II ZUR THEORIE DES SÄUGLINGSSCHWIMMENS
1 DAS WASSER
Wasser ist, chemisch betrachtet, die Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff. Es ist geruch- und geschmacklos, durchsichtig und zeigt eine schwach blaue Färbung. Ein Neugeborenes besteht zu über 73% aus Wasser und sein Vorleben begann in diesem Milieu in Form des Fruchtwassers.
1.1 DIE BEDEUTUNG DES WASSERS: VOM URELEMENT ZUM BEWEGUNGSELEMENT
Vom Wasser, dem Urelement des Menschen, geht im Allgemeinen auf Säuglinge und Kleinkinder eine intensive Wirkung aus. Das so vielgestaltige, formlose Element beeindruckt durch seine Reinheit und Klarheit mit seinem Strömen und Rauschen. Das flüssige Element wurde von jeher auf Grund seiner thermischen und physikalischchemischen Eigenschaften nicht nur zur Reinigung und seelischen Erquickung (deshalb auch seine Bedeutung in den Weltreligionen!), sondern auch gezielt als Heilmittel und Regulans eingesetzt.
Dem Säugling ist das Medium in besonderer Weise vertraut. In seiner pränatalen Phase lullte er im Fruchtwasser. Dieses Umgebensein vom Wasser, verbunden mit einer großen Bewegungsfreiheit und muskulären Erleichterung, unter hautintensiven Reizen und körperintensiver Zuwendung der Bezugsperson, sind begründet möglicherweise die zumeist positiven Reaktionen des Säuglings beim Aufenthalt im Wasser.
Das Medium Wasser bietet dem Säugling ein großes Reiz-Reaktions-Repertoire; es beantwortet die menschliche Bewegung durch die Veränderung seiner Form: in Spritzern, Wirbeln, Strömungen oder Aufschäumungen. Der Säugling erlebt deshalb sich, seinen Körper und seine Bewegungen in weitaus intensiverem Maße als an Land.
Wenn er dies zudem freudvoll als eigentätige und verursachende Aktivität erlebt, ist er bestrebt, Bewegungen zu wiederholen, zu erproben und zu lernen. Da man bei Säuglingen im Allgemeinen eine positive Resonanz im Wasser beobachtet, wird das Schwimmen als Anreiz für die Bewegungsentwicklung, d. h. als Bewegungsförderung, im Wasser eingestuft.
Während sich der Säugling unter Landbedingungen in den ersten sechs Lebensmonaten noch nicht fortbewegen und nur mühsam den Kopf beim Armstütz aus der Horizontalen anheben kann, ermöglicht ihm die dreidimensionale Freiheit im Wasser, sich mit elterlicher Unterstützung auszuleben und zahlreiche Bewegungsmöglichkeiten wiederholend und variierend zu erproben. Zudem lässt die elterliche ziehende Hand – am Körperschwerpunkt des Säuglings unter dem Brustkorb – den Säugling dynamischer mit seinen Gliedmaßen agieren.
Durch das elterliche Halten am Brustkorb und die damit verbundene Druckwirkung in der Brustzone wird das Aufrichten des Säuglings begünstigt. Der Körper nimmt eine symmetrische[1] Körperlage ein, Hals- und Brustwirbelsäule strecken sich, die Schulterblätter werden abduziert[2] und die Arme nach außen gerichtet. Die Beine beugen sich im Hüftgelenk und führen wechselseitige Tretbewegungen aus. Die Reflexlokomotion wird besonders durch Wasserspritzer und Berührungsreize an den Fußsohlen angeregt.
Ausgehend von der Vojta-Methode der globalen Bewegungsmuster wirkt sich die Reflexlokomotion als formender Wachstumsreiz auf den Stütz- und Bewegungsapparat, das zentrale Nervensystem (ZNS) und die Psyche aus (vgl. Potacs, 1995). Wird das Reflexkriechen in der Bauchlage stimuliert, aktiviert sich die quer gestreifte Muskulatur, und die im ZNS angelegte Koordination kann angebahnt[3] werden.
Die Elemente dieser Muskelspiele, die Schwerpunktverlagerung, das Aufrichten, das Austarieren des Körpers und die koordinierte Körperverhaltensänderung sind ansatzweise auch in den später auftretenden willentlichen und bewussten Fortbewegungsmustern enthalten. Man aktiviert demnach die Koordination und die Muskulatur für Bewegungsmuster (z. B. Vorgang des Kriechens), die ohne Säuglingsschwimmen im natürlichen Entwicklungsverlauf wegen der zwingenden Auseinandersetzung mit der Schwerkraft und der Reifung des ZNS erst später auftreten würden.
1.2 WIRKUNGEN DES ELEMENTS AUF DEN MENSCHEN
Im Wasser verändern sich die Körper- und Sinneseindrücke.
Taucht der Körper des Säuglings ins Wasser ein, so löst dies – je nach Entwicklungsalter – reflexgesteuerte und instinktive Schwimmbewegungen aus, welche die Hirntätigkeit des ZNS stimulieren. Die Nacktheit intensiviert das Körper- und Bewegungsempfinden und unterstützt den Aufbau des Körperschemas.
Die großflächigen Berührungsreize durch den Wasserwiderstand stimulieren die unter der Haut liegenden Nervenfasern, wodurch eine entspannende, den Muskeltonus regulierende Wirkung erzeugt wird. Nach dem Schwimmen schlafen die Säuglinge daher tiefer und länger.
