Nur selten wird die Erhaltung einer Rasse von Beginn an professionell betreut. Oft kommt es mit besten Absichten zu einer „Erhaltungszucht“ durch tierzüchterische Laien, bei der im Eifer der Erhaltungsambitionen kontraproduktiv vorgegangen wird: z.B. niemals geklärt und festgehalten wird, wie viele Tiere überhaupt noch vorhanden sind. Welche Einkreuzungen in der Vergangenheit bereits stattgefunden haben und wie viel ursprüngliches Genmaterial der zu erhaltenden Rasse überhaupt in den Tieren enthalten ist. Unüberlegten Anpaarungen der Tiere durch bemühte „Erhaltungszüchter“, denen aber jeglicher tierzüchterischer Hintergrund fehlt, führen nicht selten zu einer vermeidbaren Steigerung der Inzucht oder sogar in eine Inzuchtsackgasse, aus der es ohne massive Einkreuzungen populationsfremder Rassen keinen Ausweg mehr gibt.
Die Vielzahl an Erhaltungszuchtprogrammen, die derzeit allein in Deutschland durchgeführt werden, habe ich mit Informationen die durch Züchter im Internet zur Verfügung gestellt wurden in Tabelle 4 aufgeführt. Obwohl es meist zahlreiche Züchter sind, die sich an der Erhaltungszucht einer Rasse beteiligen, ist in dieser Tabelle jeweils nur ein Standort der Erhaltungszucht aufgeführt. Der aufgezeigte Standort ist bei weitem nicht der einzige und auch nicht zwangsläufig der bedeutendste Standort der Erhaltungszucht, sondern steht lediglich stellvertretend für die Vielzahl der engagierten Züchter, die sich an der Erhaltung dieser Rasse beteiligen.
Ein dauerhaft erfolgreiches Erhaltungszuchtprogramm beginnt mit einer ausführlichen Recherche der noch vorhandenen Restbestände und deren Geschichte bezüglich Abstammung, Einkreuzungen und Anpaarungen. Es muss geklärt werden, ein wie großer Genanteil der benannten Rasse in den vorhandenen Tieren noch enthalten ist, und ob dieser ausreicht, um ihn durch gezielte Selektion wieder zu vermehren, ohne einen zu hohen Inzuchtzuwachs zu verzeichnen. Auch notwendige Einkreuzungsentscheidungen für eine Steigerung der Heterogenität sollten gut überlegt sein und sich möglichst auf nah verwandte Populationen beschränken. Aber auch die Finanzierung eines solchen Zuchtprogramms, und die entsprechenden Vermarktungsmöglichkeiten müssen rechtzeitig überlegt sein.
Bevor ein entsprechendes Programm also gestartet werden kann, sollten all diese Dinge durchdacht und geplant werden, um dem Ziel eines Bestandes, welcher auf Grund seiner Größe und genetischen Variabilität in der Lage ist sich selbst zu erhalten, möglichst schnell und effektiv näher zu kommen.
Die Erhaltungszuchtprogramme, die anhand dreier verschiedener Rassen in diesem Kapitel eingehender betrachtet werden, unterscheiden sich sowohl in ihrer Geschichte als auch in den Zucht- und Nutzungsstrategien. Eins haben sie jedoch alle gemeinsam: sie sind erfolgreich.
Um ein Vergleichen der einzelnen Programme zu erleichtern, werde ich in den Unterkapiteln, soweit die teilweise leider sehr eingeschränkte Literaturlage es zulässt, jeweils übereinstimmende Themenbereiche bearbeiten.
Dazu gehört die Ausgangssituation für das Zuchtprogramm. Also die Geschichte der jeweiligen Rasse, die zu der Notwendigkeit eines entsprechenden Zuchtprogramms geführt hat, sowie die Umsetzung und die praktische Zuchtarbeit, wie etwa eine Einkreuzung fremder Rassen oder ähnliches. Außerdem werden Förderprogramme, Vermarktungsstrategien und letztendlich der derzeitige Stand der Zuchtprogramme aufgezeigt. Die spezifischen Eigenschaften der unterschiedlichen Arten spielen dabei natürlich ebenfalls eine bedeutende Rolle.
Tab.4: Erhaltungszuchtprogramme
Abb.7: Schwäbisch-Hällische Sau (SAMBRAUS 1990, S.371)
Das Schwäbisch-Hällische Schwein wurde, wie der Name verrät, ursprünglich in Schwäbisch Hall gezüchtet und machte der Stadt mit seinen vorzüglichen Eigenschaften alle Ehre. Die Mastfähigkeit, Fruchtbarkeit und guten Muttereigenschaften aber auch das gut schmeckende Fleisch dieser ältesten deutschen Schweinrasse wurde bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gelobt. Aber auch die allgemeine Robustheit, Genügsamkeit und Unempfindlichkeit gegenüber Infektionskrankheiten, der sie zusätzlich mit einer sehr hohen Selbstheilungsrate begegnen, zeichnet diese Rasse aus (BÜHLER 1987). Die langlebigen, milchergiebigen Mutterschweine mit ihrer großen Fruchtbarkeit sind für die Erhaltungszucht jeder Rasse Gold wert. Der gute Charakter der Tiere ist nicht zu vernachlässigen und trägt bei zum guten Handling. Die Schwäbisch-Hällischen Schweine sind ruhige, brave und robuste, also unkomplizierte Tiere.
