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Sei froh, dass du nicht Joghurt heißt

Vom komischen Kauz zum Rabenvater

AutorNils Heinrich
VerlagSatyr Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783944035727
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Ein heimlicher Rabenvater packt aus. Eine Frau, ein Mann. Und plötzlich ein Kind. Na und? Haben andere auch schon hingekriegt. Aber die haben sich nie getraut zuzugeben, wie doof das eigentlich sein kann. Der Kabarettist Nils Heinrich nennt das Kind beim Namen. Böse Geschichten und amüsante Stoßseufzer eines leidgeprüften Vaters. Ja, es gibt diese Momente, sagt Nils Heinrich, in denen man sich insgeheim wünscht, ein Rabenvater zu sein: diese langen Momente zwischen den wenigen schönen, in denen man versucht, den Elterngeldantrag zu verstehen. Oder in denen man verschreckt Nachrichten guckt und sich fragt, wer in eine solche Welt Kinder setzt. Und einem einfällt: 'Ach, ich!' Und in denen einem schlagartig bewusst wird, dass das bisherige Leben definitiv vorbei ist. Und erst in circa fünfunddreißig Jahren weitergeht - wenn das Kind endgültig aus dem Haus ist.

Nils Heinrich (Jahrgang 1971) heißt mit bürgerlichem Namen Nils Heinrich. Er arbeitete schon als Hochzeits-DJ, Filmtourführer und Radiojournalist. Ausgebildet wurde Nils Heinrich noch in der DDR - zum Konditor. In Berlin gründete er 2003 die Lesebühne 'Brauseboys' mit, seit 2005 unterwegs als Solo-Kabarettist und Comedian. Regelmäßige Auftritte in allen namhaften Kabarettsendungen im Fernsehen, auf WDR 2 hat er eine wöchentliche Radiokolumne.

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Leseprobe

UNSERE GROSSE WILDE FEIER


Mein guter Freund Heiko und ich feiern zusammen Geburtstag. In seiner Wohnung. Im Rahmen einer großen Party. Wie immer seit circa zehn Jahren. Wir sind beide am selben Tag geboren, liegen aber ein Jahr auseinander. An unsere früheren Partys habe zumindest ich so gut wie keine Erinnerung mehr – und wenn, dann nur an die nüchternen Abschnitte ganz am Anfang. Und an die dreitägigen Kopfschmerzen danach. Beide haben wir das Kap der 40 Jahre umrundet und segeln von dort in unbestimmte Richtung weiter. Heute feiern wir zusammen unseren 83. Geburtstag. Doch das interessiert eigentlich keinen. Prinzipiell sind die Leute einfach nur froh, dass wir überhaupt noch leben und sie jedes Jahr einmal auf unsere Feier einladen. Das Interesse auf so einer Fete gilt erfahrungsgemäß nicht so sehr dem Veranstalter, sondern im vollen Umfang den Freigetränken. Also dem Bier. Und allen Frauen, die ohne Freund da sind. Oder ohne Freundin. Und allen Männern, die ohne Freundin da sind. Und allen Männern, die ohne Freund da sind. Wie auch immer man drauf ist. Von Anfang an gilt: Das Büffet der Flachlegmöglichkeiten ist eröffnet. Ich habe meine Jacke an einer Stelle in dieser riesigen Wohnung deponiert, wo ich sie später, das weiß ich jetzt schon, unter Garantie nicht suchen werde, und will in die Küche gehen, als mich Heikos Freundin im Flur stoppt: »Toll, dass ihr wieder zusammen Geburtstag feiert. Hattest du schon oder hast du noch?«

»Ich habe heute. Seit 41 Jahren am selben Tag wie Heiko.«

» Na, das ist ja ein irrer Zufall. Lass dich drücken.«

Komisch. Letztes Jahr wusste sie noch, dass wir beide am selben Tag auf die Welt kamen. Nur war sie im letzten Jahr noch nicht schwanger. Es ist also kein Gerücht, dass werdende Mütter ihr Gedächtnis verlieren. Alles, was sie mal wussten, ist weg. Einfach so. Schwangerschaftsdemenz gibt es wirklich. Tragisch. Dabei ist sie noch so jung.

