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E-Book

Sieben Tage in der Kunstwelt

AutorSarah Thornton
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783104001036
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Was Robert Altmans Film »Prêt-à-Porter« für die Modewelt war, ist Sarah Thorntons Buch für die Welt des riesigen Boom-Marktes der Gegenwartskunst: Nach welchen Regeln funktioniert sie? Wer entscheidet, welcher Künstler einer der ganz großen (und ganz teuren) wird? Was treibt die Sammler, die Galeristen - und was bedeutet all das für die Kunst und die Künstler selbst? Mit dem Handwerkszeug einer Ethnologin erkundet Sarah Thornton diese einzigartige Welt aus Kreativität, Geschmack und Macht, aus Status, Hoffnung, Geld und Intrigen. Sie hat mit über 250 Insidern, Künstlern, Galeristen, Kritikern, Kuratoren und Sammlern gesprochen und ist als kritische Beobachterin für eine Zeit selbst Teil der Kunstwelt geworden. Ihr Buch schildert lebensprall und gespickt mit intelligentem Klatsch und Tratsch die Menschen und Instituitionen, die die Kunstgeschichte der Zukunft schreiben.

Sarah Thornton studierte Kunstgeschichte und Soziologie, promovierte über die britische Technoszene und lehrte Soziologie an der University of Sussex und am Goldsmith College. Heute ist sie Autorin für internationale Magazine, u.¿a. für den »Economist« und artforum.com, für den »New Yorker« sowie für zahlreiche weitere Zeitungen, wie z.¿B. die »Süddeutsche Zeitung«. Im S. Fischer Verlag erschien von ihr die hochgelobte Reportage ?Sieben Tage in der Kunstwelt?.

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Leseprobe

JOHN BALDESSARI
Beach Scene/Nuns/Nurse (with Choices), 1991

Vorwort


Sieben Tage in der Kunstwelt ist eine Sozialgeschichte der jüngeren Vergangenheit. Das Buch beschreibt, eingebettet wie in eine Zeitkapsel, eine außergewöhnliche Periode der Kunstgeschichte. In den vergangenen acht Jahren boomte der Markt, die Besucherzahlen der Museen in vielen Ländern stiegen, und mehr Menschen als je zuvor gaben ihren Brotberuf auf und bezeichneten sich als Künstler. Die Kunstwelt expandierte, das Karussell drehte sich schneller und schneller. Kunst wurde immer heißer, hipper, teurer. Mit der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise war dieser ekstatische Augenblick vorbei, die zugrundeliegenden Strukturen und Dynamiken jedoch bestehen weiter.

Die zeitgenössische Kunstwelt ist ein lose verbundenes Netzwerk unterschiedlicher Subkulturen, die vom Glauben an die Kunst zusammengehalten werden. Diese Subkulturen umspannen den Globus, sind aber gleichzeitig in Kunstmetropolen wie New York, London und Berlin konzentriert. Zwar existiert auch in Glasgow, Vancouver und Mailand eine lebendige Kunstszene, sie ist aber so abseitig, dass Künstler sich oft ganz bewusst dafür entscheiden, in diesen Städten zu leben und zu arbeiten. Dennoch ist die Kunstwelt heute sehr viel polyzentrischer als im 20. Jahrhundert; damals war zuerst Paris und später New York führend. Dreißig Jahre lang galt Köln als die europäische Kunsthauptstadt, bis Künstler aus ganz Europa nach Berlin abwanderten, während der Markt sich nach London und (für die Dauer der Kunstmesse im Juni) nach Basel verlagerte. Nun, da zeitgenössische Künstler in Beijing, Moskau und Doha Unterstützung finden, wird sich auch die Kunstwelt auf neue geographische Schwerpunkte verlagern.

Die Akteure der Kunstwelt treten in der Regel in einer der folgenden Rollen auf: als Künstler, Händler, Kuratoren, Kritiker, Sammler oder Experten in einem Auktionshaus. Zwar gibt es Künstler, die gleichzeitig Kritiker und Händler, die gleichzeitig Sammler sind, aber diese Doppelrolle ist nach deren eigenem Bekunden schwierig auszufüllen, und die öffentliche Wahrnehmung ihrer Tätigkeit fokussiert sich jeweils nur auf eine der beiden Identitäten. Am schwierigsten zu spielen ist die Rolle des glaubwürdigen und erfolgreichen Künstlers, doch es sind die Händler, die die Schlüsselrolle besetzen, da bei ihnen die Fäden zusammenlaufen. Sie kanalisieren Macht und Einfluss aller anderen Akteure.

