Prolog:
Can’t believe it’s True
14. Juni 1995. Ein schwarzer Tag für den Blues. Einer von diesen Tagen, die einem förmlich ins Gedächtnis eingebrannt sind und die durch nichts wieder gelöscht werden können. Auch rund zehn Jahre später ist mir noch jeder Augenblick so lebhaft im Gedächtnis, als hätte ich es erst gestern durchlebt.
Es war ohnehin schon ein ungewöhnlicher Tag für mich, da ich in meinem Haus im Osten Londons im Garten arbeitete. Ich habe auch so nicht den Ruf, ein großartiger Gärtner zu sein, aber ich war so sehr damit beschäftigt gewesen, mit Nine Below Zero unser Album Ice Station Zebro aufzunehmen, dass ich alle Hausarbeiten hatte zurückstellen müssen. Vor allem der Garten hatte darunter gelitten. Und so war ich damit beschäftigt, mich im frühsommerlichen Sonnenschein durch das Gestrüpp zu kämpfen, das überall wucherte, als meine Frau Coral mir zurief, da sei ein Anruf für mich. Froh darüber, eine Pause machen zu können, ging ich ins Haus und griff nach dem Hörer. Sofort erkannte ich die Stimme von Phil McDonnell, dem Tontechniker und Roadmanager der Rory Gallagher Band von 1977 bis 1986. Irgendetwas hatte ihn offenbar sehr in Aufregung versetzt.
„Gerry ... Gerry ... Phil hier.“ Er begann, fast unbeherrscht zu schluchzen.
„Phil? Was zum Teufel ist denn los?“
Phil atmete tief durch und brachte die Worte dann irgendwie heraus: „Gerry, Ute hat eben angerufen. Ihr Bruder Klaus hat sich bei ihr gemeldet und gesagt, dass er in Deutschland etwas davon gehört hat, dass Rory tot sein soll. Ich kann das überhaupt nicht fassen, Gerry. Rory ist tot.“
Ich gab mir alle Mühe, ihn zu beruhigen und seinen Worten einen Sinn zu geben, doch er befand sich in einem solchen Schockzustand, dass es mir einfach nicht gelingen wollte. Schließlich sagte ich, ich würde herumtelefonieren und mich bei ihm melden, wenn ich herausgefunden hätte, ob an der Geschichte etwas dran sei. Ich konnte es gar nicht glauben. Das konnte doch nicht stimmen, oder? Seit über zwei Jahren hatte ich mit Rory keinen richtigen Kontakt mehr, aber wir wussten alle, dass er krank war. Seine Gesundheit war schon Ende der 80er Jahre angegriffen gewesen, als ich mit ihm noch als sein Bassist auf Tour war. Lange Zeit war ich um ihn in Sorge gewesen, doch Rorys allgegenwärtiger Roadie Tom O’Driscoll hatte mich und Schlagzeuger Brendan O’Neill stets auf dem Laufenden gehalten. Brendan hatte zusammen mit mir 1990 Rorys Band verlassen, um bei Nine Below Zero einzusteigen. Tom kam oft auf ein Schwätzchen und ein Bier in die Matrix Studios, und bei einem seiner letzten Besuche ließ er uns wissen, dass es mit Rorys Gesundheit rasch bergab ging: Man hatte ihn für eine Lebertransplantation ins Krankenhaus gebracht, und es war nicht allzu gut um ihn bestellt. Ein paar Tage später schaute Tom dann aber wieder vorbei und berichtete, die Transplantation sei erfolgreich verlaufen. Rory müsse zur Beobachtung noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben, danach könne er dann nach Hause entlassen werden. Er sei auf dem Weg der Besserung und alles werde wieder gut. Was da in Deutschland als Meldung kursierte, konnte einfach nicht wahr sein.
Sofort versuchte ich, Rorys Bruder und Manager Donal zu erreichen, aber ich konnte ihn nicht erwischen. Über zwei Stunden bekam ich bei jedem Anruf nur ein Besetztzeichen, und je länger das anhielt, umso deutlicher wurde mir, dass wirklich etwas nicht stimmen konnte. Verrückt vor Sorge wählte ich alle paar Minuten wieder seine Nummer, bis sich endlich Donals Frau Cecilia meldete. Mit tränenerstickter Stimme bestätigte sie mir, dass Rory am Morgen im Londoner King’s College Hospital gestorben war. Alles schien bestens verlaufen zu sein, als überraschend eine Infektion auftrat und seine Leber versagte. Rory Gallagher war im Alter von gerade mal 47 Jahren gestorben.
Ich war am Boden zerstört. Es wollte mir einfach nicht in den Kopf, dass Rory nicht mehr da war. So ging es mir nicht bloß Tage, sondern viele Wochen nach dieser Nachricht. Der Verlust eines Freundes, eines Musikerkollegen, eines Landsmannes. Mir war, als sei ein Teil von mir selbst damit gestorben. Tränenüberströmt griff ich zum Hörer und rief Brendan an.
„Brendy, ich habe schreckliche Neuigkeiten.“ Er schien sofort zu wissen, was ich ihm sagen würde, und so saßen wir beide da, in Tränen aufgelöst, und sprachen darüber, wie unglaublich traurig Rorys Tod war. Jeder, der ihn gekannt und geliebt hatte, befand sich an diesem Tag in einer Art Schock.
