BLICK IN DIE GLASKUGEL?
In einem Gespräch erzählte mir die wissenschaftliche Mitarbeiterin eines bekannten Labors, dass sie vor einiger Zeit die Zusammensetzung der Darmbakterien mehrerer Mitarbeiter überprüft hätte. Dabei fiel auf, dass ein schlanker, sportlicher Kollege eine auffallend „dicke“ Darmbesiedelung hatte. Also fragte sie ihn, warum er denn so schlank sei, obwohl er aufgrund seiner Darmbewohner eher zu den „guten Futterverwertern“ zählen würde. Daraufhin erzählte er, dass er früher stark übergewichtig gewesen sei, dann aber etliche Kilos abgenommen habe. Nun müsse er sehr stark aufpassen, dürfe nur kleine Portionen essen und müsse viel Sport treiben, um sein Gewicht zu halten. Wenn man an der Darmflora nichts ändert, kann man also nur mit strenger Disziplin und wenigen Kalorien das Gewicht halten. Würde der schlanke Mitarbeiter nun anfangen, ganz normal – nicht unbedingt übermäßig – zu essen, wäre das „Hüftgold“ wahrscheinlich vorprogrammiert.
Unsere Gewichtszukunft wird
schon im Kindesalter entschieden.
Mit einer Werbeaussage wie „Benenne mir deine Darmflora und ich sage dir, ob du später Gewichtsprobleme bekommst“ könnte man sich wohl als seriöser Wahrsager betätigen, denn durch eine Stuhlprobe lässt sich in vielen Fällen die Gewichtszukunft voraussagen. Offensichtlich kann man sogar an den Darmbakterien kleiner Kinder ablesen, ob sie später schlank oder mit etwas mehr Babyspeck in die Grundschule kommen. Kinder, die mit sieben Jahren übergewichtig waren, hatten schon im Kleinkindalter andere Darmbakterien als die, die schlank eingeschult wurden.
Ersteren mangelte es an Bifidobakterien, dafür waren Staphylokokken, die zur Familie der Hüftgoldbakterien zählen, reichlich im Stuhl nachweisbar. Offensichtlich gehen Veränderungen der Darmflora der Entwicklung von Übergewicht voraus. Schwangere, die nur eine kleine Zahl an Rank-und-schlank-Bakterien (Bacteroides und Bifidobakterien), dafür aber zahlreiche Burschen aus der Hüftgoldfraktion (Staphylokokken) aufwiesen, waren entweder bereits übergewichtig oder nahmen während der Schwangerschaft auffallend viele Kilos Gewicht zu. Auch Marker wie Blutzucker oder Blutfettwerte waren bei ihnen häufig erhöht. Eine gute Versorgung mit Bifidobakterien hingegen ließ die Schwangeren schlank bleiben. Bifidobakterien leben in mehr oder weniger großer Zahl in unserem Darm. Wenn wir die richtigen Dinge essen, vermehren sich diese Keime recht munter. Was dafür öfter auf dem Speiseplan stehen sollte, erfahren Sie hier. Wir können aber speziell diesen Bakterienstamm auch über Präparate, sogenannte Probiotika zuführen. Mehr über Probiotika erfahren Sie in Kapitel 6.
SAG MIR, WIE DU GEBOREN WURDEST, UND ICH SAGE DIR, WIE SICH DEIN GEWICHT ENTWICKELT
Die Besiedelung unseres Darms
beginnt direkt nach der Geburt.
Die Entscheidung, welche Bakterien eine Chance bekommen, über unser Gewicht zu bestimmen, fällt schon früh. Die Besiedelung unseres Darms beginnt, sobald wir das Licht der Welt erblicken. Und schon in dieser frühen Phase kann der Grundstein für eine günstig oder eher ungünstig zusammengesetzte Darmflora gelegt werden. Im Mutterleib ist der Darm noch frei von Keimen. Doch das ändert sich schnell. Mikroorganismen, die wir von Mama und Papa aufnehmen, die in unseren Verdauungstrakt wandern, wenn wir unser Meerschweinchen oder den ersten Freund küssen, uns ein Eis mit der Kindergartenfreundin teilen, oder Bakterien, die wir mit der Nahrung aufschnappen, besiedeln den Verdauungstrakt. Eltern geben ihren Kindern mehr mit als nur ihre Gene. Forscher konnten feststellen, dass bei einjährigen Kindern Bakterien beider Elternteile im Darm zu finden sind.
Bei jedem Zusammentreffen mit anderen Menschen oder dem Kontakt zur Umwelt wandern also neue Bakterien in den Darm und vermehren sich rasant. Je vielfältiger die Darmflora durch die unterschiedlichen Kontakte wird, desto besser. Deshalb sollten auch in einem Haushalt, vor allem, wenn dort kleine Kinder leben, keine Desinfektionsmittel zum Reinigen eingesetzt werden. Mit den normalen Alltagskeimen werden unsere Abwehrkräfte nämlich spielend fertig. Und das eine oder andere Bakterium findet vielleicht auch den Weg in unseren Darm und hält in den nächsten Jahrzehnten unsere Figur in Form. Denn dass nicht alle Keime, die wir über den Mund aufnehmen, von der aggressiven Magensäure zerstört werden, weiß jeder, der sich mal ein Softeis im Griechenlandurlaub gegönnt hat und den Genuss mit einem dreitägigen Aufenthalt auf der Toilette bezahlen musste.
