Die geschichtlichen Wurzeln
„Yaliyopita, yamepita, yaliyobaki, tuyatupe.“ „Was vergangen ist, ist vergangen; das, was von heute übrig ist, lass uns wegwerfen.“
(Sprichwort aus Tansania)
Die Wiege der Menschheit
Viele Reisende legen auf halbem Weg zwischen Arusha und der Serengeti in der trockenen und staubigen Savanne bei der Oldupai Gorge (üblicherweise auch als Olduvai Gorge bezeichnet) eine mehr als willkommene Rast ein – aber nicht wegen der geschichtlichen Bedeutung der Schlucht, sondern vielmehr um sich nach der langen Autofahrt die Beine zu vertreten und das arg strapazierte Sitzfleisch zu entlasten. So kommt dieser landschaftlich wenig liebliche Landstrich dennoch zu beeindruckenden Besucherzahlen.
Nichts an der Oldupai Gorge, die versteckt mitten im wunderbaren Great Rift Valley liegt, ist wirklich spektakulär – weder die Schlucht noch die goldbraune Savanne noch das kleine Museum. Nur seine historische Tragweite beschert dem unscheinbaren Ort internationale Anerkennung, nämlich dass vermutlich von diesem Landstrich ausgehend der Homo erectus seinen weltweiten Siegeszug angetreten hat.
Das sogenannte Great Rift Valley, der Große Afrikanische Grabenbruch, erstreckt sich über eine Distanz von mehr als 6000 km von Syrien bis nach Mosambik. Er entstand durch tektonische Aktivitäten der Erdkruste. Während die Bruchkante von wenigen Hundert bis zu einigen Tausend Metern vom Talboden aufragt und somit ein lohnenswertes Fotomotiv darstellt, hat das Gebiet des Grabenbruchs als Fundort zahlreicher anthropologischer Funde Bedeutung erlangt. Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass hier Frühformen des modernen Menschen lebten. In der Oldupai Gorge beispielsweise fand das Wissenschaftlerehepaar Mary und Louis Leakey hominide Spuren, die über 3,7 Mio. Jahre alt sein dürften. Ähnliche Fossilien, die gar als älter gelten, wurden unweit davon entdeckt, in Westkenia oder Äthiopien. All diese Funde gelten als Indikatoren für die heute kaum mehr umstrittene Out-of-Africa-Theorie, der zufolge sich sowohl der Homo erectus als auch der Homo sapiens von Afrika aus in der Welt verbreitet hat. Deshalb wird insbesondere der ostafrikanische Raum gern als „Die Wiege der Menschheit“ bezeichnet.
Sensationsfunde wurden nicht nur aus dem Great Rift Valley gemeldet, sondern auch aus anderen Landesteilen. So entdeckte man bei Isamila (nähe Iringa) Steingerätschaften, die vermuten lassen, dass dort bereits vor 200.000 Jahren Hominide lebten. Während halb Europa noch unter einer Eisdecke schlummerte, produzierten die damaligen Bewohner im heutigen Siedlungsgebiet der Hehe bereits äußerst effektive Steinwaffen. Seit Ende der 1960er-Jahre wurden hier Tausende von Objekten freigelegt, hauptsächlich Steinkeile und -äxte. Hinzu kommen Fossilien längst ausgestorbener Tiergattungen, z. B. eines archaischen Flusspferdes oder einer Giraffe mit kurzem Hals. Damit zählt Isamila zu den bedeutendsten Steinzeitfundorten Afrikas und die Fundstücke gehören zu den ältesten aus dieser Periode der Menschheitsgeschichte.
Extrainfo 1 (s. S. 8): Virtueller Besuch bei den einzelnen Ausgrabungsstätten in der Oldupai Gorge, die für Besucher nicht zugänglich ist
Auch die Felsmalereien von Kondoa Irangi (Zentraltansania) deuten darauf hin, dass die heutige Menschenspezies vor etwa 10.000 Jahren schon existiert haben muss. Die wenig erforschten und selten besuchten Kolo Rock Paintings südlich von Babati, die 2006 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurden, befinden sich in einigen Hundert Höhlen und an Felswänden an den westlichen Hängen des Great Rift Valley. Der Großteil der kartierten Felsmalereien zeigt Menschen (als Strichmännchen stilisiert) auf der Jagd und Wildtiere, darunter Elenantilopen, Riedböcke, Kudus oder Elefanten. Ebenso häufig kommen Abbildungen der für die Gegend typischen Wolfsmilchgewächse vor. Über das Alter der Malereien herrscht Uneinigkeit. Die Schätzungen reichen von 1500 bis sogar 6.000–10.000 Jahren, gesicherte Beweise gibt es jedoch keine. Die Höhlen spielen heute noch eine bedeutende Rolle in den Ritualen der Hadza und der Sandawe (siehe dazu auch das Kapitel „Die letzten Buschmänner: die Hadza“).
