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Siddhartas letztes Geheimnis

Eine Reise über die Seidenstraße zu den Quellen des Buddhismus

AutorErich Follath
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783641221867
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Eine faszinierende Reise durch Geschichte und Gegenwart des Buddhismus
Er war Entdecker, Wissenschaftler, Abenteurer - und ein zutiefst gläubiger Reisen-der auf der Suche nach Erleuchtung. Gegen den Willen des chinesischen Kaisers zog der Mönch Xuanzang im Jahr 629 durch Wüsten und über Gebirgspässe der Seidenstraße nach Indien, auf der Suche nach Zeugnissen des Religionsstifters Siddharta Gautama. Siebzehn Jahre und viele dramatische Erlebnisse später kehrte er im Triumph in die Heimat zurück, seine spirituelle Suche machte ihn zur Legende. Bestsellerautor Erich Follath hat sich ein Jahr lang auf seine Spur begeben und zeichnet das Leben und die Abenteuer des Xuanzang nach.

»Siddhartas letztes Geheimnis« lässt sich gleichermaßen als spannende historische Biografie, als Einführung in den Buddhismus und als geopolitische Analyse der heutigen Weltmächte China und Indien lesen.

Erich Follath, 1949 geboren, ist promovierter Politikwissenschaftler und bekannter Sachbuchautor. Lange Jahre war er für den SPIEGEL als Diplomatischer Korrespondent und als Redakteur tätig, unterwegs war er vor allem im Nahen Osten, auf dem indischen Subkontinent und in Ostasien. Über die Geschichte dieser Regionen, über die Menschen und ihre Kulturen hat er zahlreiche Reportagen geschrieben. Sein Buch »Das Vermächtnis des Dalai Lama« wurde zum Bestseller, zuletzt erschien das SPIEGEL-Buch »Die neuen Großmächte« (2013) über den wirtschaftlichen Aufstieg von Brasilien, Indien und China. Für »Jenseits aller Grenzen« hat er innerhalb eines Jahres die wichtigsten Stationen des Ibn Battuta besucht und die Eindrücke mit seinen früheren Reiseerlebnissen vereint.

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Leseprobe

VORWORT

Kann es sein,
dass Gott nur stört?

Eine katholische Eminenz, ein muslimischer Großajatollah, ein hinduistischer Hohepriester und eine buddhistische Heiligkeit – vielleicht ist es im Verlauf eines langen Lebens als Auslandsreporter nicht ganz ungewöhnlich, dass man neben politischen Führern auch wichtige religiöse Autoritäten trifft. Es könnte aber auch sein, dass es sich um etwas anderes handelt als um eine Anhäufung von Zufällen. Ich denke manchmal, dass ich diese Bekanntschaften unbewusst gesucht habe. Als Ausgleich zu den Interviews mit den Berufspolitikern. Vielleicht auch aus einer mehr oder minder tief sitzenden spirituellen Neugier auf »alternative« Führungspersönlichkeiten. Auf die großen Repräsentanten ihres Glaubens, die tiefer gehende Antworten für uns haben.

František Tomášek, den Kardinal-Erzbischof von Prag, interviewte ich an einem Sonntag im Sommer des Jahres 1989. Er hatte gerade in der Privatkapelle des Veitsdoms auf dem Hradschin die Messe gelesen. Wir mussten nur ein paar Schritte gehen, der katholische Würdenträger bewohnte einen Flur des denkmalgeschützten Gebäude-Ensembles, keinen Steinwurf vom kommunistischen Staats- und Parteichef Gustáv Husák entfernt, dem unbestrittenen Herrscher auf dem Gelände des Hradschin. Aber auch das Empfangszimmer Seiner Eminenz im ersten Stock machte einen fürstlichen Eindruck, golden glänzende Barockengel, kostbare Intarsienmöbel, schwere Gobelins.

Für Tomášek war es ein langer, steiniger Weg hierher gewesen: In Olmütz als Sohn einer kinderreichen und wenig begüterten Familie aufgewachsen, hatte er sich sein Studium der Theologie hart erarbeiten müssen, die Zeit unter den deutschen Besatzern im Protektorat Böhmen und Mähren konfrontierte ihn mit Grausamkeiten und Religionsfeindschaft; auch die von Moskau eingesetzten lokalen Kommunisten, seit 1948 an der Macht, misstrauten dem Katholizismus.