Der Säugling erfährt im Wasser seine ersten dreidimensionalen Bewegungsaktivitäten im Gegensatz zum Aufenthalt an Land. Die Beine können ungehindert unter den Körper gezogen werden. Diese ersten Reflexschwimmbewegungen (cigarette lighter) sind bis zum fünften Monat nachweisbar. Sie werden von symmetrischen Beuge- und Streckbewegungen im sechsten Monat abgelöst und werden ab dem 11. Monat zur willkürlichen Fortbewegung als eine Art Laufbewegung (bicycling) in senkrechter Position durchgeführt (vgl. Wielki & Houben, 1983). Die Bewegungsmuster und das Aufrichten des Körpers unterscheiden sich prinzipiell nicht von der motorischen Entwicklung unter Landbedingungen. Im Wasser unterliegt der Körper physikalischen Einflüssen, die sich besonders in den Altersphasen eines Säuglings, in denen dieser sich an Land noch nicht eigenständig fortbewegen und der Schwerkraft noch nicht mit Muskelkraft entgegenwirken kann, anregend wirken.
Die durch das Wasser ausgelösten Reflexschwimmbewegungen ermöglichen es dem Säugling frühzeitig[4], sich als selbsttätig zu erleben. Die Bauchlageposition bietet ihm ein großes visuelles Wahrnehmungsspektrum. Mit Hilfe der dosierten elterlichen Hilfestellung kann der Säugling erste Ziele ansteuern. Die positiv erlebten Ursache-Wirkung-Zusammenhänge seiner Bewegung lassen das Kind eine hohe Eigenmotivation für Bewegung entwickeln. Lob, Zuspruch und schützender Hautkontakt intensivieren die Eltern-Kind-Beziehung und fördern die Selbstsicherheit des Säuglings.
Die Auftriebskraft reduziert das Körpergewicht nach dem archimedischen Prinzip[5] und entlastet den Stütz- und Bewegungsapparat. Da im Wasser wenig statische Muskelkraft notwendig ist, wird die dynamische muskuläre Arbeit begünstigt. Hinzu kommt, dass Bewegungseinschränkungen auf Grund geringer Bekleidung entfallen.
Außerhalb des Wassers befindliche Körperteile wie der Kopf bedürfen der statischen Haltungskontrolle. Auf Grund der Eigenbewegung des Mediums Wasser erhält das Gleichgewichtsorgan des Kindes in verstärkter Weise Reize, die eigenen Bewegungen zu kontrollieren und deren Ablauf zu verbessern.
Die als lau empfundene Wassertemperatur von 31-33° C[6] provoziert aktive Bewegung, vertieft die Atmung und regt das Herz-Kreislauf-System an. Im Moment des Wasserkontakts und durch die wechselnden Ein- und Austauchbewegungen des Brustkorbs wird die Atmung des Säuglings beschleunigt und vertieft, bei längerem Wasseraufenthalt verlängern und vertiefen sich die Atemzüge allmählich, der Druck auf den Brustkorb bewirkt ein vermehrtes Ausatmen, die Atemhilfsmuskulatur wird gekräftigt mit wiederum positiver Auswirkung auf die Brustkorbentwicklung.
Infolge von Temperatur und Bewegung im Wasser reguliert sich der Muskeltonus dahingehend, dass die Bewegungen ökonomisiert werden und sich deren Koordination ständig verbessert. Eine Wassertemperatur von mehr als 33° C würde die Muskulatur entspannen und die Bewegungsimpulse verringern.
Der Reibungswiderstand wirkt bewegungshemmend und muskelkräftigend. Der Widerstand nimmt zu, je zügiger die Bewegung erfolgt und je größer die Angriffsfläche ist, welche der Körper dem Wasser entgegenstellt. Bei gestörten Bewegungsabläufen, z. B. infolge von Unfällen oder Behinderungen, ist der Widerstand als Führungs- und Steuerungswiderstand einsetzbar.
1.3 WASSERQUALITÄT
„Die präventiv-medizinischen Aspekte des Schwimmens stehen außer Diskussion, allerdings muß das Schwimmbadwasser eine einwandfreie hygienische Beschaffenheit aufweisen.”
(Beck & Schmidt, 1994, 134f.)
Die Arbeitsweise von Wasseraufbereitungs- und Belüftungsanlagen für Schwimmbäder ist durch die Schwimm- und Badewasserverordnung (DIN 19 643) geregelt. Für Hallenbadebecken mit Wasserumwälzung und -entkeimung bestehen spezielle Wasserqualitätsanforderungen in mikrobiologischer, chemischer und physikalischer Hinsicht.
Nach dem Bundesseuchengesetz (§ 11) darf das Schwimm- und Badewasser in öffentlichen Bädern oder Gewerbebetrieben die menschliche Gesundheit durch Krankheitserreger nicht schädigen. Diese Anforderungen gelten genauso für das Wasser in Bewegungsbädern von Krankenhäusern. In öffentlich und kommerziell genutzten Schwimmbädern muss die Trinkwasserqualität eingehalten werden und Desinfektionsmittel (z. B. Chlorgas, Ozon) sind zu verwenden, oder die physikalische Desinfektion des Wassers hat durch UV-Behandlung zu erfolgen (vgl. DIN 19 643, S. 6ff.).
Das Wasser wird desinfiziert, aufbereitet und kontrolliert, um die Gefahr von schädlichen und krankheitserregenden Bakterien einzudämmen und Viren zu inaktivieren. Das für die Schwimmbadtechnik verantwortliche Personal...