Die Schule ist prägend für das Geschichtsbewusstsein der Gesellschaft. Das Geschichtsbewusstsein kann als „eine komplexe Kombination von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartswahrnehmungen und Zukunftsdeutungen"[33] definiert werden. Wenn Jugendliche und Erwachsene gefragt werden, was sie mit dem Begriff Geschichte assoziieren, nennen die meisten den Geschichtsunterricht an der Schule. Das Geschichtsbewusstsein entsteht aber nicht nur im Geschichtsunterricht, sondern in der gesamten Gesellschaft. Es bietet sich aber in der vertieften Betrachtung von Geschichte an der Schule die Gelegenheit, das Geschichtsbewusstsein zu reflektieren und somit auch bewusster damit umzugehen. Die Identität, die aus diesem Bewusstsein hervorgeht, kann so von einer übernommenen zu einer erarbeiteten werden. Es können in diesem Zusammenhang auch ausserschulisch gebildete Aspekte der Identität problematisiert werden.[34]
Da der Geschichtsunterricht so zu einem wichtigen Faktor der Identitätsbildung wird, kann er auch instrumentalisiert werden. Wenn durch den selektiven Rückgriff auf Geschichte Zustände oder Ansprüche legitimiert werden, droht die Gefahr, den Lernenden Identität aufzuzwingen. Es muss deshalb darauf geachtet werden, dass die Schülerinnen und Schüler durch ein differenziertes Geschichtsbewusstsein zu einer selbstbestimmten und kritischen Identitätsfindung angeleitet werden.[35] Da Filme mit ihrer multimedialen Kraft einen grossen Einfluss auf das Geschichtsbewusstsein haben, spielen sie in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.
Die Verwendung von Filmen im Geschichtsunterricht ging einher mit dem technischen Fortschritt und der damit immer grösser werdenden Verfügbarkeit von Filmmaterial. Mit dem Aufkommen von Videokassetten in den 80er Jahren wurde es für die Lehrpersonen möglich, ohne grossen Aufwand Filme im Unterricht zu zeigen. Im Zuge dieser Entwicklung wurden auch speziell für den Unterricht Filme produziert. Diese können, wenn sie professionell didaktisch gestaltet sind, einen wertvollen Beitrag zum Geschichtsunterricht leisten. Der Einsatz von Filmen ist für Lehrpersonen zu etwas Alltäglichem geworden und kann neben Unterrichtsfilmen auch Dokumentationen, Dokufiction- Filme und Spielfilme umfassen.[36]
Es ist auch ein Wandel in der Geschichtsdidaktik, die den Einbezug von Spielfilmen begünstigte. Man will heute nicht mehr nur noch die Geschichte darstellen, wie sie sich wirklich ereignet hat, sondern auch das Geschichtsbewusstsein untersuchen. In diesem Zusammenhang werden auch populäre Geschichtsdarstellungen wie historische Spielfilme interessant, die früher von Historikern und Geschichtsdidaktikern verschmäht wurden. Auch ist man davon abgekommen, in Spielfilmen einen grundsätzlich schlechten Einfluss auf die Jugend zu sehen.[37]
Filme eignen sich für unterschiedliche Unterrichtsphasen. Als Einstieg in ein Thema können sie dank ihrer oft emotionale Färbung zur Motivation dienen, zur Einstimmung und um eine Problematik bewusst zu machen. Filmsequenzen können auch zur Präsentation von Lerninhalten dienen, da sie meist eine hohe Informationsdichte aufweisen. Auch können sie durchgenommene Stoffe veranschaulichen oder vertiefen. Weiter kann eine Filmsequenz auch als Bereicherung des Unterrichts eingesetzt werden, indem den Schülern eine spannende und lustvolle Abwechslung geboten wird.[38]
Eine Studie an deutschen Schulen hat gezeigt, dass im Geschichtsunterricht eher selten Spielfilme eingesetzt werden. Dokumentar- und Unterrichtsfilme jedoch sind ein verbreitetes Mittel, um Geschichtsinhalte zu vermitteln. Die befragten Lehrerinnen und Lehrer brachten zum Ausdruck, dass noch grosse Unsicherheiten in Bezug auf die Auswahl und den didaktischen Umgang mit Spielfilmen besteht. Wenn Spielfilme eingesetzt werden, dann um das inhaltsbezogene Wissen der Schüler zu vertiefen. Die Darstellungsweise wird kaum analysiert und das vermittelte Geschichtsbild nicht reflektiert. Jedoch gaben die meisten Lehrerpersonen zu Protokoll, dass sie die Schüler auf die Konstruiertheit von Spielfilmen aufmerksam machen und den Einfluss dieser auf das Geschichtsbewusstsein der Schüler thematisieren.[39]
