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Ratgeber Prüfungsangst

Informationen für Betroffene und Angehörige

AutorLydia Fehm, Thomas Fydrich
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl106 Seiten
ISBN9783844420487
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Für nahezu alle Menschen stellen Prüfungen eine besondere Herausforderung dar. Nervosität, Anspannung und Aufregung sind typische Begleiterscheinungen einer Prüfungssituation. Sie sind unangenehm, können aber meist ausgehalten werden. Manchmal beginnen Prüfungsängste jedoch schon sehr lang vor dem Prüfungstermin oder nehmen ein Ausmaß an, das die Person allein nicht mehr bewältigen kann. Dann ist es hilfreich, sich genauermit den Prüfungsängsten auseinanderzusetzen, um dadurch Ideen für Bewältigungsmöglichkeiten zu bekommen. Dieser Ratgeber kann Sie dabei unterstützen. Der Ratgeber erklärt zunächst, wie sich Prüfungsängste äußern, wie sie entstehen können und warum sie manchmal nicht von allein wieder weggehen. Im Anschluss daran werden Bewältigungsmöglichkeiten für verschiedene Aspekte von Prüfungsängsten vorgestellt. Sechs verschiedene Module informieren über Motivations- und Lerntstrategien, Zeitmanagement, Entspannungstechniken und gedankliche Techniken zum Umgang mit hinderlichen Gedanken und geben Hinweise zur konkreten Vorbereitung auf die Prüfungssituation.

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Leseprobe

2Wie entstehen Prüfungsängste und warum gehen sie nicht von allein wieder weg?


2.1Angst ist ein überlebenswichtiges Gefühlssystem


In Kapitel 1.1 (vgl. Seite 14 ff.) hatten wir geschildert, dass sich Prüfungsängste auf den Ebenen der Gefühle, der Gedanken, des Körpers und des Verhaltens äußern können. Um die Entstehung dieser Merkmale von Prüfungsangst besser verstehen zu können, ist es hilfreich, grundlegende Dinge über Angst zu kennen.

Wir wissen, dass auch unsere vor Jahrtausenden lebenden Vorfahren bereits Angstgefühle kannten. Die Ergebnisse von Untersuchungen des Gehirns legen nahe, dass sich die grundlegende Funktionsweise von Ängsten über diese Zeit hinweg nur wenig verändert hat. Prinzipiell hat Angst die Funktion, uns vor drohenden Gefahren zu warnen und hilfreiche Reaktionen zur Bewältigung oder dem Umgang mit der Gefahr in die Wege zu leiten. In den früheren Gefahrsituationen, wie z.B. bei Bedrohungen durch angriffslustige Tiere oder feindlich gesinnte Menschen, waren vor allem das Kämpfen oder das Weglaufen sinnvolle und hilfreiche Reaktionen. Reste dieser ursprünglichen Verhaltensreaktionen spüren wir auch heute noch: Viele Menschen spüren in Angstsituationen den starken Drang, die Situation sofort zu verlassen.

Eigenschaften des Angstsystems:

Um uns vor Gefahren gut zu schützen, hat das Angstsystem über die menschliche Entwicklungsgeschichte hinweg eine Reihe hilfreicher Eigenschaften entwickelt:

Es funktioniert sehr schnell.

Die Denk- und Verhaltensweisen bei Ängsten laufen weitgehend automatisch ab – das ermöglicht zum einen ein schnelles Funktionieren des Systems, zum anderen erfordert es keine zusätzliche Anstrengung des Gehirns.

Das Angstsystem ist darauf angelegt zu lernen, Gefahren möglichst frühzeitig zu erkennen, um uns so früh wie möglich vor Gefahren warnen zu können.

Das Angstsystem hat Vorrang vor vielen anderen Systemen und Funktionen, da das System davon ausgehen muss, dass eine Gefahr für das Überleben bestehen könnte – und Überleben hat Vorrang.