Äußere Erscheinung:
- schwarzer Kopf
- teilweise schwarz gefärbte Oberschenkel
- schwarzer Schwanz mit häufig vorkommender weißer Spitze (kein Ringelschwanz)
- große Schlappohren
- langer Rüssel
- ausgeprägte Gesichtsfalte
- Schulterhöhe bei Sauen Æ ca. 80 cm, bei Ebern Æ ca. 90 cm
- Gewicht reicht von 280 kg bei Sauen bis 350 kg bei Ebern
(BÜHLER 1987)
Um 1821 wurden in die, Ende des 18. Jahrhunderts erstmalig erwähnten Schwäbisch-Hällischen Schweine, importierte chinesische Maskenschweine eingekreuzt. Diese brachten sowohl das typische Aussehen als auch viele der hervorstechenden Eigenschaften in die Schwäbisch-Hällische Rasse ein. So stammen die bis heute bewahrten besonders guten Muttereigenschaften ursprünglich von den besagten Maskenschweinen (BÜHLER 1997).
Nachdem um die Jahrhundertwende 19./ 20. Jahrhundert die Schwäbisch-Hällischen Schweine schon einmal als ausgestorben galten, jedoch durch gezielte Erhaltungszucht mit Restbeständen wiederbelebt wurde, gründete sich 1925 schließlich eine Züchtervereinigung, die erstmalig Zuchtziele festlegte: "... ein mittelfrühes, verhältnismäßig großwüchsiges Schwein von großer Fruchtbarkeit und mit guter Futterverwertung, das sich zur Herstellung von Frisch- und Dauerwaren eignet." (BÜHLER 1997)
Um die Zuchtbasis zu erweitern, wurden 1927 1 Eber und 2 Sauen der Rasse Wessex-Saddleback eingekreuzt, aber auch die verwandten Angler Sattelschweine wurden hin und wieder für eine Blutauffrischung genutzt (BÜHLER 1997). In den 50er Jahren hielt das Schwäbisch-Hällische Schwein in Nord-Württemberg einen Marktanteil von über 90%. Im Laufe der 60er Jahre jedoch begann eine Vereinheitlichung in der gesamten Tierzucht, die auch vor den Schweinerassen nicht halt machte. Individuelle (Land-)Rassen wichen einheitlichen Zuchttieren. Ein Erlass, der besagte, dass Herdbuchbetriebe ausschließlich eine Rasse züchten durften, unterstütze diese Vereinheitlichung der Zucht und wirkte sich nachteilig auf das Schwäbisch-Hällische Schwein aus. Die deutsche Landrasse war auf Grund der hohen Selektionsintensität in der Zucht und den dementsprechenden Zuchtfortschritten wesentlich gefragter. Die bei dieser Rasse nicht existierenden Eigenschaften Robustheit, Unempfindlichkeit gegenüber Stress und allgemeinen Vitalität wurden mit Hilfe von pharmazeutischer Versorgung ausgeglichen. Dass Fett der ursprünglichen Schläge wurde nicht mehr, wie noch in den Nachkriegsjahren, hoch geschätzt, sondern zu Gunsten magereren Fleisches verschmäht. Nur noch wenige kleine Bauern hielten das ursprünglich so beliebte schwarzköpfige Sattelschwein (BÜHLER 1997).
Bei einem Vergleich der Mastleistungen und Schlachtkörperwerte des Schwäbisch-Hällischen Schweins mit der Deutschen Landrasse in Tab.5 werden die Vorzüge der neuen Leistungsrassen deutlich. Während bspw. die Tiere der Deutschen Landrasse das Prüfgewicht im Mittel schon mit 160,4 Tagen erreichten, brauchten die geprüften Schwäbisch-Hällischen Schweine dafür etwa 15 Tage länger. Auch der Futterverbrauch pro kg Zuwachs liegt bei den Schwäbisch-Hällischen Schweinen höher als bei der Deutschen Landrasse. Zusätzlich bleiben die Tiere bei den Schlachtleistungen wie z.B. % an wertvollen Teilstücken oder Henesseys Muskelfleischanteil hinter den Werten der Leistungsrasse zurück. All diese Faktoren führen letztendlich zu höheren Kosten bei der Fleischerzeugung und somit dazu, dass neue Leistungsrassen, wie etwa die Deutsche Landrasse, ursprünglichen Rassen, wie hier dem Schwäbisch-Hällischen Schwein, vorgezogen wurden.
Schließlich wurde 1969 die Zuchtbuchführung für das Schwäbisch-Hällische Schwein eingestellt, nachdem im Jahr 1968 lediglich noch 2 Eber und 24 Sauen im Herdbuch registriert werden konnten (BÜHLER 1997).
Tab.5: Mastleistung und Schlachtkörperwerte im Vergleich.
Baden-Württemberg 2002 (LOOSER 2003)
Erläuterungen der wichtigsten Bewertungskategorien in Tab.5 sind im Anhang der Arbeit zu finden.
Zu Beginn der 90er Jahre wurde erneut von einer...