Sören Aabye Kierkegaard war ein religiöser Schriftsteller im 19ten Jahrhundert in Kopenhagen. Das primäre Anliegen seines Denkens war die „ewige Seligkeit“ und damit die Unsterblichkeit des Menschen.[1] Er stellt sich die Frage, wie ein existierender Mensch sich solchermaßen zu sich selbst als Werdender innerhalb des existenzdialektischen Widerspruchs von Unendlichkeit und Endlichkeit, verhalten kann, dass er dadurch mit seiner Unsterblichkeit so verbunden ist, dass seine Entwicklung innerhalb dieses Werdens unsterblich sein kann.[2] Die Frage ist also danach gestellt, wie der Existierende das Ewige in seiner Existenz so ausdrücken kann, damit er sich dadurch zu Gottes Unendlichmachung verhält.[3] Alle diesbezüglichen Termini werden im Verlaufe dieser Arbeit dargestellt, hier gilt es nur, die Intention und das Grundproblem von Kierkegaard zu thematisieren.
„Ganz einfältig wird so von dem existierenden Subjekt nicht nach der Unsterblichkeit im allgemeinen gefragt, denn ein solches Phantom gibt es gar nicht, sondern nach seiner Unsterblichkeit; der Subjektive fragt nach seiner Unsterblichkeit, was es bedeutet, unsterblich zu werden, ob er etwas dazu tun könnte, um es zu werden, oder ob er es so ohne weiteres werde, oder ob er es sei, aber werden könne. […] Es wird gefragt, wie er existierend sein Unsterblichkeitsbewusstsein festhalte, […] Er fragt also, wie er es fertig bringe, existierend seine Unsterblichkeit auszudrücken.“[4]
Insofern es also um eine Gewissheit des Menschen über seine eigene Unsterblichkeit bzw. über das Ewige in ihm geht, ist Kierkegaard wesentlich geprägt von Fichte und Hegel. Fichtes Buch „Über die Bestimmung des Menschen“, setzt sich genau mit Begriffen des Zweifels, Wissens und des Glaubens an eine innere Gewissheit eines ewigen selbstständigen Seins (dem Ich), kritisch auseinander. In Bezug zu Hegel sagt Kierkegaard, dass dessen Darstellung des Verhältnisses des Endlichen zum Unendlichen der wohl wichtigste Augenblick in seinem Leben war.[5] Auf Fichte und Hegel wird im Verlauf der Arbeit hingewiesen werden.
Wenn der Mensch seine konkrete Ewigkeit denken will, muss er also, um zu seiner inneren Gewissheit dieser Ewigkeit zu gelangen, sich mit diesem Denken seiner Ewigkeit, in Existenz verstehen, andernfalls bliebe die Ewigkeit abstrakt[6], also ohne vom Existierenden gelebt werden zu können. Da der Mensch sich aber nur als Zwischensein zwischen Idealität und Realität, Zeit und Ewigkeit, Leib und Seele, Möglichkeit und Bestimmtheit, bewusst ist, ist er ständig im Werden als Verhältnis zwischen diesen Momenten.[7] Wenn er also seine konkrete Ewigkeit denken will, muss er sie als abstrakte Reflexionsbestimmung in Beziehung zu seinem Werden denken, da er als inter-esse immer im Werden ist. Die Abstraktion des Denkens ist aber immer ein Auflösen jener Wirklichkeit dieses Werdens in die Möglichkeit des Werdenden und nicht die Repräsentation der Wirklichkeit als Bewegung des Werdenden.[8] Die eigene Ewigkeit zu denken heißt also von sich selbst als Existierender zu abstrahieren, eben weil Denken die Auflösung der Wirklichkeit in die Möglichkeit bedeutet. Kierkegaards Frage nach der Unsterblichkeit bezieht sich also darauf, wie die Ewigkeit in einen Werdenden wieder hineinreflektiert werden kann, sodass er durch das Verstehen ihrer, sich existierend zu ihr verhalten kann und sich somit zu Gottes Unendlichmachung verhält.[9]
„[…] da wo die Ewigkeit sich wie Zukünftiges zu einem Werdenden verhält, da ist die absolute Disjunktion zu Hause. Wenn ich nämlich Ewigkeit und Werden zusammensetze, bekomme ich nicht Ruhe, sondern Zukunft. Daher kommt es wohl, daß das Christentum die Ewigkeit als das Zukünftige verkündigt hat, weil es Existierenden verkündigt worden ist, und daher nimmt es auch ein absolutes aut-aut an. Alles logische Denken vollzieht sich in der Sprache der Abstraktion und sub specie aeterni.
