2 Pejorative Tiersymbolik in judenfeindlichen Diskursfragmenten
Der Spruch: wenn Worte töten könnten, ist längst aus dem Irrealis in den Indikativ geholt worden: Worte können töten, und es ist einzig und allein eine Gewissensfrage, ob man die Sprache in Bereiche entgleiten lässt, wo sie mörderisch wird (Böll 1978, 302f.).
Dieser Aphorismus von Heinrich Böll fußt auf der These, dass eine sprachliche Entmenschlichung der körperlichen Vernichtung vorausging und -geht. Auch im akamischen Diskurs wird seit dem Linguistic Turn85 sprachliche Pejoration nicht mehr als Oberflächenphänomen interpretiert: Sprache bringt soziale Konstruktionen wie die des minderwertigen Anderen hervor und wird damit untrennbar mit nicht-diskursiven Praktiken verknüpft. Hierauf aufbauend zeichnet sich die Relevanz der Analyse von sprachlicher Dehumanisierung, ihren diskursiven Verflechtungen und soziokulturellen Kontexte ab.
Unter dieser Prämisse rückt das folgende Kapitel pejorative, judenfeindliche Tiermetaphorik und ihre Genese im abendländischen Denken in den Fokus.86 Das Augenmerk liegt auf der historischen Epoche der Moderne, dabei vor allem auf dem Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts und seiner Kulmination in Auschwitz. Da die Tiersymbolik jedoch nicht ex nihilo mit dem Antisemitismus entstand, sondern sich diese, ebenso wie der Antisemitismus selbst, entlang des bestehenden Bildervorrats unter sich aktualisierenden diskursiven Bedürfnissen entwickelte, werden bei den stark rezipierten Symbolen exemplarisch die historischen Genesen weiter zurückreichend nachgezeichnet.
Trotz des Fokus’ auf der sprachlichen Entwertung müssen gleich zwei Einschränkungen vorangestellt werden: Erstens darf, trotz der Analyse der sprachlichen Dehumanisierung, diese keineswegs als einziger Bedingungsfaktor für Auschwitz missverstanden werden. Vielmehr sei auf Shulamit Volkov verwiesen, die auf die Komplexität sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Bedingungsfaktoren verweist, ohne dabei die Bedeutung der sprachlichen Vermittlung zu schmälern (Volkov 1999, 263-265). Zweitens ist die sprachliche Dehumanisierung im Antisemitismus ein sehr umfangreiches Terrain, die Analyse der pejorativen Tiersymbolik wird daher niemals alle Aspekte der diskursiven Konstruktionen erfassen können. Unter diesen Vorzeichen kann eine differenztheoretische Studie nicht nur die Subscriptiones in den jeweiligen Diskursfragmenten analysieren. Die Tiersymbolik muss ergo in ihrem diskursiven Kontext porträtiert sein, um das Wechselspiel zwischen dem Einfluss soziokultureller Entwicklungen auf die Tiersymbolik und sprachlichen Impulsen auf die Denkrichtung zu beleuchten (auch Schäfer 1962, 40). Punktuell erfolgt daher eine Kontextualisierung der Fragmente. Zu Beginn des Kapitels wird zunächst die theoretische Grundlage umrissen. Hierauf folgen Analysen über die Tiersymbolisierungen im Antisemitismus. Diese sind entlang einer Kategorisierung der Tiere aufgebaut, die aus heuristischen Gründen in drei Rubriken untergliedert sind: In ‚uneigentliche‘, ‚höhere‘ und ‚niedere‘ Tiere. Diese Gliederung ist aus unterschiedlichen Gründen durchweg prekär. Erstens handelt es sich bei der ersten Gruppe keineswegs um Tiere, sondern um mythische Figuren, die im jeweiligen Diskurs als Kreaturen interpretiert werden. Sie tragen häufig jedoch lediglich materielle Spuren von real existierenden Kreaturen in sich. Der zweite Punkt ist in doppelter Hinsicht diffizil: Die Untergliederung in ‚höhere‘ und ‚niedere‘ Tiere entspringt keinem biologischen Taxon, sondern spiegelt als triviale Bezeichnung die Nähe zum Menschen wider, die derselbe den Kreaturen zuschreibt. Somit reproduziert diese Gliederung zweierlei: einerseits den anthropozentristischen Blick, der als klassisch für die Geschichts- und Sozialwissenschaften gilt (Ritvo 2002), aber durch das neue akademische Feld der Human-Animal-Studies kritisiert wird,87 andererseits reproduziert diese Kategorisierung die historiografische Bezugnahme auf das Tier als Objekt und damit die Superiorität des Menschen und legitimiert insofern auch die bestehende hegemoniale Differenzsetzung zwischen Mensch, Tier und Natur.88 Auf die m.E. durchaus berechtigte Kritik der Human-Animal-Studies kann hier jedoch nur verwiesen werden, da die Untersuchung die diskursive Repräsentation der Tiere erfassen und mit dieser Aussagen über die menschliche Gesellschaft herleiten möchte. Somit bleibt die fluktuierende Grenzziehung zum Tier Gegenstand der Annäherung an die menschliche Ordnung und gesteht dem Tier lediglich eine funktionale Rolle in einer diskursiven Topologie zu (Bodenburg 2012, 10). Die eigentlichen Kreaturen bleiben die Staffage in einer sozialwissenschaftlichen Analyse der Moderne (Krebber/Roscher 2011, 4f.).
