Praxisübung
Was fällt Ihnen zum Thema »Staat« ein? Fertigen Sie dazu eine Mind Map an.
2.1 Die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen
Unsere Verfassung ist geprägt von vier verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen, auch Verfassungsprinzipen oder Verfassungsgrundsätze genannt. Verfassungsgrundsätze sind bestimmte Grundlagen der demokratischen Staatsordnung, deren Schutz besonders gewährleistet ist. Sie lassen Geist und Charakter der Verfassung erkennen und prägen somit den Staat, dessen Ordnung auf ihr beruht. Diese verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen betreffen insbesondere die Staats- und Regierungsform, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Gewaltenteilung. Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung beruht nach dem Grundgesetz auf den Verfassungsprinzipien der
- Demokratie
- Rechtsstaatlichkeit
- Sozialstaatlichkeit und
- Bundesstaatlichkeit.
Demokratie
Wörtlich übersetzt bedeutet Demokratie Volksherrschaft. Eine echte bzw. freiheitliche Demokratie liegt jedoch immer nur dann vor, wenn bestimmte Mindestanforderungen erfüllt sind; anderenfalls ist lediglich eine Schein-Demokratie gegeben.
Die Prinzipien einer echten Demokratie
Die Mindestanforderungen an eine echte bzw. freiheitliche Demokratie lauten:
- Die Staatsgewalt muss tatsächlich und nicht nur scheinbar vom Volk ausgehen. Es muss entweder selbst entscheiden (unmittelbare Demokratie) oder eine Volksvertretung wählen, die an seiner Stelle entscheidet (repräsentative Demokratie). Da die unmittelbare Demokratie aus verschiedensten Gründen in modernen demokratischen Staaten nicht zu praktizieren ist, haben sich die meisten westlichen Länder für eine repräsentative Demokratie entschieden.
- Die Volksvertretung einer repräsentativen Demokratie muss nach den Grundsätzen der allgemeinen, gleichen, freien, unmittelbaren und geheimen Wahl gewählt werden (Wahlprinzip). Durch die Wahl überträgt der Bürger seinen politischen Willen auf Volksvertreter (Abgeordnete). Diese Abgeordneten sollen den Willen des Volkes durch Gesetze zum Ausdruck bringen.
- Eine Wahl kann nur dann ihren Wert entfalten, wenn es auch eine echte Auswahl gibt. Daher müssen mehrere, mindestens zwei regierungsfähige Parteien oder Koalitionen mit alternativen Wahlprogrammen zur Wahl antreten (Mehrparteiensystem).
- Sämtliche Staatsorgane und Amtsträger einer Demokratie, die staatliche Aufgaben wahrzunehmen haben, müssen demokratisch legitimiert sein, indem sie entweder unmittelbar vom Volk oder von einem – seinerseits demokratisch legitimierten – Organ bestellt werden (Prinzip der demokratischen Legitimation).
- Die Amtszeit der maßgeblichen Verfassungsorgane muss zeitlich begrenzt sein, damit in bestimmten Abschnitten erneut über ihr Mandat entschieden werden kann (Prinzip der Herrschaft auf Zeit).
- Die Entscheidungen der Mehrheit sind maßgebend und müssen von der Minderheit akzeptiert werden. Die Minderheit hat eine reelle Chance, ihre Argumente vorzutragen und in den Entscheidungsprozeß einfließen zu lassen (Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz).
- Bereits im Vorfeld des staatlichen Entscheidungsprozesses haben alle Bürger und Gruppierungen die Möglichkeit, ihre Vorstellungen und Interessen geltend zu machen und für sie zu werben. Die Grundrechte der Meinungsfreiheit, der Informationsfreiheit, der Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit sind damit nicht nur liberale Freiheitsrechte, sondern auch demokratische Mitwirkungsrechte (Prinzip der politischen Meinungs- und Betätigungsfreiheit).
Erklärt Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 GG das Demokratieprinzip für unantastbar, sind damit diese Prinzipien gemeint, die zeigen, dass Demokratie und Rechtsstaat in untrennbarem Zusammenhang stehen, sich ergänzen und stützen: Es gibt keine Demokratie ohne rechtsstaatliche Ordnung und ohne Gewährleistung der Freiheitsrechte. Umgekehrt ist ein Rechtsstaat ohne Gewährleistung der demokratischen Freiheitsrechte nicht denkbar.
Demokratie, Republik, Monarchie: Eine Abgrenzung
Immer wieder zu Schwierigkeiten führt die Abgrenzung von Demokratie zur Republik und zur Monarchie. Hier sind zwei Bedeutungsebenen zu unterscheiden: Die Begriffe Monarchie und Republik geben Auskunft über das Oberhaupt eines Staates, also das Organ, das an seiner Spitze steht. Die Monarchie bestimmt das Staatsoberhaupt nach familien- und erbrechtlichen Regelungen, also nach dynastischen Gesichtspunkten (z. B. Großbritannien, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Spanien, Schweden). Die Republik hat keinen Monarchen, ist also in erster Linie eine »Nicht-Monarchie«. An ihrer Spitze steht ein Präsident – gewählt oder selbst ernannt (z. B. BRD, Frankreich, Schweiz, USA, Russland).