In seinem Allerheiligsten, seinem Arbeitsraum, türmten sich – daran erinnere ich mich bis heute genau – überall Bücher, an allen vier Wänden, sogar verstreut über den Boden. Auf dem Schreibtisch aus dunklem Holz eine Schreibmaschine, Modell Monika. »Mit der erledige ich meine ganze Korrespondenz, auch die mit dem Vatikan. Wie Sie ja wissen, habe ich zum großen Missfallen des Präsidenten gerade den Papst eingeladen«, sagte Tomášek mit einem spitzbübischen Lächeln, als sei ihm damit ein Streich gelungen, und nahm sein rotes Seidenkäppchen ab. Und natürlich war das auch ein Scoop, eine ungeheure Provokation der Staatsmacht: Der KP-Chef fürchtete den als polnischen KP-Kritiker bekannten Johannes Paul II. (und hier trifft es einmal das sprachliche Klischee) wie der Teufel das Weihwasser.

Auch ohne das erzbischöfliche Ornat, ohne die Albe, das weiße, bis auf den Boden herunterreichende Leinengewand, ohne das Zingulum, sein Gürtelband, wäre der Kardinal eine eindrucksvolle Persönlichkeit gewesen: ein rüstiger, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn höchst aufrechter Mann. Aber die Insignien der Kirche verliehen ihm natürlich eine zusätzliche Autorität. Nach den ersten Fragen und Antworten stand Tomášek auf und drehte das Radio auf seinem Schreibtisch laut, ziemlich laut, offensichtlich, um es potenziellen Mithörern unseres Gesprächs vom Geheimdienst schwerer zu machen. Und er erzählte von seiner Gratwanderung – den Versuchen, die Gläubigen zum Kampf um mehr Freiheiten zu ermutigen, sie aber nicht allzu sehr in Gefahren zu verstricken. Dennoch wanderten Tausende ins Gefängnis, auch viele Christen, die sich auf ihre Kirche beriefen. »Es ist ein Balanceakt, bei dem ich nie richtig weiß, ob ich meiner Verantwortung gerecht werde.«

Über Risiken für seine eigene Person erzählte Tomášek nichts, er schob sie zur Seite. Er wusste, dass es sich die KP-Oberen kaum leisten konnten, ihn zu verhaften, und war entschlossen, seine Freiheiten bis zum Äußersten auszuloten. Einige Jahre nach unserem Interview hat sich der Kardinal dann noch weiter vorgewagt. Er kritisierte offen die Menschenrechtsverletzungen der Kommunisten, unterstützte die Samtene Revolution in seinem Heimatland. So wurde Erzbischof Tomášek neben Karol Wojtyła einer der entscheidenden Freiheitshelden in Osteuropa. Ihm war noch vergönnt, den Sieg der Männer um Václav Havel mitzuerleben und Papst Johannes Paul II. tatsächlich in Prag zu empfangen.

Großajatollah Hossein Ali Montazeri traf ich 2003 in Ghom, neben Maschhad der heiligsten Stadt des Iran. Er lud mich ein zu einem Gespräch in seine kleine, bescheidene Privatwohnung. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Schriften über den Islam, nicht wenige von dem Religionsgelehrten selbst verfasst. Auf einer Kommode, an einem höher gestellten Platz, thronte der Koran. Sonst war der Raum absolut schmucklos.

Wenn einer die Geschichte der iranischen Revolution von ihren Ursprüngen bis heute symbolisiert, dann ist es dieser Mann. Er wurde von den Schergen des Schahs wegen seiner aufrührerischen Reden gegen die korrupte Monarchie gefoltert; er dachte sich die Verfassung des Gottesstaates mit aus, die den Religionsführer zur entscheidenden staatlichen Instanz machte; er zog 1979 an der Seite des Großajatollah Ruhollah Khomeini im Triumphzug durch Teheran. »Die Frucht meines Lebens« nannte der seinen »jüngeren Bruder« und designierte ihn zu seinem Nachfolger. Doch dann entzweiten sich die beiden. Montazeri kritisierte den Blutrausch der Revolution wie die Selbstherrlichkeit der Mullahs und weigerte sich, den Mordaufruf gegen den Schriftsteller Salman Rushdie zu unterstützen. Khomeini stellte ihn kurz vor seinem Tod 1989 kalt. Bis heute sitzt als Nachfolger der Scharfmacher Ali Khamenei auf dem Schild.