Ohne dieses Dilemma auflösen zu können, wird zunächst ein stark rezipiertes Tiersymbol behandelt und exemplarisch eine Genese von mittelalterlichen, über frühneuzeitlichen zu neuzeitlichen Zuschreibungen ausgebreitet. Einige weitere Symbolisierungen von Tieren derselben Ordnung folgen sowohl als Kontrastfolie sowie zur Ausdifferenzierung der Varianzen. Im Anschluss an die Tiersymbolisierungen folgt ein Unterkapitel über Bakterien, Bazillen und Viren als source domain in Pejorationen. Jede dieser Ausführungen über ein Symbol wird mit einem knappen Blick auf die Handlungsrationalitäten in den Subscriptiones abgerundet. Eine Vertiefung des Aspekts der Massenhaftigkeit ergänzt die vorangegangenen Ausführungen, bevor eine zusammenfassende Interpretation unter Bezug auf die Signifikanz der Tiersymbolik erfolgt. Die historische Genese von diskursiven Verflechtungen und Knotenpunkten wird nicht für jede Symbolisierung vollständig expliziert. Stattdessen wird peu à peu über das gesamte Kapitel eine Art Topografie von hegemonialen Ordnungen entwickelt, um die pejorative Tiersymbolik in dieser zu verorten.
Die Forschungsfragen, die durch dieses Kapitel führen, sind im Anschluss an Bölls Aphorismus formuliert: Welche spezifischen diskursiven Formationen, die „getötet haben“, lassen sich heute rekonstruieren? Wie ist post festum das Zusammenspiel von historischer Dehumanisierung und der jeweiligen Tiersymbolik zu bewerten? Und durch welche Differenzsetzung und dichotomen Konstruktionen zeichnen sich diese Diskursformationen aus?
2.1 Entstehungskontext pejorativer Tiersymbolik
Ein Blick in politische und philosophie Werke von tausenden Jahren verrät die Bedeutung von Tiersymbolisierungen: Aristoteles und Hobbes wählten Tiere, um ihre Vorstellungen von Staatlichkeit zu veranschaulichen. Gleichzeitig leben Parabeln, Allegorien und Fabeln,89 ebenso wie bspw. die Bestiarien des Mittelalters (Dinzelbacher 2006; Hartmann 2009; Hassig 1999; Pelizaeus 2009) von lebendigen Vorstellungen von Tieren. Diese sind nicht nur Produkt ihrer jeweiligen historischen Kontexte, sondern auch abhängig von den Rezipient_innen, die sie adressieren (Haibl 2000, 237). Ein Repertoire der Tiersymbolisierungen wird daher jeweils als kulturtypologisch, begrenzt und durch zeitgeschichtliche und demografische Kontexte geprägt, interpretiert. Solch zeitgeschichtliche Kontexte sind beispielsweise abhängig vom Stand der Wissenschaft, der Gestalt des Naturbezugs und den aktuellen emotionalen und affektiven Dispositionen zu konkretisieren (Fingerhut 1969; zitiert nach Rigotti 1994, 118).90 Tiersymbolik basiert dabei auf Zuschreibungen humaner Eigenschaften an die Kreaturen, somit handelt es sich bei den Vorstellungen der Tiere um „soziale Konstruktionen“ (Roscher 2007, 245f.), in denen sich die lebendigen Kreaturen nur mehr als Spuren niederschlagen.91 Jede Zuschreibung an ein Tier muss entsprechend als kulturelle Repräsentation, als Projektion menschlicher Erfahrung verstanden werden (Baker 1993, 171), wobei sich im Bild vom Tier vielmehr das Bedürfnis der Menschen als die Kreatur selbst spiegelt (Berger 2009; Ritvo 1987, 4). Dabei, so hebt Steve Baker hervor, handelt es sich um eine wechselseitige Befruchtung: „Culture shapes our reading of animals just as much as animals shape our reading of culture" (Baker 1993, 4).
Charakteristisch für Tiersymbole ist, in den Worten von Claude Lévi-Strauss: „animals are good to think“ (Levi-Strauss 1973, 161f.). Denn obwohl Tiersymbole auf einen aus Stereotypen, Mythen und Wahrheiten bestehenden kulturellen Wissensbestand referieren,92 fungieren sie qua einer natürlichen Übersetzung (Baker 1993, 171), sie tragen eine wichtige Funktion der spezifischen soziokulturellen symbolischen Ordnung.93 Tiersymbole besitzen eine hohe affirmative Verständlichkeit, sie wirken unmittelbar und erscheinen auch enthistorisiert und entkontextualisiert verständlich. Diese Unmittelbarkeit basiert vor allem darauf, dass die Zuschreibungen sehr kohärent sind und in unterschiedlichsten Diskursen reproduziert werden (Baker 1993, 28).94
Diesen sozialen Konstruktionen (der Bilder) vom Tier wohnt eine Hierarchisierung inne (Roscher 2007, 245f.), in der das Tier eine inferiore Stellung zugewiesen bekommt und sich somit in der westlichen Kultur zum Gegenbegriff des Menschen festigt (Bodenburg 2012, 9; Mütherich 2003; Heiden/Vogl 2007b, 8f.). Das Tier wird als ultimative Kreation des Anderen entworfen. Donna Haraway (1992) hat gezeigt, dass diese Kreation des Anderen auf einer hegemonialen, diskursiven Differenzsetzung von Mensch und Tier basiert, den eine entsprechende Praxis zeichnet. Diese diskursiven Zuschreibungen und nicht-diskursiven Praktiken haben sich über die Epochen verändert: So zeigt Haraway, dass die mittelalterlichen Tierprozesse auf der Interpretation einer...