1. Einleitung
Alix Mautner interessierte sich sehr für Physik und bat mich oft, ihr dies oder das zu erklären. Ich fand mich gern dazu bereit, so wie ich es mit Studenten von der Technischen Hochschule Kalifornien halte, die allwöchentlich donnerstags eine Stunde zu mir kommen. Zum Schluß aber mußte ich mich regelmäßig just bei dem für mich spannendsten Teil geschlagen geben: Unfehlbar nämlich steuerten wir auf die verrückten Ideen der Quantenmechanik zu. Die aber konnte ich ihr nicht in einer Stunde oder an einem Abend auseinanderklamüsern. Das hätte viel mehr Zeit erfordert, und so versprach ich ihr, einmal eine Vorlesungsreihe über dieses Thema vorzubereiten.
Nachdem ich die Vorlesungen zusammengeschrieben hatte, ging ich nach Neuseeland, um zu sehen, wie sie ankommen. Neuseeland ist so weit vom Schuß, daß man notfalls auch einmal eine Pleite verkraften kann! Da die Leute dort sie in Ordnung fanden, halte auch ich sie für in Ordnung – zumindest für Neuseeland! So liegen die Vorlesungen vor, die ich eigentlich für Alix vorbereitet habe, ihr selbst aber nun leider nicht mehr halten kann.
Ich ziehe es vor, mich über ein bekanntes Gebiet der Physik auszulassen, statt über ein unbekanntes. In der Regel nämlich fragen die Leute einen nach dem letzten Stand der Vereinigung dieser mit jener Theorie, und man bekommt keine Chance, etwas über die Theorien zu erzählen, die wir schon recht gut kennen. Immer wollen sie etwas wissen, was wir Physiker selber noch nicht wissen. Anstatt Sie mit einer Menge halbgarer, erst teilweise analysierter Theorien zu verwirren, möchte ich Ihnen lieber etwas über ein Thema erzählen, das außerordentlich gründlich analysiert worden ist, die Quantenelektrodynamik oder kurz QED; wie ich meine, ein höchst aufregender Bereich der Physik, der mir sehr am Herzen liegt.
Mein Hauptanliegen in diesen Vorlesungen ist, die seltsame Theorie des Lichts und der Materie oder richtiger, die Wechselwirkung zwischen Licht und Elektronen, so genau wie irgend möglich zu beschreiben. Die Erklärung all dessen, was mir vorschwebt, wird eine Menge Zeit erfordern. Da uns dafür vier Vorlesungen zur Verfügung stehen, können wir uns getrost an die Arbeit machen.
In der Geschichte der Physik ist eine Vielzahl von Erscheinungen zu einigen wenigen Theorien geronnen. Zum Beispiel unterschied man in der Frühzeit der Physik zwischen Erscheinungen der Bewegung und Erscheinungen der Wärme, zwischen Erscheinungen der Akustik, der Optik und der Gravitation. Nachdem Sir Isaac Newton die Gesetze der Bewegung erklärt hatte, entdeckte man aber bald, daß einige dieser scheinbar verschiedenen Dinge Aspekte ein und derselben Sache waren. Beispielsweise ließen sich die akustischen Erscheinungen vollständig mit der Bewegung von Atomen in der Luft erklären. Damit entfiel die Akustik als eigenständiges Gebiet. Nicht anders erging es der Wärmelehre, als man die Erscheinungen der Wärme durch die Gesetze der Bewegung zu begreifen lernte. So wurden große Bereiche der physikalischen Theorie zu einer vereinfachten Theorie zusammengefaßt. Die Gravitationslehre dagegen widersetzte sich einer Deutung durch die Gesetze der Bewegung und hat sich bis zum heutigen Tag ihre Eigenständigkeit, das heißt ihre Unabhängigkeit von den anderen Theorien, bewahrt. Bis jetzt jedenfalls läßt sich die Schwerkraft nicht mit Hilfe anderer Erscheinungen erklären.
Nach der Synthese der Erscheinungen der Mechanik, der Akustik und der Wärmelehre entdeckte man eine Reihe von Phänomenen, die wir als elektrisch und magnetisch bezeichnen. 1873 faßte James Clerk Maxwell diese Phänomene mit den Phänomenen des Lichts und der Optik zu einer einzigen Theorie zusammen, derzufolge Licht als elektromagnetische Welle aufzufassen ist. In diesem Stadium gab es also die Gesetze der Bewegung, die Gesetze der Elektrizität und des Magnetismus sowie die Gesetze der Schwerkraft.
Um 1900 wurde dann eine Theorie der Materie aufgestellt, die sogenannte Elektronentheorie der Materie; sie besagt, daß sich in den Atomen kleine geladene Teilchen befinden. Nach und nach wurde diese Theorie dahingehend ausgebaut, daß man zwischen einem schweren Kern und den ihn umkreisenden Elektronen unterschied.
Versuche, die Bewegung der um den Kern kreisenden Elektronen mit Hilfe der Gesetze der Mechanik zu verstehen – ähnlich wie sich Newton die Gesetze der Bewegung zunutze machte, um die Bahn der Erde um die Sonne zu begreifen –, schlugen vollständig fehl: Sämtliche Vorhersagen erwiesen sich als falsch. (Übrigens entstand um diese Zeit herum auch die Ihnen allen als große Revolution in der Physik bekannte Relativitätstheorie. Gegenüber der Entdeckung aber, daß die Newtonschen Gesetze der Bewegung bei den Atomen nicht greifen, bedeutete die Relativitätstheorie nur eine untergeordnete Modifikation.)