Die Existenz so zu denken, heißt von der Schwierigkeit absehen, von der nämlich, das Ewige im Werden zu denken, wozu man wohl genötigt wird, da der Denkende selbst im Werden ist.“[10]
Das Christentum ist Existenzmitteilung.[11] Es fordert dazu auf, den Widerspruch der Immanenz durch den Glauben zu lösen. Also daran zu glauben, dass etwas, was geworden ist (der werdende Mensch), ewig sein kann.[12] Insofern sich also der logische Zweifel an der Ewigkeit des im Werden existierenden Menschen nicht in Gewissheit auflösen lässt, weil er das Werdende nicht ewig und das Ewige nicht werdend denken kann, vollzieht sich die innere Gewissheit seiner selbst durch eine Entscheidung. Dadurch ist die Gewissheit der Unsterblichkeit als Fortbestehen dieser Entscheidung zwar noch nicht erlangt, und der Glaubende weiß im letzten Grunde auch nicht wer er ewig ist, weil nur Gott das entscheidet, aber mit dieser Gewissheit seiner selbst kann sich der Mensch glaubend durchsichtig in Gott gründen, also sich als Möglichkeit zu Gott als Möglichkeit zur Unendlichmachung, verhalten (Dieses Verhältnis und/oder Missverhältnis wird im Verlaufe der Arbeit analysiert). „Glaube ist gerade der Widerspruch zwischen der unendlichen Leidenschaft der Innerlichkeit und der objektiven Ungewißheit.“[13] Der logische Zweifel kann im abstrahierten Denken also die Ewigkeit des Menschen nicht denken, weil der Mensch sich im Werden existierend zu dieser Ewigkeit verhält, aber Denken von der werdenden Existenz abstrahiert und sie in bloße Möglichkeit des Werdenden auflöst bzw. in ein abstrahiertes Ideal. Die eigene Ewigkeit kann also nicht durch das Denken in den Werdenden hineinreflektiert werden, sondern muss geglaubt werden. Aus dieser Ungewissheit heraus entwickelt sich dann die Leidenschaft, sich selbst durch seine eigene Entscheidung gewiss zu werden.
„Das Höchste der Innerlichkeit in einem existierenden Subjekt ist Leidenschaft, der Leidenschaft entspricht die Wahrheit als ein Paradox, und daß die Wahrheit zum Paradox wird, ist gerade in ihrem Verhältnis zu einem existierenden Subjekt begründet.“[14]
Der Mensch kann sich also als existenzdialektischen Widerspruch zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit und der damit verbundenen Undenkbarkeit seiner Ewigkeit, bewusst werden.
„Das Bewußtsein ist definiert als Interesse, im doppelten Wortsinn: es bezeichnet das Dazwischen-Sein (Inter-esse) zwischen Idealität und Realität und zugleich die persönliche Interessiertheit des Bewußtseins an seinem Status. Damit sind die Bedingungen des Bewußtseins d r e i t e i l i g (t r i c h o t o m i s c h) […]“[15]
Weil das interessierte Selbst sich durch sein Werden als Freiheit zur Unendlichmachung durch Gott verhält, hat er auch die Freiheit dazu, sich nicht zu ihr zu verhalten, dann befindet er sich in der Verzweiflung.
Der Mensch verhält sich als Selbst in der Verzweiflung als inter-esse zu sich selbst nicht in solcherweise, um sich so zu seiner Unendlichmachung durch Gott verhalten zu können. Das zu-sich-selbst-verhaltende Selbst verhält sich immer zur Endlichkeit und zur Unendlichkeit, innerhalb dessen beiden es sich erst als „positives Drittes“, bewusst ist. Durch dieses Zu-sich-selbst-verhalten innerhalb seines synthetisch zusammengesetzten Seins verhält sich das Selbst zu seiner Unendlichmachung in/durch Gott.[16] Verzweiflung ist nun ein Missverhältnis innerhalb dieses Verhältnisses, das sich zu sich selbst und so zu seiner Unendlichmachung verhält, derart, dass Verzweiflung einen Verlust dieser Unendlichmachung(der Ewigkeit) des Selbst, bedeutet.[17] Dieser Verlust soll in der vorliegenden Arbeit dargestellt werden. Dabei soll zunächst eine Interpretation des ewigen Selbst erarbeitet werden, damit von diesem her durch die Verzweiflung der Selbst-Verlust gedacht werden kann. Bei diesem Versuch wird sich auch herausstellen, inwiefern die Verzweiflung einen Zugang zur Ewigkeit darstellt, denn sich seiner selbst als Missverhältnis bewusst zu werden, enthält gleichzeitig auch die Möglichkeit, es zu beheben.
Die Schwierigkeit der Darstellung des Gedankengebäudes von Sören Kierkegaard ist unter anderem, dass die Erklärung des Selbst zu immer weiteren Termini führen muss, aus dem es zusammengesetzt ist. Darum möchte ich die Herleitung der Interpretation des ewigen Selbst in mehreren Kapiteln vollziehen. Diese Arbeit soll eine Rekonstruktion der wesentlichen Gedanken von Kierkegaard sein. Dies bedeutet, dass der logische Argumentationszusammenhang nur innerhalb der Voraussetzungen von Kierkegaard hergestellt werden kann. Es ist nicht Ziel der Arbeit, eine immanente Kritik zu entwickeln. Kierkegaards anthropologische Grundvoraussetzung ist also, bestimmt zu haben, was Geist ist und das der Mensch Geist ist.[18]
Dass dieser als das Selbst des Menschen ein Verhältnis zu einer Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit ist, das sich zu sich selbst verhält, und indem es sich zu sich...