II. Einführung in die Migrationsforschung
Teil I hat den wesentlichen Schwerpunkt dieser Arbeit, d.h. die Glücksforschung bzw. konkret die Messung des SWB und die Untersuchung von Determinanten, die das Glücksempfinden beeinflussen können, aufgezeigt. Dieser Forschungszweig soll nun am konkreten Beispiel der russlanddeutschen Aussiedler aufgezeigt werden.
Dafür gilt es zunächst den begrifflichen Rahmen zu definieren sowie die wesentlichen gesetzlichen Grundlagen zu erörtern, um dann einen kurzen Exkurs in die Geschichte der Aussiedler zu unternehmen.
Anschließend wird der aktuelle Forschungsstand der Aussiedlerforschung erörtert. Dabei wird sich zeigen, dass die Literatur zu Aussiedlern mit wiederkehrenden Themen behaftet ist und Glück und die Untersuchung von SWB eher als Forschungsnische betrachtet werden können. Die Literatur zu Glück und Migration ist überschaubar und rechtfertigt die Untersuchung umso mehr.
7. Untersuchungseinheit russlanddeutsche Aussiedler
7.1 Russlanddeutsche als (Spät-) Aussiedler – Begriffe und gesetzliche Abgrenzung
Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht gründet sich in erster Linie auf dem ius sanguinis[25] (Vgl. Münz & Ohliger 1998, S.14; Reitemeier 2006, S.46). Damit steht die Abstammung als wesentliches Kriterium im Vordergrund und nicht wie in anderen Ländern das Prinzip des ius soli, d.h. die Bindung an den Geburtsort, wie es zum Beispiel in Großbritannien der Fall ist.
Da als Untersuchungseinheit russlanddeutsche Spätaussiedler aus den bereits schon angeführten Gründen gewählt worden sind, darf eine Definition, die eng an die gesetzlichen Grundlagen, gekoppelt ist, für das weitere Verständnis nicht außen vorgelassen werden. Eine gute Übersicht hierfür bietet Baaden (1997).
Art. 116 GG ist von besonderer Bedeutung. (Vgl. Bös 1997, S. 123). Initiiert wurde er für diejenigen, die unter der Vertreibung aus den ehemaligen deutschen Gebieten bzw. aufgrund ihrer deutschen Volkszugehörigkeit litten. Ziel war es somit, Vertriebene mit deutscher Abstammung zu integrieren. „Mit der Kreation der administrativen Kategorie der ‚Aussiedler’ wurde den Immigranten aus Osteuropa und der Sowjetunion (Rußland), (…), die Staatsbürgerschaft zuerkannt“ (ebd.: 123). Der Artikel unterscheidet zwischen Staatsangehörigen und Statusdeutschen (Vgl. Ingenhorst 1997, S.76; Sauer 2005, S.114). Statusdeutsche besitzen die gleichen Rechte, wie sie gemäß dem GG Deutschen zugesichert werden, auch wenn sie keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Seit 1.08.1999 gibt es diesbezüglich eine Änderung. Alle bis dahin anerkannten Statusdeutschen erwerben automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Zuvor erlangten Spätaussiedler und ihre Familienangehörigen diese nicht unmittelbar.[26] Für Spätaussiedler (und ihre nichtdeutschen Ehegatten und Abkömmlinge nach § 4 BVFG) gilt dies allerdings nur, wenn ihnen bis zu diesem Zeitpunkt eine Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 des Bundesvertriebenengesetzes erteilt worden ist. Damit gibt es nur noch wenige Statusdeutsche. Zusammengefasst bedeutet das, dass Russlanddeutsche zum Großteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, es aber dennoch Ausnahmen geben kann.
§ 1 BVFG definiert den Vertriebenenstatus und die Übertragung auf Aussiedler (betrifft die Aussiedlungen vor dem 01.01.1993). Aussiedler sind
„deutsche Staatsangehörige oder Volkszugehörige, die vor dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in den ehemaligen deutschen Ostgebieten bzw. in Danzig, Estland, Lettland, Litauen, der ehemaligen Sowjetunion, Polen, der ehemaligen Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Albanien oder China hatten und diese Länder nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen vor dem 1. Juli 1990 oder danach im Wege des Aufnahmeverfahrens bis zum 31. Dezember 1992 verlassen haben“ (§ 1 Abs.2 Nr.3 BVFG, nach Ipsen-Peitzmeier & Kaiser 2006, S. 13).
Aus dieser Definition ergibt sich, dass Russlanddeutsche als Aussiedler nur eine Teilgruppe darstellen. Ingenhorst (1997, S. 87) kritisiert, dass nur jene ‚deutschen Volkszugehörigen’ aus Osteuropa oder der ehemaligen SU in die BRD aufgenommen werden, denn alle Kriterien bis auf die Abstammung sind seiner Meinung nach beinah beliebig interpretierbar. Nach den weiteren Ausführungen sollte eigentlich heute die Verwendung des Begriffs Spätaussiedler üblich sein, allerdings wird in vielen Publikationen nach wie vor der Begriff Aussiedler verwendet (Vgl. Koller 1997, S.767).[27]
§ 4 BVFG definiert den Spätaussiedler-Status (Aussiedlung nach dem 31.12.1992).
