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In Sibirien kriegsgefangen

Erinnerungen aus den Jahren 1917 bis 1920 von Hermann Groß

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783744804189
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Hermann Groß meldet sich Anfang August 1914 als Kriegsfreiwilliger zu einem Kavallerieverband der Bayerischen Armee. Ende Juli 1917 wird er auf einem Patrouillenritt durch russische Soldaten auf dem Gebiet der heutigen Ukraine gefangen genommen. Er wird mit der Transsibirischen Eisenbahn bis fast an den Pazifik transportiert und in Chabarowsk nahe der Grenze zu China interniert. Mit einer langen Gefangenschaft scheint nicht zu rechnen zu sein. Tatsächlich wird bereits im Dezember 1917 ein Separatfrieden zwischen den Mittelmächten und Russland geschlossen. Im April 1918 beginnt der Abtransport der Gefangenen aus Chabarowsk Richtung Westen. Die Hoffnung auf die baldige Rückkehr in die Heimat wird jedoch bitter enttäuscht. Bereits im November des Vorjahres ist in Russland die Revolution und mit ihr der Bürgerkrieg zwischen den Bolschewisten und konterrevolutionären Kräften ausgebrochen. Die "Tschechische Legion" bringt die Transsibirische Eisenbahn unter ihre Kontrolle und stoppt die Gefangenentransporte. Hermann Groß erlebt Plünderung, Misshandlungen und willkürliche Erschießungen. Zwei Jahre Gefangenschaft in Kansk folgen. Hermann Groß schildert das Lagerleben: den Hunger, die Sorge um ausreichend Brennholz für die harten Winter, den Kampf gegen die Langeweile. Endlich bietet sich ihm die Gelegenheit, als vermeintlicher Spezialist für Tierzucht mit einem Sondertransport nach Westen gebracht zu werden. Dieser endet jedoch schon in Omsk. Zusammen mit einem Kameraden beschließt er, auf eigene Faust die Flucht zu wagen. Mit Zügen und zu Fuß geht es über Tscheljabinsk und Jekaterinburg nach Perm und von dort mit einem regulären Transport nach Petersburg. Erst im September 1920, nach mehr als drei entbehrungsreichen Jahren, erreicht Hermann Groß wieder Deutschland. Ergänzt werden seine Erinnerungen durch Abbildungen, Auszügen aus Briefen und Erläuterungen zum geschichtlichen Hintergrund.

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Leseprobe

Meine letzte Patrouille


Der Morgen des 24. Juli 1917 dämmert. Ich streife die Pferde- decke, mit der ich mich zugedeckt hatte, von mir. Ich liege auf einem Reisiglager unter einer dicken Fichte, ringsum schlafende Reiter und im Nebel schnaufende Pferde. Ich stehe auf und gehe an einen Wassergraben am Waldrand, um mich zu waschen. Als ich zurückkomme, sind auch die anderen munter. Der Rittmeister reibt sich den Schlaf aus den Augen, Oberleutnant Hofmeier hat sich eine Zigarette angebrannt, und Leutnant Müller reckt seine durch die Nachtkühle und das harte Liegen steif gewordenen Glieder. Die Feldküche raucht schon, die Reiter tränken und füttern die Pferde. Bald sitzen wir scherzend auf dem Waldboden, trinken unseren Morgenkaffee und kauen "Barrass" mit Marmelade. Ich hatte mir eben meine Mexiko angezündet, da kam Oberleutnant Hofmeier angeschlendert und sagte, dass er soeben gehört habe, dass ich mit einer Patrouille zur Aufklärungseskadron des Prinzen Adalbert von Bayern abgestellt würde. Es dauerte nicht lange, da wurde ich durch eine Ordonnanz zum Brigadestab, der einige hundert Meter weiter im Walde lag, befohlen.

Die Herren saßen um auf dem Boden ausgebreitete Karten. Ich wurde von Seiner Königlichen Hoheit aufgefordert, mich dazu zu setzen. Prinz Adalbert legte an Hand der Karten die Lage dar: Der Gegner war weiter im Rückzug, die Aufklärungseskadron hatte eine sich gegen Czernowitz ziehenden Streifen aufzuklären. Falls sich der Feind nicht am jenseitigen Bistrizarufer stellte, hatten zwei Offizierspatrouillen den Auftrag, auf den den zugeteilten Streifen im Norden und im Süden begrenzenden Straßen mit dem Gegner Fühlung zu halten. Die südlich über Nadworna, Kolomea und Sniatyn führende wurde Leutnant von Kirschbaum zugeteilt, mir die nördlich über Nadworna, Tysmienica1, Tlumacz und Horodenka führende. Man wünschte uns viel Glück und wir ritten ab.

