Um schwierige Situationen vergleichbar zu machen – beispielsweise für eine Nachvollziehbarkeit in einer ähnlichen Situation, die Dokumentation in einer Patientenakte oder die wissenschaftliche Auswertbarkeit über die Häufigkeit solcher Situation – müssen sie erst einmal definiert werden.
Nach der allgemeingültigen Definition der American Society of Anesthesiologists (ASA) spricht man von einem schwierigen Atemweg (besser: die schwierige Atemwegssicherung), wenn die erfolgreiche Platzierung des Endotrachealtubus bei einem „durchschnittlich ausgebildeten“ Anästhesisten mehr als 3 Versuche erfordert oder länger als 10 Minuten dauert.
In der ► Tab. 2.1 wird die Klassifizierung der Beschreibung des schwierigen Atemweges aufgelistet und bestimmt, während die Tab. 2.2 nach der Han-Klassifikation die Schwierigkeitsgrade der Maskenbeatmung auflistet.
In der ► Tab. 2.3 werden die Minimalanforderungen beim Management des schwierigen Atemweges an die verantwortlich Tätigen zusammengestellt, um vorausschauend planen und diese Situationen nachhaltig bewältigen zu können.
Tab. 2.1 Klassifikation zur Beschreibung des schwierigen Atemweges (3).
I | Maskenbeatmung problemlos möglich |
II | Maskenbeatmung nur unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln (z. B. Guedel-Tubus) möglich |
III | schwierige Maskenbeatmung (inadäquat, instabil, zwei Personen erforderlich) |
IV | Maskenbeatmung nicht möglich |
Tab. 2.3 Minimalanforderungen beim Management des schwierigen Atemwegs (6) [4].
Minimalanforderungen beim Management des schwierigen Atemwegs |
Notfallplan etablieren und kommunizieren, Standardalarmierungsschemata für spezielle Notfälle |
Equipment zeitnah bereitstellen, deutlich gekennzeichnet und leicht zugänglich lagern |
Prädiktoren des schwierigen Atemweges erkennen |
effektive Präoxygenierung mit Monitoring |
Maskenbeatmung/ Larynxmaske als universelle Rückzugsstrategie mithilfe der 2-Hand-2-Personen-Methode |
Intubation über einen langen Führungsstab |
fiberoptische Intubation beim wachen Patienten oder über Larynxmaske oder ILMA mit Helfer |
mindestens eine Alternative mit dem Ziel „Intubation“ (z. B. gerader Spatel, ILMA, Bonfils-Optik, Videoaryngoskope) |
Notfallkoniotomie mit Ober-/Facharzt und Notfallbesteck |
Übung der Techniken am Phantom, Simulator und unter Routinebedingungen |
Auffälligkeiten beim Anblick eines Patienten
Ein gutes Beobachtungsvermögen will geschult sein mit Hinweisen auf Auffälligkeiten, die eine schwierige Intubation anzeigen.
• Profilansicht: Mikrogenie, Retrogenie (thyreomentale Distanz < 6 cm)
• kurzer, dicker Hals, Adipositas, Stiernacken, Verletzungen am Hals
• Kopf nicht reklinierbar (HWS-Frakturen, -Luxationen)
• Wirbelsäulenversteifungen (z.B. Morbus Bechterew)
• ab Mundöffnung nach Mallampati III (siehe auch ► Abb.2.2)
• lange, vorstehende Frontzähne
• lückenhaftes, desolates Gebiss
• einzeln stehende Frontzähne
• Kieferklemme < 2 Querfinger zwischen den Zahnreihen
• „dicke Backe“ (Zahnabszess mit Begleitödem und Kieferklemme)
• Makroglossie (z.B. Akromegalie)
• Verlegung der Atemwege (z.B. Tumoren, Ödeme, Abszesse, Hämatome, Kontakttonsillen, Fremdkörper, Hämangiome, liegende Belocq-Tamponade)
• Mittelgesichts- oder Kieferfrakturen
• akute Blutungen im Mund-, Nasen-, Pharynxbereich
• Verhärtung oder Schrumpfung des Gesichts (z.B. nach Bestrahlung, Verbrennung, Operation)
• Heiserkeit (z.B. Rekurrensparese, Stimmbandödem, -tumor)
• Schluckstörungen
• „kloßige“ Sprache
• Atemnot (z.B. Epiglottitis)
• inspiratorischer Stridor
• Atemnot im Liegen
Als Blickdiagnosen könnten die Gesichts- und Halsanomalien beschrieben werden, die in der ► Tab. 2.4 bei den ersten 3 Bildern je eine Kieferanomalie sowie im Folgenden andere Intubationshindernisse signalisieren.
