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Warum wir so sind, wie wir sind
»Ich fürchte, Anpassung ist nicht meine Stärke.«
Diane Keaton, amerikanische Schauspielerin
Warum neigen gerade wir Frauen dazu? Warum ziehen wir uns nur zu gern Schuhe an, die uns nicht passen? Und warum stapeln Frauen meist zu tief? Männer lassen unberechtigte Vorwürfe viel leichter an sich abprallen. Alles, was nicht zu ihnen passt, wird einfach überhört.
Ich vermute, dass das mit der Geschichte von uns Frauen zu tun hat. Jahrtausendelang wurde uns eingetrichtert, dass wir das »schwache« Geschlecht und von Geburt an unter dem Mann angesiedelt seien.
So weit müssen wir allerdings in der Geschichte gar nicht zurückgehen. Erst seit 1918, also gerade mal hundert Jahre, haben wir Frauen in Deutschland das aktive Wahlrecht. Im Nationalsozialismus gab es natürlich eine Unterbrechung, hier durften wir nicht selbst wählen, wohl aber gewählt werden.
Eine Werbung von Dr. Oetker in den 1950er-Jahren lautete:
»Eine Frau hat zwei Lebensfragen: ›Was soll ich anziehen?‹ und ›Was soll ich kochen?‹«
Und die Brigitte veröffentlichte 1959 einen hoch spannenden Bericht mit dem Titel: »120 praktische Ratschläge: So kriegt man einen Mann!« Ich will nicht gemein sein, daher verrate ich Ihnen die »Best of Männerfang«-Tipps:
Sprechen Sie, solange es geht, nicht über das Heiraten.
Gehen Sie zu viert aus: mit ihm und einem glücklich verheirateten Ehepaar.
Lassen Sie ihn auf dezente Weise wissen, dass Sie auch kochen und Hausfrau spielen können – obwohl Sie die schickste Frau der Welt sind.
Pflegen Sie ihn hingebungsvoll, wenn er krank ist.
Erzählen Sie ihm nur heitere Geschichten. Halten Sie alles Bejammernswerte aus Ihrem Leben von ihm fern.
Passen Sie sich, wenn getanzt wird, seinen Wünschen an: Falls er nicht gern tanzt, müssen Sie Ihre eigene Tanzlust etwas unterdrücken.
Ja, meine Damen, da können wir noch einiges lernen!
Ähnlich hilfreiche Hinweise konnte die amerikanische Frau 1955 in Housekeeping monthly finden:
Halten Sie das Abendessen bereit. Planen Sie vorausschauend, eventuell schon am Vorabend, damit die köstliche Mahlzeit rechtzeitig fertig ist (…).
Machen Sie sich chic! Gönnen Sie sich 15 Minuten Pause, sodass Sie erfrischt sind, wenn er ankommt. Legen Sie Make-up nach und knüpfen Sie ein Band ins Haar, sodass Sie adrett aussehen.
Seien Sie glücklich, ihn zu sehen.
Vermeiden Sie jeden Lärm, wenn er heimkommt. Schalten Sie Spülmaschine, Trockner und Staubsauger aus (…).
Was für uns heute so wahnsinnig lustig klingt, ist in Wahrheit aber die erschreckende Erkenntnis, dass wir Frauen noch nicht wirklich lange emanzipiert sind. Und täglich daran arbeiten müssen, es auch zu bleiben.
Viele Ihrer Mütter, liebe Leserinnen, sind vielleicht in dieser Zeit und mit diesem Frauenbild groß geworden. Ob Ihre Mütter es wollten oder nicht, wahrscheinlich haben Sie doch einiges aus dieser Zeit mitgegeben bekommen.
Meine Oma war schon emanzipiert, lange bevor es den Begriff überhaupt gab. Bereits in den Sechzigerjahren war sie eine selbstständige Geschäftsfrau mit eigenem Ladenlokal und erzog nebenbei zwei Kinder. Als meine Mutter zur Welt kam, war meine Oma dreißig Jahre alt. 1960 war das, im Gegensatz zu heute, spät gebärend. Kurz nach der Geburt kam eine Kundin in den Laden und spuckte meiner Oma vor die Füße mit der Aussage: »In Ihrem Alter! Das ist ja widerlich.«
Meine Oma hatte damals sowohl die Männer als auch die Frauen gegen sich aufgebracht. Es war nicht normal, dass eine Frau eigenständig einen Laden betrieb und in einer Ehe so viel Mitspracherecht hatte. Aber soll ich Ihnen was sagen? Meiner Oma war das egal. Und meinem Opa im Übrigen auch. Sie lebten ein Leben nach ihren Maßstäben und erzogen ihre zwei Mädchen zu selbstständigen Frauen. Eine davon ist meine Mutter, die mich wiederum zu einer selbstbewussten Frau erzogen hat. Und ja, mit dieser Erziehung im Gepäck ist es für mich manchmal einfacher. Vieles ist für mich als junge Frau selbstverständlich, und ich kann mich, bis auf ein Vorstellungsgespräch (da kommen wir später drauf zurück), nicht an ein einziges Mal erinnern, dass ich etwas nicht erreicht hätte aufgrund meines Geschlechts.
