Herzog Friedrich August
Am 4. April 1694 tat die zwanzigjährige Sibylla Magdalena von Neitschütz Gräfin Rochlitz ihren letzten Atemzug. Johann Georg IV. warf sich über den Leichnam und bedeckte das Gesicht der Toten verzweifelt mit Küssen. Der sächsische Kurfürst hatte seine Geliebte aufopferungsvoll gepflegt und sich dabei infiziert. Drei Wochen später, am frühen Abend des 27. April, erlag auch er den Blattern. So verlor Sachsen seinen Landesvater und die einjährige Wilhelmine Maria Friederike Comtesse von Rochlitz binnen eines Monats beide Eltern.
Die Nachricht vom Tod des Kurfürsten traf seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Friedrich August vollkommen unvorbereitet. Am 12. Mai 1670 am Morgen gegen neun Uhr geboren, war Friedrich August zunächst gemeinsam mit seinem Bruder erzogen worden. Die ersten Kinderjahre verbrachten die Knaben beim wettinischen Großvater väterlicherseits, Kurfürst Johann Georg II. Das Geschlecht der Wettiner war wohlhabend, besaß ausgedehnte Ländereien, Burgen und Schlösser. Am kurfürstlichen Hof lernte Friedrich August, was es hieß, in die Lebensgewohnheiten des hohen Adels hineinzuwachsen. Johann Georg II. liebte die Jagd, veranstaltete große Feste und rief italienische und französische Künstler nach Dresden.
Seine Enkel erhielten eine standesgemäße Erziehung und lebten im stolzen Bewusstsein, Sprösslinge eines traditionsreichen Fürstenhauses zu sein. Später schrieb Friedrich August über den Großvater: Dieser regierde zeit seiner regierung in ruhe es bliheten unter ihm alle ergezlichkeiten und man kunte sagen das es der schenste hoffe den ein kenig zu der zeit hatte.[1]
Bis 1680 regierte Johann Georg II. das Land, dann übernahm sein Sohn den Kurhut. Johann Georg III. war von seinem Vater behutsam an die Regierungsverantwortung herangeführt worden und hatte 1666 Anna Sophie von Dänemark, die Tochter des dänischen Königs Frederik III., geheiratet. Am sächsischen Hof war bald bekannt – der Kurfürst und seine Gemahlin waren ein Paar, wie es unterschiedlicher nicht hätte sein können.
Anna Sophie führte den Titel «Königliche Hoheit». Sie war eine ernsthafte Dame, die neben ihrer Muttersprache Latein, Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch beherrschte. Während die streng protestantische, hochgebildete Kurfürstin ihre Söhne bereits im zartesten Alter in Fremdsprachen und Religion unterwies, galt ihr Mann als tapferer Haudegen mit flinker Klinge und einem Hang zu Wein, Weib und Gesang. Legendär seine Feste, bei denen es keineswegs nach höfischer Etikette, sondern feucht und fröhlich zuging, bis sich die Gäste kaum noch auf den Beinen halten konnten. Seine Politik war durch großes Engagement im Militärwesen gekennzeichnet, und seine beeindruckten Untertanen gaben ihm nach dem römischen Kriegsgott den Spitznamen «der sächsische Mars».
Ungleich wie die Eltern waren auch die Söhne. Früh zeigte sich, dass der erstgeborene Johann Georg die ernsthaften Anlagen der Mutter, Friedrich August hingegen die robuste Energie und das Temperament des Vaters geerbt hatte. Mit der kräftigen langen Nase und den dunklen Augenbrauen glich er seiner Mutter nur äußerlich.
Anna Sophie legte viel Wert auf die Erziehung der Knaben. Fromme Männer mit gebildetem Geist sollten aus ihnen werden. Zu diesem Zweck wurden drei Erzieher berufen. Johann Ernst von Knoch, der ehemalige Kammerjunker Johann Georgs II., der studiert hatte und juristisch sehr beschlagen war, avancierte zum Hofmeister. Der Musiker Christoph Bernhardi war für den Fremdsprachenunterricht, Italienisch, Französisch und Spanisch, sowie für die musikalische Unterweisung der Knaben zuständig. Wolf Caspar von Klengel sorgte für Kenntnisse in Militärwesen, Festungsbau, Mathematik und Zeichnen. Zudem war es am wettinischen Hof üblich, dass jeder Prinz ein Handwerk erlernte. Die Elfenbeinschnitzereien Friedrich Augusts wurden in der Kunstkammer, dem späteren Grünen Gewölbe, aufbewahrt. Die religiöse Erziehung der Jungen überwachte Anna Sophie persönlich. Von Friedrich August hieß es, dass er, «als er noch nicht reden gekonnt schon allerhand schöne Gebetlein gelernt und ihm bereits im vierten Jahre der Catechismus Doktor Luthers in die Seele gedrückt worden sei»[2].
Die mütterlichen Ermahnungen zu Gottesfürchtigkeit und Nächstenliebe verhallten jedoch ungehört. In den Kinder- und Jugendzimmern der kurfürstlichen Residenz wurde unaufhörlich gezankt.
