer stationären Einweisung) torpediert werden. Phasen des offenen Austauschs können sich daher mit abweisenden Reaktionen des Patienten abwechseln. In Anbetracht von Schamgefühlen bei der Offenbarung suizidaler Intentionen ist es schließlich hilfreich, proaktiv zu normalisieren:
–– Es ist absolut menschlich, dass Ihnen in dieser Situation die Frage durch den Kopf geht, ob Sie noch weiterleben möchten. Ich finde das sehr nachvollziehbar und überhaupt nicht verwunderlich!
–– Viele Menschen erwägen im Laufe ihres Lebens die Möglichkeit einer Selbsttötung.
–– Gerade nach traumatischen Erlebnissen/in Anbetracht massiver Schmerzen/der Diagnose einer solchen Erkrankung usw. ist es nicht unnormal, an einen Suizid zu denken.

Sollten Patienten fürchten, dass die Offenbarung von Suizidgedanken unmittelbare Zwangsmaßnahmen nach sich zieht, können psychoedukative Hinweise zum therapeutischen Umgang mit Suizidabsichten hilfreich sein (vgl. Kapitel 4.1).

3.2 Einschätzung von Risikofaktoren

In Abhängigkeit davon, ob die suizidale Person dem Kliniker bereits bekannt ist, also auch schon Vorwissen zur Lebensgeschichte, psychischen und körperlichen Erkrankungen sowie aktuellen Stressoren besteht, oder es sich um eine unbekannte Person handelt, die beispielsweise im Rahmen eines Erstgesprächs, einer Krisenintervention oder einer Konsiliaruntersuchung gesehen wird, nimmt die Risikoabschätzung naturgemäß einen unterschiedlichen Verlauf. Wird es im einen Fall zunächst darum gehen, Informationen über das Vorliegen psychischer Störungen (akut und/oder lifetime), die Lebenssituation des Patienten und aktuelle krisenhafte Erlebnisse (z.?B. Todesfälle, Trennungen, Verluste, familiäre Konflikte, Arbeitslosigkeit, finanzielle Engpässe, anstehende Inhaftierung, Obdachlosigkeit, akute und/oder chronische Erkrankungen, Traumatisierungen) zu erhalten, kann im anderen Fall unmittelbar mit der Exploration der akuten Suizidalität begonnen werden. Hier muss direkt nach Suizidgedanken, Suizidplänen, vorbereitenden Verhaltensweisen und Suizidversuchen gefragt werden. Im Folgenden werden mögliche Fragen genannt (Dorrmann, 2012; Teismann & Dorrmann, 2014):
Inhaltsverzeichnis
Psychotherapie suizidaler Patienten1
Inhaltsverzeichnis7
Vorwort11
Kapitel 1: Definitionen, Häufigkeit und Risikofaktoren13
1.1Definition und Klassifikation suizidalen Erlebens und Verhaltens13
1.2Epidemiologie18
1.3Verlauf suizidaler Krisen19
1.4Risiko- und Schutzfaktoren20
1.5Komorbidität26
1.5.1Unipolare Depression26
1.5.2Bipolare affektive Störungen27
1.5.3Schizophrenie28
1.5.4Suchtmittelstörungen28
1.5.5Borderline-Persönlichkeitsstörungen29
1.5.6Anorexia nervosa30
1.5.7Posttraumatische Belastungsstörung30
1.5.8Störung des Sozialverhaltens31
1.5.9Fazit32
Kapitel 2: Psychologische Erklärungsmodelle33
2.1Kognitives Modell suizidaler Handlungen34
2.2Cry of Pain-Modell35
2.3Interpersonale Theorie suizidalen Verhaltens37
2.4Integratives motivational-­volitionales Modell suizidalen Verhaltens40
2.5Fazit41
Kapitel 3: Diagnostik und Risikoabschätzung42
3.1Allgemeine Hinweise zur Risikoabschätzung42
3.2Einschätzung von Risikofaktoren43
3.3Einschätzung von protektiven Faktoren46
3.4Bestimmung des Suizidrisikos46
3.5Indikation für die Durchführung einer Risikoabschätzung50
3.6Spezielle Modelle zur Risikoabschätzung50
3.7Diagnostikinstrumente zur Einschätzung der Suizidgefährdung54
Kapitel 4: Krisenintervention bei akuter Suizidalität56
4.1Therapeutische Beziehung58
4.2Reflexion/Ambivalenzklärung62
4.3Förderung der Selbstkontrolle69
4.4Allgemeine Strategien der Krisenintervention75
4.5Entscheidung über das Setting80
Kapitel 5: Krisenintervention bei hochakuter Suizidalität85
Kapitel 6: Kognitive Therapie suizidaler Handlungen90
6.1Kognitive Therapie suizidalen Verhaltens90
6.2Attempted Suicide Short Intervention Programm (ASSIP)105
Kapitel 7: Dialektisch-Behaviorale Therapie bei Suizidalität107
7.1Einleitung107
7.2Störungsmodell108
7.3Behandlungsmodell108
Kapitel 8: Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy bei Suizidalität127
8.1Hintergrund: CBASP und Suizidalität127
8.2Liste prägender Bezugspersonen mit Übertragungshypothese128
8.3Kiesler Kreis130
8.4Diszipliniertes persönliches Einlassen mit interpersonellen Diskriminationsübungen132
8.5Situationsanalyse133
8.6Zusammenfassung135
Kapitel 9: Umgang mit Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen136
9.1Epidemiologie und Risikofaktoren136
9.2Besonderheiten im therapeutischen Umgang mit suizidalen Kindern und Jugendlichen137
9.3Spezielle Behandlungsansätze143
Kapitel 10: Umgang mit Suizidalität bei alten Menschen149
10.1Epidemiologie und Risikofaktoren149
10.2Besonderheiten im therapeu­tischen Umgang mit suizidalen alten Menschen150
10.3Dialektisch-Behaviorale Therapie für ältere Depressive152
Kapitel 11: Effektivität156
11.1Psychotherapeutische Interventionen156
11.2Pharmakologische Interventionen160
Kapitel 12: Postvention162
12.1Angehörige als Mitbetroffene162
12.2Mitpatienten als Mitbetroffene171
12.3Professionelle Helfer als Mitbetroffene172
Kapitel 13: Rechtliche Situation179
13.1Rechtliche Grundlagen der Handlungsoptionen bei akuter Suizidalität Erwachsener179
13.2Rechtliche Grundlagen der Handlungsoptionen bei akuter Suizidalität von Kindern und Jugendlichen182
Literatur184
Anhang203
Fragen zur Risikoabschätzung205

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