Tab. 2.4 Gesichts- und Halsanomalien, die eine schwierige Intubation signalisieren (1.–3. Kieferanomalien) (17), (7).
Aufgrund der Messung von anatomischen Distanzen kann der Anästhesist im Vorfeld abschätzen, ob eine schwierige Intubation bevorsteht.
Eine Kieferklemme kann leicht erkannt werden, indem der Patient gebeten wird, den Mund maximal zu öffnen und er nur 2 seiner Querfinger zwischen seine Schneidezahnkanten/Alveolarkamm-Kanten geschoben bekommt.
Eine Einschränkung im Atlantookzipitalgelenk bedeutet eine eingeschränkte Reklinierbarkeit/ Rückwärtsbiegung des Kopfes.
Bei einer Mikroretrogenie, d.h. einem fliehenden und zu kurzen Kinn (► Tab. 2.4, 1), wird der thyreomentale Abstand unter 6,5 cm betragen und damit eine sehr schwierige Intubation signalisieren.
Das gilt gleichermaßen für den hyomentalen wie für den sternomentalen Abstand.
In der ► Abb.2.1 werden die anatomischen Distanzen am Phantom dargestellt.
Abb. 2.1 Anatomische Distanzen:
• SKD/AKD (grün): Distanz zwischen den Schneidezahnkanten des Oberund Unterkiefers (normal: 5 cm)
• Atlantookzipitalgelenk (blau): reduzierte Beweglichkeit < 15° ( normal: ca. 30°)
• thyreomentaler Abstand (rot): zwischen Schildknorpel und Kinn bei maximal überstrecktem Kopf < 6,5 cm problematisch ( normal: > 7 cm)
• sternomentaler Abstand (gelb): zwischen kranialem Sternumrand und Kinn bei maximal überstrecktem Kopf (normal: > 13,5 cm)
• hyomentaler Abstand (lila): zwischen Zungenbein und Kinn ( normal: > 2 Querfinger).
Folgende Diagnosen signalisieren eine schwierige Intubation und/oder Beatmung:
• Gesichts- und Halswirbelsäulenfrakturen oder -traumata
• Verletzungen am Hals (des Larynx, der Trachea, der Weichteile)
• Infektionen und Abszesse im Kopf- und Halsbereich (Epiglottitis, Peritonsillarabszess)
• Zustand nach Bestrahlung, Verbrennung, Operationen im Kopfbereich (Inhalationstrauma)
• Tumoren im Kopf- und Halsbereich
• Mediastinal mass syndrome (Raumforderung im vorderen Mediastinum)
• allergische Reaktionen (Ödeme der Zunge, Epiglottis, des Larynx)
• Fremdkörper im Mund-, Rachen-, Nasen- und Lungenbereich (Aspiration, liegende Belocq-Tamponade)
• Kontakttonsillen („kissing tonsils“)
• Choanalatresie
• Diabetes mellitus, langjährig durch Gelenkversteifungen
• rheumatoide Arthritis, durch Gelenkveränderungen
• Hypophysenadenom, Akromegalie durch Makroglossie
• Rekurrensparese (Stimmbandlähmung, Heiserkeit)
• Schwangerschaft (2. und 3. Trimenon)
• obstruktive Schlafapnoe (OSA)
• Adipositas per magna
Eine schwierige Intubation ist weiterhin bei den folgenden Missbildungssyndromen zu erwarten [6]:
• Pierre Robin-Sequenz (Retromikrogenie, Rückfall der Zunge in den Hypopharynx)
• Treacher-Collins-Syndrom, Franceschetti-Syndrom (Mikroretrogenie, Jochbeinhypoplasie u.a.)
• Stickler-Syndrom, Weaver-Smith-Syndrom, Marshall-Syndrom (Mikrognathie)
• DiGeorge-Syndrom (Mikrogenie)
• Hallermann-Streiff-Syndrom (Mikrogenie)
• Pfaundler-Hurler oder Klippel-Feil-Syndrom (Mukopolysaccharidosen und Synostose der HWS, Kurzhals, Makroglossie)
• Goldenhar-Syndrom,...