Friedrich August notierte 1690, man hätte nur stehten Krieg miet einander[3] gehabt. Über seinen Bruder schrieb er: Wahr von Natur und Glietmaßen schwag [schwach], von Gemiette zornig und melanquollich; sehr großes Belieben Wissenschaften zu lernen in welchen er sehr reuchierte [reüssierte – erfolgreich war].[4]
Der schwächliche Johann Georg litt tatsächlich unter dem kraftstrotzenden Jüngeren, der ihm die dynastische Position schon als Knabe neidete. Als Erwachsener erinnerte sich Friedrich August: Dieweil die Natur den ingern [jüngeren] mehr Forteil vor dehm elteren gegeben, wahr er schallus [frz. jaloux = eifersüchtig]; hingegen der ingere misgonte dehm Codrus [Deckname für den Kurprinzen], das die Natur ihm im Gegenteil ihm zum elteren gemacht.[5]
Vater Johann Georg III. sprach ein Machtwort, die Knaben wurden getrennt. Christian August von Haxthausen, der einem westfälischen Adelsgeschlecht entstammte, bekam die Stelle des Hofmeisters für Friedrich August. Als Zweitgeborener trug dieser nicht den Titel des Kurprinzen, sondern den eines Herzogs von Sachsen – und als solchen musste man ihn nicht auf die Regentschaft vorbereiten. Er sollte seinen Weg eines Tages beim Militär machen, und dafür bedurfte es keiner wissenschaftlichen Kenntnisse. Fortan lagen die Schwerpunkte seiner Ausbildung auf Disziplinen wie Reiten und Fechten, auf halsbrecherischen Jagden, um seinen Mut zu beweisen und Befehle zu geben. Die auf diese Weise ein wenig eindimensionale Erziehung führte dazu, dass Friedrich August das Französische zwar sprach, aber niemals richtig schreiben lernte. Auch die deutsche Orthographie passte er dem gesprochenen Wort nach Belieben an und verfasste seine Briefe in reinstem Sächsisch. Nur ein Lehrer vermochte seine Aufmerksamkeit zu erringen, Wolf Caspar von Klengel.
Bei ihm erwarb er militärisches Wissen, lernte Artilleriewesen und die Kunst des Festungsbaus. Vor allem aber weckte Oberlandbaumeister Klengel das Interesse des temperamentvollen Prinzen für die Architektur. Als Teile Dresdens 1685 bei einem Brand vernichtet wurden, beauftragte Friedrich seinen Exlehrer mit einem Plan für den Wiederaufbau. Geldmangel verzögerte die Umsetzung der Entwürfe, bis der Kurfürst sie dreißig Jahre später hervorholte und ihre Ausführung in Form der Dresdner Neustadt befahl.
Wie sein Vater war auch der Herzog von Sachsen den Damen sehr zugetan und verliebte sich 1686, kaum sechzehnjährig, in Marie Elisabeth von Brockdorff, ein Hoffräulein aus dem Umfeld seiner Mutter.
Anna Sophie war entsetzt, entfernte das Mädchen vom Hof und fuhr mit ihrem Sohn nach Dänemark, die königlichen Verwandten zu besuchen. Die Reise lenkte ihn zwar ab, doch ließ sie den verliebten Jüngling seine Angebetete nicht vergessen. Mit artigen Briefen sicherte er sich das Wohlwollen seines Vaters: Durchlauchtigster Churfürst, gnedigster Herr vater. Ich habe meines kind schuldigsten Gehorsam erachtet Ew. Gnaden mit dießen aufzuwarten und zu berichten, daß wir mit Ihr.Majet. gestern wieder hier kommen. Vermelde auch, daß das caronsel [Karussellrennen] künftige woche noch vor sich gehen werde, nach welchen man vermutet Ihr Gnad, balt von hier wieder zurück gehen werde. Hoffe ich also das Glück auch bald zu haben, Ew. Gnad. die Hände zu küssen und unterthänigst zu versichern, daß ich mit schuldigsten respect bin Ew. Gnad. unterthänigster sohn und diener Friedrich August H.[erzog] z.[u] S.[achsen].[6]
Die braven Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Kaum war Friedrich August wieder in Dresden, sorgte sein verständnisvoller Vater dafür, dass Elisabeth von Brockdorff zurück an den Hof geholt wurde.
Inzwischen bereitete Johann Georg III. die Kavalierstour seines jüngeren Sohnes vor. Jeder junge Mann von Stand und Adel hatte eine solche meist mehrjährige Reise zu absolvieren. Sie diente dazu, erlernte Sprachen zu vervollkommnen, die Manieren zu schleifen und sich in Kunst und Architektur zu bilden. Wer etwas auf sich hielt, musste ins Ausland gehen, insbesondere an den französischen Hof zu Versailles. Hier setzte Ludwig XIV. Maßstäbe in Sachen Macht und Pracht. Um das Reisebudget genehmigen zu lassen, teilte der Kurfürst den Direktoren und Geheimen Räten zu Dresden mit, dass er den Herzog in «fremde Lande» zu schicken gedenke, damit er sich «in allen wohlanständigen Fürstlichen Tugenden desto mehr perfectionieren möge».[7]
Am 19. Mai 1687, genau eine Woche nach seinem siebzehnten Geburtstag, brach Friedrich August in Begleitung seines Hofmeisters Christian August von Haxthausen auf. Medicus Dr. Matthäus Pauli und der Theologe Dr. Paul Anton unterstützten den ehrbaren Haxthausen bei den Versuchen, das ungestüme Temperament seines Zöglings in zivilisierte Bahnen zu lenken. Außerdem reisten sein Freund und Kammerdiener Friedrich von Vitzthum zu Eckstädt und ein Stallmeister mit dem kleinen Tross.
Es war...