Als Montazeris Kritik an den Versäumnissen der Theokratie immer lauter wurde, verordnete der neue Religionsführer strengen Hausarrest für seinen Konkurrenten. Montazeris Lehrinstitut in Ghom wurde von islamistischen Schlägertrupps verwüstet. Allerdings wagte selbst Khamenei es nicht, den hoch angesehenen (und vom religiösen Status her deutlich überlegenen) Konkurrenten ins Gefängnis zu werfen. Ich konnte Montazeri durch die Vermittlung von Freunden unmittelbar nach der Aufhebung seines Hausarrests kennenlernen, er sei todkrank und dem Ende nahe, hieß es, die Freisetzung ein Gnadenakt. Er durfte jetzt wieder außer Haus, aber offiziell keine Besucher empfangen, Ausländer schon gleich gar nicht. Doch der Achtzigjährige dachte gar nicht daran, sich an irgendwelche Auflagen der Staatsmacht zu halten.

Sein früher rundes Gesicht war eingefallen, sein Händedruck, sagte sein besorgter Sohn, sei schlaffer geworden. Ansonsten machte der Greis, ganz in Blütenweiß gewandet, einen höchst vitalen Eindruck. Was er beim Interview sagte, war so radikal und revolutionär, dass es im Iran sonst keiner öffentlich zu äußern gewagt hätte. »Unser Gottesstaat ist gescheitert, wir haben durch unsere Exzesse die Achtung der Welt verloren. Khamenei hat schwere Fehler gemacht, er sollte alle politischen Gefangenen freilassen, auf Massenexekutionen verzichten und wirkliche Reformen einleiten.« Montazeri hatte klare Vorstellungen, wie diese Reformen aussehen müssten: Der Religionsführer sollte nur mehr repräsentative Aufgaben wahrnehmen, ähnlich einem konstitutionellen Monarchen. Das wirkliche Sagen sollten das gewählte Parlament und ein ihm verantwortlicher Regierungschef haben. Und auch mit Selbstkritik sparte der Großajatollah nicht; es sei schon richtig, sagte Montazeri, er trüge durch seine früheren Entscheidungen eine Mitschuld an den Fehlentwicklungen.

Der Großajatollah wurde zur hoch respektierten Symbolfigur aller Oppositionellen im Land, immer misstrauisch beäugt vom Religionsführer und den konservativen Rechtsgelehrten. Er hat dann über sechs Jahre in relativer Freiheit gelebt, konnte beobachten, wie seine Gedanken nach der offensichtlich manipulierten Parlamentswahl im Sommer 2009 von der studentischen Jugend aufgegriffen und verbreitet wurden. Er erlebte allerdings auch noch die weitgehende Niederschlagung der »Grünen Revolution«. Am 19. Dezember 2009 starb Hossein Ali Montazeri. Das Regime konnte nicht verhindern, dass ihm Hunderttausende Iraner das letzte Geleit gaben. Und viele fragten sich – und fragen sich bis heute –, was denn aus ihrem Land geworden wäre, hätte er es an die Spitze des Staates geschafft.

Den hinduistischen Hohepriester Veer Bhadra Mishra besuchte ich 2012 in der heiligen indischen Stadt Varanasi am Ufer des Ganges, die der Legende nach einst Lord Shiva selbst gegründet hat und in der sich eine ganze Sippschaft von Göttern austobte. Dort, wo das Sterben seine Angst verliert, weil die Erlösung vom Kreislauf der Wiedergeburten garantiert ist, wo Tausende täglich an den geweihten Treppen am Fluss verbrannt werden. Als Hüter des Sankat Mochan-Tempels genoss Mishra unter den Gläubigen höchste Autorität, das dem Affengott Hanuman geweihte Gotteshaus gehört zu den berühmtesten im ganzen Land. Pilger wie örtliche Gemeindemitglieder erhofften sich ein gemeinsames Gebet mit dem verehrten Priester – einem Mann, der beispielhaft die Widersprüche und die Ambivalenz, das Schizophrene und das Schöne an seiner Religion verkörpert.

Seit Generationen wurde das Amt des Hohepriesters an den Erstgeborenen der Familie weitergegeben. Aber um diese Rolle des »Mahant« ausfüllen zu können, musste jeder Auserwählte eine strenge und traditionelle Erziehung durchlaufen. So war auch Veer Bhadra Mishra von den besten Professoren...

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