1 Qualität in der Sozialen Arbeit: Grundlagen
Was Sie in diesem Kapitel lernen können
Um sich fundiert mit dem Thema Qualität in der Sozialen Arbeit auseinandersetzen und es in seiner Komplexität verstehen zu können, ist grundlegendes Wissen erforderlich. In diesem Kapitel informieren wir Sie deshalb darüber,
• welche Gründe für das Erstarken der Qualitätsdebatte in der Sozialen Arbeit verantwortlich sind ( Kap. 1.2.1),
• warum es sehr unterschiedliche Positionen in diesem Diskurs gibt und woraus sich die Vielfalt der Positionen in der Sozialen Arbeit zu diesem Thema begründet ( Kap. 1.2.2),
• in welcher Weise gesetzliche Vorgaben Anforderungen an die Qualität in der Sozialen Arbeit stellen und welche Interessensgruppen es sonst noch gibt ( Kap. 1.2.3),
• worauf sich Begriffe rund um das Thema Qualität wie z. B. Qualitätssicherung und QM inhaltlich fokussieren und warum dennoch eine Trennschärfe nicht immer möglich ist ( Kap. 1.3),
• welche verschiedenen Qualitätsmodelle es gibt ( Kap. 1.4),
• mit welchen Überlegungen Einrichtungen der Sozialen Arbeit konfrontiert sind, wenn sie entscheiden müssen, welches Modell sie anwenden wollen ( Kap. 1.4).
1.1 Qualität als Aufgabe von Unternehmen
»Qualität beschäftigt die Menschheit wahrscheinlich von Beginn an, sicher jedoch seitdem Waren und Güter ausgetauscht werden« (Antosch 2013, S. 5). Beispiele für historische Qualitätsthemen sind die Überprüfung von Gold- und Silbergehalten in Münzen von König Hieron II. von Syrakus (ebd.) oder Anforderungen an Bauwerke zu babylonischen Zeiten (Gerull 2012, S. 27). Die historischen Entwicklungslinien zur Festlegung gesicherter Eigenschaften von Waren und Dienstleistungen sollen hier nicht nachgezeichnet werden. Wichtig aber ist es zu realisieren, dass das Thema Qualität da eine Rolle spielte und geregelt werden musste, wo es um den Austausch von Gegenständen, Produkten oder Dienstleistungen zwischen verschiedenen Parteien ging und wo davon auszugehen war, dass die Interessen der Nutzer*innen und der Hersteller*innen oder Verkäufer*innen an das Produkt oder die Leistung nicht identisch waren.
Die Wurzeln einer Beschäftigung mit Qualitätsfragen als explizite betriebliche Strategie können auf das beginnende 20. Jahrhundert datiert werden. Mit dem Scientific Management wurde die Kontrolle von Qualität erstmals zu einer wichtigen und expliziten Zielperspektive einer wissenschaftlich begründeten Betriebsführung, dessen Konzept eng mit dem Namen des Ingenieurs Frederic Taylor verbunden ist. Zunächst ging es darum, mittels eigens dafür eingestellter Kontrolleur*innen möglichst viele fehlerhafte Produkte am Ende der Produktionskette auszusortieren und so nachzubearbeiten, dass sie schließlich – intakt – verkaufbar waren. Von einer Qualitätskontrolle dieser Art, die v. a. im Aussortieren und anschließendem Wiederherstellen von schadhaften Endprodukten bestand, ging man in den 1930er Jahren über zur systematischen und statistisch unterstützten Suche nach Fehlern im Produktionsprozess, die v. a. in der Kriegsproduktion zu Beginn des Zweiten Weltkriegs angewendet und präzisiert wurde. Auslöser waren hier sowohl der Wunsch, die Kosten der Produktion zu reduzieren, als auch die Forderung weiterverarbeitender Industriezweige, zugelieferte Stoffe und Waren als einwandfreie Ausgangsgrößen für die eigene Produktion zu erhalten.
Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde dann eine komplexere Sichtweise auf Qualität in Unternehmen propagiert und praktiziert. Angestoßen durch Japans wirtschaftlichen Erfolg, der u. a. auf ein umfassendes QM zurückgeführt wurde, praktizierten auch bald US-amerikanische und europäische Unternehmen ein QM, das nicht mehr nur die fehlerfreie Gestaltung des Produktionsprozesses im Fokus hatte, sondern alle Prozesse im Unternehmen einem Qualitätsdenken unterwarf (DGQ 2016, S. 5). Ein Management von Qualität wurde installiert, das mit der Optimierung der individuellen Arbeitsplätze beginnt und über die Verbesserung der Abstimmung verschiedener Arbeitsabläufe bis hin zur Gestaltung einer qualitätsfördernden Organisationskultur reicht, um »nachhaltig gute Arbeit« zu leisten (ebd.). W. Edward Deming und Joseph M. Juran lieferten das wohl bekannteste »Planungstool« einer so ausgerichteten und fortdauernd angelegten Qualitätsphilosophie: den Kreislauf des Planens, Umsetzens, Überprüfens und Verbesserns, bekannt unter dem Namen »Deming-Zyklus« oder »PDCA-Zyklus: Plan, Do, Check, Act« (Trubel/Bastian 2016, S. 17). Parallel zu dieser sich auch in Deutschland etablierenden Sichtweise wurden zahlreiche Verfahren dafür entwickelt, Qualität im Unternehmen umfassend zu gestalten und so Produkte auf einem globalen Markt in ihrer Qualität vergleichbar zu machen. Prominente Beispiele dafür sind Six Sigma, TQM (Total Quality Management), DIN EN ISO 9000ff.und EFQM (European Foundation for Quality Management). Diese Akronyme stehen für – auch in der Sozialwirtschaft – gebräuchliche QM-Konzepte. Insgesamt wird heute das umfassende Managen von Qualität als wichtiger Faktor für die Sicherung von Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen verstanden ( Abb. 2).
Abb. 2: Entwicklungslinie »Qualität im betrieblichen Kontext«, eigene Darstellung
1.2 Qualität als Aufgabe in der Sozialen Arbeit
1.2.1 Auslöser und Hintergründe der Qualitätsdebatte
Obwohl die Frage nach Qualität und die Suche nach Fehlern und Verbesserungsmöglichkeiten schon immer Bedeutung in der Sozialen Arbeit hatten, erfuhr die Qualitätsdebatte im sozialen Sektor in den 1990er Jahren einen immensen Auftrieb. Als Auslöser sind drei Faktoren zu identifizieren:
• eine Veränderung des Verständnisses von Sozialstaatlichkeit,
• eine neue Sichtweise auf die Gestaltung von Organisationen,
• die Kritik unterschiedlicher Akteure an der bisherigen Gestaltung Sozialer Arbeit.
Veränderung des Verständnisses von Sozialstaatlichkeit: In den 1990er Jahren setzte ein grundlegender Umbau des Sozialstaates ein. Dieser Umbau zielte darauf ab, die »Kosten der sozialen Dienstleistungserbringung insgesamt zu senken« (Buestrich/Wohlfahrt 2008, S. 20; Herv. die Verf.). Hintergrund dieses neuen Kurses war einerseits der staatliche Wille, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Wirtschaftsgeschehen z. B. durch Abbau der Lohnnebenkosten zu sichern und zu stärken. Andererseits stand aufgrund einer wachsenden Schuldenlast der öffentlichen Haushalte der sozialstaatliche Bereich »hinsichtlich Zuständigkeit und Finanzierung« in Konkurrenz mit anderen Bereichen (Holdenrieder 2017a, S. 33). Bei diesem Umbau ging es insbesondere darum, die »Leistungsreserven« (Buestrich/Wohlfahrt 2008, S. 20) sowohl bei den leistungserbringenden als auch bei den Leistungen in Anspruch nehmenden Akteuren zu mobilisieren und freizusetzen. Eine Aktivierung aller Potentiale sollte dafür sorgen, die Eigenverantwortlichkeit der Bürger*innen und der wohlfahrtsstaatlichen Leistungsträger zu stärken. Diese folgenreiche sozialstaatliche Neuausrichtung lässt sich auch als »Wandel des Selbstverständnisses des Sozialstaates vom ›Versorgungsstaat‹ zum ›Minimalstaat‹ bzw. ›aktivierenden Staat‹« (Speck/Olk 2008, S. 78) bezeichnen. Durch die Verheißung, mit dieser sozialstaatlichen Kehrtwende die Sozialkosten inklusive der »Lohnnebenkosten« massiv begrenzen und qualitativ hochwertigere Leistungen hervorbringen zu können, fielen Widerstände gegen diese grundlegende Veränderung eher verhalten aus (Dahme/Wohlfahrt 2014, S. 1279). Als geeigneter Weg für die Neuausrichtung wurde die Anwendung von Instrumenten aus der Ökonomie gesehen und eine damit verbundene Fokussierung von Effektivität (Wirksamkeit) und Effizienz (Wirtschaftlichkeit). Der so angestoßene Prozess der Einführung betriebswirtschaftlicher Rationalitätskriterien im sozialen Sektor wird auch als »Ökonomisierung des Sozialen« bezeichnet. Die Qualitätsdiskurse nehmen darin eine zentrale Rolle ein und sind »in einem neuen, erweiterten Kontext und...