Wichtige Aspekte der Anatomie des Pferdekopfes
(Zeichnung: Susanne Retsch-Amschler)
Die Löcher im Cranium, aus denen Nervenbündel austreten, sind sehr empfindliche Stellen.
Ganz wichtig ist es für alle Reiter, die gern gebisslos reiten möchten, sich die Bereiche der Gesichtsnerven und Muskeln anzusehen und einzuprägen. Das Band, das um den Pferdekopf gespannt wird, darf nicht auf den sehr empfindlichen Nervenbündeln liegen, die in der Nähe des Jochbeins in Richtung Nasenrücken aus dem Schädel heraustreten. Das Loch kann man deutlich auf dem Bild sehen.
Daher kommt übrigens die bekannte Regel, dass Reithalfter zwei bis drei Fingerbreit unter dem Jochbein liegen sollten. Das Reithalfter oder der Nasenriemen liegen jedoch immer auf den Gesichtsnerven auf, und von daher sollten wir versuchen, scharfe ruckartige Signale auf jeden Fall zu vermeiden.
Die Öffnung der Nüstern führt weit hinauf Richtung Nasenrücken. Das Pferd öffnet bei physischer Belastung mithilfe von verschiedenen Gesichtsmuskeln die Nasenlöcher ganz weit und bläht die Nüstern auf, um mehr Luft in die Lungen strömen lassen zu können.
Diese Muskeln können nur eingeschränkt arbeiten, wenn ein eng geschnallter Riemen anliegt, da die Muskeln sehr dicht am Knochen liegen. Am meisten behindert jedoch ein tief liegendes Halfter die Atmung, da an dieser Stelle nur noch ein weicher Knorpel sitzt und die Nasenlöcher trichterförmig bis weit oben ausgeweitet werden. Dies ist mit einem zu tief liegenden engen Halfter oder Kappzaum nicht möglich.
Ausweiten der Nüstern. (Foto: Ute Lehmann)
Knochen und Bindegewebe, Gelenke
Der Ausläufer des Nasenbeins ist dünn und zerbrechlich. Es werden häufiger Frakturen vorgefunden, die von zu strammen Sperrhalftern oder anderen Nasenriemen, mechanischen Hackamores und so weiter stammen. Das Kiefergelenk ist in entspanntem Zustand leicht geöffnet, das bedeutet, dass die obere und untere Zahnreihe sich nicht berühren. Um die Zähne aufeinanderzupressen, muss das Pferd die Muskeln um das Kiefergelenk anspannen. Verschnallen wir das Halfter zu eng, bedeutet das permanenten Stress für das Kiefergelenk. Die Muskeln werden müde und verspannen sich. Das überträgt sich in die Genick- und Halsmuskulatur.
Wir können das selbst ausprobieren: Versuchen wir einmal nachzuspüren, ob sich unsere Zahnreihen berühren, wenn wir ganz entspannt dasitzen und tief ein- und ausatmen: Dann sollte der Kiefermuskel sich entspannen und ein wenig Zwischenraum zwischen den Zähnen lassen. Wenn wir jetzt die Zähne fest aufeinanderpressen und das Kinn Richtung Brust rollen, entsteht nach kurzer Zeit eine unangenehme Spannung im Nacken.
Der Nasenriemen muss daher unbedingt erlauben, dass Platz zwischen der oberen und unteren Reihe der Schneidezähne ist. Ein herzhaftes Gähnen ist übrigens selbst mit korrekt verschnallten Halftern und gebisslosen Zäumungen nicht möglich – da muss statt den üblichen zwei Fingern (Minimum!) zwischen Nasenband und Nasenrücken mindestens eine ganze Hand hineinpassen. Das Gähnen ist wiederum möglich beim Reiten mit Trense ohne Sperrhalfter. Auch bei korrekt verschnalltem Kappzaum in diesem Beispiel kann das Pferd das Kiefergelenk zum Gähnen nicht ausstrecken.
Obwohl dieses weiche Lederpluvinel korrekt verschnallt ist …
… erlaubt es nur ein begrenztes Öffnen des Kiefergelenks (bemerke den schmalen Raum zwischen den hinteren Backenzähnen).
So weit öffnet ein Pferd das Maul zum Gähnen!
In der Mitte des Nasenbeins als feine Linie sichtbar: die Bindegewebsnaht Sutura internasalis. (Zeichnung: Susanne Retsch-Amschler)
Betrachtet man das Nasenbein anatomisch, wird deutlich, dass es aus zwei nebeneinanderliegenden Knochen besteht, die durch eine Form von Bindegewebe zusammengesetzt sind. Untersuchungen zeigen, dass diese Bindegewebsnaht (Sutura internasalis) in manchen Fällen durch eine sehr kräftige seitliche Zügeleinwirkung aufreißen kann, wodurch die zwei Seiten teilweise separiert werden können. Das ist sehr schmerzhaft für das Pferd, und das Nasenbein ist über längere Zeit instabil. Dieser Schaden ist nicht erkennbar auf Röntgenbildern und wird daher offenbar oft nicht weiter berücksichtigt. Sollte das Pferd unter wiederkehrenden Nasennebenhöhleninfektionen leiden, kann ein Schaden oder eine Blockade in diesem Bereich vorliegen, die beispielsweise osteopathisch behandelt werden sollte.
