I Die germanische Überlieferung
Loki ist einer der vielfältigsten und widersprüchlichsten Götter in den Mythen der Germanen, der in seiner Listigkeit zugleich der Feind und der Helfer der Götter ist.
Loki ist auch einer der Götter mit den meisten verschiedenen Mythen.
I 1. Die Namen des Loki
Der „Hauptname“ dieses Gottes ist „Loki“, aber er wird auch häufig „Loptr“ genannt.
I 1. a) „Loki“
Der Name „Loki“ könnte sich von altnordisch „lok“ für „Riegel, Schloß, Verschluß, Deckel, Decke, Bedeckung, Ende“ und für „Verlockung, Verführung“ herleiten.
Mit diesem Wort ist auch „lokkr“ für „Locke“ und „lok“ für „Farn“ verwandt. Der Name des Farns bezieht sich vermutlich darauf, daß die jungen Farnpflanzen wie eine „Locke“ aufgerollt sind.
Der Name „Loki“ könnte daher die Bedeutung „Gefangener“, „Lockiger“, „der am Ende“, „Lockiger“ und „Verführer“ haben. Alle diese Deutungen würden zutreffen:
- Loki wird von den Asen gefangengesetzt,
- Loki könnte durchaus Locken haben,
- Loki spielt am Ende beim Ragnarök eine wichtige Rolle (er „beendet“ den Sommer),
- Loki verführt die Asinnen und er „verführt“ durch seine Listen Thor, Hödur und andere Asen.
Im Germanischen findet sich fast genau dieselbe Bedeutung für das Wort „luka“, das die Wurzel von altnordisch „lok“ ist.
„Luka“ bedeutet „Loch, Lücke, Höhle/Hölle, Versteck, Verschluß, Riegel, Bolzen, Ende, Drehung, Locke, Verlockung, Anlockung, Täuschung“.
Mit diesem Wort ist neben den deutschen Substantiven „Loch“, „Lücke“ und „Verlockung“ auch noch das Wort „Luke“ verwandt.
Die indogermanische Wurzel dieser Worte ist das Verb „leug“ für „biegen“, das auch die Nebenbedeutungen „Verzwirnung“ und „Knoten“ zu haben scheint, aus der heraus sich die Bedeutung „Verschluß“ entwickelt hat.
Zunächst war „leug“ jedoch einfach das „Gebogene“ und somit auch die „Locke“.
Man kann somit davon ausgehen, daß Loki, falls sein Name bis ins Indogermanische zurückreichen sollte, entweder als der „Lockige“ oder als der „Gefangene“ bezeichnet worden ist.
Es gibt zumindestens die Möglichkeit, den Namen dieses Gottes auch als eine Variante des Wortes „Lohe“, also „Flamme“ zu deuten.
Dieses Wort lautet im Isländischen „leygr“, im Schwedischen „läga“ im Althochdeutschen „loug“ und im Mittelhochdeutschen sowie im Neuhochdeutschen „Lohe“.
Im Germanischen lautete dieses Wort „laugaz“ und in einer anderen Variante „luhän“. „Laugithä“ war ein Name für den Blitz.
Diese Worte stammen von indogermanisch „leug“ für „licht, hell, leuchten, sehen“ ab, das von seiner Schreibung her mit „leug“ für „gebogen“ identisch ist.
Ein weiteres, sehr ähnlich klingendes Wort, das gut zu dem Charakter des Loki passen würde, ist das altnordische „ljuga“ für „lügen“, das von dem germanischen „leugan“ für „lügen“ abstammt, das wiederum eine Weiterentwicklung zu indogermanisch „leugh“ für „lügen“ ist.
Vermutlich ist „lügen“ ursprünglich als „verbogene Rede“ bezeichnet worden – ähnliche wie man illegale Taten eine Zeitlang als „krumme Dinger drehen“ bezeichnet hat.
Die wahrscheinlichste Herleitung des Namens dieses Gottes ist jedoch die von „lok“, die den Loki als den „Gefangenen“ kennzeichnen würde, weil die Gefangenschaft des Loki ein wesentliches Element seiner Mythe gewesen ist. Allerdings ist er auch ein guter Lügner …
Es ist gut denkbar, daß „Loki“ nicht der ursprüngliche Name dieses Gottes ist, sondern eine Umschreibung, die den Gott magisch unschädlich machen, d.h. gefangensetzen sollte. Dieses Verfahren findet sich u.a. bei der Umschreibung des Bären, dessen alter Name „Urs“ lautete, als „der Braune“ („Bär“).