Die zweite Bedeutungsebene betrifft die Frage, wer Inhaber der Staatsgewalt ist: Geht die Staatsgewalt vom Volke aus, handelt es sich um eine Demokratie. Tut sie dies nicht, handelt es sich um eine Schein-Demokratie, um Diktatur. Demokratie und Monarchie sind daher kein Gegensatz, sondern können sich überschneiden. So ist beispielsweise England eine Monarchie, weil das Staatsoberhaupt dynastisch bestimmt wird, zugleich aber auch eine Demokratie, weil die Staatsgewalt beim Volk, vertreten durch das Parlament, liegt. Man spricht in diesem Fall auch von parlamentarischer Monarchie.
Zur besseren Veranschaulichung kann es helfen, sich die Begriffe Monarchie und Republik als Häuser vorzustellen, weil sie gleichsam die Statik eines Staates bilden. Demokratie und Diktatur sind demgegenüber vergleichbar mit dem Geist, der – vielleicht nur vorübergehend – in ihnen wohnt.
Praxisübung
Finden Sie für jedes Kästchen drei Beispiele bestehender oder ehemaliger Staaten:
Rechtsstaatlichkeit
Das Rechtsstaatsprinzip wird in Art. 20 Abs. 1 GG, der die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen benennt, nicht ausdrücklich erwähnt. Allerdings findet sich seine Erwähnung oder seine Ausprägung in vielen anderen Normen des Grundgesetzes – in:
- Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG (Bindung der Länder an die Grundentscheidungen des Grundgesetzes)
- Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG (Mitwirkung der BRD in der EU)
- Art. 1 ff GG (Grundrechte mit Menschenwürdegarantie)
- Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsbindung der gesamten Staatsgewalt)
- Art. 20 Abs. 2 GG (Gewaltenteilung)
- Art. 19 Abs. 4 GG (Rechtsschutzgarantie)
- Art. 34 GG (Staatshaftung)
- Art. 101 ff GG (prozessuale Grundrechte).
Zum einen ist das Rechtsstaatsprinzip der Sammelbegriff für all diese Einzelnormen, zum anderen hat der Begriff aber auch seine eigenständige Bedeutung: So ist er Auslegungsrichtlinie für die gesamte Verfassungs- und Rechtsordnung und kommt auch im konkreten Fall immer dann zur Anwendung, wenn und soweit konkrete Regelungen fehlen.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Aus dem Rechtsstaatsprinzip wird außerdem das wichtige Verhältnismäßigkeitsprinzip – auch Übermaßverbot genannt – abgeleitet. Für alle Eingriffe der öffentlichen Gewalt in Rechte des Einzelnen gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Gesetzgebende Gewalt, öffentliche Verwaltung und Justiz sind an ihn gebunden. Alle Gesetze, gerichtlichen Entscheidungen und Verwaltungsakte müssen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz i.w.S. bedeutet, dass all diese Maßnahmen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig i.e.S. (= angemessen) sein müssen.
Was bedeutet das genau? Eine Maßnahme muss zunächst geeignet sein, das angestrebte Ziel zu erreichen (Grundsatz der Geeignetheit). Ferner hat die öffentliche Gewalt unter mehreren geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt (Grundsatz der Erforderlichkeit oder Notwendigkeit). Ferner muss eine Maßnahme, obwohl sie geeignet und erforderlich wäre, dennoch unterbleiben, wenn die dadurch zu erwartenden Nachteile für den Betroffenen außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen, wenn sie also nicht angemessen ist. Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz führt zur Rechtswidrigkeit der betreffenden Maßnahme, bei Gesetzen zur Nichtigkeit.
Praxisübung
Wäre ein Gesetz, demzufolge alle Kinder ab dem sechsten Lebensmonat zur Förderung von gleichen Bildungschancen der Pflicht zum Besuch einer Kinderkrippe unterliegen, verhältnismäßig?
Sozialstaatlichkeit
Das Sozialstaatsprinzip ist verankert in Art. 20 Abs. 1 GG und garantiert, dass jeder Bürger einen Anspruch auf einen angemessenen Lebensstandard und ein menschenwürdiges Leben hat. Vorrangige Ziele eines Sozialstaates sind die Hilfen gegen Not und Armut, die Vorhaltung einer angemessen Daseinsvorsorge, die Mehrung sozialer Gerechtigkeit durch Verminderung großer Wohlstandsdifferenzen und die Sicherung gegen die typischen Risiken einer...