Damit wird noch einmal deutlich, dass wir auch sehr vorsichtig mit dem Druck auf den Pferdekopf von außen umgehen müssen – und im Zweifelsfall immer lieber ein bisschen langsamer vorgehen!
Die Laden sind die freien Bereiche zwischen den Schneide- und den Backenzähnen. Hier ist der Unterkiefer von oben vorne zu sehen. Deutlich treten die scharfen Kanten der Laden hervor.
Das Halfter drückt die empfindliche Backenschleimhaut gegen die obere Zahnreihe, die nach außen hin oft Zahnspitzen aufweist.
Maul
Wie wir heute wissen, ist die Anatomie in den Pferdemäulern genauso individuell wie das Äußere. Allein schon die Zunge kann unterschiedlich breit und dick sein, was einem Gebiss im Mund mehr oder weniger oder eben gar keinen Platz lässt. Auch die Laden des Unterkiefers sind manchmal sehr eng oder breit und oft scharfkantig, was die Einwirkung des Gebisses sehr unangenehm machen kann.
Einige Tierärzte und Zahnspezialisten empfehlen daher, die Anatomie des Pferdemauls am sedierten Pferd zu untersuchen, da das Maul hier komplett entspannt ist und das Pferd keine Kaubewegungen macht. So kann die Form, Größe und Lage des Gebisses individuell angepasst werden, oder es wird festgestellt, dass eine gebisslose Zäumung die beste Lösung für das Pferd ist.
Oft wird gesagt, dass man in der Zeit des Zahnwechsels gebisslos reiten sollte, um das Maul zu schonen. Hier möchte ich Folgendes zu bedenken geben: Es ist wichtig zu berücksichtigen, wann das junge Pferd die Backenzähne wechselt: Beim Wechsel der Backenzähne werden die Milchzähne als Kappen von den bleibenden Zähnen he-rausgeschoben. Selbst wenn keine Kappe hängen geblieben ist oder sich verkeilt hat, kommen die neuen, bleibenden Zähne doch mit sehr scharfen Kanten heraus und können Wunden in der Backenschleimhaut verursachen, wenn von außen ein Halfter dagegendrückt.
Die bunten Pfeile zeigen den Zahnwechsel. Die grauen Pfeile zeigen auf die Backenzähne, die keine Milchzähne als Vorläufer haben.
Der Wechsel der Backenzähne verläuft normalerweise zwischen zweieinhalb und fünf Jahren. In dieser Periode ist eine halbjährliche Kontrolle anzuraten, da hängengebliebene Milchzahnkappen zu Zahnstellungsproblemen führen können.Im Alter von circa zweieinhalb Jahren wechseln die vordersten Schneidezähne und die ersten Backenzähne, mit circa drei Jahren die zweiten Backenzähne, mit circa dreieinhalb Jahren die zweiten Schneidezähne und die dritten Backenzähne, und mit circa viereinhalb Jahren die dritten Schneidezähne. Wie auf dem Foto zu sehen ist, ist besondere Rücksicht geboten in der Zeit des Wechsels vom ersten und zweiten Backenzahn, da ein Halfter oder gebissloses Kopfstück dort anliegen wird.
Ich habe jedoch auch erlebt, dass Pferde – wie kleine Kinder – vom Zahnwechsel generell beeinträchtigt sind, und achte immer darauf, ob eine etwaige Unwilligkeit des jungen Pferdes eventuell daher kommt. Im Zahnwechselalter passiert sehr viel im Pferdemund, und wir dürfen das Pferd in dieser Zeit nicht überfordern. In der Wechselperiode, die mithilfe eines Tierarztes oder eines Pferdedentalpraktikers bestimmt werden kann, kann es ein Vorteil sein, das junge Pferd statt gebisslos lieber mit einer weichen einfachen Trense zu reiten – aber ohne Sperrhalfter.
Alle Pferde, die mit Halftern oder Trensen gearbeitet oder auch nur geführt werden, sollten regelmäßig zur Zahnpflege – im Durchschnitt mindestens einmal pro Jahr. Es ist übrigens ein Mythos, dass Pferde, die gebisslos geritten werden, keine Zahnpflege brauchen. Ich würde fast das Gegenteil behaupten: Viele Wunden im Pferdemaul werden durch die Zahnspitzen der oberen Zähne verursacht, wenn Druck von außen an die Pferdebacken kommt.
Ich habe eine Bekannte, die viele Jahre in der Überzeugung gebisslos geritten ist, dass sie damit dem Pferd nicht wehtun würde. Leider hatte sie das Sidepull nicht weit genug geschnallt und dem Tierarzt vertraut, der meinte, dass...