»Sag mal«, fragt sie, »sind deine Augenbrauen länger geworden?«

Ich versuche, meine Augenbrauen anzugucken, und drehe meine Augäpfel hoch. Dabei wird mir schwarz vor Augen. Sind es meine langen Augenbrauen, die mir die Sicht verdunkeln? Oder habe ich die Augäpfel so weit verdreht, dass meine Augen gerade krampfhaft versuchen, in mein Gehirn zu gucken? Und wie sie sehen, sehen sie nichts. Offenbar sind große Teile davon schon abgestorben. Dabei bin ich noch total nüchtern. Oder habe ich mir meine Augen soeben ausgerenkt? Kann man sich Augen überhaupt ausrenken? Eine durchaus berechtigte Frage, auf die nur eine Mutter eine Antwort hat. Wäre meine Mutter jetzt hier und wäre ich noch ein kleiner Junge im Alter von vier Jahren, würde Mutter mich sicher ermahnen: »Lass das, du renkst dir sonst die Augen aus!«

Nur dank ihrer Warnungen war mir als Kind bewusst, in welcher Tür ich mir die Finger effektiv einklemme, wie ich mich möglichst schmerzhaft am Küchenherd verbrenne und von welchem Kirschbaum im Garten ich am besten runterfalle.

Heikos Freundin unterbricht meine Gedanken: »Es gibt Friseure, die auf Augenbrauen alter Männer spezialisiert sind. Die frisieren ganz diskret.«

Dann lässt sie mich allein mit ihrem Tipp und verdrückt sich ins Wohnzimmer.

Darauf erst mal ein Mezzo-Mix. Für ein Bier ist es jetzt, um kurz vor 17 Uhr und im Alter von 41, noch zu früh.

»Prost Heiko, alter Sack! Wie viele Kästen Bier hast’n gekauft?«

»Zehn, vierzehn, keine Ahnung. Und vier Kästen Alkoholfrei.«

Der Kühlschrank, die Badewanne, das Kinderzimmer – alles voller Bier.

»Kommen heute überhaupt so viele?«, sinniert Heiko.

»Na, so viele wie letztes Jahr werden das doch sicher. Also mindestens. Oder?«

»Wie viele hast du so eingeladen?«

»Dreißig, glaube ich. Und du?«

»Äh, fünfundzwanzig bis fünfundvierzig etwa. Also alle aus meinem E-Mail-Verteiler, denke ich«, murmelt Heiko.

So weit ist es also schon. Die Schwangerschaftsdemenz seiner Freundin ist auf ihn übergesprungen. Ansteckend ist dieser Gedächtnisrückbau also auch noch. Schrecklich!

Einige Partygäste sind schon da. Also ganz junge Leute. Enorm junge Leute. Die bei unserer ersten, zweiten und dritten Party noch gar nicht geboren waren. Die jetzt aber Jahr für Jahr größer werden. Und lauter. Sie verbuddeln draußen im Sandkasten Plastikspielzeug. Dann graben sie es wieder aus. Dann bolzen sie sich gegenseitig Bälle an den Kopf. Dann weinen sie. Dann hören sie wieder auf zu weinen, sitzen im Gras und bohren mit ihren kleinen Fingern in sich rum. Und stecken sich Sachen in den Mund, die sie aus anderen Öffnungen im eigenen Kopf rausgeholt haben.

Seit etwa zwei Minuten ist die Stimmung am Kochen. Grund dafür ist eine riesige Schüssel Kartoffelchips, die der hinterlistige Heiko scheinbar arglos in Reichweite der Kinder platzierte.

»Hab ich bei Edeka entdeckt: Crunchips Cheeseburger. Die schmecken nach Cheeseburgern!«

»Nach den Cheeseburgern von McDonald’s oder den Cheeseburgern von Burger King?«

»Was weiß ich? Ich bin froh, dass sie nicht nach Burger-King-Scheuerlappen schmecken. Was hast du eigentlich zum Geburtstag geschenkt gekriegt?«

»Eine Steven-Seagal-DVD-Box.«

»Oh. Das tut mir leid.«

Wir beobachten die Kinder. Sie stürzen sich auf die Chips wie ausgehungerte Inselkrebse auf einen abgestürzten Zugvogel mit gebrochenem Flügel.

