Einleitung
Pussy.
Es gibt wohl kein abschätzigeres Wort in der englischen Sprache. Es ist der heftigste anzügliche Angriff auf die Würde einer Frau, wenn es darum geht, sie zu verletzen, zu demütigen, ja sie in ihrem Menschsein infrage zu stellen. Zugleich ist Pussy auch die schlimmste Erniedrigung für einen Mann; es gibt keinen direkteren Weg, einen Mann zu kastrieren, als ihn eine Pussy zu nennen, keinen deutlicheren Hinweis darauf, dass sein Ruf als Mann in Gefahr ist.
Niemand nennt mich eine »Pussy«, wenn er zum Ausdruck bringen will, wie strahlend und schön ich gerade aussehe. Keiner verwendet das Wort, um mir mitzuteilen, wie virtuos und toll ich eine gewaltige Aufgabe gelöst habe. Dabei ist Pussy all das. Und noch viel mehr.
Ich bin eine Frau der Worte, das habe ich von meinem Vater. Er konnte ein paar Zeilen aufs Papier werfen und mit ihnen genau das ausdrücken, worum es ihm ging. Jeden Freitagabend las er aus der Bibel vor.
Ich wurde zu Achtung und Bewunderung für die Macht der Sprache erzogen; dafür, dass ein einzelnes, bewusst eingesetztes Wort eine ganze soziale Bewegung auslösen oder am Anfang einer Philosophie stehen kann. Dafür, dass ein einzelnes Wort den Gang der Geschichte ändern kann.
Mein Lieblingsbuch war das Wörterbuch, das ich zu Beginn meiner Gymnasialzeit bekam. Besonders gern schlug ich die Etymologie meiner Lieblingswörter nach, mit jedem Umblättern tat sich mir eine neue historische Welt auf. Das einzige Problem: Unter den Millionen von Wörtern, die zwischen den zwei Deckeln dieses geliebten Buches standen, war keines dabei, das mich beschrieb. Kein einziges Wort, das die Intensität meiner Gefühle ausdrückte, mein ungreifbares und sich immer wandelndes zyklisches Wesen, meine ungebändigte Weiblichkeit, meine Zartheit, meine Schüchternheit, meine Stärke, meine Sehnsucht danach, gesehen und erkannt, geliebt und verstanden zu werden. Kein Wort. Nicht ein einziges.
Was in einer Kultur abwesend ist, erzählt uns genauso viel über sie wie das, was in ihr etwas bedeutet. Eine der elementarsten unbewussten Konditionierungen unserer westlichen Kultur ist die, dass wir unseren Töchtern keinen Namen für die Quelle unserer weiblichen Kraft beibringen. Fragt mal die Schülerinnen an meiner Schule der weiblichen Künste, welche Bezeichnungen für ihre Genitalien man sie als Kind gelehrt hat, und ihr werdet eine Menge umgangssprachlicher Ausdrücke zu hören bekommen: Scheide, Untenrum, Lulu, Mumu, die Liste ließe sich fortsetzen. Diejenigen, denen man ein direkteres Wort beigebracht hat, lernten meist »Vagina«, ein klinischer Begriff, der obendrein physiologisch nicht einmal stimmt.
Was jedoch noch schlimmer ist: Der Mehrheit der Frauen wurde beigebracht, gar kein Wort für sie zu haben.
Wenn wir aber keine Sprache haben für die Beschreibung dessen, was unsere Weiblichkeit am stärksten definiert, dann haben wir auch keine Möglichkeit, unsere Kraft als Frau überhaupt zu finden und zu besitzen. Wie mein Vater freitagabends vorlas: »Am Anfang war das Wort.« Wenn es kein Wort gibt, dann gibt es auch keinen Anfang. Wie würdet ihr über ein dezentrales Netzwerk von Computern reden, die über Leitungen miteinander verbunden und aufgrund eines einheitlichen Übertragungsstandards in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren, wenn ihr dafür nicht das Wort Internet hättet? Und doch ermöglicht unsere Kultur es uns nicht, über den Ort zu sprechen, von dem unsere Kraft – und genau genommen: das Leben – ausgeht.
Es ist genau diese weibliche Kraft, die in allen Erfolgsgeschichten, von denen wir hören, abwesend ist. Hier liegt der Grund, warum Sheryl Sandberg, eine der erfolgreichsten Frauen Amerikas, in einem Porträt im New Yorker erklärt, dass sie sich ihr ganzes Leben schon wie eine Hochstaplerin fühle. Oder warum die Modedesignerin Diane von Fürstenberg in der Sendung CBS This Morning sagt, dass sie jeden Tag mit dem Gefühl aufwache, eine Versagerin zu sein. Warum Gayle King, die von Fürstenberg interviewte, dann antwortet, sie wiederum wache jeden Morgen mit dem Gefühl auf, dick zu sein.
Oder warum Shonda Rhimes in ihrem Buch Year of Yes feststellt, dass sie und alle Frauen, die sie kennt, Probleme mit Komplimenten haben und unfähig sind, Anerkennung und Beifall wirklich anzunehmen.
Es ist der Grund dafür, warum so viele junge Wissenschaftlerinnen nur begleitende Tutorien unterrichten, während ihre männlichen Kollegen bereits eigene Seminare geben. (Linda Babcock, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Carnegie-Mellon-Universität und Co-Autorin des Buches Women Don’t Ask, berichtet, dass ihr Dekan ihr dieses Ungleichgewicht lapidar so erklärte: »Männer fragen halt. Frauen fragen nicht.«) Es ist der Grund dafür, warum Männer viermal so oft wie Frauen um Gehaltsverhandlungen bitten. Es ist der Grund dafür, warum Frauen, wenn sie dann verhandeln, 30 Prozent weniger fordern als Männer.