Früh am nächsten Morgen erreichte mich ein Anruf von Tom O’Driscoll, den der Todesfall tief getroffen hatte. Er und Rory waren seit dessen Zeit bei der Fontana Showband Anfang der 60er Jahre praktisch unzertrennlich gewesen. Er erzählte mir, wie Rory gesundheitlich schon seit einer Weile immer mehr abgebaut hatte und wie schmerzhaft es gewesen war, ihn bei seinen letzten Auftritten auf der Bühne zu sehen. Bei einem seiner letzten Konzerte, das im Town & Country Club in London stattfand, begannen die Zuschauer ihn sogar auszubuhen, da er praktisch nicht mehr in der Lage war, die Songs zu spielen, die ihm doch eigentlich im Blut lagen. Es tat weh, sich vorzustellen, dass seine Karriere auf eine solche Weise zu Ende gegangen war. Ich war wütend auf das Publikum, das nicht begriffen hatte, dass da ein Mann auf der Bühne stand, der Hilfe und Mitgefühl brauchte, aber keine Buhrufe. Und ich war wütend auf die Menschen in seiner Nähe, die zugelassen hatten, dass er weiter auf die Bühne ging, obwohl er in ein Krankenhaus gehört hätte oder sich zumindest zu Hause hätte ausruhen und ärztlich versorgen lassen sollen. So wie ein alternder Boxer hatte Rory nicht erkannt, dass der Zeitpunkt zum Rückzug gekommen war. Stattdessen war er wieder und wieder in den Ring gestiegen. Es war einfach zu traurig.
Brendan und ich hatten gegen Ende unserer Zeit in seiner Band einige schlimme Tage miterlebt, aber nichts in dieser Art. Jeder von uns war bemüht, ihn dazu zu überreden, er solle sich helfen lassen, doch ich wusste nur zu gut, dass Rory Gallagher nicht der Typ war, der sich von irgendwem Ratschläge geben lassen wollte. Rückblickend kann man leicht sagen, dass irgendwer – ich eingeschlossen – mehr hätte tun sollen, um ihm zu helfen, als klar war, dass er große Probleme hatte. Ich weiß, Donal versuchte alles, um seinem Bruder zu helfen. Doch letztlich hing alles davon ab, dass Rory auch bereit war, sich helfen zu lassen – und das war genau das, was ihm immer am schwersten gefallen war.
Später an diesem Tag bekam ich endlich Donal ans Telefon, und wir versanken beide eine Weile in unserer Trauer. Donal war am Boden zerstört. „Das ist das Ende einer Ära, Gerry“, sagte er. Ich wusste, er hatte recht. Selbst heute kann ich kaum an diese Tage zurückdenken, ohne dass mir die Tränen kommen. Von 1971 bis 1991 war ich Rory Gallaghers Bassist und Freund – und von Rory selbst abgesehen die einzige Konstante auf all seinen 14 Erfolgsalben, die sich weltweit über 30 Millionen Mal verkauften. Rory und ich sind gemeinsam einige Male um die Welt gereist, und dank seines Einflusses und dem Respekt, den er als Musiker genoss, konnte ich mit einigen der besten Künstler in den größten und ruhmreichsten Hallen und Stadien spielen, die die Rockmusik kennt. Nicht schlecht für einen Jungen aus Belfast, dem offiziell nie gesagt wurde, dass er zur Band gehörte.
Aber so war Rory nun mal. Bis zum Schluss mochte er es, wenn die anderen im Dunkeln tappten. Es war gerade das, was ihn als Mensch und als Musiker so interessant machte. Und er war ein verdammt guter Musiker! Als Gitarristen sehe ich ihn immer in einer Reihe mit Jimi Hendrix, Eric Clapton und Jeff Beck zu ihren besten Zeiten. Dabei wich er niemals von seiner großen Liebe zum Blues ab, an den er genauso glaubte wie an alles, wofür der Blues stand. All seinen Erfolgen zum Trotz wurde ihm nie die Anerkennung und Wertschätzung zuteil, die ein Mann von seinem Talent mehr als verdient hatte. Er hätte viel größer sein können und sollen, als er es zu Lebzeiten war.
Mit ihm auf der Bühne zu stehen und zu spielen, war jedes Mal eine Lehrstunde. Wir gingen nie nach einer Setlist vor, es wurde nie darüber diskutiert, was wir spielen würden. Stattdessen setzte Rory ohne Vorwarnung zum nächsten Titel an, und Gnade einem Gott, wenn man nicht bereit war. Jeder Auftritt ging bis an die Grenzen, und oftmals bewegten wir uns dabei nahe an einem Desaster. Wenn wir schließlich nach der dritten oder vierten Zugabe die Bühne verließen, waren wir ausgepowert und schweißgebadet, begleitet vom tosenden Applaus seiner Fans, die ihn verehrten und nach dem Konzert mindestens so erledigt waren wie wir selber. Doch auch wenn wir diese Reaktionen überall auf der Welt erfuhren, war Rory mit seinem Auftritt nur selten wirklich zufrieden. Stattdessen trieb er uns und vor allem sich selbst zu immer neuen Höchstleistungen an, die sich am Rand zum Kollaps bewegten – und alles nur, weil er nach musikalischer Perfektion...