In den folgenden beiden Kapiteln werden die Ursachen und Symptome sowie die damit einhergehenden Folgen von Schulangst beschrieben. In dieser Arbeit wird im Theorieteil, wie aus dem Titel schon hervorgeht, zunächst auf die Ursachen und dann auf die Symptome von Schulangst eingegangen. Das hat folgenden Grund:
Da die Entstehung von Schulängsten für die Umwelt selten in ihrem ganzen Ausmaß erkennbar ist, werden die Ursachen erst durch die Betrachtung der Symptome deutlich. Will man allerdings präventiv übermäßige Schulangst verhindern, so muss der Urgrund sowie der Zeitpunkt der Entstehung festgestellt werden.
Die Ursachen für Schulangst liegen zunächst einmal in der Institution Schule selbst. Hierzu gehören vor allem die Angst vor Überforderung und die Angst in Leistungssituationen nicht zu bestehen. Aber auch die Angst vor Mitschülern und Lehrern, das heißt vor sozialen Konflikten, tritt bei Schülern häufig auf.
Schulangst ist, wie andere Angstreaktionen, abhängig von verschiedenen, sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren. Diese sind die persönliche Veranlagung des Schülers zur Angst- und Schulangstreaktion, die individuelle Empfindung und Wahrnehmung von Bedrohungen durch die eigene Person und die Art der angstauslösenden Situation.
Angst wird bereits im Kleinkindalter gelernt. Demnach ist die frühkindliche Erziehung und die in der Zeit gewonnenen Erfahrungen die Basis für die Wahrscheinlichkeit von Angstreaktionen und deren Ausmaß. Daher besitzt der Schulanfänger bereits Veranlagungen zu bestimmten Ängsten und Reaktionen auf Angst, die er in seinem bisherigen Leben gelernt hat. Demnach sind familiäre Bedingungen und die Erziehung eine weitere Ursache für Schulangst. Oft sind es mehrere dieser Faktoren, die beim Kind oder Jugendlichen zur Entstehung von Schulangst führen.
Für GANTER-BÜHRER stellt Schulangst unter anderem folgende Disposition dar: „Die beiden Institutionen [Schule und Familie] stützen sich bei genauem Hinsehen nicht. Treten bei einem Schüler Schwierigkeiten auf, schieben sich Schule und Elternhaus die Ursachen gegenseitig zu, wodurch echte Lösungen blockiert werden und das Kind in ein Spannungsfeld gerät, da es in beiden Bereichen leben muss“ (GANTER-BÜHRER, 1991, S. 66).
Nach LEIBOLD gibt es eine große Anzahl von individuellen Umständen, die zur Schulangst führen oder diese verstärken können. Er geht allerdings von folgenden Hauptursachen aus:
„- Ungünstige Einflüsse aus dem Elternhaus, die oft noch mit übertriebenem Leistungsdruck einhergehen,
Konzentrations- und andere Lernstörungen, die teils mit Stress und anderen seelischen Ursachen in Zusammenhang stehen, teils aus Fehlern der Ernährung und Lebensweise oder Krankheiten zu erklären sind;
soziale Konflikte in der Klasse mit anderen Schülern und/oder Lehrern, die viele Leistungsstörungen und Ängste verursachen können;
Strukturen der Schule und des Unterrichts, weil der Schüler dabei nicht mehr als Mensch in seiner Ganzheit gefordert und gefördert wird, sondern nur immer mehr Wissen vermittelt bekommt, während Kreativität, Phantasie und andere wesentliche Eigenschaften seiner Persönlichkeit vernachlässigt werden;
Gesellschaftliche Verhältnisse in den modernen Industriestaaten, die sich im krisenhaften Umbruch befinden und die Zukunftsangst fördern, die wiederum übertriebene Anpassung oder Leistungsverweigerung begünstigt“ (LEIBOLD, 1986, S. 20/21).
Für HOLTMEYER besagt die Erscheinung Schulangst folgendes: „Bei der Schulangst haben wir es nicht zuletzt mit einem kommunikativen Problem zu tun: es stimmt etwas nicht im Dreiklang von Schule, Elternhaus und Kind“ (HOLTMEYER, In. Sozialpädagogische Blätter, Heft 3/1985, S. 84).
Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden die verschiedenen Ursachen von Schulangst genauer beschrieben.
Eltern sind auch nicht ohne Fehler, denn sie sind geprägt von ihrer eigenen Kindheit, Erziehung und ihren Erfahrungen. Viele Elternteile leiden aufgrund ihrer eigenen Erziehung und ihres bisherigen Lebens selbst unter Ängsten, die sie auf das Kind übertragen. Solche Ängste können zum Beispiel die Angst vor Verlust des Kindes oder Partners (Trennungsängste), die Angst vor außerfamiliären Gefahren für sich selbst und das Kind, die Angst vor zukünftigen negativen Ereignissen und Schicksalsschlägen, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit und finanzielle Schwierigkeiten sein.
