Einleitung
Wie die Ernährung mein Leben veränderte
Vom Rand des Abgrunds an die Weltspitze – in 18 Monaten
Kurz vor dem Gipfel stürzte ich ab.
Ich war 19 Jahre alt, ein unbekannter Junge aus einem kriegszerrütteten Land, der aus dem Nichts in der Profiszene aufgetaucht war. Ich hatte neun Spiele hintereinander gewonnen und stand kurz davor, die Führung im Finale der Croatia Open 2006 zu übernehmen. Das Publikum im Stadion war auf meiner Seite; mein Team feuerte mich an.
Doch ich hörte es nicht. In meinem Kopf dröhnte es, und ich hatte furchtbare Schmerzen. Etwas hielt mir die Nase zu, hatte meinen Brustkorb im Klammergriff und goss Zement in meine Beine.
Ich sah über das Netz hinweg zu meinem Gegner, Stanislas Wawrinka. Ich blickte in die Zuschauerränge, wo meine Mutter saß. Im nächsten Augenblick saugte mich die Schwerkraft plötzlich rückwärts auf den roten Sandboden. Ich blickte in den offenen Himmel Kroatiens und rang um jeden Atemzug. Der Fluch – die geheimnisvolle Macht, die mir ohne Vorwarnung alle Kraft raubte – hatte mich wieder einmal eingeholt.
Ich konnte Luft holen, so viel ich wollte, sie erreichte meine Lungen nicht. Mein Vater rannte auf den Platz und trug mich mit einem Arzt zu meinem Stuhl. Ich sah meine Mutter auf den Zuschauerrängen weinen und wusste es. Das Turnier war zu Ende. Und mein Lebenstraum wahrscheinlich auch.
Nur wenige Menschen wissen bereits im Alter von sechs Jahren, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Ich war einer von ihnen. Dreizehn Jahre zuvor, am 21. Juni 1993, hatte ich im winzigen Wohnzimmer über dem Pizza-Restaurant meiner Eltern in der abgelegenen Kleinstadt Kopaonik in Serbien verfolgt, wie Pete Sampras Wimbledon gewann. In diesem Moment hatte ich gewusst: Eines Tages würde ich dort stehen.
Ich hatte noch nie Tennis gespielt. Ich kannte niemanden, der Tennis spielte. In Serbien war Tennis als Sportart so unbedeutend wie zum Beispiel Fechten. Weiter hätte man vom Glanz Londons nicht entfernt sein können als in dieser trostlosen Kleinstadt, in der meine Familie lebte. Doch in jenem Moment wusste ich, was ich wirklich wollte: Ich wollte den Wimbledon-Pokal über meinen Kopf heben, den Jubel der Menge hören und wissen, dass ich gerade die Nummer eins im Welttennis geworden war.
Meine Eltern hatten mir einen regenbogenfarbenen Schläger und ein paar Wifflebälle1 gekauft, als ich vier Jahre alt war. Die schlug ich daraufhin stundenlang mit dem Schläger gegen die Wand des Restaurants. Und als ich Sampras an jenem Tag sah, wusste ich es. Die folgenden 13 Jahre steuerte ich an jedem Tag meines Lebens auf dieses Ziel zu. Meine Familie brachte zahllose Opfer; meine Freunde unterstützten mich von Anfang an; meine Trainer, Coaches und Fans – sie alle gemeinsam brachten mich so nahe an die Erfüllung meines Lebenstraumes, wie nur irgend möglich.
Aber irgendetwas in mir war kaputt, krank, schwach. Manche nannten es eine Allergie, andere Asthma, manche sagten einfach, ich sei nicht in Form. Aber egal, welchen Namen mein Problem bekam, niemand kannte eine Lösung.
Es war nicht das erste Mal, dass ich in einem großen Turnier zusammengebrochen war. Ein Jahr zuvor hatte ich den an Nummer acht gesetzten Guillermo Coria schockiert, als ich, damals gerade mal die Nr. 153 in der Weltrangliste, den ersten Satz bei meinem ersten Auftritt bei den French Open gegen ihn gewann. Doch im dritten Satz hatten sich meine Beine in Stein verwandelt, ich konnte nicht atmen und gab schließlich auf. »Offensichtlich ging ihm die Kraft aus«, kommentierte Coria später. »Wenn man fit ist, schafft man auch ein langes Match bei hohen Temperaturen.«
Drei Monate später, am 30. August 2005 brach ich beim Erstrundenspiel meiner ersten U.S. Open gegen Gaël Monfils auf dem Platz tatsächlich zusammen. Bei schwülen 27 Grad Celsius lag ich auf dem Rücken wie ein gestrandeter Wal, schnappte nach Luft und wartete auf meinen Trainer. Nach vier peinlichen Spielpausen gewann ich das Match schließlich noch in fünf Sätzen 7–5, 4–6, 7–6, 0–6, 7–5. Doch ich verließ den Platz unter den Buhrufen des Publikums, und meine mangelnde Fitness war das Tagesgespräch im Turnier. »Er sollte vielleicht ein paar Dinge verändern«, schlug Monfils vor.
Ich versuchte es. Im Profitennis kann jede noch so kleine Veränderung in der Spieltechnik beim Gesundheitszustand oder der Einstellung den entscheidenden Unterschied ausmachen. Ich trainierte jeden Morgen und jeden Abend, ich hob tagtäglich Gewichte, fuhr stundenlang Fahrrad oder joggte. Eigentlich hätte ich topfit sein müssen.
