iMobilePhysics: Seamless learning with smartphones & tablets as experimental mobile labs in physics
Abstract
This paper discusses an approach that uses smartphones and tablets as experimental tools (iMobilePhysics; iMP). Two iMP examples for school and university are presented and discussed in terms of the design criteria of Mobileassisted Seamless Learning (MSL). The two examples include studies on the effectiveness of learning and the acceptance of the iMP approach. The results support the proposal to include experiments using smartphones and tablet PCs as mobile experimental tools in schools and universities, and thereby to support MSL, especially in teacher training.
Keywords
Smartphone, experimental tool, mobile-assisted seamless learning, physics teacher training, physics major
1 Einleitung
Umfrageergebnisse zeigen, dass Smartphone und Tablet mehr und mehr zum Alltag speziell der jungen Generation gehören (MPFS, 2015). Auch in Schulen und Hochschulen halten diese Geräte zunehmend Einzug (DAHLSTORM, WALKER & DZIUBAN, 2013). Sie werden beispielsweise als Classroom-Response-Systeme oder mit Apps als Informationssystem genutzt, um Lernressourcen mobil verfügbar zu machen.
Bisher wenig beachtet werden dabei Möglichkeiten, diese mobilen Kommunikationsmedien als Experimentiermittel beim naturwissenschaftlichen Lehren und Lernen zu verwenden. Dabei können solche Geräte als mobile Messlabore genutzt werden, die mit den vielfältig integrierten Sensoren unübersichtliche Versuchsapparaturen ersetzen können und naturwissenschaftliches Lernen im Alltag ermögli-chen. Dadurch ist eine exzellente Möglichkeit gegeben, dass Lernende im Sinne des Mobile Assisted Seamless Learning (MSL; WONG & LOOI, 2011) selbst Phänomene in ihrem alltäglichen Leben naturwissenschaftlich untersuchen können.
Der Beitrag erläutert zunächst den theoretischen Rahmen zu Experimenten mit Smartphone und Tablet am Beispiel der Physik und beschreibt den Zusammenhang dieses iMobilePhysics-Ansatzes (iMP) zu MSL (Kap. 2). Daran anschließend wird in 3.1 anhand einer Studie die Lernwirksamkeit und Akzeptanz von iMP zusammen mit MSL im schulischen Kontext dargestellt. Ein zweites MSL-basiertes Realisierungsbeispiel des iMP-Ansatzes samt empirischer Vergleichsstudie wird in 3.2 vor dem Hintergrund der universitären Physikausbildung vorgestellt. Der Beitrag zeigt damit nicht nur die Anwendbarkeit des Konzepts in Schule und Hochschule auf, sondern thematisiert auch, wie MSL Gegenstand der akademischen Lehramtsausbildung sein kann.
2 iMobile Physics: theoretischer und konzeptioneller Hintergrund
In den letzten Jahren wurden zahlreiche Beispiele zum Einsatz von Smartphones und Tablets als Experimentiermittel in Physik publiziert (Überblick s. z. B. KUHN, 2014). Derartige Einsatzmöglichkeiten mobiler Kommunikationsmedien sind darauf zurückzuführen, dass sie mit internen Sensoren ausgestattet sind, mit denen physikalische Daten erfasst werden können, sodass qualitative und quantitative Experimente in vielfältigen naturwissenschaftlichen Themenbereichen möglich werden. Somit können Messungen und Experimente mit Smartphone oder Tablet durch die intuitive Bedienbarkeit der Apps einfach und auch „mobil“ durchgeführt und ausgewertet werden.
2.1 Context-based Science Education und Cognitive Theory of Multimedia Learning
Mobile Kommunikationsmedien sind den Lernenden aus ihrem Alltag gut bekannt, wodurch eine hohe Vertrautheit mit ihrer Bedienung erwartet werden kann. Der Einsatz der Geräte als Experimentiermittel im naturwissenschaftlichen Unterricht ist damit didaktisch durch den Alltags- und Lebensweltbezug des Experimentiermittels „Smartphone“ bzw. „Tablet“ begründet und lässt sich in das situierte Lernen (z. B. GREENO, SMITH & MOORE, 1993) und den kontextbasierten naturwissenschaftlichen Unterricht (Context Based Science Education; BENNET, LUBBEN & HOGARTH, 2007; KUHN & MÜLLER, 2014) einordnen. Die Annahme dabei ist, dass neben der Authentizität (im Sinne von Alltagsbezogenheit) eines Themas auch die Authentizität der verwendeten Medien einen positiven Einfluss auf das Lernen hat (sog. materiale Situierung; s. KUHN & VOGT, 2015). Zudem wird ein verstärktes Autonomieerleben der Lernenden im Umgang mit Smartphone und Tablet angenommen (s. RYAN & DECI, 2000a; 2000b), da sie mit den Geräten selbstständig experimentieren und ihre „eigenen“ Daten erheben.
