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Scheidung mit dem Beil

Das Schicksal der Maria Dorothea Huther - Ein Kriminalfall des 18. Jahrhunderts

AutorJan Wiechert
VerlagGmeiner-Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl206 Seiten
ISBN9783839258767
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
1777 gerät Maria Dorothea Huther in den Verdacht, ihren Mann, den Schmierbrenner Peter Huther, ermordet zu haben. In langwierigen Verhören berichtet sie vom Leben am Rande der Gesellschaft, ihrer unglücklichen Ehe und dem Kampf gegen ein vorgezeichnetes Schicksal. Sie eröffnet den Blick auf einen außergewöhnlichen Lebensweg im 18. Jahrhundert: den Weg einer Frau, die sich gegen das Unausweichliche zur Wehr setzte - und zur Mörderin wurde.

Jan Wiechert, 1982 in Riedlingen geboren, betrachtet seit seinen Jugendjahren Schwäbisch Hall als seine Heimatstadt. Die Kriminalgeschichte der Region gehört zu seinen Spezialgebieten. Seine Arbeit im Hohenlohe Zentralarchiv Neuenstein könnte abwechslungsreicher nicht sein: vom Archivieren historischer Dokumente über Tätigkeiten im PR-Bereich bis hin zum Dozieren und Referieren zu Themen der hohenlohischen Geschichte. In der MOMENTE und der regionalen Tagespresse publiziert der Autor regelmäßig Beiträge zu aktuellen kulturellen Themen. Unter dem Titel 'Von Mauserei bis Meuchelmord' bietet Jan Wiechert Themenführungen im Schloss Neuenstein an.

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Leseprobe

1


Langenburg ist eine überaus charmante Kleinstadt von knapp 2.000 Einwohnern im fränkisch geprägten Nordwesten Baden-Württembergs. Besonders in der warmen Jahreszeit zieht das historische Ambiente zahlreiche Besucher an, die über die Hauptstraße flanieren, das Schloss besichtigen und von der Terrasse eines Cafés in das tief eingeschnittene Jagsttal hinabblicken. Oldtimerfreunde werden sich das Automuseum im fürstlich-hohenlohischen Marstall nicht entgehen lassen, Literaturliebhaber können auf den Spuren Carl Julius Webers wandeln oder nach dem Gärtchen suchen, in dem Agnes Günther vor mehr als hundert Jahren an ihrem Bestseller »Die Heilige und ihr Narr« schrieb. In den Abendstunden treten die meisten Touristen als zufriedene Neubesitzer einer grünen Schachtel Echte Langenburger Wibele, dem Traditionsgebäck der Stadt, den Heimweg an.

Aus einiger Distanz, etwa von Bächlingen aus, ist die exponierte Lage Langenburgs gut zu erkennen. Mehr als 150 Meter erhebt sich der schmale Bergsporn über das Jagsttal, auf dessen Rücken sich das Städtchen ausbreitet. Rechter Hand kann man den Rundturm des oberen Tores entdecken, das das Stadtgebiet in historischen Zeiten nach Osten hin abgrenzte. Einen Fingerbreit links davon ragt der etwas höhere Turm der Stadtkirche empor. Lässt man den Blick weiter schweifen, so folgt eine Reihe gepflegter Hausfassaden, dann das langgestreckte Dach des Marstalls und schließlich das Schloss. Der wehrhaft anmutende, hell getünchte Bau mit seinen mächtigen runden Ecktürmen nimmt die äußerste Spitze des Bergsporns ein und überragt den Rest der Stadt.

Auf Schloss Langenburg, das im Rahmen einer Führung besichtigt werden kann, lebt bis zum heutigen Tag ein waschechter Fürst samt Fürstin und Kindern. Seine Familie ist mit allen großen Adelsgeschlechtern Europas verbandelt. Die Hohenzollern und Romanows, das Königshaus Württemberg und das großherzogliche Haus von Baden gehören, um nur einige Beispiele zu nennen, zum verästelten Familiengeflecht der Fürsten zu Hohenlohe-Langenburg. Und natürlich die Windsors! Immerhin steht der amtierende Fürst – Stand 2018 – auf Platz 167 der englischen Thronfolge. Momentan deutet allerdings nichts darauf hin, dass die 166 Männer und Frauen, die vor ihm an die Reihe kommen, samt und sonders ausfallen werden. Also wird der Fürst wohl nicht in Buckingham Palace einziehen, sondern im beschaulichen Langenburg bleiben, wo vor ihm schon eine lange Reihe seiner Ahnen lebte und wirkte.