Die Frage, warum Frauen solche Schwierigkeiten haben, Zugang zu ihrer Kraft und zu ihrer Stimme zu bekommen, und nichts, was sie erreichen, das Problem zu lösen scheint, lässt mich nicht in Ruhe. Wenn ich mich umsehe in der Welt der Frauen, dann wirkt es auf mich so, als seien unsere Lichter aus. Wir sind auf off gestellt, wie ein Lichtschalter. Die Glühbirne sitzt in der Fassung, aber sie leuchtet nicht. Und wen wundert’s? Uns allen wurde beigebracht, dass wir uns ausschalten; uns abwenden.
Uns abwenden von den Obdachlosen, die um Kleingeld bitten.
Uns abwenden von den Folgen des Klimawandels, den wir alle mit unserem täglichen Handeln und Nichthandeln verstärken. Uns abwenden von unseren Gefühlen.
Man musste sie uns gar nicht antrainieren, diese Abwendung. Unsere Kultur sorgt dafür mit Mitteln, die weit stärker sind als Worte. Vielen von uns wurde beigebracht, starke Gefühle nicht zuzulassen, sie als peinlich oder sogar lächerlich zu empfinden. Viele von uns hat man gelehrt, alles Verwegene, Ungeheure zu unterdrücken. Es abzuschalten. Wir schalten unsere Lebensenergie ab, schalten unsere Gefühle ab, schalten unsere Sinnlichkeit ab, und so schalten wir letztlich unsere Kraft ab.
Wenn wir also in einer Welt leben, die sich ihrer eigenen Bigotterie im Verhältnis zu Frauen nicht einmal bewusst ist – und daher auch nicht den Schritt machen kann, den Frauen, die durch sie verletzt oder zerstört wurden, Respekt und Unterstützung entgegenzubringen –, wo finden wir dann Zuflucht? Wie wehren wir uns gegen einen unsichtbaren Angriff, der auch nicht sichtbar sein will? Wie übersteht eine Frau eine so fundamentale Leugnung ihrer Empfindungen?
Wie findet sie einen Weg, sich selbst zu heilen, zu stärken und sich neu zu erleben in einer Welt, die nicht anerkennt, dass sie zutiefst verletzt ist? Wie erweckt sie sich selbst zum Leben, wenn sie systematisch übergangen und unterworfen wird?
Wo gibt es in dieser Geschichte die Möglichkeit für das Opfer, zur Heldin zu werden?
Wie können wir als Frauen unsere Heiligkeit wieder neu erlangen, nachdem wir unser ganzes Leben entweiht waren, off waren und ignoriert worden sind?
Die Lösung für diese allgegenwärtige Ohnmacht unter den Frauen, der offenbar weder mit großen individuellen Erfolgen noch mit höherer Bildung beizukommen ist, ist einfach: Die Frauen müssen wieder eine Verbindung zu ihrer Pussy entwickeln. So wie die Pussy der Ursprung alles menschlichen Lebens ist, entspringt ihr auch der Kontakt der Frauen zu ihrer Lebensenergie, ihrer Stimme und ihrem Gefühl einer inneren Kraft. Wenn eine Frau ihre Pussy zum Leben erweckt, wird sie auch ihre Lebensenergie neu erwecken und mit ihrer eigenen Göttlichkeit in Verbindung treten.
Meine Arbeit hatte immer dieses eine Ziel: einen Weg zu bahnen, heraus aus der Opferrolle und hinein in das uns eigene Leuchten. Einen Weg, der von nichts und niemandem sonst abhängt, sondern die Macht ganz in die Hände der Frau legt. Wenn sie ihr Schicksal selbst gestaltet und es dann lebt, rückt eine Frau auf ganz natürliche Art alles gerade, was in unserer Welt schiefläuft. Aber der erste Schritt ist der wichtigste – sie muss mit ihrer eigenen Pussy ins Reine kommen. Und mehr als das. Sie muss den am stärksten verunglimpften, verleumdeten und zugleich unbekanntesten Teil von sich selbst zum Leben erwecken.
Als Gründerin und Betreiberin der Schule der weiblichen Künste, einer extrem erfolgreichen Bildungseinrichtung in New York City, habe ich es mir zur Aufgabe und zum Ziel gemacht, dass wir unsere Kraft und unsere Macht zurückerobern – dass wir unsere Pussy zurückerobern, angefangen mit dem Wort selbst. Praktisch heißt das, dass ich Seminare gebe, in denen ich Hunderten von Frauen den Weg zu persönlichem Wachstum und der eigenen Weiterentwicklung aufzeige. Ich begleite sie auf einer Reise, die sie zu einer Rückbesinnung auf ihre Geschichte, zu sinnlichem Erwachen, einem psychologischen Neuanfang und der Erfahrung ihrer spirituellen und körperlichen Stärke führt. Ich helfe meinen Schülerinnen beim Eintauchen in die Welt der weiblichen Techniken und Künste, lade sie ein in eine Gemeinschaft Tausender Schwestern, von denen sie lernen und auf die sie sich verlassen können, und ich begleite sie auch in ihrem weiteren Leben bei ihrem Wachstum und ihrer Wandlung. Die Schule der weiblichen Künste (die ich im Folgenden SWA abkürze, für School of Womanly Arts) ist für Frauen und wird von Frauen geleitet. Ihr Ziel ist es, jede Teilnehmerin angesichts der zahlreichen Herausforderungen, vor...