Wenn Sie also selbst Mama einer Tochter sind, dann wissen Sie, welchen Einfluss Ihr Denken, Ihre Erziehung auf das Leben Ihrer Tochter hat …
Übrigens dürfen Frauen erst seit 1958 einen Führerschein machen und ohne das Einverständnis ihres Mannes ein Konto eröffnen. Und selbst das ist heute noch nicht selbstverständlich. Durch meine Seminare kenne ich nur allzu viele Frauen, die kein eigenes Konto und/oder keine eigene E-Mail-Adresse haben. Wenn das für Sie okay ist, wunderbar. Wenn nicht, gilt wie immer: Nichts ist in Stein gemeißelt. Ändern Sie es …
Diese gesetzlichen Regelwerke aus der Vergangenheit führten natürlich auch dazu, dass wir Frauen kein gutes Selbstbild hatten. Durch das jahrhundertelange »Kleinmachen« war das Vertrauen in uns selbst nicht wirklich groß.
Noch im Jahr 1965 wurden eintausend Frauen befragt, inwieweit sie folgenden Aussagen zustimmen:
Das Reich der Frau ist der Haushalt, alles andere ist Männersache.
Herr im Hause ist der Mann, danach hat sich die Frau zu richten.
Der Beruf der Hausfrau ist der schönste und vielseitigste Beruf.
Neben dem Haushalt sollte die Frau durchaus auch andere Interessen haben.
Heute stellen sich uns allein bei der Fragestellung alle Nackenhaare hoch. 1965 waren die Zeiten aber noch andere, und daher verwundert es nicht, dass dem ersten Satz ganze 69 Prozent zustimmten und sich auch mit der »Herr im Haus«-Aussage immerhin 57 Prozent einverstanden zeigten.
77 Prozent meinten sogar, dass Hausfrau der Traumjob schlechthin sei. Immerhin 89 Prozent gestanden sich auch weitere Interessen zu.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Dieses Bild hatten Frauen Mitte der Sechzigerjahre von sich!
Unterstützt wurde dieses Selbstbild durch Gesetze und Gerichtsurteile wie dieses hier:
1969 durfte sich ein Mann offiziell wegen der »schlampigen Haushaltsführung« seiner Gattin scheiden lassen. In diesem speziellen Fall klagte ein Handwerker, der sich ganze dreizehn Jahre über die »schlampige Haushaltsführung« seiner Frau beschwerte. Der arme Kerl war dann gezwungen, sich eine Freundin zu suchen, und verließ seine Frau. In der ersten Instanz verlor der Handwerker, denn das Gericht meinte, er hätte sich durch die inzwischen neu geknüpfte Beziehung »selbst stark ins Unrecht gesetzt«. In der nächsten Instanz vor dem Berliner Landgericht gab man ihm jedoch recht. Frei übersetzt sagte man hier: Der arme Kerl wurde ja durch seine »schlampige« Frau geradezu in die Arme einer anderen Frau getrieben. Denn, so die Richter: »Die Ehefrau habe die Pflicht, die Grundlage für ein glückliches Familienleben durch ein gemütliches und menschenwürdiges Heim zu schaffen.«
Am 1. Juli 1977 wird dann genau diese sogenannte »Hausfrauenehe« abgeschafft. Bis zu diesem Tag war die Frau zur Haushaltsführung »verpflichtet«. Berufstätig durfte sie nur sein, wenn sie dadurch ihre »familiären Verpflichtungen nicht vernachlässigte« und ihr Ehemann es gestattete. Auch das Scheidungsrecht wurde reformiert – das Schuldprinzip entfiel nun. Bis dahin hatte eine Ehefrau, die »schuldig« geschieden wurde – etwa weil sie ihrer Haushaltspflicht nicht nachkam –, kein Anrecht auf Unterhalt.
Sie glauben, das sind Extrembeispiele? Mitnichten. Während meiner Recherche im FrauenMediaTurm in Köln bin ich noch auf viel Kurioses gestoßen, das ausreichend wäre für ein neues Buch …
Die Diskriminierung der Frau fand (oder findet?) auf allen Ebenen statt:
Erst 1978 wird Nicole Heesters die erste Tatort-TV-Kommissarin, und 1979 moderiert Barbara Dieckmann als erste Frau die Tagesthemen. Alles noch nicht so furchtbar lange her.
1979 wurde erstmals einer Frau, vom Stadtstaat Hamburg, der Zugang zur Schutzpolizei gewährt. Dies war das Resultat des feministischen Protestes gegen das Berufsverbot.
Erst im August 1980 wurde im Bundestag das Gesetz über die »Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz« verabschiedet, und wir wissen alle, dass bis zum heutigen Tage Männer und Frauen unterschiedlich für gleiche Arbeit entlohnt werden.
In der WAZ vom 24. April 1976 habe ich den Artikel »Mehr Emanzipation – mehr Ungeziefer« gefunden. Zu dieser Zeit bemerkte das belgische Gesundheitsministerium eine Zunahme von Ungeziefer in Belgien: »Ich wage es kaum zu sagen«, erklärte Dr. G. C. in einer belgischen Zeitung, »aber die Schuld lässt sich zu einem großen Teil der Emanzipation der Frauen zuschreiben. Mann und Frau verlassen heutzutage morgens zusammen das Haus, um zur Arbeit zu gehen, und sie sind am Abend zu müde, um noch zu putzen.«
Ja, Sie lasen richtig. Dieser Bericht ist von 1976, nicht aus dem Mittelalter.
Ein anderes schönes...