Dokumentarfilme können als historische Quellen die „Wirklichkeit" in einer Vielschichtigkeit und Komplexität darstellen, die eine verbale Erzählung oder Beschreibung nicht erreichen kann. Es können so auch Stimmungen vermittelt werden und es entsteht eine grosse Direktheit, die allein durch Worte nicht erreicht werden kann. Dokumentarfilme können unter Umständen auch objektivere Informationen liefern, weil im Bildausschnitt auch Dinge gezeigt werden, die dem Filmenden unwichtig erscheinen, denen aber beim Anschauen des Films dann Bedeutung vom Zuschauer beigemessen werden kann. Dokumentarische Sequenzen sind ausserdem die einzige Möglichkeit, einen visuellen Eindruck von vergangenen oder geografisch weit entfernten Ereignissen oder Orten zu bekommen, die für die Lernenden sonst nicht zugänglich sind.[40] Der Film kann Objekte und Ereignisse räumlich darstellen und sie so besser fassbar machen. Dazu kommt die Möglichkeit, Geschehnisse in Echtzeit wiederzugeben, die gefilmte Zeit und die Zeit im Film sind dann also identisch. Dadurch können zeitgebundene Abläufe und Handlungen wirklichkeitsgetreu wiedergegeben werden.[41]
Für Schüler, denen der Zugang zur Geschichte über Textquellen schwerfällt, können Filmbeiträge eine Hilfe sein. Dieses ist vor allem in der heutigen film- und fernsehgewohnten Gesellschaft ein gewinnbringender Ansatz.[42] Filme haben den Vorteil, dass sie verschiedene Wahrnehmungskanäle bedienen und so die Aufmerksamkeit der Zuschauer bündeln.[43] Studien haben ergeben, dass der Einsatz von Filmen im Geschichtsunterricht einen gesteigerten Lerneffekt bewirkt. Es wurde eine Steigerung von 121% festgestellt, wenn man den „konventionellen" Unterricht ohne Medieneinsatz bei 100% festlegt. Am effektivsten ist dann eine Medienkombination von Filmen, Tonaufnahmen und Texten mit einer Lernsteigerung von 149%.[44]
Die Geschichte im Film begegnet der Gesellschaft in erster Linie aber nicht in Dokumentationen, sondern im historischen Spielfilm. Diese eignen sich auch für den Geschichtsunterricht, oft aus didaktischen Überlegungen sogar besser als Dokumentationen. Durch die Mittel der Personifizierung und Dramatisierung werden die Gefühle der Zuschauer angesprochen. Es werden exemplarische historische Gegebenheiten dargestellt. Es gelingt so dem Spielfilm oft besser, ein ganzheitliches Bild von historischen Umständen darzustellen. Wenn die Quellenlage Lücken aufweist, werden diese im Spielfilm meist so gefüllt, wie man sich aufgrund existierender Zeugnisse die beschriebene Zeit vorstellt. So ist es für Lernende einfacher, ein Eindruck einer vergangenen Zeit zu erhalten.[45] Natürlich nehmen es nicht alle Filmemacher sehr genau mit der geschichtlichen Authentizität, da oft das Erzählen einer spannenden Geschichte im Vordergrund steht und historische Fakten sich diesem Ziel unterzuordnen haben. Dennoch gibt es einige Filme, die versuchen mit Hilfe von Historikern die beschriebene Zeit so genau wie möglich darzustellen.[46]
Beim Einsatz von Spielfilmen im Unterricht muss die Multiperspektivität berücksichtigt werden. Es muss den Schülern bewusst gemacht werden, dass das Gezeigte auch anders hätte dargestellt werden können. Wenn man ihnen solche variierenden Darstellungen zeigen kann, dann wird dieser Erkenntnisgewinn am besten erreicht. Ausserdem soll mit der Klasse besprochen werden, wer den Film aus welcher Motivation hergestellt hat. Wenn die Schüler mit diesen Überlegungen konfrontiert werden, wird ihr Geschichtsbewusstsein gestärkt und es spielt nicht mehr eine so grosse Rolle, ob im Spielfilm alle Fakten historisch korrekt dargestellt sind.[47]
Das Veranschaulichen von vergangenen Ereignissen ist aber nicht das einzige Potenzial von historischen Spielfilmen im Unterricht. Mit ihrem Einsatz kann auch analysiert werden, wie Geschichte dargestellt wird. Es muss dafür die Konstruktion und die Erzählweise des Films untersucht werden. Um in diesen Fragen noch ungeübte Schüler auf die Konstruktion von historischen Spielfilmen aufmerksam zu machen, kann es sich anbieten, einen Film zu zeigen, der offensichtlich seinen Inszenierungscharakter zeigt, indem zum Beispiel moderne Elemente in eine mittelalterliche Handlung integriert werden. Anhand historischer Filme kann auch die Entstehungszeit dieser in den Fokus genommen werden. Die Spielfilme sind so selbst eine historische Quelle, anhand derer das Geschichtsbild einer bestimmten Zeit rekonstruiert wird. Im Sinne einer Förderung des Geschichtsbewusstseins sind diese beiden Zugänge als äusserst gewinnbringend einzuschätzen.[48]
Dokufiction-Filme versuchen nun die Vorteile von Dokumentationen und Spielfilmen zu verbinden. Es wird darin versucht, durch nachgespielte Sequenzen die historischen Ereignisse in ihrer Ganzheit darzustellen und Lücken in der Quellenlage mit Fiktion zu füllen, aber gleichzeitig die Geschichte mit Hilfe von Bildquellen und Expertenkommentaren möglichst historisch akkurat wiederzugeben. Diese Methode wird vor allem für historische Epochen...