Vorläufig blieben die beiden Patrouillen zusammen. Um das russische Artilleriefeuer nicht auf uns zu lenken, ritten wir, möglichst die Geländemulden ausnutzend, auf die Bistriza zu. Die beiden Patrouillen trennten sich. Befehlsgemäß überschritt Leutnant von Kirschbaum die Bistriza südlich, ich nördlich des Ortes auf einer Holzbrücke, die die Russen in ihrer Eile zu zerstören vergessen hatten. An einem Gehöft ließ ich absitzen und schrieb eine Meldung. Ein Mann kam aus dem Haus, und als er erfuhr, dass wir Deutsche seien, lief er ins Haus zurück, kam aber sofort mit seiner Frau und erwachsenen Töchter wieder, die uns freudestrahlend Brot reichten. Die Leute freuten sich wie Kinder mit Tränen in den Augen und wären uns am liebsten um den Hals gefallen. Für uns gab es keinen Aufenthalt, es wurde aufgesessen und weiter geritten. Ich traf wieder mit Leutnant von Kirschbaum zusammen, und bald holten uns auch die Kavallerie-Radfahrer ein. Ein Bahnübergang war von Russen besetzt, die sich aber, als die Radfahrer ausschwärmten, verrollten. Durch den Aufenthalt holte uns auch die Aufklärungseskadron ein, wir mussten uns also beeilen, wieder nach vorwärts Abstand zu gewinnen. Eine Holzbrücke war angebrannt und rauchte. Wir löschten schnell so, gut es ging, ritten seitwärts über den Bach und kamen schnell vorwärts. Im nächsten Dorf trennten wir uns. Leutnant von Kirschbaum ritt geradeaus durch den brennenden Ort weiter, ich nach Norden nach Tysmienica zu. Am Eingang eines Dorfes sagte man mir, dass eine Kosakenpatrouille sich schlafend in einem Haus befinde. Ich ließ zwei Reiter absitzen, um das Haus zu durchsuchen. Als diese noch nicht die Tür erreicht hatten, sprengten die Kosaken auf der anderen Seite davon und verschwanden, ehe wir schießen konnten, hinter Hecken und Zäunen. Dann kamen wir an ein einsam an der Straße liegendes Schloss, das die Russen, wie uns der etwas deutsch sprechende Verwalter sagte, vor einer Stunde angezündet hatten und von dem jetzt prasselnd die brennenden Balken stürzten. Gegen Mittag erreichte ich Tysmienica. Dort waren gerade österreichisch-ungarische Truppen eingezogen, auf dem Bahnhof waren sie damit beschäftigt, brennende Munitionsladungen zu retten. An einem Bach tränkte ich die Pferde. Die Stadt hatte schwer gelitten, überall zeigten sich die Spuren der russischen Wut: eingetrümmerte Türen, erschossene Hunde, geplünderte Läden, jammernde Weiber, brennende Häuser. Jenseits der Stadt, wo sich die Straße eine Anhöhe hinaufzieht, überholte ich einen ungarischen Stab. Ich machte Meldung und bat um Aufklärung über die Lage, konnte aber nichts erfahren, was für mich wichtig gewesen wäre. Es begann zu regnen. Um an den mitgenommenen Haferrationen zu sparen, ließ ich die hungrigen Pferde in einem Haferfeld weiden und ritt dann durch langsam vorrückende Infanterieschützenlinie hindurch schnell nach vorwärts. Die Straße führte bergauf und durch einen Wald. Am Waldausgang war das Dorf Nadorozna2 vom Gegner frei. Wir ritten hindurch. Ein barfüßiger Junge kam uns nachgelaufen und sagte, dass hinter uns im Dorf eine etwa dreißig Mann starke Kosakenabteilung sei. Von meinen zehn Reitern waren zwei mit Meldungen fortgeschickt, ich hatte nur noch acht und wollte mich daher mit den Kosaken nicht einlassen. Ich zog die Spitzenreiter ein, bog südwärts über die Felder ab und näherte mich wieder in weitem Bogen dem Dorf. Am Dorfrand sah ich einige Reiter, die absaßen und sich schussfertig im Straßengraben näherten. Ich schickte einen Reiter hin, der feststellte, dass es ungarische Husaren, die Kavalleriespitze der vorrückenden Truppe, sei. Auf der Straße sah ich von einer Anzahl von Pferden herrührende Fußspuren, die sich bald nordwärts von der Straße entfernten. Die Kosaken schienen sich zwischen den Husaren und mir nicht wohlgefühlt zu haben und waren daher ausgewichen. Es regnete wieder, die Luft wurde dick, das Gelände wellig und unübersichtlich, ich kam nur langsam vorwärts. Die Spitzenreiter glaubten an einem Gehöft, das einige hundert Meter nordwärts der Straße lag, abgesessene Kavallerie gesehen zu haben. Es war aber nichts. Die Straße senkte sich, das Städtchen Tlumacz kam in Sicht. Häuser brannten, auf den jenseitigen Höhen erkannte ich Artillerie auf dem Rückzug und abziehende Fahrzeuge.