Ich wechselte die Trainer und suchte nach einem neuen Trainingsplan. Ich wechselte die Coaches, weil ich hoffte, dass eine andere Spieltechnik mich von dem Fluch befreien würde. Ich unterzog mich einer Nasenoperation in der Hoffnung, so besser atmen zu können. Jede Veränderung half, ein kleines bisschen. Mit jeder Saison wurde ich ein wenig stärker und fitter. Im Jahr 2007 wurde ich der zweite Spieler, der jemals sowohl Roger Federer als auch Rafael Nadal seit ihrem Aufstieg an die Weltspitze geschlagen hatte.
Doch bei jedem Schritt auf die Erfüllung meines Traumes zu hatte ich das Gefühl, als läge ein Seil um meinen Rumpf, das mich zurückzog. Die Spielsaison im Profitennis dauert jeweils elf Monate. Daher muss man sich zwischen den Matches schnell wieder regenerieren können. Ich gewann ein Turnier und brach im nächsten überraschend zusammen. Ich gewann ein hartes Match und musste dann im folgenden mittendrin aufgeben.
Vielleicht war es gar kein physisches Problem, sondern ein psychisches? Ich versuchte, mich mit Meditation und später mit Yoga zu beruhigen. Ich trainierte wie ein Besessener: Jeden Tag arbeitete ich vierzehn Stunden lang nur an der Verbesserung meines Spiels, psychisch und physisch. So wurde ich zu einem der zehn besten Tennisspieler der Welt.
Doch in meinem Traum war ich nicht einer der besten.
Zwei Männer standen zu jener Zeit an der Spitze des Welttennis – Federer und Nadal –, und für sie war ich nur jemand, der gelegentlich lästig war, aber jeden Moment aussteigen konnte, wenn es schwierig wurde. Diese Typen waren die Elite. Ich steckte irgendwo in der zweiten Reihe fest.
Im Januar 2008 gewann ich gegen Jo-Wilfried Tsonga in vier Sätzen meinen ersten Grand-Slam-Titel, die Australian Open – ein Durchbruch. Doch ein Jahr später musste ich beim selben Turnier im Viertelfinale gegen Andy Roddick aufgeben.
Der Titelverteidiger gab auf?! Was war nur los mit mir? »Krämpfe, Vogelgrippe, Anthrax, SARS, gewöhnliche Erkältung mit Husten.« Roddick machte sich lustig darüber, dass ich so häufig krank wurde. Sogar der sonst ruhige Gentleman Federer äußerte sich gegenüber Reportern abfällig über mich: »Das mit seinen Verletzungen ist echt ein Witz.«
Am Jahresende 2009 verlegte ich mein Trainingscamp sogar nach Abu Dhabi in der Hoffnung, dass mich das Training in der sengenden Hitze am Persischen Golf besser auf die Australian Open in Melbourne vorbereiten würde. Vielleicht konnte ich diesen Fluch endlich besiegen, wenn ich mich besser akklimatisierte.
Zunächst sah es so aus, als hätte ich endlich eine Lösung gefunden. Am 27. Januar 2010 hatte ich es ins Viertelfinale geschafft. Meine bisherigen Gegner hatte ich problemlos besiegt. Jenseits des Netzes stand, wie zwei Jahre zuvor, Jo-Wilfried Tsonga, die Nummer zehn der Weltrangliste. Ich stand auf Platz drei. Genau zwei Jahre zuvor hatte ich ihn auf diesem Platz geschlagen und mit 21 Jahren das erste Grand-Slam-Turnier meines Lebens gewonnen. Und an diesem Tag musste ich mindestens genauso gut sein. Wenn nicht gar besser.
Tsonga ist ein Koloss aus 200 Pfund reiner Muskelmasse, einer der größten und stärksten Spieler überhaupt, und peitscht seine Aufschläge mit 230 km/h übers Netz. Wenn er sein ganzes Gewicht in einen Return legt, kommt der Ball mit einer Kombination aus Geschwindigkeit und Topspin zurück, die einem fast den Schläger aus der Hand reißt. Und dennoch bewegt er sich sehr schnell über den Platz. An jenem Tag wirkte er in seinem neongelben T-Shirt so riesig wie die Sonne und ebenso unerbittlich. Den ersten Satz gewann er 7–6 nach einem harten Tiebreak, der die Zuschauer immer wieder von den Sitzen riss.
Im zweiten Satz zahlte sich mein obsessives Training aus, ich gewann ihn 6–7 und übernahm die Kontrolle über das Match. Ich schickte Tsonga an der Grundlinie hin und her. Das Einzelspielfeld ist 8,23 Meter breit, und ich legte die Entfernung so gut zurück wie jeder andere.
Den dritten Satz gewann ich problemlos mit 1–6. Ich hatte ihn.
Und dann geschah es schon wieder. Tsonga lag im vierten Satz 1–0 in Führung, als die unsichtbare Macht angriff. Ich bekam keine Luft. Als er das nächste Spiel gewann, stieg etwas in meiner Kehle auf. Ich bat den Stuhlschiedsrichter um eine Toilettenpause. Mein Gegner sollte nicht sehen, was ich gleich tun würde.
Ich rannte in den Umkleideraum, stürzte in eine Kabine und fiel auf die Knie. Ich umklammerte die Toilettenschüssel, mein Magen krampfte sich zusammen und ich fühlte mich, als würde ich meine ganze Kraft auskotzen.
Als ich auf den Platz zurückkehrte, war ich ein anderer Spieler.
Tsonga wusste, dass mein Körper mich im Stich ließ, und er schickte mich bei seinen Aufschlägen von der einen Seite des Platzes zur anderen, wie eine Marionette. Er zog die Zuschauer auf seine Seite, und seine Aufschläge wurden schneller und...