Das Angstsystem dient dazu, uns für Verhaltensreaktionen zu aktivieren, nämlich entweder zu kämpfen oder zu flüchten.

Da sich unser Angstsystem seither nur wenig verändert hat, sind viele Merkmale dieses hochentwickelten Alarmsystems für uns auch heute noch spürbar:

In Angstsituationen, in denen wir tatsächlich körperliche Reaktionen zeigen, wie z.B. etwas auszuweichen, haben wir hinterher häufig das Gefühl, das sei ganz automatisch passiert – was ja auch zutrifft.

In Angstsituationen können wir uns auf andere Aufgaben oft nur schwer konzentrieren.

Die Angst steigt oft sehr schnell an und übernimmt sozusagen die Oberhand über mögliche andere Themen, über die wir nachdenken könnten, die aber von der Bewältigung der Gefahr ablenken könnten.

Der Körper bereitet sich auf Kampf oder Flucht vor, d. h. Herzschlag und Puls werden schneller, der Blutdruck steigt, Stresshormone werden ausgeschüttet, wir fangen an zu schwitzen.

Wir haben den Drang, die Situation schnellstmöglich zu verlassen.

Diese an sich für unser Überleben sehr hilfreichen Mechanismen sind jedoch in Prüfungssituationen nicht angemessen. Flüchten oder Kämpfen führen nicht zum Prüfungserfolg oder zum gewünschten Schul-, Studien- oder Berufsabschluss. Das Ziel bei Prüfungsängsten ist es daher zu lernen, dass Prüfungssituationen nicht im oben genannten Sinne gefährlich sind. Daher ist es sinnvoll, sich dabei zu unterstützen, dass das klassische Angstsystem bei Prüfungen nicht „anspringt“.

2.2Wie entwickeln sich Prüfungsängste?


Für die Entstehung von Prüfungsängsten gibt es keine einfache Erklärung. Ähnlich wie Ängste im Leben von Betroffenen verschiedene Gesichter und verschiedene Ausprägungsformen haben, sind auch die Entstehungsbedingungen und die Entstehungsgeschichten von Person zu Person verschieden.

Es gibt kein einzelnes, für alle Betroffenen gleiches Erlebnis oder eine einzelne Entwicklungsbedingung, die die Gesamtheit der Prüfungsängste erklären könnte. So kann beispielsweise eine verpatzte Prüfung oder ein missgelaunter, aggressiver Prüfer bei einer Person massive Ängste auslösen, bei einer anderen jedoch eher zu Wut auf die Studienbedingungen führen.

Meist liegt eine Kombination mehrerer Faktoren vor, die die Entstehung von Prüfungsängsten bei einer bestimmten Person verständlich machen kann.

Faktoren, die eine Rolle bei der Entstehung von Prüfungsängsten spielen:

Die wissenschaftliche Literatur zeigt, dass folgende Faktoren mit der Entstehung von Prüfungsängsten in Verbindung gebracht werden können:

Eine allgemein bestehende Neigung mit Angst zu reagieren.

Vorliegende Ängste bei einem oder beiden Elternteilen – hierbei können die Ängste sowohl als erhöhte Angstbereitschaft genetisch vererbt werden, sie können aber auch durch das sogenannte „Lernen am Modell“ von den Eltern auf das Kind übertragen worden sein.

Negative Prüfungserfahrungen, vor allem das Erleben verminderter Kontrolle in Prüfungssituationen. Hierzu gehören beispielsweise auch die Erfahrung eines unberechenbaren Prüfers oder unklare Prüfungsanforderungen.

Geringes Selbstwertgefühl, welches damit im Zusammenhang stehen kann, dass ein subjektiv (oder objektiv) schlechtes Abschneiden bei einer Prüfung von der betroffenen Person als ein Beweis für umfassende eigene Unzulänglichkeit und Unfähigkeit interpretiert wird („Ich habe eine schlechte Note – also bin ich dumm.“).