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Der Große Ostafrikanische Grabenbruch gilt als Wiege der Menschheit
Die Jahrhunderte der Fremdherrschaft (1502–1919)
„Mtaka nyingi nasaba, hupata mingi misiba.“
„Wer mit seiner Abstammung prahlt,
wird selbst viele Probleme bekommen.“
(Sprichwort aus Tansania)
Schon früh hatte sich im heutigen Bundesgebiet von Tansania ein buntes Vielvölkergemisch gebildet, das hauptsächlich von zwei großen Gruppen beherrscht wurde: den muslimisch dominierten Swahili an der Küste und auf den Inseln und den diversen Bantu-Völkern aus Nigeria und Kamerun im Hinterland. (Siehe dazu auch die Kapitel „Kiswahili – der kleinste gemeinsame Nenner“ und „Ein Potpourri aus Ethnien und Sprachen“.)
Die portugiesische Schreckensherrschaft (1502–1698)
Erst mit dem Aufschwung in der kommerziellen Schifffahrt im 15. Jh. gelangte Afrika in das Bewusstsein der europäischen Wirtschaftstreibenden und Politiker. Von jeher war den Europäern der Seeweg nach Indien durch die arabisch-islamische Präsenz im Indischen Ozean abgeschnitten. Möglichkeiten, diese wirtschaftliche und religiöse Dominanz zu unterbrechen, mussten gefunden werden. Afrika von der westlichen Seite zu umschiffen, um über Südafrika und das Kap der Guten Hoffnung nach Ostafrika und schließlich nach Indien zu segeln, war eine davon. 1487/88 gelang dies dem portugiesischen Seefahrer Bartholomäo Diaz. Aber erst 1498 steuerte der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama als erster Europäer die kenianischen Häfen Mombasa und Malindi an. Die überwältigende Gastfreundschaft der Einheimischen ließ die Seefahrer schwer beladen mit Geschenken und exotischen Waren zurück nach Europa segeln, wo sie für einige Furore sorgten. Es dauerte nicht lange, bis die Seemacht Portugal die Herrschaft in Ostafrika gierig an sich zu reißen begann.
Als der umtriebige Vasco da Gama 1502 seinen Fuß auf die florierende Stadt Kilwa im Süden Tansanias setzte, hatte der Ort bereits über 500 Jahre Handel und Wohlstand erlebt. Schon im Jahr 1331 hatte sich der marokkanische Gelehrte Ibn Battuta in seinem Reisebericht von der Schönheit, der Macht und vom Prunk der Stadt außerordentlich angetan gezeigt. Wie überwältigend muss da erst der Anblick all des Reichtums für die nach einer monatelangen entbehrungsreichen Überfahrt ausgezehrten Seemänner gewesen sein! Bei den Stadtbewohnern sorgten die fremden, hellhäutigen Menschen für Verwunderung, zumal der Zweck ihrer langen Reise offensichtlich nicht der Handel war. Die Seeleute wurden in den kühlen Steinhäusern mit ihren dicken Mauern willkommen geheißen, man kredenzte ihnen auf feinstem chinesischen Porzellan würzige Speisen und gab ihnen kühlende Seide für die schwüle Hitze der Nacht. Den überheblichen Portugiesen, der Seemacht par excellence, war so viel Reichtum fast schon zuwider – vor allem weil es nicht der eigene war.
Die Wirtschaft Portugals war bereits seit dem 13. Jh. importorientiert gewesen, das Land konnte sich praktisch nicht selbst ernähren. Wirtschaftliche Überlegungen – marode Staatsfinanzen und eine verarmte Bevölkerung – veranlassten die Portugiesen dazu, sich neue Handelspartner und Hoheitsgebiete zu sichern. Der anfängliche Versuch, Handel mit den afrikanischen Küstenstädten zu treiben, scheiterte kläglich, denn die portugiesischen Waren standen hier nicht hoch im Kurs. Also verlegten sich die Portugiesen auf kriegerische Invasionen, bei denen sie nicht gerade zimperlich vorgingen. Wenn sie eine Stadt enterten, dann wurde geplündert, gemordet und gebrandschatzt. Die militärische Überlegenheit durch Feuerwaffen machte sie praktisch unbesiegbar und die Küstenstädte waren alsbald unter ihrer Kontrolle. Überdies führten die Portugiesen ein Steuersystem ein, das die wirtschaftliche Kraft der ostafrikanischen Städte noch zusätzlich schmälerte.
Wegen der militanten Portugiesen verlegten die einheimischen Händler ihre Handelsrouten ins Landesinnere, woraufhin der Küstenhandel fast vollständig zusammenbrach. Die hohen Zölle und der Rückgang des Handels führte zur Verarmung der Küstenstädte; die Ausbeute der Portugiesen sank zusehends. Genau 200 Jahre sollte die Oberhoheit der Portugiesen an den ostafrikanischen Gestaden andauern. Sie endete in einem ökonomischen Supergau für die einst...