Einleitung
Sind Sie Führungskraft in einer Organisation? Ich weiß, als Führungskraft lesen Sie keine Einleitungen. Machen Sie mal eine Ausnahme! Diese Einleitung wird Ihnen helfen, das Buch so zu lesen, dass Sie es erfolgreich umsetzen können. Sie lesen weiter? Dann habe ich eine gute Nachricht für Sie: Sie haben wundervolle Jahre vor sich! Intensive Jahre, da wird keine Langeweile aufkommen. Es werden Jahre sein, die Sie wirklich fordern. Die Arbeitswelt wird sich stark verändern, das Tempo wird weiter zunehmen. Ich erinnere die Frage eines Kongressteilnehmers an die Referentin: »Wann hört denn diese Digitalisierung endlich auf?« Er hatte die Lacher auf seiner Seite. Sie ahnen es: Für den Rest Ihres Berufslebens werden Sie damit zu tun haben. Es werden zudem Jahre sein, die Sie auch »heraus«-fordern. Die Ihnen die Möglichkeit geben, ein anderer, ganz Neuer zu werden. Ein Mensch, der beziehungsreicher ist, verbundener. Denn unser Wesen ist nicht, wer wir sind. Sondern wer wir mit anderen Menschen sind.
Fragen wir uns zunächst: Wie sieht die technische Seite der Digitalisierung aus? Heikle Sache, in einem Buch darüber zu schreiben. Während ich dies tue, diskutieren Freunde von mir gerade einen Hedgefonds, der mithilfe von künstlicher Intelligenz kursrelevante Daten auswertet: vom Wetter in Nebraska, das die Weizenpreise bestimmt, bis zur Umsatzprognose eines schwäbischen Mittelständlers, der die Baukonjunktur vorwegnimmt. Wenn das Buch erscheint (die Verlage arbeiten noch im Gutenberg-Universum), ist das wahrscheinlich Schnee von gestern. Und auch manche Firma, die hier beispielhaft genannt wird, gibt es nicht mehr. Also, kein Wort mehr zu Chatbots, Robotern, Bubble-Algorithmen, Zero Screen, Deep Learning, Artificial Intelligence, Blockchain und Konsorten.
Interessanter ist die wirtschaftliche Seite der Digitalisierung. Bisher verbesserte Technologie nur Produkte und Prozesse, die wiederum das Konsumverhalten veränderten. Bekanntestes Beispiel ist Apple, das mit dem iPod das Abspielen von Musik digitalisierte, um dann mit iTunes den Einkaufsprozess zu digitalisieren. Nun aber revolutioniert die Digitalisierung ganze Geschäftsfelder. Und eröffnet neue. Zugespitzt in der Frage: »Was hat mein Rasenmäher mit meiner Zahnbürste zu tun?« Insofern befinden wir uns in der zweiten Phase der Digitalisierung, die vor etwa 10 Jahren begann. Wenn Sie in einem etablierten Unternehmen arbeiten, dann wissen Sie, dass der Wettbewerb nicht mehr aus der eigenen Branche kommt. Er findet auf einem anderen Feld statt. Das erschwert das Planen: »Wer ist eigentlich mein Wettbewerber von morgen?« Die von den amerikanischen Unternehmen dominierte IT-Branche dringt in alle Industrien vor. Sie liefert dort nicht nur Hard- und Software, sondern trennt durch Onlineplattformen die etablierten Hersteller von ihren Kunden – »to be amazoned«, kalauert man in den USA. Um das zu verhindern, müssen Sie Ihr bestehendes Geschäftsmodell mit digitalen Services so anreichern, dass Sie täglich in Kundenkontakt kommen. Insgesamt wird dadurch das »Spielfeld« der Unternehmen
- größer, weil durch das Internet und die wachsende Bedeutung von Software in Produktion, Dienstleistung und Handel physische Grenzen überwunden werden;
- kleiner, weil etablierte Unternehmen von neuen, potenziell unzähligen und global agierenden Wettbewerbern sowie Start-ups bedrängt werden;
- unkalkulierbarer, weil die Plattform-Industrie (Google, Amazon, Uber etc.) die Spielregeln ändert;
- unübersichtlicher, weil die Einbeziehung der Kunden zur Personalisierung der Produkte und Dienstleistungen führt;
- schneller, weil die Welt nicht auf uns wartet, weder die Kunden noch der Wettbewerb.
Lassen Sie uns vor diesem Hintergrund kurz über Deutschland sprechen. Da ist das Bild uneinheitlich. Es gibt Firmen, vor allem Konzerne, deren Digitalisierungsgrad weit fortgeschritten ist – »Digitalisierungsgrad« definiert als Geschäftserfolg auf digitalen Märkten plus Nutzungsintensität von digitalen Techniken. Andere Firmen sind derart zurückhaltend, dass ich oft nicht weiß, ob ich das selbstbewusst nennen soll oder dumm. Insbesondere im Mittelstand und in Kleinunternehmen träumt man noch oft den Traum analoger Selbstzufriedenheit. Dort wird Ihnen ständig erklärt, warum etwas nicht geht, während man woanders fragt, wieso Sie es nicht längst getan haben. Einverstanden, wir brauchen kein eigenes Silicon Valley, wir können aus der besten Technik weltweit auswählen und in unsere Prozesse integrieren. Aber manche Firmen tun so, als sei das Internet gestern erst erfunden worden.
