3. Reverse Charge bei spezifischen Bauleistungen laut Artikel 17 Absatz 6 Buchstabe a-ter) DPR 633/72
3.1 Allgemein
Das Haushaltsgesetz 2015, Artikel 1 Absätze 629 und 631 Gesetz Nr. 190 vom 23. Dezember 2014, hat die Anwendung der Umkehr der Steuerschuldnerschaft auf eine ganze Reihe von Leistungen ausgedehnt. Für folgende Bereiche muss die MwSt künftig vom Leistungsempfänger erfasst werden:
- bestimmte Bauleistungen;
- im Bereich Energie;
- Handel von Paletten.
In diesem Buch gehe ich auf die Anwendung der Reverse Charge3 Regelung im Bereich Bauwesen und bei Reinigungsdienstleistungen ein.
3.2 Definition „Gebäude“
Zunächst erscheint es unerlässlich, den Begriff „Gebäude“ im Sinne des in diesem Buch beschriebenen Gesetzes zu definieren. Dies ist notwendig, da die Umkehr der Steuerschuldnerschaft nur dann anzuwenden ist, wenn es sich um Leistungen an einem Gebäude handelt.
Eine mögliche Definition gibt uns die Finanzverwaltung im Entscheid Nr. 46/E/1998, in welchem die Finanzverwaltung auf ein Rundschreiben des Ministeriums für öffentliche Arbeiten verweist und festlegt, dass
„als Gebäude und Bauwerk jeder Bau mit Dach zu verstehen ist, der von Straßen [Wegen usw.] oder freien Räumen oder von anderen Gebäuden durch Mauern, welche ohne Unterbrechung vom Fundament bis zum Dach reichen, abgetrennt sind, die über einen oder mehrere Zugänge von der Straße aus verfügen und über eine oder mehrere unabhängige Treppen verfügen können.“4
Laut dieser Definition sind sowohl zivile Bauten wie Wohnungen, Häuser usw. von der Regelung betroffen, als auch gewerbliche Gebäude wie Hallen, Handwerksgebäude, Gebäude für Handel usw. aber auch Teile davon, wie beispielsweise ein Raum oder eine Wohnung.
Die Begriffsbestimmung gilt für bestehende, für neue und für im Bau befindliche Gebäude.
3.3 Abgrenzung Werkvertrag vs. Lieferung mit Montage
Die Unterscheidung des zugrundeliegenden Rechtsgeschäftes ist absolut unerlässlich für die korrekte Anwendung der Bestimmungen. In der Praxis ist die Unterscheidung teilweise nicht einfach. Es gibt aber den folgenden Grundsatz: Ausschlaggebend ist die Absicht der Parteien. Dies wird in der Rechtsprechung und auch in der Praxis der Agentur der Einnahmen immer wieder betont.
Der Unternehmerwerkvertrag („contratto d’appalto“) ist in Art. 1655 ZGB wie folgt definiert:
„Der Unternehmerwerkvertrag ist der Vertrag, mit dem eine Partei die Ausführung eines Werkes oder die Leistung eines Dienstes unter organisiertem Einsatz der notwendigen Mittel und auf eigene Verantwortung um eine Gegenleistung in Geld übernimmt.“
Die wichtigsten Merkmale dieses Vertrages sind:
- Ausführung durch einen Unternehmer;
- Errichtung einer spezifischen betrieblichen Organisation für die betreffende Arbeit (im Gegensatz zur Lieferung von Standardprodukten);
- das Ergebnis ist die Errichtung eines Werkes oder einer Leistung (und nicht die Lieferung eines Gegenstandes);
- die Übernahme eines unternehmerischen Risikos mit Bezug auf Ergebnis und Entgelt (im Gegensatz zur unselbständigen Arbeit).
Wichtig und wesentlich ist aber die Abgrenzung zum Liefervertrag, insbesondere zur Lieferung mit Montage. Gegenstand des Unternehmerwerkvertrages ist ein bestimmtes Ergebnis, Gegenstand des Liefervertrages ist dagegen die Übergabe eines bestimmten Gegenstandes (in der Regel ein Standardprodukt), wobei die Montage oder kleinere Adaptierungen lediglich eine Nebenleistung darstellen und sich der Gegenstand durch die Montage bzw. die entsprechende Leistung grundsätzlich nicht verändert.
Im Werkvertrag haftet der Unternehmer für das Erreichen eines bestimmten Ergebnisses, im Liefervertrag für die Übergabe des Gegenstandes bzw. des Produktes. Der Werkvertrag wird in der Regel durch Handwerks- oder Industrieunternehmen abgeschlossen, der Liefervertrag dagegen durch Handelsunternehmen.
Beispiel: Ein Küchenstudio liefert eine Standardküche und montiert diese (Lieferung mit Montage); eine Tischlerei fertigt auf Maß eine Küche und baut diese ein (Werkvertrag).
Wichtig: Für die zivilrechtliche Einordnung der Verträge ist die Absicht bzw. der Wille der Parteien maßgebend. Es besteht grundsätzlich zwar Freiheit in der Vertragsgestaltung, dies bedeutet aber nicht, dass man durch die einfache, formelle Benennung eines Vertrages die Substanz desselben ändern oder verdecken kann.