Dieses Verhalten hat zu dem Sprichwort „Mal den Teufel nicht an die Wand!“ geführt – heute würde man eine solche Haltung „positives Denken“ nennen.
I 1. b) Der Name „Lodur“
Der Name „Lodur“ könnte von dem Verb „loda“ abgeleitet sein, das „etwas festhalten, sich an etwas festklammern, an etwas festkleben“ bedeutet. Ein „Lodur“ wäre dann jemand, der etwas festhält. Falls mit „Lodur“ jedoch ein „Festgehaltener“ gemeint sein sollte, wäre „Lodur“ einfach eine Variante von Loki, dessen Namen vermutlich „Eingesperrter“ bedeutet.
Die Bedeutung von „loda“ scheint jedoch noch andere Aspekte umfaßt zu haben, da das von diesem Verb abgeleitete Substantiv „loddari“ in etwa „Jongleur, Gaukler“ bedeutete – was ja durchaus auch zu Loki passen würde.
Im Germanischen bedeutet „ludro“ in etwa „Nichtiger, Nichtsnutz, Wertloser“, was eine Weiterentwicklung von indogermanisch „leu“ für „Schlaffer, Hängender“ ist. Gaukler besaßen anscheinend keine besonders hohes Ansehen …
Auch germanisch „lod“ für „Frucht“ stammt von dem indogermanischen „leu“ ab und ist als „die Hängende“ bezeichnet worden.
Da „ludro“ mit dem lateinischen „ludo“ für „Spiel“ verwandt ist, wird die Bedeutung „Gaukler, Spieler“ vermutlich bis zu der Sprache der gemeinsamen Vorfahren der Germanen und Römer, also bis zu der Sparche westlichen West-Indogermanen (Kelten, Römer, Germanen) um ca. 2000 v.Chr. zurückreichen.
I 1. c) „Loptr“
Der dritte Name des Loki lautet „Loptr“ und bedeutet „Luft“. Von dieser Grundbedeutung leiten sich „Himmel“ und „oben“ ab. Ein „lopt-eldr“, also ein Luft-Feuer“ bzw. ein „Himmels-Feuer“ ist ein „Blitz“.
Dieser Name des Loki könnte mit seinen magischen Schuhen in Zusammenhang stehen, mit denen er durch die Luft laufen kann. Wenn dies zutrifft, muß es einst eine Mythe gegeben haben, in der diese Schuhe wichtig waren – diese Erzählung ist leider nicht überliefert worden.
I 1. d) „Hvedrungr“
„Hvedrungr“ ist weiterer Name des Loki. Dies ergibt sich daraus, daß in der „Vision der Seherin“ der Fenris-Wolf „Hvedrungen-Sohn“ genannt wird:
Nicht säumt Siegvaters erhabner Sohn
Mit dem Leichenwolf, Widar, zu fechten:
Er stößt dem Hwedrungen-Sohn den Stahl ins Herz
Durch gähnenden Rachen: so rächt er den Vater.
Siegvater ist Odin; sein Sohn ist hier Widar; der Leichenwolf ist Fenrir Loki-Sohn.
Im Ynglingatal des Thjodolfr von Hvini wird Hel, die Schwester des Fenrir, „Hvedrungen-Tochter“ genannt.
Schließlich erscheint Hvedrungr noch in den Thulur, die die Namen der Riesen auflisten – Loki wird mal zu den Asen, mal zu den Riesen gezählt.
Der Name „Hvedrungr“ leitet sich von „hvedr“ für „Wind“ ab – ein „Hvedrungr“ ist jemand, der zum Wind gehört – ein „Wind-Junge“ oder ein „Windling“.
Dieser Name ist wie „Lopt“ („Luft“) eine Anspielung darauf, daß Loki mithilfe seiner magischen Flugschuhe in der Lage ist, durch die Luft zu laufen.
I 1. e) Personennamen mit „Loki“ oder „Loptr“
„Loki“ und Lopt“ gab es auch als Personennamen. Neben „Loki“ gab es auch einige Namen wie „Lokke“ oder „Lok“, die „Locken(-kopf)“ bedeuteten.
Mit dem Namen „Loptr“ wurde der Frauenname „Lopthäna“, also „Luft-Huhn“ oder „hohes Huhn“ gebildet. Dieser Name ist insofern interessant, als Loki/Lopt in den Mythen des öfteren zusammen mit Odin und Hönir („Hahn/Huhn“) erscheint und dieser Personenname daher auch „Loki-Hönir“ bedeuten könnte – zumal beide in den frühen Skaldenliedern manchmal als...