Merkwürdigerweise war am Stadteingang keine Postierung, die Straßen menschenleer, wie ausgestorben. Auf der Veranda eines vornehmen Steinhauses erschien schüchtern und zaghaft eine Dame, mehrere Damen und Herren traten vorsichtig die Hälse reckend hinzu. Ich rief einen Gruß hinüber. Darauf eine jubelnde Frauenstimme: "Daidsche!". Der Bann war gebrochen, ein Jubeln und Freudeweinen hub an. Auf meine Frage antwortete einer der Herren, dass die Russen soeben abgerückt seien. Überall kamen vorsichtig Leute aus den Häusern, hinter Vorhängen blickten verängstigte Frauenaugen heraus, jauchzende Kinder liefen neben uns her. Am Ostrand der Stadt stürzten brennende Holzhäuser zusammen, brennende Fässer und lodernde Möbel lagen auf der Straße, weinende Kinder liefen zwischen den Trümmern herum. Am Brunnen an der Kirche ließ ich die Pferde tränken und schickte eine Meldung fort. Dann ging es über eine halb zerstörte Eisenbahnüberführung auf stark gewundener Straße auf die östlichen Höhen. In der Abenddämmerung stießen wir auf eine sich quer über die Straße ziehende Grabenstellung. Ohne Feuer zu bekommen ritten wir ziemlich nahe heran. Bis zu den Hüften aus dem Graben herausragend glotzten uns die Russen an, ohne unterscheiden zu können, ob Freund oder Feind. An Feuerschein und Schall stellte ich die Stellung einer russischen Batterie am Rande eines Tannenwaldes fest, der sich südöstlich von uns einen Berghang hinaufzog. An weiteres Vordringen war also vorläufig nicht zu denken. Um meinen ermatteten Pferden etwas Ruhe für kommende Anstrengungen zu verschaffen, beschloss ich, für die Nacht Quartier zu beziehen und ritt zurück auf Häuser zu, an denen wir vorbei geritten waren. Dort traf ich mit einer österreichischen Kavallerieabteilung zusammen. Dem Rittmeister machte ich Meldung, und da eines meiner Pferde ein Eisen verloren hatte und ich versehentlich meinen Schmied als Meldereiter fortgeschickt hatte, bat ich ihn, dem Pferd ein Eisen aufhauen zu lassen. Der Rittmeister sagte mir, dass er die Nacht hier oben bleibe, hier konnte ich also nicht mehr unterkommen. Ich erklärte, dass ich dann in Tlumacz nächtigen wolle und bat ihn, mich bei Änderung der Lage zu unterrichten. Nahe der Stadt wurde ich von den Russen mit Schrapnells mit viel zu hohen Sprengpunkten beschossen. Ich bezog in der Stadt Quartier und schrieb eine Meldung.

In der Frühe des anderen Morgens saßen wir wieder im Sattel. Frisch ging es in den noch dunstigen Sommermorgen hinaus und es versprach, ein schöner Tag zu werden. Die Russen hatten in der Nacht die Stellung geräumt. So schnell es auf und neben der durch umgehauene Bäume und quer gespannte Drähte stellenweise gesperrten Straße möglich war, strebten wir vorwärts. Das...

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