Als castrum et oppidum, also Burg und Stadt, im 13. Jahrhundert durch Aussterben der Herren von Langenberg an die Hohenloher übergingen, lag die Fürstenwürde noch in weiter Ferne. Immerhin gelang es den Edelherren aus dem Taubergrund, ihr Einflussgebiet stückweise in Richtung Kocher und Jagst auszudehnen. Durch ihren guten Draht zum Kaisergeschlecht der Staufer kamen nach und nach Städte wie Öhringen, Waldenburg und Neuenstein, die heute als ur-hohenlohisch gelten, unter ihre Kontrolle. Indes blieben die Hohenloher bis zum Ende des Mittelalters nobilis vir, also Edelherren. Den Reichsgrafenstand erlangten sie erst im 15. Jahrhundert.

Vergleichsweise spät, 1556, führte die Grafschaft Hohenlohe die Reformation ein. Während man überzählige Söhne zuvor mit geistlichen Ämtern versorgt hatte, mussten sie nun am Erbgang beteiligt werden, was eine zunehmende Zersplitterung des Herrschaftsgebietes in weitgehend souveräne Teilherrschaften mit sich brachte. Nach dem Tod des Grafen Wolfgang II. von Hohenlohe im Jahr 1610 fiel Langenburg an seinen Sohn Philipp Ernst, der die ererbte Burg zum Renaissanceschloss ausbaute und Langenburg zu einer kontinuierlichen Residenzstadt machte. Ein paar Grafen später, im Jahr 1699, erfolgte die letzte Erbteilung der Herrschaft Hohenlohe-Langenburg. Graf Al-brecht Wolfgang behielt den Stammsitz und musste die Gebiete Hohenlohe-Kirchberg und Hohenlohe-Ingelfingen an seine jüngeren Brüder abtreten. Binnen vier Generationen war aus dem stattlichen Territorium des Grafen Wolfgang ein Klecks auf der Landkarte geworden, zu dem außer der Residenzstadt und Anteilen an der Exklave Ohrdruf in Thüringen nur mehr einige Dörfer, Weiler und Einzelhöfe gehörten. Um einer weiteren Zersplitterung seines Herrschaftsgebietes vorzubeugen, führte Wolfgang Albrecht die Primogenitur, also das alleinige Erbrecht des Erstgeborenen, ein. Schließlich und endlich war es dann sein Sohn Ludwig, der 1764 durch Kaiser Franz I. in den Reichsfürstenstand erhoben wurde. Ihm folgte 1769 Fürst Christian Albrecht, der Ur-ur-ur-ur-ur-Großvater des heutigen Fürsten zu Hohenlohe-Langenburg.

 

Schloss und Stadt Langenburg in der 1648 erschienenen »Topographia Franconiae« von Matthias Merian

Im Jahr 1777 konnte Fürst Christian Albrecht auf 51 Lebens-, acht Regierungs- und nicht zuletzt 16 Ehejahre zurückblicken, in denen ihm seine Gattin Caroline vier Prinzen und drei Prinzessinnen geschenkt hatte. Im kleinen Langenburg ging alles seinen gewohnt gemächlichen Gang. Weder der Fürst noch sonst jemand konnte ahnen, welche Stürme schon bald über Hohenlohe, das Heilige Römische Reich, Europa und den ganzen Erdball hereinbrechen würden. Wer vermochte schon vorauszusehen, dass die ruhigen Fahrwasser des Zeitenlaufs trügerisch waren und die althergebrachte Ordnung schon sehr bald in Scherben gehen würde? Sicherlich, im Vorjahr hatten diese verrückten Kolonisten jenseits des Atlantiks, die seit Jahr und Tag gegen die britische Krone opponierten, ihre Unabhängigkeit erklärt. In Europa jedoch war 1777 noch alles beim Alten. In Wien hielt Maria Theresia das Heft des Handelns noch in Händen, von Potsdam aus regierte ihr Erzrivale Friedrich II. das aufstrebende Königreich Preußen und in Versailles herrschte mit ihrem Schwiegersohn Ludwig XVI. ein etwas schüchterner, kurzsichtiger Jüngling von 23 Jahren als absolutistischer Monarch von Gottes Gnaden. Der Gedanke, dass dieser König in 16 Jahren seinen Kopf unter der Guillotine verlieren könnte, wäre 1777 wohl bestenfalls belächelt worden. Und wer konnte ahnen, was einmal aus dem siebenjährigen Drei-, vielleicht auch nur Zweieinhalbkäsehoch werden würde, der im korsischen Ajaccio die Schulbank drückte? Wer konnte ahnen, dass er in opferreichen Kriegszügen halb Europa an sich reißen, die alte Ordnung des Heiligen Römischen Reiches zerschlagen und neue Staaten und Grenzen auf die Landkarte werfen würde? Dass der Emporkömmling Bonaparte im Jahr 1806 auch der souveränen Herrschaft der Fürsten zu Hohenlohe-Langenburg ein Ende bereiten und ihre Territorien dem Königreich Württemberg zuschlagen würde?

