SYLVIA HAHN / SABINE VEITS-FALK (Salzburg)
Migrationsgeschichte und Migrationsarchiv: Themenschwerpunkte der Paris Lodron Universität Salzburg und des Stadtarchivs Salzburg
Das Thema Migration gehört bereits seit mehreren Jahrzehnten zum Lehr- und Forschungskanon der Universität Salzburg. Bereits in den 1980er Jahren wurde dieses Thema im Bereich der Zeitgeschichte, und hier vor allem durch Gerhard Botz, gefördert und vorangetrieben. Zu den frühen und überaus innovativen Publikationen zählen beispielsweise der bereits Mitte der 1980er Jahre herausgegebene Sammelband zur Migration im Mittelalter von Gerhard Jaritz und Albert Müller1. Auch bei den von Gerhard Botz organisierten Erasmus Summer Schools zu „Neuen Methoden in der Geschichtsforschung“ war das Thema Migration sowohl in den Workshops zu den quantitativen als auch qualitativen Methoden stets präsent. Inhaltlich lag eine deutliche Konzentration auf den politischen und ethnischen Verfolgungen und Vertreibungen sowie Exilerfahrungen rund um den Zweiten Weltkrieg und das nationalsozialistische Regime. Einen wichtigen Bereich stellten dabei vor allem die Studien, Ausstellungen und oral-history Projekte sowie Videofilme über Jüdinnen und Juden aus Salzburg im Exil dar, die von einer ForscherInnengruppe um Helga Embacher und Albert Lichtblau durchgeführt wurden. Darüber hinaus gab es aber auch im Bereich der quantitativen historischen Sozialforschung Studien zur Arbeitsmigration in Niederösterreich im 19. Jahrhundert (Sylvia Hahn, Wolfgang Maderthaner und Gerald Sprengnagel)2 und zur Mobilität von Studenten und dem Alltagsleben im Mittelalter von Forschungsgruppen an der Universität Salzburg (Albert Müller) und Graz (Herwig Ebner, Ingrid Matschinegg, Brigitte Rath) sowie am Institut für Realienkunde in Krems (Gerhard Jaritz)3, das die Universität Salzburg 2012 von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften übernahm.
Arbeitsgruppe Migration, Labor and Urban Studies
In den 1990er Jahren kam es zur Gründung der Arbeitsgruppe Migration, Labor and Urban Studies unter Federführung von Josef Ehmer, Sylvia Hahn und Reinhold Reith und zur Organisation der ersten international besetzten Ringvorlesungen zu internationalen und globalen Migrationen. Es folgten weitere Projekte4 und Ringvorlesungen, die auch als Buchprojekte veröffentlicht wurden.5 Ein wichtiges Ziel der Arbeitsgruppe bestand von Anbeginn in der internationalen Vernetzung mit WissenschafterInnen aus dem europäischen und vor allem angelsächsischen Raum, wo die historische Migrationsforschung bereits etabliert war. Eine sehr gute An- und Einbindung sowohl an das Netzwerk der beiden wichtigsten Sozialhistorischen Konferenzen (European Social Science History Conference und Social Science History Association) gelang sehr rasch und Sylvia Hahn war für mehrere Jahre eine der migration-network-chairs der ESSHC. Seit diesen Jahren bestehen ausgezeichnete Kontakte zu WissenschafterInnen im Bereich der historischen Migrationsforschung in Europa und den USA. Mehrere international besetzte Konferenzen konnten in den letzten 15 Jahren gemeinsam mit diesen internationalen KollegInnen durchgeführt und wissenschaftliche Beiträge bzw. Sammelbände publiziert werden. Ein Resultat davon ist auch die 2004 von Sylvia Hahn, Christiane Harzig und Dirk Hoerder gegründete Reihe Transkulturelle Perspektiven6, in der mittlerweile insgesamt 13 Publikationen herausgebracht werden konnten. Forschungsergebnisse von MitarbeiterInnen der Universität Salzburg konnten darüber hinaus auch in der von Reinhold Reith (gemeinsam mit Mathias Beer, Dittmar Dahlmann und Margit Schulte Beerbühl) herausgegebenen Schriftenreihe Migration in Geschichte und Gegenwart7 publiziert werden. 2012 verfasste Sylvia Hahn eine Einführung in die Historische Migrationsforschung8 und 2014 (anlässlich 50 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei) eine Studie gemeinsam mit Georg Stöger im Auftrag des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres.9 Im November 2014 veranstaltete die Universität gemeinsam mit der Stadt Salzburg eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema und gemeinsam mit dem Generalkonsulat der Republik Türkei in Salzburg eine Konferenz.10
2013 ist die Arbeitsgruppe Migration, Labor and Urban Studies zu einer der (insgesamt acht bestehenden) „Forschungssäulen“11 des Fachbereichs Geschichte geworden. Ihr Ziel ist, Migration, Arbeit und Stadtgeschichtsforschung noch stärker als bisher als Themenschwerpunkte in Forschung und Lehre und vor allem auch in einer interdisziplinären Kooperation zu verankern.