Einen Ersatz für die Newtonschen Gesetze zu erarbeiten, war aufgrund der ganz befremdlichen Erscheinungen in den Atomen ein langwieriges Unterfangen. Um die Vorgänge auf atomarer Ebene verstehen zu können, mußte man erst einmal den »gesunden Menschenverstand« über Bord werfen. 1926 schließlich wurde eine solche, nicht auf dem gesunden Menschenverstand fußende Theorie entwickelt, mit der sich das »gänzlich andersartige Verhalten« der Elektronen in der Materie erklären ließ. Diese Theorie mutete zwar blödsinnig an, war es aber nicht. Sie erhielt den Namen Quantenmechanik, der bereits durch das Wörtchen »Quant« den sonderbaren, dem gesunden Menschenverstand gegen den Strich gehenden Aspekt der Natur andeutet. Über eben diesen Aspekt wollen wir uns im folgenden unterhalten.
Die Quantentheorie erklärte darüber hinaus alle möglichen Details, etwa warum sich ein Sauerstoffatom mit zwei Wasserstoffatomen zu Wasser verbindet, und so weiter. Auf diese Weise lieferte sie die hinter der Chemie stehende Theorie. Anders ausgedrückt, die Grundlagen der theoretischen Chemie gehören in Wirklichkeit zur Physik.
Da die Quantentheorie die gesamte Chemie und die verschiedenen Eigenschaften der Substanzen erklären konnte, schlug sie wie eine Bombe ein. Nach wie vor ungelöst allerdings blieb das Problem der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie. Das heißt, Maxwells Theorie des Elektromagnetismus mußte abgeändert und den neuentwickelten Prinzipien der Quantenmechanik angepaßt werden. So entstand 1929 aus der Zusammenarbeit einer Reihe von Physikern eine neue Theorie, die Quantentheorie der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie, der man den schrecklichen Namen »Quantenelektrodynamik« gab.
Aber die Theorie hatte ihre Mucken. Wohl ergaben sich bei groben Berechnungen durchaus vernünftige Antworten. Bei genaueren Berechnungen dagegen stellte sich heraus, daß die zu den groben Resultaten hinzukommenden Korrekturen (zum Beispiel das nächste Glied in einer Reihenentwicklung) entgegen allen Erwartungen nicht etwa klein waren, daß dieser Term vielmehr sehr groß ausfiel – nämlich unendlich war! So zeigte sich, daß sich jenseits einer gewissen Genauigkeit nichts mehr wirklich berechnen ließ.
Übrigens Vorsicht! Der kurze historische Überblick entstammt der Feder eines Physikers. Das heißt, er folgt dem mittlerweile allgemein approbierten Mythos, den die Physiker ihren Studenten und diese wiederum ihren Studenten erzählen und hält sich nicht unbedingt an die wirkliche historische Entwicklung, mit der ich gar nicht vertraut bin.
Jedenfalls stellte, um mit dem Geschichtsmythos fortzufahren, Paul Dirac mit Hilfe der Relativitätstheorie eine relativistische Elektronentheorie auf, ohne die Wechselwirkung des Elektrons mit dem Licht zu berücksichtigen. Nach dieser Theorie eignet dem Elektron ein magnetisches Moment, so etwas wie die Kraft eines kleinen Magneten, und zwar eine Kraft von genau 1 in bestimmten Einheiten. Um 1948 zeigten dann Experimente, daß die wirkliche Zahl näher bei 1,00118 lag (mit einer Unsicherheit von 3 in der letzten Dezimalstelle). Natürlich wußte man, daß Elektronen mit Licht wechselwirken, und erwartete von daher eine geringfügige Korrektur (zum Wert von Dirac). Außerdem erwartete man sich von der inzwischen begründeten neuen Theorie der Quantenelektrodynamik eine Erklärung dieser Korrektur. Als man sich dann ans Rechnen machte, erhielt man jedoch keineswegs die Zahl 1,00118, sondern unendlich – was, wie die Experimente zeigen, falsch ist!
Um 1948 herum lösten dann Julian Schwinger, Sin-Itiro Tomonaga und ich das Problem, wie man den Dingen in der Quantenelektrodynamik mit Zahlen zu Leibe rückt. Als erster berechnete Schwinger diese Korrektur mit Hilfe eines neuen »Spielchens«* [* Feynman verwendet den Begriff Shell-game: ein trickreiches Mogelspiel. Durch geschickte Taschenspielerstreiche mit Muscheln, Bällen oder Erbsen hat das Opfer nicht die geringste Chance zu gewinnen. (Anm. d. Red.)]. Er kam auf den theoretischen Wert von 1,00116 und damit nahe genug an das experimentelle Ergebnis, um erkennen zu lassen, daß wir auf dem richtigen Weg waren. Endlich hatten wir eine Quantentheorie des Elektromagnetismus, die sich in Zahlen fassen ließ! Und diese Theorie werde ich Ihnen im folgenden beschreiben.
Mittlerweile hat sich die Theorie der Quantenelektrodynamik mehr als fünfzig Jahre lang gehalten und ist über einen immer größeren Anwendungsbereich auf immer größere Genauigkeit getestet worden. Und so kann ich heute die stolze Behauptung wagen, daß zwischen Experiment und Theorie kein signifikanter Unterschied mehr besteht!
Damit Sie sich eine Vorstellung davon machen können, wie die Theorie durch die Mangel gedreht wurde, möchte ich ein paar Zahlen aus jüngster Zeit anführen: Den Experimenten nach liegt Diracs Zahl bei 1,00115965221 (mit einer Unsicherheit von rund 4 in der letzten...