Und was ist mit Ihnen? Vielleicht gehören Sie ja zu jenen, die es nicht mehr hören können, dass die Welt im Umbruch ist; dass Sie raus aus Ihrer Box und sich mit Technologie beschäftigen sollten; dass Sie heute etwas tun müssen, wenn Sie morgen zu den Gewinnern gehören wollen. Aber selbst wenn Sie sich für digitale Möglichkeiten begeistern – spüren Sie davon auch etwas in Ihrer Organisation? Gibt es da die große Umwälzung, die über lobenswerte Inkubator-Initiativen hinausgeht? Hand aufs Herz: Sind Sie persönlich in ein digitales Projekt involviert?
Die meisten Manager sind es nicht. Bei einer Umfrage unter 1000 Führungskräften 2017 gaben 65 Prozent an, sie seien noch nie selbst in ein digitales Projekt eingebunden gewesen. Das korrespondiert mit einer Umfrage desselben Jahres; nach der bezeichnen sich 35 Prozent der deutschen Firmen als »gut« oder »sehr gut« gerüstet für die Digitalisierung – in den USA sind es 85 Prozent. In der DACH-Region können sich nur 50 Prozent der Unternehmen vorstellen, von Branchenfremden angegriffen zu werden; in den USA sind es 90 Prozent. Entsprechend investieren die Amerikaner doppelt so viel Geld in die Forschung zu Industrie 4.0 wie wir (Quelle: www.bmf.de). Und wussten Sie, dass drei Viertel aller deutschen Unternehmen über die Hälfte ihrer betrieblichen Abläufe noch auf Papier regeln (Quelle: Bitkom-Verband 2017)? Nimmt man den Digitalisierungsgrad zum Maßstab, dann sind wir Dritte Welt im Vergleich zu Ländern wie Estland oder Lettland.
Das Dauergerede über die digitale Transformation erzeugt also eine optische Täuschung. In Deutschland ist man verbal weit vorne, faktisch aber agiert man am Pflock des Augenblicks. Ingenieurgetrieben und technikverliebt, sind wir bei ohnehin hoch entwickelten Produkten perfekt in der Perfektionierung. Wir sind unermüdlich auf der Suche nach dem vollkommenen Spaltmaß, beherrschen den Bau isolierter Maschinen, wie etwa Autos. Oder kleinster Teile wie Zylinderkopfdichtungen und Spreizdübel. Keine Frage: Qualität ist ein deutsches Differenzierungsmerkmal. Aber: Die Gestaltgeste der Digitalisierung ist das Verbinden. Zukünftig gewinnt nicht der, der produziert, sondern der verbindet. Zum Beispiel über Plattformen. Das beruht auf Technologien, die kommunizieren, integrieren und in Echtzeit eigenständig steuern. Wenn Daten in Einsen und Nullen vorliegen, können sie sofort und verlustfrei von A nach B transportiert werden. Das eröffnet unendliche Vernetzungen und erzwingt neue Anschlussfähigkeiten. Aber auch Nebeneffekte: »Durch das Internet der Dinge habe ich drei Kilo abgenommen – der Kühlschrank ließ sich nach dem Update nicht mehr öffnen.« Mit dem Philosophen Ludwig Wittgenstein im Rücken können wir sagen: Die Welt ist die Gesamtheit der Verbindungen, nicht der Dinge.
Das ist nicht unsere Kernkompetenz. Ganz zu schweigen von disruptiven Erfolgen: Nichts wirklich Weltbewegendes wurde mehr erfunden seit der historischen Spritzfahrt, die Bertha Benz mit ihren Kindern – ohne Wissen ihres Erfindergatten – von Mannheim nach Pforzheim unternahm. In den letzten 20 Jahren hat kein DAX-Unternehmen ein bahnbrechendes neues Geschäftsmodell entwickelt, schon gar kein digitales. Allenfalls kopieren sie amerikanische Originale. Oder bauen neue Elektromotoren in alte Autos. Im Vergleich zu den amerikanischen Digital-Giganten spielen die Start-ups in Berliner Hinterhöfen Kleinkunsttheater. Selbst SAP, das den amerikanischen Vorlagen noch am nächsten kommt, kann für sich keine überragenden Erfolge beanspruchen. Radikal Neues auszuprobieren ist eben keine deutsche Tugend: Laut Lenin kauft sich der Revolutionär hierzulande erst eine Bahnsteigkarte.
Man kann den Digitalisierungsrückstand aber auch nüchterner erklären: In Deutschland argwöhnt man, dass sich mit der Digitalisierung beliebig Schaum schlagen lässt. Oder man hält die Digitalisierung des eigenen Betriebs schlicht für zu teuer. Vor allem in den weniger dynamischen B2B-Branchen. Das Kostenparadigma und die Zielerreichung sind nach wie vor die Götter, denen man huldigt. Das gilt bei Konzernen für jedes zehnte Unternehmen, im Mittelstand für jedes fünfte, in Kleinfirmen für jedes dritte. So der »Monitoring Report Wirtschaft digital 2017« der Bundesregierung. Auch die gute wirtschaftliche Lage trägt dazu bei: Auftragsbücher voll, Arbeitsmärkte leer, Gehälter hoch, Inflation niedrig. Der Exportweltmeister zehrt von altem Ruhm. Warum ändern? Man macht momentan mit alten Produkten einfach noch zu viel Geld. Nur wer das Alte retten will, kommt auf die Idee, Abgaswerte zu manipulieren.
Deshalb bricht man eher symbolisch zu neuen Ufern auf. Man legt die Krawatte ab, trägt zum Anzug weiße Turnschuhe, nötigt die...