In der Praxis wird als „objektiver Parameter“ zur Unterscheidung zwischen beiden Vertragsarten vielfach der Wert der Leistung und jener der verwendeten Gegenstände herangezogen und verglichen. Überwiegt die Leistung, geht man von einer Dienstleistung aus, überwiegt jener der Gegenstände, spricht man von einer Lieferung. Es handelt sich aber nur um eine erste grobe Orientierung, die jedoch nicht hinreichend ist. Dies wurde in verschiedenen Stellungnahmen der Agentur der Einnahmen immer wieder klargestellt. Ausschlaggebend sind der Gegenstand des Vertrages bzw. der Vereinbarung und die entsprechende Absicht der Parteien über das Ergebnis.
Eine erste Aussage der Finanzverwaltung wurde bereits mit Ministerialentscheid Nr. 360009/1976 getroffen. Grundsätzlich wird darin, unter Bezug auf das Kassationsgerichtsurteil Nr. 507 vom 17.02.1958, festgehalten, dass auf die Absicht der Vertragsparteien abzustellen ist. Es muss geprüft werden, ob für die Parteien die Leistung „fare“ oder die Lieferung „dare“ im Vordergrund stehen. Bei Lieferung von Heizanlagen, Klimaanlagen, Waschanlagen, Küchen, Fenster und Türen, Böden usw., geht man grundsätzlich von einer Lieferung mit Montage bzw. Einbau aus, soweit diese vom Hersteller oder vom Händler durchgeführt werden, soweit die Vertragsparteien nicht vereinbart haben, etwas Neues „quid novi“ im Verhältnis zur üblichen Produktion zu schaffen. In letzterem Fall steht dann die Leistung im Vordergrund, da wesentliche Elemente eines Werkvertrages, wie die persönliche Leistung „intuitus personae“ und das unternehmerische Risiko, vorhanden sind.
Erwähnenswert sind weiters die Entscheide Nr. 148/E/2007 und Nr. 220/E/2007 der Agentur der Einnahmen. Im ersten Entscheid werden die erwähnten allgemeinen Grundsätze dargelegt; im Zweiten geht es um eine Handelsfirma, die üblicherweise Gipstrennwände und -decken verkauft und in einem Vertrag für ein Bauunternehmen die Errichtung von Innenwänden übernommen hat. In der Antwort der Agentur kommt sie zum Schluss, dass es sich dann um einen Unternehmerwerkvertrag handelt (und folglich der Übergang der Steuerschuldnerschaft gilt): Gegenstand des Vertrages ist nämlich nicht die Lieferung einer bestimmten Menge an Gipsplatten und –decken, sondern das Schaffen von etwas Neuem, nämlich einer fertigen Innenraumteilung von Räumen und Decken5.
Ähnliche Überlegungen (mit umgekehrtem Ergebnis) findet man auch in einem EuGH-Urteil über die Verlegung eines Unterwasser-Kabels, in welchem es um die Frage ging, ob es sich um Lieferung mit Montage oder Dienstleistung handelt (C-111/05 vom 29. März 2007). Man kommt in diesem Fall zum Ergebnis, dass es sich um eine Lieferung mit Montage handelt, auch wenn die Verlegungsarbeiten überwiegen. Durch die Verlegung entsteht nämlich nicht ein neuer Gegenstand.
Ein weiterer Versuch einer Klärung findet sich auch im Rundschreiben 37/E/2015 Punkt 3, in dem zudem auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes6 verwiesen wird. In dieser wird festgehalten, dass man zwar den Wert der Arbeiten im Verhältnis zum Wert der gelieferten Gegenstände beachten muss, der objektiv erscheint, dass dies jedoch nicht von entscheidender Bedeutung für die richtige Klassifizierung ist.
Die Unterscheidung ist nicht immer leicht. In Zweifelsfällen empfiehlt es sich, eine genaue Vertragsgestaltung mit entsprechenden eindeutigen Klauseln zu wählen, wobei immer die Substanz zu bevorzugen ist.
3.4 Sachlicher Anwendungsbereich
Von der Regelung betroffen sind grundsätzlich bestimmte Arbeiten an einem Gebäude, wie im folgenden Absatz definiert. Ausgeschlossen sind Arbeiten an anderen Bauwerken, wie z.B. Brücken, Straßen, Parkplätzen, Kanälen usw. Von der Regelung ebenfalls nicht betroffen sind Arbeiten an Grundstücken, Schwimmbädern oder Gärten, außer diese bilden Bestandteil eines Gebäudes.
Beispiel: Arbeiten an auf dem Dach oder im Gebäude befindlichen Schwimmbäder, Gärten oder Photovoltaikanlagen sind von der Regelung betroffen7.
Nicht betroffen davon sind Arbeiten an Maschinen und Anlagen, die fest mit dem Gebäude verbunden sind, wie Beispielsweise Turbinen von Wasserkraftwerken, Kühlanlagen, im Boden verankerte Maschinen...