Man darf nicht vergessen, dass die Kunstwelt ungleich diversifizierter ist als der Kunstmarkt. Der Markt besteht aus denjenigen, die Kunst kaufen und verkaufen (Händler, Sammler und Auktionshäuser), doch viele Akteure der Kunstwelt (die Kritiker und Kuratoren sowie die Künstler selbst) sind in diese kommerziellen Aktivitäten in der Regel nicht direkt involviert. Die Kunstwelt dagegen ist eine Sphäre, in der viele Menschen nicht nur arbeiten, sondern leben. Es ist eine »symbolische Ökonomie«, wo Gedanken ausgetauscht und kulturelle Werte diskutiert werden, jenseits des reinen Kommerz.

Zwar wird die Kunstwelt häufig als eine klassenlose Sphäre beschrieben, in der Künstler aus niedrigen sozialen Schichten mit reichen Erben und Bankern, wissenschaftlich geschulten Kuratoren, Schriftstellern und anderen »Kreativen« Champagner trinken. Man sollte jedoch nicht meinen, dies fände in einer egalitären oder demokratischen Atmosphäre statt. Kunst hat mit Experiment und mit Ideen zu tun, aber auch mit Prominenz und Exklusivität. In einer Gesellschaft, in der jeder nach einem Mindestmaß an Anerkennung sucht, kann dies eine berauschende Mischung sein.

Die zeitgenössische Kunstwelt ist das, was Tom Wolfe wohl »Statusphäre« nennen würde. Sie formiert sich um nebulöse und oft widersprüchliche Hierarchien von Ruhm, Glaubwürdigkeit, imaginierter historischer Bedeutung, institutioneller Anbindung, Bildung, »gefühlter« Intelligenz, Reichtum und Attributen wie beispielsweise der Größe einer Sammlung. Bei meinen Streifzügen durch die Kunstszene war ich oft amüsiert über die Statusängste der Akteure. Händler, die um den Standort ihrer Koje bei einer Kunstmesse bangen, und Sammler, die bei einem neuen »Meisterwerk« als Erste zur Stelle sein wollen, sind vielleicht die signifikantesten Beispiele, frei davon ist niemand. John Baldessari, ein in Los Angeles lebender Künstler, der in diesem Buch mit klugen und geistreichen Äußerungen mehrfach zu Wort kommt, sagte zu mir: »Künstler haben ein riesiges Ego, das sich zu unterschiedlichen Zeiten auf unterschiedliche Weise manifestiert. Ich finde es lästig, wenn mir die Leute die Höhepunkte ihres beruflichen Werdegangs vorbeten. Ich war schon immer der Ansicht, dass Schildchen oder Bändchen dieses Problem lösen würden. Man könnte sie beim Besuch der Documenta oder der Tate an sein Jackett heften. Künstler könnten Streifen tragen wie Generäle, dann wüsste jeder sofort über ihren Rang Bescheid.«

Wenn in der Kunstwelt ein Grundsatz hochgehalten wird, dann vermutlich der, dass nichts wichtiger ist als die Kunst selber. Manche glauben wirklich daran; andere wissen, dass sie zumindest so tun müssen, als würden sie daran glauben. So oder so, das gesellschaftliche Umfeld der Kunst wird oft als etwas Nachgeordnetes und Schmutziges abgetan, das die Reinheit der Kunst nur befleckt.