All diese Ereignisse lagen 1777 außerhalb jeglicher Vorstellungskraft. Alles blieb beim Alten. Im kleinen Langenburg ging alles seinen gewohnt gemächlichen Gang. Nur selten störte etwas Unvorhersehbares oder Unerhörtes den wohlgeordneten Lauf der Dinge. Niemand konnte die kommenden Ereignisse voraussehen, als am Morgen des 12. November zwei hohenlohische Bauern aufbrachen, um ihre Äcker umzupflügen.

 

Seitenansicht eines Pflugs, wie er im 18. Jahrhundert verwendet wurde. Die Pflugsäge, auch Sech oder Pflugeisen genannt, ist auf der Zeichnung mit G markiert.

In aller Frühe verließen der 33-jährige Schultheiß Johann Michael Praz und der 21-jährige Wirtssohn Georg Andreas Stier ihr heimatliches, vor den Stadtmauern Langenburgs gelegenes Dorf Atzenrod. Obgleich der Winter bereits in spürbare Nähe gerückt war, die Tage kürzer wurden und die Temperaturen sanken, mussten die hohenlohischen Bauern noch auf ihren Äckern schuften. In einem finalen Akt des ewig gleichen Jahreszyklus galt es, den Winterweizen auszubringen, den sie im kommenden Frühjahr zu ernten hofften. Also musste ein letztes Mal in diesem Jahr zum Pflug gegriffen werden, um die Erde umzuwälzen und für die Aussaat vorzubereiten. Bereits am Vortag hatten Praz und Stier bis zum Nachmittag auf den nahe gelegenen Märzenäckern gepflügt. Weil sie die Arbeit nicht zu Ende gebracht hatten, spannten sie vor ihrer Heimkehr lediglich ihre Zugochsen aus und führten sie nach Hause. Ihre Pflüge ließen die Männer auf dem Acker zurück. Als sie am Morgen mit ihren Ochsen zurückkehrten und das begonnene Werk vollenden wollten, erwartete sie eine böse Überraschung. Irgendjemand hatte sich in ihrer Abwesenheit an den Pflügen zu schaffen gemacht und zwei Pflugsägen gestohlen. Die Bauteile, die in ihrer Form am ehesten an senkrecht nach unten gerichtete Messerklingen erinnern, waren normalerweise unmittelbar vor der Pflugschar angebracht, um in das Erdreich hineinzuschneiden, das anschließend von der Schar umgewendet wurde. Aber wieso sollte es jemand gerade auf diese Teile abgesehen haben?

Obgleich Langfinger damals wie heute edlen Metallen den Vorzug gaben, sind auch etliche Fälle von Eisendiebstahl aktenkundig. In den allermeisten Fällen wird es den Tätern nicht um den konkreten Gegenstand, sondern um den Material- und Rohstoffwert des Eisens gegangen sein. Das Diebesgut konnte preiswert an einen Schmied veräußert und unter dessen Hammer in ein neues Werkstück verwandelt werden. Die Weiterverarbeitung empfahl sich schon deshalb, weil sie eine Identifizierung durch den rechtmäßigen Besitzer unmöglich machte. Immerhin war es unter Bauern und Handwerkern nicht unüblich, Werkzeuge mit individuellen Kennzeichen zu versehen. So war in die Pflugsäge des Johann Michael Praz eine kleine...

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