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Schwarz-weiß

Tot geboren und doch überlebt

AutorDetlef Postler
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783744866026
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Mein von Geburt an knüppelhartes Leben war geprägt von Einsamkeit, Unverständnis und Mobbing. Nur weil ich krank war, erfuhr ich Erniedrigungen, Beleidigungen und Unterstellungen. Aber immer spürte ich den Drang, mir zu beweisen, dass ich stark sein kann, obwohl ich als der Schwache, der Kleine, das Nichts hingestellt wurde. Mein absoluter Wille war für mich letztlich entscheidend dafür, dass ich meine 28-jährige Krankheit überwand. Ich möchte jeden Kranken, aber auch die Angehörigen motivieren, nie den Mut zu verlieren. Mögen sie von meinen Erfahrungen profitieren, um für sich das Beste zu erreichen.

Detlef Postler wurde 1968 in der Nähe von Bamberg geboren, wo er auch heute noch lebt. Wahrscheinlich ist er der Einzige in Deutschland, der sich viermal den Kopf operieren ließ, um seine Epilepsie-Erkrankung zu besiegen.

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Leseprobe

Tot geboren – und doch überlebt


Im April 1968 kam ich in einem kleinen Ort in der Nähe von Bamberg zur Welt. Während die Geburten meiner sechs älteren Geschwister – drei Mädels und drei Jungen – alle reibungslos verlaufen waren, traten bei mir jedoch Komplikationen auf. Der Arzt hatte es in seiner langen Laufbahn noch nie erlebt, dass eine mehrfachgebärende Mutter solche Probleme bekam.

Da die Plazenta vor dem Geburtskanal lag, verhinderte sie, dass ich zur Welt kommen konnte. Man versuchte alles Mögliche auf „normalem“ Weg, bis der Chefarzt in letzter Sekunde eingriff und einen Notkaiserschnitt durchführte. Leblos wurde ich aus dem Körper geholt. Die Blutuntersuchung ergab, dass ich eine Rhesusfaktorintoleranz hatte. Man reanimierte mich und tauschte mein Blut komplett aus. Insgesamt musste ich vier Wochen im Krankenhaus bleiben, davon lange Zeit auf der Intensivstation.

Auch meine 38-jährige Mutter stand auf der Kippe zum Tod. Sie lag ebenfalls mehrere Tage auf der Intensivstation und anschließend ganz allein in einem Krankenzimmer. Erst am zehnten Tag nach der Geburt kam der Professor zu ihr: „Frau Postler, jetzt haben wir es geschafft.“

Ich bin als Kämpfer geboren und setzte mich gegen den Tod durch. Anscheinend war ich ein Glückskind – nicht nur, weil ich am Leben geblieben bin, sondern auch, weil ich keine geistige Behinderung davontrug.

Obwohl ich als gesunder Mensch aufwuchs, hatte ich eine sehr schwere Kindheit. Denn meine Mutter verzieh mir meine schwierige Geburt nie. Ihr Leben lang machte sie mir diese zum Vorwurf, was in ihren Schimpfworten so klang: „Wegen dir Himmelhund war ich acht Tage allein im Sterbezimmer gelegen.“ Immer wieder bekam ich zu hören, dass ich sie in Lebensgefahr gebracht hatte. Wenn man das schon als vierjähriges Kind vorgeworfen bekommt, ist das kaum zu verkraften. Auch viele Nachbarn hörten diese Worte immer wieder von ihr: „Wegen meinem Himmelhund war ich acht Tage allein im Sterbezimmer gelegen.“

Weil ich ein Kaiserschnittkind war, rief sie mich auch oft ironisch mit folgenden Worten: „Kaiserliche Hoheit, komm her!“

Aber ich wurde auch viel geschlagen, jedoch nicht aus dem Stegreif, sondern musste schon etwas angestellt haben. Dann kamen die Rute oder auch der große Kochlöffel zum Einsatz. Da wir zehn Personen waren, besaßen wir große Töpfe, in denen meine Mama jeden Sonntag die Klöße kochte, und dazu passende, große Kochlöffel – von denen einige an meinem Rücken zerbrachen. Einmal wöchentlich, das war fast die Regel für eine Tracht Prügel, immer wieder und wieder, Jahr ein – Jahr aus. Wenn ich mich unter die Eckbank flüchtete, zog sie die Stühle beiseite, um mich mit der Rute zu bestrafen. Oder der Schlüssel wurde auch schon mal von außen gedreht, wenn ich im Keller Zuflucht gesucht hatte.