Während meines Studiums der Kunstgeschichte hatte ich das Glück, viele neuere Arbeiten sehen zu können. Allerdings hatte ich keine genaue Vorstellung davon, wie diese Kunstwerke zirkulierten, wie sie in den Blick der Kunstkritik gerieten oder womöglich Anstoß erregten, wie sie vermarktet, verkauft oder gesammelt wurden. Heute, da das Werk lebender Künstler auf den Studienplänen ganz oben steht, lohnt es sich mehr als je zuvor, die Bezugssysteme von Kunst durchsichtig zu machen, um zu verstehen, welchen Bewertungsprozessen ein Kunstwerk zwischen seiner Entstehung im Atelier und seinem Standort in der ständigen Sammlung eines Museums (oder im Müllcontainer oder einer der vielen möglichen Stationen dazwischen) unterliegt. Wie mir der Kurator Robert Storr sagte, der im Biennale-Kapitel zu Wort kommt: »Die Funktion eines Museums besteht darin, Kunst wieder wertlos zu machen. Ein Museum nimmt das Kunstwerk vom Markt und platziert es an einem Ort, wo es Teil des kollektiven Reichtums wird.« Meine Untersuchung zeigt, dass große Arbeiten nicht aus dem Nichts auftauchen. Sie werden gemacht, nicht nur von Künstlern und ihren Assistenten, sondern auch von Händlern, Kuratoren, Kritikern und Sammlern, die die Arbeit »unterstützen«. Das bedeutet nicht, dass diese Arbeiten nicht groß wären oder dass Kunst, die es bis ins Museum schafft, diesen Status nicht verdient hat. Keineswegs. Es besagt nur, dass der Prozess der kollektiven Meinungsbildung weder so simpel noch so geheimnisvoll verläuft, wie man gemeinhin denkt.

Dass zeitgenössische Kunst heute eine Art Religion für Atheisten geworden ist, zieht sich thematisch wie ein roter Faden durch alle Geschichten dieses Buches. Der Maler Francis Bacon sagte einmal, sobald der Mensch erkannt habe, dass er bloßer Zufall ist, müsse er sich ablenken. Und er fügte hinzu: »Malerei, alle Kunst ist ein Spiel geworden, mit dem der Mensch sich ablenkt … und wenn ein Künstler gut sein will, muss er dieses Spiel vertiefen.« Für viele Akteure der Kunstwelt und für viele Kunstbegeisterte ist konzeptuelle Kunst so etwas wie ein existenzieller Weg, um ihrem Leben Sinn und Bedeutung zu verleihen. Der Sprung in den Glauben ist erforderlich, doch der Gläubige wird mit Sinn belohnt. Mehr noch: Wie Kirchen oder andere rituelle Versammlungsorte eine soziale Funktion erfüllen, so schaffen auch Kunstevents ein Gemeinschaftsgefühl. Für den Autor und Herausgeber Eric Banks, der in Kapitel 5 auftaucht, hat der gesellige Charakter der Kunstwelt unerwartet positive Folgen. »Die Leute reden tatsächlich über die Kunst, die sie sich anschauen«, sagte er. »Wenn ich etwas von Roberto Bolaño lese, kann ich nur mit sehr wenigen Menschen darüber sprechen. Lesen ist ein langwieriger und einsamer Akt, Kunst dagegen fördert die Bildung imaginierter Gemeinschaften.«

Trotz ihrer Selbstbezogenheit und ähnlich einer Gemeinschaft gläubiger Adepten ist die Kunstwelt vom Konsens ebenso abhängig wie von individueller Analyse und kritischer Reflexion. Die Kunstwelt betet zwar das Unkonventionelle an, aber sie strotzt vor Konformität. Künstler schaffen Werke, die »aussehen wie Kunst«, und ihr Auftreten ist dazu angetan, stereotype Vorstellungen zu verstärken. Kuratoren erfüllen die Erwartungen ihrer Kollegen und Museumsvorstände. Sammler strömen in Scharen herbei, um die Werke einer Handvoll Künstler zu kaufen, die gerade en vogue sind. Kritiker halten den Finger in die Luft, um zu erspüren, woher der Wind weht. Originalität wird nicht immer belohnt, doch die Risikobereitschaft und Innovationskraft einiger weniger verschafft dem Rest eine Daseinsberechtigung.

Der Boom des Kunstmarkts bildet den Hintergrund dieses Buches. Die Frage, warum es mit diesem Markt in den vergangenen zehn Jahren so steil nach oben ging, ließe sich mit einer Gegenfrage beantworten: Warum ist Kunst heute so populär? Die Geschichten, die in diesem Buch erzählt werden, suggerieren immer wieder Antworten. An dieser Stelle jedoch möchte ich ein paar knappe Thesen wagen. Erstens sind wir heute gebildeter als je zuvor und haben einen gesteigerten Appetit auf kulturell komplexere Güter entwickelt. Im Idealfall regt Kunst zum genussvollen Nachdenken an. Je mehr kulturelle Bereiche der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, desto größer ist das Publikum für jene...

Blick ins Buch

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