„Spätaussiedler sind in der Regel deutsche Volkszugehörige, die die Aussiedlungsgebiete nach dem 31.Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen haben und innerhalb von sechs Monaten ihren ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes (also in der Bundesrepublik Deutschland, d.V.) genommen haben“ (§ 4 BVFG).
Deutsche Staatsangehörige und deren Abkömmlinge werden nach diesen Ausführungen relativ problemlos als Aussiedler anerkannt, da ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit eigen ist (Vgl. Koller 1997, S.767; Ingenhorst 1997, S. 102). Dieses Privileg unterscheidet sie von übrigen Gruppen, die ihre Volkszugehörigkeit zu Deutschland nach § 6 BVFG zum Beispiel anhand der Abstammung oder Sprache nachweisen müssen (Vgl. Silbereisen et al. 1999, S.14).
Abschließend definiert § 6 BVFG die deutsche Volkszugehörigkeit. Voraussetzung ist das Bekenntnis zum deutschen Volkstum, der Sprache, Abstammung, Erziehung und Kultur. Als Spätaussiedler können nur deutsche Volkszugehörige gemäß § 6 BVFG eingeordnet werden. Wie kompliziert aber heutzutage das Aufnahmeverfahren ist, zeigen die Ausführungen von Sauer (2005, S.114).
Der Begriff des Aussiedlers schließt zunächst Russlanddeutsche mit ein, sollte aber an dieser Stelle näher erläutert werden. Dieser Begriff wird zwar in der Literatur durchgängig verwendet, stößt aber zugleich auch auf Kritik. „Warum sind die ‚deutschen’ Auswanderer keine Deutsch-Russen, sondern Rußlanddeutsche geworden? Warum haben sie keine Bindestrick-Identität, (…), entwickelt (…)?“ (Ingenhorst 1997: 11). Dietz (1996) hingegen führt an, dass dieser Begriff „für die Nachfahren deutscher Kolonisten verwendet [wird], die in der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten leben. Es ist eine Bezeichnung, die von ihnen selbst bevorzugt wird (…)“ (ebd.: 123). Nach Kaiser (2006) sind mit Russlanddeutschen diejenigen Personen gemeint, die das letzte halbe Jahrhundert nach Deutschland einwanderten. Russlanddeutsche sind keine Heimkehrer mehr, sondern „Transmigranten, die einer translokalen Migrantengemeinschaft angehören, deren Netze zwischen Deutschland und den Herkunftsländern verlaufen“ (ebd.: 34). Baaden (1997) kritisiert dabei, dass der Begriff nicht konkretisiert als Wesensmerkmal kann nur die Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion genannt werden, wo sie als Deutsche wahrgenommen worden sind. Als zeitlichen Bezugsrahmen grenzt man das vergangene halbe Jahrhundert ein.
7.2 Kurzer Exkurs : Geschichte der russlanddeutschen Aussiedler
Der Status bzw. das Selbstverständnis der Aussiedler als Deutsche ist wesentliches Resultat von geschichtlichen Ereignissen (Vgl. Schmitt – Rodermund 1999, S.48ff; Malchow et al. 1990, S.9 – 40; Warkentin 1992; Bade 1992). Die Ostsiedlung im 9. und 10. Jahrhundert, ausgelöst durch die Bewegungen der Völkerwanderung, führte dazu, dass u.a. Slawen abgewanderte Germanenstämme teilweise ersetzten. Mit zunehmend weniger zur Verfügung stehender landwirtschaftlicher Nutzfläche, zog man weiter nach Osten und siedelte sich an slawische Dörfer an. Die Siedlungsbewegung selbst nahm ein jähes Ende, verursacht durch die Pest 1349/50 (Vgl. Baaden 1997). Bis zum 17. Jahrhundert kam es zu einer Reduktion von deutschen Siedlungsgebieten, besonders in Ungarn und Polen. Erst ab dem 17. Jahrhundert zogen erneut Teile der deutschen Bevölkerung in die von Deutschen besiedelten Gebiete sowie in weitere Gebiete wie Russland und Teile Südosteuropas. Der Zustrom nahm dann besonders unter Zar Peter I. zu, der sein Land mehr nach Westen ausrichten wollte. Man brauchte qualifizierte Fachkräfte, die sich in den großen Städten niederließen (Vgl. Baaden 1997; Ferstl & Hetzel 1990, S.31ff.; Ingenhorst 1997, S.18ff.). Unter Zarin Katharina II. sollten dann besonders die dünn besiedelten Gebiete anbaufähig gemacht werden. Russische Bauern waren durch die Leibeigenschaft an ihre Grundherren gebunden, weshalb Bauern aus dem Westen durch Zusicherung von Privilegien angeworben wurden[28] (Vgl. Baaden 1997). Nach zahlreichen Problemen, der russischen Bauernbefreiung 1861 und dem Wirtschaftswachstum, konnten die Deutschen in die russische Gesellschaft hineinwachsen. 100 Jahren später hatten sie über 3000 Siedlungen und Tochterkolonien gegründet (Vgl. ebd., S.27ff.) Die erste Volkszählung ergab, dass 1,8 Millionen Deutsche zum Großteil im europäischen Russland lebten.
Doch es folgten zahlreiche Probleme. Durch das Zeitalter des...