Der Ton meiner Mama war von Anfang an hart. Immer wieder schleuderte sie mir Schimpfworte wie „Du Satansbraten“ an den Kopf. Nicht selten drohte sie mir auch: „Wenn du jetzt nicht sofort brav bist, dann rufe ich die Polizei und lasse dich holen! Dann kommst du ins Heim!“, womit sie mir große Angst machte.

Trotzdem hat mich meine Mama sicherlich geliebt. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie einfach überfordert war. Vermutlich hat sie bei meiner komplizierten Geburt ein Trauma erlitten. Da sie dafür nichts konnte, bin ich ihr im Rückblick auch nicht böse. Als Kind hatte ich es aber unheimlich schwer. Ich bin mit vielen Schlägen und Schimpfworten groß geworden.

Wenn ich etwas angestellt hatte, verschwand ich immer schnell und wartete auf meinen Vater, denn bei ihm fiel die Strafe meist etwas geringer aus. Ich war schon ein bisschen sein Liebling, weshalb sich meine Mama auch oft beklagte: „Der verwöhnt dich ganz schön.“

Mein Papa war die Woche über unterwegs, da er auf Montage arbeitete. Manchmal kam er freitags, manchmal auch erst samstags nach Hause und sonntags musste er schon wieder los. Am Wochenende ging er entweder zum Fußballverein oder in die Wirtschaft. Außerdem verdiente er noch nebenher etwas, um die große Familie zu versorgen. Zu Hause war er daher nur selten.

Sicherlich war ich auch kein einfaches Kind. Im Gegenteil. Ich habe bestimmt mehr angestellt als andere Kinder. Damals galt man einfach als sehr aufgeweckt und bisweilen auch als zu aufgeweckt, heute sagt man vielleicht ADHS dazu. Vielleicht ließ mich auch die strenge Erziehung so impulsiv werden. Jedenfalls reagierte ich schnell aggressiv, zum Beispiel als meine Mutter einmal mein Fahrrad wegsperrte, da sie nicht wollte, dass ich einen Kilometer weit zur Kirchweih fuhr. Das regte mich derart auf, dass ich so stark von außen gegen das Küchenfenster schlug, dass die Scheibe zu Bruch ging. Anschließend verschwand ich bis zum Abend, bis mein Papa kam.

Aber auch mein Vater schlug mich – zwar selten, aber wenn, dann richtig heftig. Eine frühere Mitschülerin erzählte mir viele Jahre später: „Ich kann mich noch an eine Situation erinnern, da sah ich euch an einer Hausecke und dachte, dein Papa schlägt dich tot.“ Ich hatte dieses Ereignis längst vergessen. An dem Tag war Kirchweih und mein Papa hatte vermutlich viel getrunken. Aber ich erlebte ihn nie betrunken, sondern immer nur gut angeheitert. Meistens wusste er noch, was er tat.

Aufgewachsen bin ich in sehr ärmlichen Verhältnissen – allerdings in einem Schloss, das seit 1880 der Gemeinde gehörte. Im Laufe der Zeit wurde es als Schule, Rathaus, Wohnhaus für Lehrer und zur Unterbringung von Heimatvertriebenen und anderen bedürftigen Familien genutzt. Außer uns lebten in dem Schloss drei weitere Familien mit insgesamt mehr als 20 Kindern. Unsere zehnköpfige Familie hatte zwei Schlafzimmer. Durch die Eingangstür betrat man direkt die Küche, wo sich das ganze Leben abspielte. Es gab zwar auch einen Elektroofen, aber die Oma zog es vor, auf dem Holzofen zu kochen. Von der Küche gelangte man durch das eine Schlafzimmer in das andere. Im Winter war es immer extrem kalt, weshalb wir Metallwärmflaschen in den Betten hatten.