So individuell, wie unsere Erfahrungswelt ist, ist auch die Zusammensetzung unserer Darmflora. Man könnte sie als bakteriellen Fingerabdruck bezeichnen. Welche Keime schließlich die Oberhand gewinnen und sich dauerhaft in uns ansiedeln, hängt von mehreren Faktoren ab. Kinder, die per Kaiserschnitt geboren werden, haben im Darm andere Bakterien als die, die vaginal entbunden werden. Erstere weisen eine deutlich geringere Vielfalt an Darmbakterien auf. Fläschchenkinder entwickeln eine andere Darmflora als Stillkinder. Prinzipiell fördern eine natürliche Entbindung und Stillen die Ansiedelung „guter“ Bakterien. Kinder, die per Kaiserschnitt entbunden wurden, hatten beispielsweise zunächst weniger Rank-und-schlank-Bakterien. Wurden sie später gestillt, konnte dieser Nachteil etwas ausgeglichen werden, denn die Muttermilch enthält besondere Nährstoffe (Präbiotika), die nicht nur die Babys, sondern auch deren Darmflora aufpäppeln. Diese „Leckereien für Darmbakterien“ sorgen auch dafür, dass Kinder, die gestillt werden, mehr Bifidobakterien im Darm haben – je länger sie gestillt wurden, desto größer ist ihre Zahl. Bereits am Ende der ersten Lebenswoche besteht der Stuhl gestillter Säuglinge zu 95 Prozent aus diesen tollen Kerlen. Sie wehren von Anfang an aktiv fremde und schädliche Keime ab. Flaschenkinder müssen sich mit höchstens 70 Prozent zufriedengeben. Gerade in dieser Lebensphase schwächen Antibiotika oder auch übertriebene Hygiene im Elternhaus die Besiedelung des Darms. Haustiere, Aufwachsen auf einem Bauernhof, ältere Geschwister oder der frühe Kontakt zu anderen Kindern tragen hingegen zur bakteriellen Vielfalt bei. In unserer modernen, keimarmen Umwelt findet man leider immer seltener diese Multikultigesellschaft im Darm. Sie weicht einer eintönigen und eher ungesunden Bakterienlandschaft. Diese fördert nicht nur Gewichtsprobleme, sondern auch Asthma und Allergien treten häufiger auf. Ein bisschen Schmutz und Keime sind also wichtig, um Darm und Immunsystem auf Trab zu halten. Man könnte hier fast von „Therapieschmutz“ sprechen.
Was sich in unserer frühesten Kindheit im Darm tut, ist von weitreichender Bedeutung. Die Bakterien, die wir in der Kindheit mitbekommen, scheinen recht anhänglich zu sein, denn sie bleiben uns manchmal Jahrzehnte erhalten – mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt.
Offensichtlich wählen die Bakterien, die kurz nach der Geburt als Erste in unseren Darm einziehen, aus, welche Neuankömmlinge später Wohnrecht bekommen, welche in kleinen Gruppen geduldet werden oder welche wieder gehen müssen. Ob wir also später einen „Magen wie ein Pferd“ haben und alles ohne Darmprobleme und Gewichtszunahme essen können (allerdings haben Pferde eher einen sehr empfindlichen Verdauungstrakt und können schlimmste Koliken bekommen) oder ob wir eher empfindlich reagieren, schnell zunehmen und bestimmte Nahrungsmittel nicht vertragen, wird teilweise schon in der Wiege festgelegt.
Doch eines steht fest: Je ausgewogener die Bakteriensituation ist, desto besser sind die Chancen, schlank zu bleiben, ein starkes Immunsystem zu entwickeln und vor zahlreichen Krankheiten gefeit zu sein.
LÄNGER LEBEN MIT DEN RICHTIGEN BAKTERIEN?
Zumindest für Fruchtfliegen scheint das zuzutreffen. Das Team um Heinrich Jasper vom kalifornischen Buck-Institut für Altersforschung konnte bei diesen Insekten Mechanismen aufdecken, die für eine Veränderung der Darmflora im Alter verantwortlich sind. Auch beim Menschen scheint sich die Balance der Darmbakterien im Alter zu verändern. Sowohl beim Menschen als auch bei den Fruchtfliegen werden dadurch vermehrt Entzündungsstoffe und freie Radikale (aggressive Moleküle, die Alterungsvorgänge beschleunigen) ins Blut abgegeben. Dadurch werden Übergewicht, Darmentzündungen, Zuckerkrankheit und Krebs mit verursacht. Den kalifornischen Forschern gelang es, durch eine Änderung der Darmflora die Lebensspanne der Fruchtfliegen zu verlängern. Auf dieser Grundlage wird nun an Wirkstoffen gearbeitet, die auch beim Menschen die Darmbakterien ähnlich günstig beeinflussen können. Möglicherweise findet man hier einen „bakteriellen Jungbrunnen“!
BAKTERIEN MACHEN EXRAUCHER DICK
Wer mit dem Rauchen aufhört, sollte sich besonders gut um seine Darmbakterien kümmern.
Auch wenn Darmbakterien sehr anhänglich sind, so ist deren Zusammensetzung nicht in Stein gemeißelt. Sagen sich Raucher von ihrem Laster los, hat das auch Einfluss auf das Leben im Darm. Viele Raucher kennen das leidige Thema: Lässt man den Glimmstängel weg, bekommt man ein paar Kilo dazu. Oft erklärt man sich das Phänomen durch „Kompensationsessen“ – statt zur...