Nicht zuletzt sind aber auch mangelndes Wissen über Lern- und Prüfungsstrategien, ein zu geringes Wissen über Prüfungsinhalte, eine intellektuelle Überforderung durch die Prüfungsinhalte oder ungünstige Lernstrategien wichtige Faktoren für die Entstehung von Prüfungsängsten.

2.3Welche Faktoren spielen bei meiner Prüfungsangst eine Rolle?


Wenn Sie dieses Buch als betroffene Person lesen, wird die Beantwortung der folgenden Fragen hilfreich sein, um die bei Ihnen möglicherweise bedeutsamen Faktoren für Ihre Prüfungsangst genauer kennenzulernen. Alternativ können Sie diese Fragen auch im Arbeitsblatt 4 (vgl. Anhang, Seite 89) bearbeiten und dort gleich Ihre Antworten notieren:

Wie ängstlich sind bzw. waren meine Eltern? Wie sind die Eltern mit Prüfungssituationen umgegangen?

Wie sind meine Eltern und/oder andere Bezugspersonen mit mir als Prüfling umgegangen? Haben sie mir etwas zugetraut und das Gefühl vermittelt, dass ich die Herausforderung bewältigen werde?

Gab es negative Erlebnisse mit Prüfungen, wie z.B. ein unfairer Prüfer oder eine unerwartet schwere Prüfung?

Haben die Ängste plötzlich begonnen oder sind sie allmählich stärker geworden?

Wie bedeutsam ist die anstehende Prüfung für mich? Wie wichtig ist die Abschlussnote? Welchen Stellenwert hat diese Prüfung im Rahmen meiner Ausbildung?

Bin ich mit den Studieninhalten und/oder dem Lerntempo überfordert?

Neige ich dazu, die Prüfungsergebnisse übertrieben negativ zu sehen?

Gehe ich oft davon aus, dass alles sowieso nur schief gehen kann?

Haben Prüfungen einen sehr hohen Stellenwert für mein Selbstbild?

Glaube ich, dass Noten viel über mich als Person aussagen?

Wie gehe ich mit der Prüfungsvorbereitung um? Weiß ich, was ich tun muss, um mich optimal auf eine Prüfung vorzubereiten (Lernstoff aufbereiten, Vorbereitung auf den Abruf des Wissens in der Prüfungssituation)?

Setze ich mein Wissen über Lern- und Prüfungsstrategien auch um?

Das Herausfinden von Gründen für die Entstehung von Ängsten und das Kennenlernen der persönlichen Faktoren, die die Angst immer wieder auftreten lassen, ist wie das Legen eines Puzzles mit vielen Teilen. Manche Teile scheinen auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammenzupassen. Um das Bild auf einem Puzzle erkennen zu können, ist es aber oft nicht unbedingt nötig, wirklich alle Teile fertig gelegt zu haben. Genauso ist es nicht wirklich wichtig, alle einzelnen Aspekte der Entstehung der Ängste zu kennen. Denn wir wissen, dass Ängste verändert werden können, auch wenn die exakte Kombination von Entstehungs- und Auslösefaktoren nicht genau bekannt ist!

2.4Prüfungsängste im Lauf des Lebens


Prüfungsängste sind ein Problem, das viel häufiger von jungen als von älteren Menschen berichtet wird. Dies liegt sicher mit daran, dass Prüfungen während der Schul-, Ausbildungs- und Studienzeit besonders häufig sind. Wir wissen jedoch auch, dass es Menschen gibt, die wegen der Prüfungsängste bestimmte Ausbildungen abbrechen oder diese gar nicht erst beginnen, um Prüfungen zu vermeiden. Für die „Lösung“ des Problems Prüfungsangst müssen sie also z.T. gravierende Einschränkungen hinnehmen.

Einige Menschen berichten, dass ihre Prüfungsängste mit der Zeit von alleine...

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