Im Rahmen der Cognitive Theory of Multimedia Learning (MAYER, 2002) stellt der Einsatz o. g. Geräte multiple Repräsentationen innerhalb eines Lerninhalts bereit (z. B. Diagramme, Wertetabelle, Formeln, Vektoren oder Bilder), siehe Abb. 1. Im Gegensatz zu traditionellen Experimenten, bei denen verschiedene Repräsentationsformen erst im Nachhinein mühsam erstellt werden müssen, sind diese hier bereits vor der kognitiven Verarbeitung parallel zum Experimentieren verfügbar.
Die Fähigkeit zur Konstruktion und Interpretation von sowie zum Wechsel zwischen Repräsentationen spielt eine Schlüsselrolle für erfolgreiches mathematischnaturwissenschaftliches Lernen (z. B. DE COOK, 2012). Die von der Nutzerin/dem Nutzer (mit dem Experimentiermedium) generierten multiplen Repräsentationen helfen, physikalische Sachverhalte kohärent miteinander zu verbinden. Lernende mit größeren Fähigkeiten im Umgang mit Repräsentationen besitzen auch höhere Problemlösekompetenzen (z. B. SAVINAINEN et al., 2013).
Abb. 1: Untersuchung des Luftwiderstands eines Muffinförmchens (links: Materialien und Durchführung; Mitte: Screenshot des aufgenommenen Videos mit Punktspur und Maßstab; rechts: Auswertung der Orts-Zeit-Daten).
2.2 Mobile Assisted Seamless Learning
Die Mobilität und Allgegenwärtigkeit von Smartphones und Tablets macht es möglich, Lernen als einen Prozess erlebbar zu machen, der in verschiedensten Szenarien „seamless“, also „nahtlos“, stattfinden kann und nicht nur auf den Klassenraum oder Hörsaal begrenzt bleibt (Erschließung sog. „Seamless Learning Spaces“, CHAN et al., 2006). Lernen kann jederzeit und überall, formell und informell, individuell, kooperativ und sozial, analog und digital stattfinden. Mobile Technologie fungiert dabei als Mediator eines solchen Lernprozesses im Sinne des Ansatzes von „Mobile Assisted Seamless Learning“ (MSL; WONG & LOOI, 2011). Lernende werden dadurch befähigt, flexibel auf ihre Umwelt zu reagieren und mit ihr effektiv zu interagieren, wobei Smartphones oder Tablets zur Kommunikation, als Cognitive Tools, zur Dokumentation oder – wie bei iMP – als Messinstrument reflektiert und autonom benutzt werden können. In Bezug zu Letztgenanntem erweitern sich die Möglichkeiten einer individuellen außerschulischen Beschäftigung mit curricular validen Themen (z. B. experimentelle Hausaufgaben und Übungen im Physikunterricht/-studium) als auch ein explorativer Umgang zur Erschließung physikalischer Phänomene im privaten Bereich (z. B. Informal Science Learning).
Um MSL zu fördern, bedarf es einem Zusammenspiel institutionalisierter formeller und selbstregulierter informeller Lernszenarien. Dabei werden in der Literatur verschiedene Unterscheidungen von formellen und informellen Lernarrangements gegeben (vgl. COLLEY, HODKINSON & MALCOM, 2003; WONG & LOOI, 2011). Wir orientieren uns an die von KUKULSKA-HULME et al. (2009) vorgeschlagene Unterteilung von Lernen. Alle vier Typen von Lernen (Tabelle 1) können und müssen in der Ausbildung vertreten sein, um MSL zu initiieren. Ein etwa nur auf Freiwilligkeit und Selbstregulierung ausgerichtetes Lernen ist insbesondere in der Disziplin der Physik undenkbar. Ohne formale, external strukturierte und initiierte Lernarrangements, die Expertise und Möglichkeiten der Reflexion bereitstellen, besteht die Gefahr, dass Fehlkonzepte entstehen und etabliert werden können. Informelles Lernen muss erst durch formelles Lernen vorbereitet und sollte wiederum in formellen Lerngelegenheiten reflektiert werden. Kompetenzentwicklung erfolgt in diesem Sinne als komplementäre Abfolge informeller und eher erfahrungsorientierter sowie formaler und eher theorieorientierter Lernprozesse. Neben der wichtigen Dimension der Organisation des Lernarrangements im Zusammenspiel von formellem und informellem Lernen gibt es noch neun weitere Kriterien, die MSL-Designs charakterisieren (MSL 1-10; WONG & LOOI, 2011), siehe Tabelle 2. Die Umsetzung der Prinzipien in den beiden Beispielen iAcoustics (Kap. 3.1) und physics.move (3.2) geht aus Tabelle 2 stichpunktartig hervor.
Tab. 1: Vier Typen von Lernen, die in Lernszenarien involviert sein sollten, die (Mobile Assisted) Seamless Learning fördern möchten (nach KUKULSKAHULME et al., 2009).
| | Ausgangspunkt der Initiierung |
| | Extrinsisch durch Lehrende | Intrinsisch durch Lernende |
| (von Lehrenden) external strukturiert | Formelles Lernen („formal learning“) | Freiwilliges Lernen... |