Studienergänzung „Migration Studies“
Ein wichtiger Schritt dazu war die Etablierung der Studienergänzung „Migration Studies“ 2012, an deren Gründung und Funktionieren KollegInnen aus allen vier Fakultäten beteiligt waren und sind. Mit dieser Studienergänzung wird interessierten Studierenden an der Universität Salzburg die Möglichkeit geboten, Einblicke in die historischen, soziologischen und kulturwissenschaftlichen Grundlagen der Migrationsforschung zu erhalten. In der interdisziplinären Studienergänzung werden Lehrveranstaltungen unterschiedlicher Fachbereiche gebündelt. Durch die Absolvierung der „Migration Studies“ soll die Argumentations- und Kritikfähigkeit in Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche Diskurse und Entwicklungen geschärft und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik Migration angeregt werden.
Universitätslehrgang „Migrationsmanagement“ in Kooperation mit St. Virgil Salzburg und dem Österreichischen Integrationsfonds
Im März 2016 beginnt bereits der dritte Universitätslehrgang „Migrationsmanagement“12, der 2007 von Nikolaus Dimmel gegründet wurde. Im Lehrgang werden Kompetenzen für eine erfolgreiche Führungs-, Leitungs- und Organisationstätigkeit in den Bereichen Migration und Integration vermittelt. Dabei werden rechtliche, politische, ökonomische, kulturelle, religionswissenschaftliche, psychologische, kommunikationswissenschaftliche, historische und soziale Aspekte der Migration berücksichtigt. Zielgruppe sind MitarbeiterInnnen im öffentlichen Dienst, vor allem in der öffentlichen Sicherheit, DiplomsozialarbeiterInnen, LehrerInnen, Krankenpflegepersonal sowie Menschen mit zivilgesellschaftlichem Engagement.
Ausstellung „Wissensbrücke“ am Makartsteg in Kooperation mit dem Stadtarchiv Salzburg
Unter dem Motto „Kommen – Gehen – Bleiben. Migrationsstadt Salzburg“ (Abb. 4/5) wurden in den Jahren 2013 und 2014 zwei Ausstellungen zum Thema der Migrationen in Salzburg von Sylvia Hahn und Sabine Veits-Falk (Stadtarchiv Salzburg) gestaltet und umgesetzt. Ermöglicht wurden diese beiden Ausstellungen durch die finanzielle Unterstützung des Integrationsbüros der Stadt Salzburg sowie einer weiteren Ko-Finanzierung seitens der Universität Salzburg13.
Die erste Ausstellung (23. Mai – 1. Juli 2013) thematisierte die lange Geschichte der unterschiedlichen Migrationen, die sich in der Stadt Salzburg ereignet hatten. Wichtig war dabei, sowohl die Zu- wie auch die umfangreichen Abwanderungen aus der Stadt sichtbar zu machen. Neben den Ansiedlungen der römischen und keltischen Bevölkerung im Salzburger Raum, zählten auch die Gründer der Stadt und der Universität zu ZuwanderInnen. In der Geschichte der Stadt Salzburg gab es kaum einen Erzbischof unter den zahlreichen kirchlichen Regenten, der kein Immigrant war. Daneben kam es immer wieder zu Vertreibungen von ethnischen oder religiösen Gruppen wie der jüdischen oder protestantischen Bevölkerung. Eine weitere wichtige Rolle spielten die zahlreichen Arbeitsmigranten, die spätestens seit dem Mittelalter immer wieder für die großen Bauprojekte der Erzbischöfe in die Stadt geholt wurden. Ein Beispiel dafür waren die italienischen Architekten, Künstler und Bauarbeiter, die selbst noch im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert auf den Bauplätzen in Stadt und Land, wie Fotografien zeigen, zu finden waren. Dem wichtigen und vielfach übersehenen Aspekt der weiblichen Migration – und hier insbesondere der Arbeitsmigration von Frauen – wurde ebenfalls in mehreren Tafeln Aufmerksamkeit gewidmet. Insgesamt war es den Gestalterinnen wichtig, einen genderspezifischen Blickpunkt auf das historische Migrationsgeschehen zu werfen, um die über Jahrhunderte tradierte Annahme der dominierenden männlichen Migration in Frage zu stellen. Die Intention dieser ersten historisch rückblickenden Migrationsausstellung war es, einige wichtige Etappen der umfangreichen und vielfältigen Immigrationen und Emigrationen von Frauen und Männern in der Stadt Salzburg sowie deren wesentliche Beiträge zur Stadtentwicklung darzustellen.
Abb. 4 „Wissensbrücke“ am Makartsteg (23. Mai – 1. Juli 2013) unter dem Motto „Kommen – Gehen – Bleiben. Migrationsstadt Salzburg“ (© Sabine Veits-Falk)
Die zweite Ausstellung Migrationsstadt Salzburg 1960–1990 (23. Mai – 6. Juli 2014) thematisierte die sogenannte „Gastarbeiter“-Migration seit den 1960er Jahren. Anlassgebend für die thematische Ausrichtung der Ausstellung war das 50-jährige Jubiläum der Unterzeichnung des Arbeitskräfte-Anwerbeabkommens mit der Türkei (1964). Diesen ersten gezielten Anwerbungen, die zunächst auf eine Rotation der Arbeitskräfte ausgerichtet waren, folgten sehr rasch Kettenmigrationen und Familiennachzüge, die für die 1970er und 1980er Jahre charakteristisch wurden. Die Ausstellung konzentrierte sich auf die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Arbeits- und Lebenswelten der ArbeitsmigrantInnen, deren lange...