Meine Oma wohnte in einem eigenen Haus, war aber den ganzen Tag über bei uns. Sie kam frühmorgens und ging erst abends, zuerst in die Kirche und dann heim. Und das jeden Tag. Sie kümmerte sich um uns Kinder und bekochte uns, was sie besser konnte als meine Mama. Währenddessen zog meine Mutter von Haus zu Haus und verkaufte in der Ortschaft Waren, zum Beispiel Waschpulver, um nebenher etwas Geld zu verdienen. Sie hatte ihren festen Kundenstamm.

Mein erstes Zuhause, ein Schloss

Ich habe meine Oma geliebt. Zu ihr fühlte ich mich mehr hingezogen als zu meiner Mutter. Ständig saß ich auf ihrem Schoß. Sie war eine Seele von Mensch, die wahrlich keiner Fliege etwas antun konnte. Oft ließ sie diese sogar zum Fenster hinaus. Für mich war sie immer der kleine Hinterhalt, ich versteckte mich gern hinter ihrem Rücken.

Meine Mama war sehr christlich eingestellt und meine Oma noch viel mehr. So wurden wir natürlich katholisch erzogen und hatten gepflegt jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, was man als Kind auch noch tat. Aber je älter man wurde, desto weniger gern. Die Erstkommunion wurde von jedem Kind groß mit der ganzen Verwandtschaft gefeiert. Auch an der Firmung nahm ich teil und war Ministrant in der Kirche. Weihnachten feierten wir zwar, aber an Geschenke kann ich mich nicht erinnern. Ansonsten gab es nur wenige Feste – weder Geburtstag noch Namenstag. Meine Oma dagegen, die Josepha hieß, legte Wert darauf, dass man ihr zu ihrem Namenstag gratulierte.

Kurz vor meinem sechsten Geburtstag zogen wir in unser eigenes, von den Eltern erbautes Haus. Der Weg zum Kindergarten und zur Schule war nun etwas weiter, wie auch die Entfernung zum Haus der Oma, aber sie war ja sowieso immer bei uns. Ansonsten änderte sich für mich nichts. Ein eigenes Zimmer hatte ich nach wie vor nicht. Aber ich war sowieso viel häufiger draußen als drinnen.

An meine Einschulung kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Ich habe allerdings ein größeres Bild von mir mit Schultüte vor Augen. In der ersten Klasse hatten wir einen Buchstabensteckkasten und große Blöcke, auf die wir die Buchstaben malen mussten. Erst an die zweite Klasse erinnere ich mich genauer. Unser Lehrer hatte früher geboxt und diese Aggressivität steckte wahrscheinlich noch in ihm. Obwohl ich in der Schule nicht unruhig war, zählte ich täglich zu den Bestraften, denn ich konnte nicht schön schreiben. Zur Strafe für schlecht geschriebene Hausaufgaben verteilte der Lehrer Kopfnüsse. Oder er packte einfach aus dem Stegreif Kinder am Pulli und zog sie vom Stuhl hoch. Das war die einzige Klasse, in der ich einen prügelnden Lehrer erlebte. Der Rektor zog einen zwar auch öfter mal an den Koteletten nach oben, aber geschlagen hat er nie.

Ein trauriges Erlebnis habe ich nie vergessen: Als ich zehn oder elf Jahre alt war, pflückte ich mit einem Freund außerhalb der Ortschaft Kirschen. Wir kletterten auf den Baum und aßen sie gleich. Auf dem Heimweg wollten wir uns an den Traktor seines Nachbarn...

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