Mit irrem Blick bellt mich von unten ein offensichtlich verhaltensgestörter Träger eines Topfschnittes an: »Chips sind alle!« Aus dem weit aufgerissenen Mund des Jungen riecht es gegen den Wind nach Trockenpaprika und Natriumglutamat. Sein Gesicht glänzt fettig, seine Haare sind gespickt mit Chipskrümeln. Auch sind seine Pupillen deutlich vergrößert, was aber nicht am politisch korrekten Licht der Energiesparlampen hier in Heikos Hinterhofwohnung liegt. Was will dieses schreckliche Kind von mir?

»Chips! Mehr Chips! Und Schaumküsse!«

Sein überforderter Vater rennt hinter ihm her: »Marvin, wir haben das doch zu Hause geübt! Das geht im ganzen Satz!«

Der Junge: »Die Chips, die Chips, die sind alle. Gibt es mehr? Und hast du auch Schaumküsse für uns? Das ist doch eine Party, da kriegt man doch was als Gast! Also gib mir was!«

Ich bin entzückt: Ein junger Mensch duzt mich. Das hatte ich lange nicht mehr!

»Hättet ihr keine Alnatura-Cracker oder so was hinstellen können?«, knurrt der Vater.

Der Mann folgt uns in die Küche: »Sagt mal, habt ihr alkoholfreies Bier?«

»Ja, hier.« Heiko reicht ihm eine Flasche.

Der Mann guckt weiterhin verkniffen und verlässt mit seinem Jever Fun die Küche.

»Kennst du den?«, frage ich Heiko.

»Und ob ich den kenne. Aus dem Internet kenne ich den. Von LinkedIn. Also: der Typ arbeitet bei einer Werbeagentur, den Namen habe ich vergessen. Einer dieser Läden, wo sie sich diese Branding-Kampagnen ausdenken für diesen überflüssigen, hochpreisigen Dreck namens Fruchttiger und Paula-Pudding und Ferdi-Fuchs-Kinderwurst. Leider muss ich das Zeug meinem Erstgeborenen immer kaufen, weil er mich mit seinem Geheule bei Edeka regelmäßig lächerlich macht. Den Ärger hab ich demnächst doppelt, haste ja an meiner Freundin gesehen. Hab ich den Typen halt mal eingeladen. Nenn mich blauäugig, aber ich hab mir gedacht: Vielleicht kann ich diese Kommunikationsdesignmarionette subtil terrorisieren. Vielleicht kann ich diesen Menschen, und sei es auch nur für einen Abend, brechen. So wie mich mein kurzer Nachfahre bei jedem Einkauf bricht. Mach kaputt, was dich kaputt macht! Verursacherprinzip, haha!«, knurrt Heiko.

Seit Heiko seiner zweiten Vaterschaft entgegensieht, wachsen ihm graue Haare. Ein anderer Bekannter von mir wird gerade zum dritten Mal Vater. Er hat keine grauen Haare. Seine Haare haben gesagt: »Entweder die Kinder oder wir!« Seitdem trägt er eine Glatze. Steht ihm auch besser als Grau. Er ist ja noch nicht mal dreißig.

Heiko guckt auf sein Bier: »Mir hat sich übrigens noch nicht erschlossen, wieso das alkoholfreie Jever ›Fun‹ heißt, obwohl man damit gar keinen Spaß hat. Beck’s ›Blue‹ ergibt da wesentlich mehr Sinn – alkoholfreies Bier macht dich nämlich weder lustig noch aggro, sondern einfach nur niedergeschlagen. Und definitiv nicht blau!«

Es klingelt. Neue Gäste kommen. Sie kommen nicht mit leeren Händen: »Wir wussten nicht, ob ihr alkoholfreies Bier habt. Darum haben wir uns welches mitgebracht. Hier, das von Beck’s, das heißt ›Blue‹, lustig, ein Bier zum Traurigsein. Ein Blues-Bier, haha. Wir würden ja gern richtiges Bier trinken, aber wir dürfen noch nicht wieder loslegen, die Kinder sollen nicht sehen, wie wir hier besoffen rumproleten....

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