Bereits die Eltern und das nähere Umfeld eines Kleinkindes sind von Bedeutung für dessen spätere Empfänglichkeit und Ausprägung von Ängsten. Damit sich das Neugeborene positiv entwickeln kann, ist ein frühkindlich erworbenes Urvertrauen in die Menschen seiner Umgebung und eine persönlichkeitsfördernde Erziehung
notwendig. Dazu gehört aus der Sicht des Kleinkindes das Gefühl des Angenommenseins und der Geborgenheit. In einer intakten Familie ist ein ausreichendes Maß davon vorhanden.
Ein Zuviel dieser Gefühle sollten Eltern ihrem Kind nicht geben, denn dadurch kann Überbehütung entstehen. Eltern, die ihr Kind überbehüten, versuchen es übermäßig vor Gefahren des Lebens zu beschützen, manche schirmen es regelrecht vor dem Leben ab. Die Eltern müssen ihrem Kind ausreichende, kindliche Freiheiten und Selbstbestimmung einräumen und ihm einen ersten Umgang mit Misserfolgen lehren. Kinder müssen die Möglichkeit bekommen gute und schlechte Erfahrungen zu machen und Gefahren und Risiken kennen zu lernen. Die Erziehung sollte nicht zu streng, doch auch nicht zu richtungslos erfolgen. Beides ist schlecht für die Weiterentwicklung des Kindes und kann zu Ängsten im sozialen Bereich, später auch zu Schulangst oder gar Depressionen führen.
Ein anderer Grund für Überbehütung ist die Ablehnung des eigenen Kindes. Ein oder beide Elternteile empfinden eine Abneigung gegenüber diesem.
LEIBOLD schreibt hierzu: „ Diese Abneigung gestehen sich die Eltern jedoch nicht ein, weil sie die Verurteilung durch ihr Gewissen fürchten müssten. Sie wird ins Unbewusste verdrängt und erzeugt unklare Schuldgefühle gegenüber dem Kind“ (LEIBOLD, 1986, S. 24). Nach außen hin soll das jedoch nicht deutlich werden, daher wird das Kind intensiv geliebt, es soll ihm scheinbar an nichts fehlen.
Nach LEIBOLD entsteht „Überbehütung durch ein oder zwei Elternteile [entspringt] also immer einer krankhaften psychosozialen Störung. Das Kind wird dadurch in seiner Entwicklung – abhängig von der Widerstandskraft seiner Persönlichkeit – unterschiedlich stark gehemmt [...] Die Angst des Kindes entsteht als Reaktion auf die normale Erziehung, von der es instinktiv spürt, dass sie ihm nicht bei der Entfaltung seiner Persönlichkeit hilft. Und diese Angst wird häufig auf die Schule übertragen, obwohl sie dazu überhaupt nichts beigetragen hat“ (LEIBOLD, 1986, S. 25).
Das Kind lernt Verhaltensweisen durch Beobachtung und Nachahmung der Eltern, Geschwister, Gleichaltrigen sowie anderen Personen in seiner Umgebung. Das bedeutet, es lernt Ängste am Modell oder durch Identifikationslernen. Die Eltern geben ihre eigenen Einstellungen und Verhaltensmuster an das Kind weiter. Sie erwarten von ihm bestimmte Leistungen und Verhaltensweisen. Auch hier können die Ursachen für spätere Schulängste und andere Ängste liegen.
Eltern sind automatisch dazu geneigt, eigene Erziehungsdefizite, Erfahrungen und Ängste an ihre Kinder weiterzugeben, beziehungsweise auf diese zu übertragen. Nicht selten sind sie in ihrer beruflichen, familiären und/oder erzieherischen Rolle aus verschiedenen Gründen überfordert. Dann können sie ihrem Kind nicht genug Liebe und Aufmerksamkeit schenken, sie sind gereizt und leiden unter Stress.
Sie sind dann nicht in der Lage auf mögliche Probleme ihres Kindes innerhalb oder auch außerhalb der Schule ausreichend einzugehen.
Bringt ein Kind zum Beispiel eine schlechte Note mit nach Hause, so werden ihm vielleicht von Seiten der Eltern die schlechtesten Zukunftschancen ausgemalt, es wird als dumm und faul gescholten und ihm werden Strafen auferlegt, wie zum Beispiel Taschengeldentzug, Fernsehverbot oder Hausarrest.
Nach dem Grund für die schlechte Note fragen viele Eltern kaum. Für ein gemeinsames Gespräch über schulische und außerschulische Probleme und mögliche Verbesserungsmöglichkeiten nehmen sich viele keine Zeit. Zum Teil schieben sich Vater und Mutter gegenseitig die Schuld am Versagen des Sprösslings zu.
Auch die eigenen ungelösten Ängste der Eltern machen eine Lösung der kindlichen Schulsorgen oft unmöglich. Im Gegenteil: Die elterlichen Ängste werden bewusst oder unbewusst auf das Kind übertragen und...